Gewalt in der Pflege

Gewalt in der Pflege ist ein Begriff, der im ersten Moment gar nicht mit dem allgemein gültigen Bilde des pflegenden Menschen übereinstimmen will.

Gewalt in der Pflege ist etwas, was nicht zur Person passen will, die sich aufopfert und die Menschen mit Hilfebedarf versorgt.

Gewalt in der Pflege ist doch eigentlich das genaue Gegenteil von dem, was ein normal denkender Mensch von einer Person erwartet, die sich dem Berufe des Pflegens verschrieben hat.

Um uns mit diesem Begriff näher zu befassen, müssen wir ihn zunächst einmal unterteilen.

Gewalt von wem gegen wen?

Geht die Gewalt von einer Pflegeperson aus?

Handelt es sich um Gewalt gegenüber Pflegepersonen?

Ist die Gewalt, sofern sie von der Pflegeperson ausgeht, eine Reaktion auf Erlebnisse im Beruf?

Ist die Gewalt, sofern sie von der Pflegeperson ausgeht, eine Reaktion auf Erlebnisse außerhalb des Tätigkeitsbereiches.

Ist die Ursache für die Gewalt in der Vergangenheit des Täters zu suchen?

Ist die Ursache für die Gewalt in der Vergangenheit des Opfers zu suchen?

Handelt es sich um physische Gewalt?

Handelt es sich um psychische Gewalt?

Was für eine Gewalt kann nun ein pflegender Mensch gegenüber einem Schutzbefohlenen ausüben?

Wenn wir in der Geschichte der Krankenpflege nachsehen, wissen wir spätestens seit Florence Nightingale, dass das Bild der pflegenden Person, eigentlich immer das der Krankenschwester ist, die immer nur etwas mit Hilfe zu tun hatte.

Der Patient, der Geduldige, erhielt Hilfe durch die sorgende Krankenschwester.

So lange die Krankenpflege sich in diesem sicheren Fahrwasser der helfenden Hände bewegte, gab es bezüglich ausgeübter Gewalt überhaupt keine Diskussion.

Eine Krankenschwester war der Inbegriff der selbstlosen aufopfernden Person, der Person die sich selbst aufgab. Zumeist handelte es sich gleichzeitig um Nonnen oder Diakonissen, die ihr Selbstbild im neuen Testament der Bibel fanden und für Gotteslohn, den sie im Paradies zu erhalten glaubten und hofften, ihre Arbeit verrichteten. Eine Arbeit, die oftmals weder Pausenzeiten, noch freie Tage kannte und die für Kost und Logis verrichtet wurde.

Das ging so lange, bis es immer weniger Nonnen und Diakonissen gab, was zum Ausbilden und Einstellen sogenannter weltlicher Schwestern führte, in deren Folge man die Arbeitszeitverordnung von 1928 durch einige Zusätze angleichen musste, die zu einer Genehmigung der ansonsten für Frauen verbotenen Nachtarbeit führte.

Wenn es nicht noch einen anderen Schritt in der Geschichte gegeben hätte, der zur Integration einer bis dahin völlig fremden Berufsgruppe führte, brauchten wir heute nicht so weit in die Vergangenheit auszuholen, um Gewalt in der Pflege verständlicher zu machen.

Gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts wurde dann die Krankenpflege, mit der Pflege, Betreuung, beziehungsweise Beaufsichtigung psychisch Kranker in Verbindung gebracht, was zu einer erheblichen Änderung dessen führen sollte, was man bis dahin unter Krankenpflege verstanden hatte.

Was zuvor in dem, was wir heute unter Landeskrankenhäusern verstehen, als Irrenanstalten bezeichnet wurde, hatte in den letzten Jahrhunderten mehr Ähnlichkeit mit Gefängnissen und Zuchthäusern, als mit Krankenhäusern.

Schon die rechtlichen Voraussetzungen waren bis in die Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in den Landeskrankenhäusern mit denen in den Zuchthäusern zu vergleichen.

Bis Mitte der Siebziger Jahre gab es noch die Unterscheidung zwischen Gefängnissen und Zuchthäusern. Zuchthäuser unterschieden sich von Gefängnissen durch den zusätzlichen Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte. Unter den bürgelichen Ehrenrechten war das aktive und passive Wahlrecht gemeint.

Der rechtliche Status der Personen, die in der Psychiatrie untergebracht waren unterschied sich nicht von dem der verurteilten Verbrecher in Zuchthäusern, denn auch sie hatten einen Vormund erhalten, der vom Gesetzgeber vorgesehen worden war, ihre Rechte wahrzunehmen, sie in rechtlichen Angelegenheiten zu vertreten.

Dieser Umstand gipfelte darin, dass selbst die Bauvorschriften zur Unterbringung psychisch Kranker den Rechtsbestimmungen für den Bau von Zuchthäusern entnommen wurden.

Ein psychisch Kranker konnte in einer Räumlichkeit untergebracht werden, die quadratmetermäßig zu klein war, wenn 10 mÄ Atemluft gegeben waren. Diese aus der Zuchthausverordnung stammende Bestimmung sorgte dafür, dass in alten Kranhäusern mit ihren bekannt hohen Decken, in einem Raum mit 10 mÄ Grundfläche bis zu vier Personen untergebracht werden konnten, wenn der Raum vier Meter hoch war.

Nach der Psychiatrieenquete Mitte der Siebziger Jahre erwiesen sich fast alle Einrichtungen zur Unterbringung psychisch Kranker als zu klein und um mindestens 50 - 70 % überbelegt.

Aufgrund der geschilderten räumlichen Enge kann man sich vorstellen, dass schon seitens der untergebrachten Menschen eine große Gewaltbereitschaft vorherrschte, die man ab Mitte der fünfziger Jahre mit dem ersten Psychopharmakon Megaphen bekämpfte.

Die Geschichte der Krankenpfleger und Krankenschwestern in der Psychiatrie weicht nun erheblich von der oben geschilderten Florence Nightingale ab.

Mit Errichtung der sogenannten Provinzialkrankenanstalten zur Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen wurden naturgemäß auch Menschen benötigt, die sich um die eingesperrten Irren kümmerten.

Bemerkenswert war schon die Bezeichnung Provinzialkrankenanstalt, also eine Krankenanstalt, die sich in der Provinz befand, damit weit weg von den belebten Metropolen. Die Angehörigen psychisch Erkrankter hatten Tagesreisen zu unternehmen, um sie zu besuchen.

Man hatte den Vorteil, den Verbleib des psychisch kranken Angehörigen mit einer längeren Reise zu auswärtigen Verwandten oder einem längeren Kuraufenthalt zu erklären, um somit den Nimbus eines psychisch Kranken von der Familie fernzuhalten.

Die Behandlung reduzierte sich auf Unterbringung und Beaufsichtigung, wobei der Schwerpunkt darin zu finden war, die Irren nicht mehr herauszulassen.

Aus dieser Zeit stammt der Begriff des Krankenwärters.

Noch in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts erlebten es Krankenpfleger von alten Patienten oder Bewohner als Wärter angesprochen zu werden.

Es gab also die Unterscheidung zwischen der Krankenschwester und dem Krankenwärter.

Die ersten Krankenwärter waren Kriegsveteranen, die man nicht mehr zum aktiven Kriegsdienst heranziehen konnte. Die Intelligenteren wurden Lehrer und die Kräftigeren Krankenwärter.

Man musste die Krankenwärter nicht weiter ausbilden, wenn es sich um ehemalige Soldaten handelte, denn aufgrund ihres zuvor ausgeübten Berufes hatten sie genaue Kenntnisse darüber, wie man den Ausbruch von Gefangenen zu verhindern hatte.

Erst zwischen den Weltkriegen wurden die Berufsbilder neu definiert.

Aufgrund der Erkenntnisse der Psychoanalyse durch Siegmund Freud wurde das Irresein als Erkrankung entdeckt und dementsprechend uminterpretiert.

Das Berufsbild der Krankenpflege änderte sich.

Nicht nur Krankenschwestern, die sich nach Florence Nightingale definieren konnten, sondern auch Krankenpfleger, die ihr Geschichtsverständnis zu verdrängen suchten, betreuten immer mehr Patienten im psychiatrischen wie auch im somatischen Bereich.

Gegen Ende der Siebziger Jahre kam dann noch die Berufsbezeichnung Altenpflegerin bzw. Altenpfleger dazu.

Aus der Hilflosigkeit der Betreuung von Menschen mit psychischer Erkrankung resultierte, dass man nicht nur einen entsprechenden rechtlichen Status definierte, sondern auch alles Erdenkliche probierte, um die Irren ruhigzustellen.

Die Methoden waren die selben, wie man sie zur Zeit der Inquisition als Folter gegenüber Frauen anwandte, die man der Hexerei überführen wollte.

Die Übergriffe gegenüber psychisch Kranken gingen so weit, dass man noch in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts Teile der Gehirnsubstanz operativ entfernte oder durch das Einbringen von Säuren absterben ließ, um somit den Antrieb des Irren zu reduzieren.

Elektroschockbehandlungen die von den Betroffenen als Bestrafungen betrachtet wurden und die man damals ohne Betäubung durchführte sollten bestimmte Gehirnareale zerstören und somit die Erkrankung bessern.

Übrigens wusste man welche Gehirnareale für welche Aufgabe der Steuerung des Menschen zuständig waren, indem man während der Operation am Gehirn den Patienten so lange aufforderte den rechten Arm zu bewegen, während man im Gehirn Nerven durchtrennte, bis der Arm herunterfiel. Die meisten Erkenntnisse bezüglich der Zuordnung von Gehirnbereichen was die Steuerung des Körpers angeht, stammt aus Erkenntnissen deutscher Ärzte aus der Zeit des Dritten Reiches.

Wir sehen, in der Psychiatrie gehörten gewalttätige Übergriffe gegenüber den Patienten zum Alltag. Und diese Gewalt wurde möglicherweise von Ärzten angeordnet und vielleicht auch offiziell verantwortet, aber ausgeführt wurde sie in der Regel von Pflegekräften.

Mit anderen Worten gehört es auch zur Geschichte der Pflege, gegenüber Schutzbefohlenen Gewalt auszuüben.

Dies als Vorerklärung zum Thema Gewalt in der Pflege.

Wenn man weiß, was für ein Menschenbild im Laufe der Jahrhunderte in der Psychiatrie herrschte, kann man verstehen, dass wir noch heute einen Diskussionsbedarf haben.

Eigentlich ist ja die Zeit vorbei, in der Menschen mit psychischer Erkrankung in den damaligen Provinzialkrankenanstalten geschlagen wurden.

Offensichtliche und nachvollziehbare, weil nachweisbare, physische Gewalt kommt nur dann vor, wenn man die sichtbaren Folgen auch anders erklären kann, als dadurch, Gewalt ausgeübt zu haben.

Schon das vorhandene Bewusstsein, dass Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen in der heutigen Zeit diskutiert wird, sorgt dafür dass Pflegepersonen sich zumindest der möglichen rechtlichen Folgen bewusst sind. Daher können wir also davon ausgehen, dass die offen ausgeübte Gewalt gegenüber Bewohnern oder Patienten aufgrund allgemeiner Tabuisierung eher selten vorkommt.

Jedoch ist der Begriff Gewalt in der Pflege heute wahrscheinlich noch genau so aktuell, wie noch vor Jahrzehnten; nur die heute geschehende Gewalt ist nicht mehr so offensichtlich, wir bemerken sie nicht so schnell.

Gewalt in der Pflege ist nicht nur das Schlagen eines Patienten.

Gewalt in der Pflege ist nicht nur das Anschreien eines alten Menschen, der nicht mehr versteht, was um ihn herum geschieht.

Gewalt ist viel mehr und sie fängt viel früher an, als wir es uns normalerweise vorstellen können.

Gewalt kann überall da stattfinden, wo Menschen Macht über andere ausüben.

Aber wo hat denn schon Pflegepersonal Macht?

Die Macht liegt doch meistens in den Händen der Ärzte oder der Heim- oder Pflegedienstleitung.

Nein, nicht diese Macht ist gemeint, die das Pflegepersonal immer wieder zu spüren bekommt, nicht die Macht der Besetzung oder Unterbesetzung eines Wohnbereiches, sondern die Macht, die ein Gehender gegenüber einem Rollstuhlfahrer hat, die ein Sehender gegenüber einem Blinden hat, die ein Schlüsselinhaber gegenüber einem geschlossen Untergebrachten besitzt.

Ja die Macht, die eine Pflegeperson im Zusammenhang mit dem Reichen des Essens auszuüben vermag. Wann höre ich auf, dem Bewohner Essen zu reichen, wann entscheide ich, dass er genug hat? Gebe ich ihm genug zu trinken, oder entscheide ich dass er nicht mehr als eine bestimmte Menge zu trinken hat?

An welchen Kriterien mache ich meine Entscheidung fest?

Habe ich ein Recht zu entscheiden, dass Bewohner XY genug gegessen hat, weil er übergewichtig ist?

Kommt es mir gelegen, wenn der Arzt auf die Übergewichtigkeit hinweist, weil ich sowieso immer schon der Meinung war, der Bewohner müsse weniger essen?

Ist es Gewaltausübung, jemandem Essen zu reichen, der sich dagegen wehrt?

Oder ist es Machtausübung zu entscheiden, dass man ihm nichts mehr gibt, wenn er nichts mehr will, obwohl man genau weiß, dass man ihm schadet, wenn man das Essen weglässt?

Ist es Gewaltausübung, wenn man jemanden, der es Jahrzehnte lang gewohnt war, einmal in der Woche zu baden, nun täglich duscht, nur weil man selber es so für richtig hält?

Oder ist es schon Ausübung von Gewalt, jemanden aus dem Bett zu holen, wenn er eigentlich lieber noch liegen bleiben würde?

Ist es Ausübung von Macht, jemanden zu Bett zu bringen, der lieber erst gegen 23 h schlafen will, nur weil zu einem früheren Zeitpunkt mehr Personal zur Verfügung steht?

Wer übt im letzteren Fall Gewalt aus, die Institution oder die unmittelbar beteiligte Pflegekraft?

Der Zustand des gepflegt Werdens ist grundsätzlich nicht erstrebenswert für den Gepflegten.

Wer von uns kann sich schon jetzt mit dem Gedanken anfreunden, einmal gepflegt werden zu müssen?

Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit späterer Pflegebedürftigkeit in den letzten Jahrzehnten immens gewachsen.

Noch vor dreißig Jahren gab es kaum Heime für alte Menschen, sondern sie wurden irgendwie in den Familien mitversorgt.

Heute sind die Familien kleiner und entsprechend größer die Wahrscheinlichkeit, des Einzelnen später einmal die letzten Jahre seines Lebens in einem Heim verbringen zu müssen.

In einem Heim, in dem durch institutionelle Bedingungen schon Gewalt ausgeübt wird, wegen der Besetzung, oder wegen der unflexiblen Essenszeiten.

Wir sehen, dass schon der Zustand des gepflegt Werdens nicht normal ist für einen erwachsenen Menschen, daher sollte er zumindest gewaltfrei ablaufen.

Aber wo fängt die Gewalt an?

Handeln wir schon gewaltfrei, wenn wir nett mit den Bewohnern oder Patienten umgehen? Wenn wir ihnen genug zu essen und zu trinken geben und uns umfassend um ihre Bedürfnisse kümmern?

Oder handeln wir gewaltfrei, wenn wir einen verwirrten mittels eines geeigneten Sessels am Aufstehen hindern und so immer zu unserer eigenen Beruhigung sagen können: "Der Bewohner konnte nicht aufstehen, ich hätte in der selben Situation aufstehen können!"

Ist es Gewalt in Form von Freiheitsberaubung, ein Bettgitter zu benutzen, um damit zu verhindern dass der Bewohner aus dem Bett fällt?

In vielen Heimen lässt man heute Bettgitter richterlich genehmigen, um sich rechtlich nicht angreifbar zu machen. Ist die Gewalt weg, wenn es eine andere, eine genehmigte ist? Oder ist es keine Gewalt, wenn ich genau weiß, dass es besser für den Bewohner ist, nicht aus dem Bett zu fallen?

Für den Betroffenen sind alle Formen des eingeschränkt Werdens gleichwertig!

Wir können ihm nicht erklären, dass wir ihn einsperren, weil der Richter uns dies Maßnahme genehmigt hat.

Wir können ihm nicht erklären, dass er nichts verbrochen hat, sondern nur zu seinem Besten und seiner eigenen Sicherheit seiner Freiheit beraubt wird.

Um den verwirrten Menschen gewaltfrei in einer Einrichtung wohnen zu lassen, müssen wir soziomilieutherapeutisch eine Umgebung schaffen, die er nicht als einschränkend wahrnimmt.

Trotz aller bekannten, und auch von den Pflegepersonen verinnerlichten, Möglichkeiten Gewalt auszuüben, ohne es unbedingt zu wollen - wir berücksichtigen hier bewusst nicht diejenigen - die aus persönlichem Lustgewinn von ihrer Macht Gebrauch machen, erlebt der Bewohner immer wieder Gewalt, eine Gewalt, die derer sich der Gewaltausübende in keiner Weise bewusst ist, die er gar nicht wahrnimmt, die aber beim Bewohner zu Aggressionen führen kann.

Diese Art von Gewalt entsteht durch Frustrationen desjenigen, der eigentlich pflegen sollte.

Es handelt sich um Frustrationen, die man dadurch aufbaut, dass man schon das dritte Wochenende in Folge arbeitet, weil eine Kollegin erkrankt ist, möglicherweise auch schon wieder erkrankt ist.

Es handelt sich um Frustrationen, die man dadurch aufbaut, dass man vom Vorgesetzten ungerecht behandelt wurde, oder glaubt, ungerecht behandelt worden zu sein.

Im letzten Fall ist es gleichgültig, was der Vorgesetzte letztendlich erreichen wollte; so lange der Mitarbeiter der Meinung ist, ungerecht behandelt worden zu sein, färbt diese Empfindung auf seine Arbeit ab.

Wenn diese Empfindung auf seine Arbeit abfärbt, gibt es nur einen, bei dem dieses Frustrationspotential letztendlich ankommt, den Bewohner.

In diesem Fall ist es gleichgültig, welcher Mitarbeiter meint ungerecht behandelt worden zu sein und letztendlich ist es auch gleichgültig ob dieser Mitarbeiter seine Frustration gleich beim Bewohner loswird oder als Zwischenwirt beispielsweise einen Zivildienstleistenden verwendet; die aus der Frustration geborene Gewalt kommt mit tödlicher Sicherheit immer zuletzt beim Bewohner an.

Die aus der Frustration geborene Gewalt kommt mit tödlicher Sicherheit immer zuletzt beim Bewohner an.

Ein Umgang mit Gewalt in der Pflege ist die tägliche Auseinandersetzung mit der strukturellen Umgebung Heim, die den pflegenden Personen und damit jedem Bewohner bestimmte Bedingungen und Zeitabläufe aufzwingt.

Die Pflegeperson ist soziologisch betrachtet in der Situation die Erwartenshaltungen der sie umgebenden Menschengruppen zu sondieren und dergestalt umzusetzen, dass möglichst wenig Konfliktpotential an den Bewohner weitergegeben wir.

Pflegepersonen befinden sich in einer ständigen Situation der Erwartung anderer, bezüglich ihres Handelns.

Die Erwartungen sind sehr unterschiedlich. Der Bewohner erwartet sicher etwas anderes als der Hausarzt oder die Angehörigen des Bewohners.

Möglicherweise erwartet die Hausordnung, dass in den Bewohnerzimmern nicht geraucht wird, wogegen der Bewohner XY aufgrund seiner Immobilität nur im Zimmer rauchen kann, zumindest, wenn man die Besetzung berücksichtigt und weiß, dass man keine Möglichkeit haben wir, mit dem Bewohner in das Raucherzimmer zu fahren.

Dieser Konflikt aufgrund fehlender Zeit und des Anspruches des Bewohners kann noch dadurch verstärkt werden, dass der Hausarzt dem Bewohner das Rauchen strikt verboten hat und die Angehörigen ihn keine Zigaretten mitbringen, weil sie sich an die Vorschriften des Hausarztes halten.

Die Pflegeperson weiß, dass sie, wenn sie den Bewohner im Zimmer rauchen lässt, die Vorschriften der Heimleitung, des Hausarztes und die Erwartungen der Angehörigen verletzt, aber den Wünschen des Bewohners gerecht wird.

Was ist wenn man sie erwischt?

Pflegepersonen arbeiten häufig in einem Dauerstress sich widersprechender Erwartenshaltungen, mit dem Bewusstsein negativ sanktioniert werden zu können, was auf Dauer zu einem größeren Frustrationspotential führen kann, als die nichterfüllbaren selbstgestellten Ansprüche an die Verrichtung der Arbeit, die für sich genommen, schon ausreichend frustrieren können, um die Arbeit negativ beeinflussen zu können.

Wo fängt man nun aber an, Frustration und Gewalt durch Frustration zu bekämpfen?

Wahrscheinlich in den Köpfen der Pflegekräfte, die schon auf dem Weg zur Arbeit eine Frustration empfinden:

"Schon wieder die selben Leute aus dem Bett holen!"

Wie schnell kommt es dann zum aus dem Bett zerren?

Wie schnell ist dann das Waschwasser zu kalt geraten?

Gewalt in der Pflege ist die Summe der Kleinigkeiten, ist die Summe der erlittenen Frustrationen, die letztendlich beim schwächsten Glied in der Kette ankommen, dem Pflegebedürftigen.

Was kann nun der einzelne tun, um dieser Falle zu entgehen?

Alleine schon das Bewusstsein um diese Zusammenhänge ist für die Pflegekräfte ein nicht zu unterschätzendes Potential, denn wenn sich jeder Beteiligte zu jeder Zeit dieser Zusammenhänge bewusst ist und dementsprechend damit umgeht, kann er sein eigenes Handeln dergestalt verändern, dass bei seinen Kollegen oder Mitarbeitern möglichst keine künstlich erzeugten Frustrationen aufkommen.

Die von Konrad Lorenz beschriebene Hackordnung kann man umdrehen.

Wenn sich jeder einzelne Beteiligte im Heim oder Krankenhaus so verhält, dass er durch sein Handeln keinen Kollegen oder Mitarbeiter in seinem persönlichen Empfinden negativ beeinträchtigt, hat man schon einen Großteil des möglichen Frustrationspotentials entfernt. Bewusstmachung dieser Zusammenhänge und Offenlegung möglicher Konfliktherde führen dazu, dass letztendlich jeder Mitarbeiter in seinem Handeln bewusst auf sich selbst und seine Reaktionen achtet.

Wenn eine Heimleiter/In oder Pflegedienstleiter/In täglich in dem Bewusstsein durch seinen/ihren Tätigkeitsbereich geht und alles erdenkliche dazu beiträgt, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter sich gut fühlen und sich beachtet und anerkannt vorkommen, wird in einer solchen Einrichtung ganz von selbst ein Klima gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung erzeugt, ohne dass es viel kostet.

Wenn man jedem Beteiligten das Gefühl gibt, wichtig und anerkannt zu sein, wird sich diese Haltung immer weiter fortpflanzen, bis auch die Bewohner oder Patienten vom letzten Mitarbeiter mit dem entsprechenden Respekt behandelt werden.

Gleichzeitige betriebsinterne Fortbildungsmaßnehmen, die diese Zusammenhänge bewusst machen, tragen weiter dazu bei, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass man den Begriff Gewalt in der Pflege nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen wird.

Jeder von uns sollte sich täglich auf dem Weg zur Arbeit fragen: "Warum mache ich das?"

Und jeder sollte sich zumindest einmal täglich fragen: "Will ich so gepflegt werden?"

Wenn wir diese Kleinigkeiten alle beherzigen würden, wäre Gewalt in der Pflege in wenigen Jahren die Ausnahme, nicht die Regel.

ps.: Hinter der Quellenangabe gibt es noch einige Seiten zur Geschichte der Psychiatrie zusammengetragen von Exit Sozial einer österreichischen Selbsthilfegruppe

Exit Sozial 4040 Linz, Wildbergstraße 10 a

Exit Sozial im Internet


Vom Narrenturm zur psychosozialen Versorgung


Eine kurze Geschichte der Psychiatrie
Die Entwicklung der Psychiatrie war im Laufe ihrer relativ kurzen Geschichte von zahlreichen Irrwegen gekennzeichnet, die sie weit weg geführt hat von ihrem Anspruch, Heilkunde zu sein. Der schrecklichste endete in Hitlers Euthanasiegesetz. Die Kasernierung von Irren, im alten Osterreich erstmalig durch den Wiener "Narrenturm" symbolisiert, stieß schon früh auf Ablehnung, wurde aber erst durch die Entwicklung der Psychopharmaka und den Ausbau der extramuralen Versorgung in größerem Ausmaß abgebaut.
 
Der Narrenturm
Eigentlich war der "Narrenturm", der 1784 in der Mitte des Wiener Allgemeinen Krankenhaus errichtet wurde, ein Symbol des Fortschrittsdenkens. Der fünfstöckige Rundbau mit 139 Einzelzellen war die erste "psychiatrische Abteilung", die einem Krankenhaus angegliedert wurde. Die Turmform sollte die Lüftung begünstigen und Krankheitskeime unwirksam machen.
Gleichzeitig machen die dicken Mauern, die kleinen Fenster, die Zellentüren und Kettenringe in den Wänden die Positionierung der psychisch Kranken sichtbar - sie wurden, wie Menschen nach einer Straftat, weggesperrt.
Die Idee "Irre" zu kasernieren, entstand im Rahmen der absolutistischen Staatsidee. Menschen, die als ökonomisch unnütz eingeschätzt wurden, sollten in Korrektions- oder Zuchthäuser gebracht werden. So wurden im 18. Jahrhundert VerbrecherInnen, BettlerInnen, "Asoziale", "unmoralische" Personen, Waisen, Krüppel und Kranke festgenommen und nach Möglichkeit für die Arbeit in staatlichen Manufakturen eingesetzt. Menschen, die als "Dorftrottel" oder in klösterlicher Betreuung ein relativ unauffälliges Leben geführt hatten, wurden plötzlich als Bedrohung der öffentlichen Ordnung eingeschätzt. Der Obrigkeit waren Eigenheiten und Ausdrucksformen - ihre "animalischen" Wesenszüge - ungeheuer.
Gleichzeitig wurden " Tobsüchtige" bei Jahrmärkten als Attraktionen zur Abschreckung und Belustigung in Käfigen vorgeführt.
Johann Christian Reil - die Medizin entwickelt die Psychiatrie Psychisches Anderssein, psychische Probleme wurden als philosophische und nicht als medizinische Problematik empfunden. Idealistische und naturphilosophische Richtungen stritten sich darum, ob der Geist vom Körper abhängig sei und Wahnsinn somit einen seelischen oder einen körperlichen Defekt darstelle.
Ein neue Art der Einschätzung und des Umgangs mit - nun als psychisch krank angesehenen - Menschen begründete der Mediziner Johann Christian Reil (1759-1813), der in Halle und Berlin lehrte und den Begriff der "Psychiatrie" prägte. Reil setzte sich dafür ein, dass zur Therapie aller Krankheiten nicht nur die körperlich-medizinische,  sondern auch die psychische Kur gehöre. Seine gesamt medizinische Sichtweise, die von der Romantik beeinflusst war, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Die preußische Staatsreform regelte das Anstaltswesen neu - zugeschnitten auf die Erfordernisse der preußischen Verwaltung. Unbedingter Gehorsam der PatientInnen wurde mit Heilung gleichgesetzt, Uneinsichtige wurden einfallsreichen körperlichen Torturen (Behandlungen) ausgesetzt. Auch wenn von wissenschaftlicher Seite schon bald gegen körperliche Züchtigung Einspruch erhoben wurde, blieben die PatientInnen dem Druck der Disziplinierung ausgesetzt. "Irre" waren für ihren Zustand verantwortlich und mussten, wenn schon nicht körperlich so doch psychisch diszipliniert werden. In Verkennung humanitärer Ziele wurde Heilung als Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen um jeden Preis angestrebt.
Erst Wilhelm Griesinger (1817-1868) forderte - allerdings vergebens - eine Ende der Kasernierung psychisch Kranker, denen in lokalen Anstalten ein individuelles Maß an Freiheit gewährt werden sollte.

Psychoanalyse und NS-Euthanasiegesetz

In Österreich war die Entwicklung der Psychiatrie mit der Einrichtung des Narrenturms stagniert. Erst die Arbeiten Sigmund Freuds (1856-1939) und Julius Wagner-Jauregg (1857-1940) gaben der Psychiatrie neue Impulse.
Die Psychoanalyse entdeckte und berücksichtige die individuelle Psychodynamik und stellte mit ihrer Theorie die bürgerliche Gesellschaft und ihre Werte infrage. Freuds umstrittene Behandlungsmethoden wurden vor allem zur Behandlung neurotischer Störungen angewandt. Wagner-Jauregg behandelte mit seiner "Malaria-Kur" PatientInnen mit progressiver Paralyse. Mit dieser somatischen, auf den Körper ausgerichteten Ursachenforschung verbesserte Wagner-Jauregg die Therapiemethoden für psychische Erkrankungen, die als unbehandelbar galten.
Gleichzeitig manifestierte sich eine rigide Gegenbewegung und klassifizierte Psychosen als "Erbkrankheiten", denen therapeutisch nicht beizukommen sei. Alfred Ploetz (1860-1940) prägte den Begriff der "Rassenhygiene" und gründete 1905 eine gleichnamige Gesellschaft mit Ortsgruppen in Deutschland und Österreich. Auf der Basis früherer Überlegungen zur Sterbehilfe entwickelten der Jurist Karl Binding (1841-1920) und der Psychiater Alfred Hoche (1865-1943) ihre Forderung nach der "Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens". Diese menschenverachtenden Ansätze wurden in der NS-Zeit rigoros umgesetzt.

100.000 bis 200.000 Erwachsene und 5.000 Kinder wurden Opfer von Hitlers Euthanasiegesetz.

Hinzu kamen die Zwangssterilisierung von bis zu 350.000 "erbkranken" Menschen
und zahllose erzwungene Abtreibungen. Widerstand gegen diese Praktiken erhob sich nur vereinzelt.

Das Zeitalter der Psychopharmaka

Nach dem Schock der NS-Gräuel wurden in Deutschland und Österreich neue Ansätze in der Psychiatrie gesucht. Mit der Verwendung von Psychopharmaka, die 1952 mit der Einführung des Chlorpromazin (Megaphon) einsetzte, ließ sich die Verweildauer der PatientInnen in psychiatrischen Anstalten mitunter erheblich verkürzen oder gar vermeiden. Gleichzeitig wurden begleitende Behandlungsmethoden wie Beschäftigungs- und Bewegungstherapien, Sport und Gymnastik entwickelt.
Auch wenn Psychopharmaka neue Lebensmöglichkeiten bieten, werden sie - nicht zuletzt von PatientInnen/KonsumentInnen - infrage gestellt. Kritisiert werden unangenehme, reduzierende Nebenwirkungen, unabsehbare Spätfolgen des massiven Einsatzes, Abhängigkeit, lebensbedrohliche Entzugssymptome sowie mangelhafte wissenschaftliche Forschung.
Seit den 60er Jahren kritisieren immer wieder PsychiaterInnen und Angehörige von Betroffenen die Ausgrenzung von unangepassten Menschen. Diese Ausgrenzung und Isolation erfolgt heute vermehrt durch den Einsatz von starken Medikamenten. Aus den äußeren Mauern des Narrenturms formten sich innere Mauern der Psyche. Die Paradigmen der Psychiatrie haben sich im Laufe der 200 Jahre also nicht geändert. Menschen mit psychosozialen Problemen werden als "psychisch Kranke" weiterhin ausgesondert, diskriminiert und vom normalen gesellschaftlichen Leben abgeschnitten.
Demokratisierung der Psychiatrie und regionale psychosoziale Versorgung "Wir bemühen uns, die psychiatrische Anstalt in ein Zentrum umzuwandeln, das, soweit wie möglich, gemeinschaftlich geführt werden soll, und gleichzeitig sind wir gegen unseren Willen in eine soziale Wirklichkeit eingegliedert, die in höchstem Grad repressiv und am Leistungsprinzip orientiert ist; wir wollen gemeinschaftlich an den Geisteskranken herantreten, um ihn aus dem Zustand der Regression, in den er gebracht wurde, herauszuführen, und dabei riskieren wir, in ihm eine neue Fehlanpassung an das institutionalisierte Klima der Gesellschaft hervorzurufen."

(Franco Basaglia)
Die gesellschaftspolitische Entwicklung, die 1968 zum Höhe- und Wendepunkt gelangt ist, hat ihren Niederschlag auch in der Psychiatrie gefunden. Der italienische Psychiater Franco Basaglia (1924-1980) wurde zum prominentesten europäischen
Vertreter einer demokratischen Psychiatriekritik und -reform, die sich von Triest aus ansatzweise über Europa und Lateinamerika verbreitet.
So engagierte sich Ende der 70er Jahre auch eine Gruppe kritischer LinzerInnen für die Demokratisierung der Psychiatrie und gründete 1981 den Verein für psychiatrische Nachsorgeeinrichtungen (seit 1997 EXIT - sozial. Verein für psychosoziale Dienste). Motiviert von der Erfahrung und Theorie Basaglias eröffnete der Verein das erste alternative Übergangshaus für ehemalige PsychiatriepatientInnen - das Franco-Basaglia-Haus  in Linz - Urfahr, eine demokratische Hausgemeinschaft, in der die BewohnerInnen Mitverantwortung tragen und Mitspracherechte und -pflichten wahrnehmen.
In den folgenden Jahren wurden in ganz Österreich unter dem Titel "Regionalisierung" bzw. "Gemeindepsychiatrie" Konzepte der komplementären, psychosozialen Versorgung entwickelt, in denen der sogenannten extramuralen Versorgung neben der stationär-psychiatrischen ein zunehmender Stellenwert zukommt. Obwohl der Anteil der nicht-medizinischen Fachleute, die nun mit Psychiatrie-PatientInnen arbeiten, stark zugenommen hat, obwohl sozialarbeiterische, psychologische, psychotherapeutische u.a. Perspektiven und Angebote unverzichtbar geworden sind, ist die medizinische Institution Psychiatrie noch immer vorherrschend.
Ansätze zu einem Paradigmenwechsel haben zwar breiten theoretischen, aber nur sehr schmalen praktischen Niederschlag gefunden.
Die gegenwärtige Entwicklung stellt der Medizinsoziologe Rudolf Forster mit dem Schlagwort "Modernisierung statt Reform" infrage: unter gleichbleibenden Vorzeichen wird der Behandlungsauftrag von den großen Anstalten auf Fachstationen in Krankenhäusern übertragen (klein statt groß); psychosoziale Kontrolle wird von extramuralen Einrichtungen ausgeübt (draußen & bunt statt drinnen & weiß); Subventionen an psychosoziale Vereine sind günstiger als der Erhalt von Krankenhäusern (billige BetreuerInnen statt teuere ÄrztInnen).
Eine wesentliche Entwicklung stellt die Selbstorganisation der Psychiatrie-Erfahrenen dar. Bei der 1. Österreichischen Konferenz der Psychiatrie-Erfahrenen im Dezember 1998 in Linz wurde der Grundstein für die österreichweite Arbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener gelegt, die sich mittlerweile konstituiert hat. Psychiatrie-Erfahrene nehmen ihre demokratischen Rechte wahr und vertreten ihre Interessen, ihre Wünsche, Forderungen und Bedürfnisse selbst.





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