Dieser
Text ist ein Beispiel dafür wie faszinierend die Werke anderer
Autoren sein können, wie man dazu inspiriert werden kann, darin
einzutauchen, wie schnell man versucht ist, sich so weit mit den
Protagonisten zu identifizieren, dass der Wunsch aufkeimt, ihnen
helfen zu wollen. Der Text ist der Anfang eines längeren
Romanes.
Unitrip
Nach dreiundzwanzig Jahren ging ich wieder diese Strecke vom Ku-Damm-Ecke-Tauentzien in Richtung Katmandu, zumindest war es vor dreiundzwanzig Jahren diese Richtung gewesen, und ich wagte kaum zu hoffen diese Teestube heute noch vorzufinden. Nun sind dreiundzwanzig Jahre auch eine lange Zeit, zumindest lang genug, um sich sicher zu sein, diese Teestube nicht mehr, sofern sie wider Erwarten doch noch in Betrieb sein sollte, vorzufinden, oder sie kaum noch als das identifizieren zu können, was man kannte, oder zu kennen geglaubt hatte. Trotzdem ging ich diesen Weg, den ich so oft gegangen war, sei es aus Sentimentalität, sei es um alte Erinnerungen wieder aufzufrischen...
Ich
weiß nicht warum, aber scheinbar war ich nun in der Stimmung,
noch einen draufsetzen zu müssen, war ich geneigt, diese
Teestube noch einmal zu besuchen, vielleicht in der Hoffnung das
Erlebte noch einmal zu erleben.
Möglicherweise
handelte es sich um Erleichterung, die ich empfand, als die Teestube
tatsächlich nicht mehr zu finden war, jedoch konnte ich mich
auch in der Straße geirrt haben...
Ein
Irischer Pub war gerade richtig, um einen geeigneten Kontrast zu
setzen, ich war schon einmal hier gewesen, kurz nach dem
Jahrtausendwechsel.
War er auch kein
Ersatz für das Erwartete, konnte ich doch in aller Ruhe meinen
Erinnerungen nachgehen und irgendwann vergessen, die Irish-Coffee zu
zählen, deren Geschmak mich wieder in die Zeit brachte, als ich
fast nur Tee trank und davon gab es in dieser Teestube zumindest auf
der Karte einhundertsechsunddreißig verschiedene Sorten. Ich
saß an der Theke und gegenüber von mir saß mein
Spiegelbild, das ich seit einigen Jahren besser ertragen konnte, als
viele Jahrzehnte zuvor. Mir gegenüber saß ein Mann, Mitte
zwanzig mit athletischem Körperbau und breiten Schultern. Immer
wieder konnte ich seit einigen Jahren dieses Spiegelbild betrachten,
erinnerte es mich doch daran, dass das, an das ich mich erinnerte nun
doch wohl wahr sein musste, denn sonst hätte es den da im
Spiegel so nicht gegben dürfen...
*
Obwohl
ich mir in all den Jahren einen weitestgehenden Realismus bewahrt
habe, gibt es doch immer wieder einige Leute, die mich dezent darauf
hinweisen, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn
man in meinen Bücherbeständen auch 'mal etwas anderes als
Science-Fiction finden würde.
Ich
antworte in der Regel, dass jedes Buch Science-Fiction sei, wenn man
es genau betrachte, es sei denn, es würde sich um ein
wissenschaftliches Lehrbuch handeln, obwohl ich auch diesbezüglich
nicht sicher sei. Und dieses Unsicherheit resultierte aus der
Erkenntnis, die man gewinnt, wenn man selber einmal eine
wissenschaftliche Arbeit verfasst hat und weiß, dass man
Überzeugungsarbeit zu leisten hat, um den betreffenden Professor
in seinen Erwartenshaltungen zu bedienen, also eine wissenschaftliche
Arbeit mehr im Hinblick auf den Leser erstellt. Mit anderen Worten
gelten auch hier die allgemein bekannten Regeln der Semantik, Sender
und Empfänger betreffend.
Nach meiner
Meinung sind die Gestaltungsprinzipien des Lebens und der Spielraum
der individuellen Ausgestaltung die wichtigsten
Grundsatzvoraussetzungen für ein selbstbestimmtes Dasein im Hier
und Jetzt.
Das sagte ich auch zu Valeria,
einer Bekannten, die sich in den letzten Monaten von einer relativ
flüchtigen in eine ausgesprochen gute verwandelt hatte, als sie
mich erstmals seit wir uns kannten besuchte, mir ein Buch als Präsent
mitbrachte und dann ihre Feststellung bezüglich meiner Bücher
machen musste.
Obwohl, wenn ich die
Angelegenheit versuche neutral zu betrachten, hat sie sich in keiner
Weise kritisierend zu meiner Büchersammlung geäußert,
sondern eher bewundernd, wurde aber mit der gleichen stereotypen
Erwiderung abgespeist, wie jeder andere, was ich vielleicht zu einem
späteren Zeitpunkt als Fehler meinerseits oder als Überreaktion
zu werten haben würde.
Valeria war so
gekleidet, dass ich mich schon sehr auf Konversation konzentrieren
musste, um sie nicht unentwegt anzustarren.
Ich
kannte sie aus einer Teestube, mitten in Berlin und erinnerte mich
deutlich an einen der letzten Abende, die ich mit ihr verbracht
hatte.
Kathmandu hieß diese Teestube
und sollte wohl an die Hauptstadt des Nepal erinnern. Die Beleuchtung
war weniger als mäßig. Die Tische an den Wänden
hatten abgesägte Beine und man hockte auf Matratzen.
Eine Kanne Jasmintee dampfte direkt vor meiner Nase.
An den Wänden waren Bilder zu sehen, die in die
mystische Stimmung der Umgebung passten. Was nicht passte war der
Kalender von 1977, der von einem Opel Autohaus stammte und auf dessen
Bildblatt ein Commodore GS/E Coupe zu sehen war.
In
einer Ecke stand ein Spiegel, der mich faszinierte. Man schien einen
Teil der reflektierenden Beschichtung der Hinterseite weggekratzt zu
haben, um dahinter eine Lampe zu installieren, die
verschiedenfarbiges Licht durch die Aussparungen in den Raum
schickte; Glasmalfarben schien man wohl verwendet zu haben.
Einen solchen Spiegel und eine solche Teestube
sollte es in der Stadt in der ich normalerweise zu hause war, auch
geben.
Die Musik war äußerst
dezent und keinesfalls unkommunikativ - Leonard Cohen.
Neben
der Teekanne vor meinen Augen standen zwei Teeschalen.
Ich
hatte das Gefühl, mich umdrehen zu müssen, unterließ
es aber, weil ich zu glauben meinte, die Ursache für dieses
Gefühl zu kennen.
Eine alte Scheibe von
Leonard Cohen war zu hören, die eine Menge Erinnerungen in mir
wachzurufen vermocht hätte, was ich an diesem Abend aber nicht
zulassen wollte, vielleicht später.
Suzanne
takes you down, to her place near the river.
You
can hear the boates go by, you can spent a night beside her,
and you know, she's half crazy, but thats why you
wonna be there.
And she feets you tea
and oranges that come all the way from china,
and
just when you mean to tell her, that you have no love to give her
than she gets you her wavelength and
she lets the river answer that you've allways been her lover.
And you want to travel with her and you want to
travel blind
and you know she will
trust you for you touched her perfect body your mind.
Valeria musste hinter mir stehen, da war ich absolut
sicher, ich hatte dieses Gefühl, des angesehen werdens von
hinten, ohne auch nur die geringste Bedrohungsphantasie zu
entwickeln.
„Warum setzt du dich nicht,
Valeria?"
Ich hatte laut genug
gesprochen, um die Musik zu übertönen.
Tatsächlich
spazierte sie an mir vorbei und setzte sich mir gegenüber hin.
Ihre grünen Augen sahen mich an.
Wortlos beugte sie sich nach vorne, um die Teekanne
zu ergreifen.
Ihr weites schwarzes Kleid
hing so locker um ihren Körper, dass ich unweigerlich in ihren
Ausschnitt starrte, was sie nicht zu bemerken schien.
Ich
schloss die Augen.
Nein, die Sexfantasien
wollte ich mir nicht gestatten.
Valeria und
ich kannten uns jetzt einige Wochen und trafen uns in unregelmäßigen
Abständen im Kathmandu.
Valeria goss
einen Teil des Tees in die Schalen.
Ihre
weichen Brüste waren zum Greifen nahe!
Ich
schüttelte den Kopf.
„Was ist,
Leonard?"
„Nichts, gar nichts!"
Sie stellte die Kanne zurück.
Der
Tee dampfte in den Schalen und Valeria nahm wieder ihre normale
Sitzposition ein.
Ich atmete tief durch und
konzentrierte mich auf ihre Augen, um nicht in den Verdacht zu
geraten, sie mit den Augen ausziehen zu wollen, was natürlich
der Fall war. Immerhin musste man bedenken, dass ich mich seit
einigen Wochen in meinen sexuellen Fantasien immer nur mit ihr
beschäftigt hatte.
Sie sah mich an.
„Wo warst du gestern? Ich habe dich vermisst!"
Das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Ich schluckte.
„Am
Nolli Nr. 5!"
„Im Metropol!"
Sie zog ihre Beine an und stellte die Füße
auf die Sitzfläche.
Meine Augen starrten
ihre Oberschenkel an und versuchten einen Blick weiter unter das
Kleid zu erhaschen.
Nein, ich musste meine
Fantasie beherrschen.
Sie zog das Kleid
beiläufig runter, bis zu den Füßen.
„Hast
du jemanden getroffen, den wir kennen?"
„Ja,
diese Ulrike!"
Ich spürte in mir
diesen Kampf!
Ja, ich fühlte, wie dieser
Kampf entfachte, wie zwei Mächte begannen zu ringen; plötzlich
verstand ich Hamlet.
Ich durfte nicht wieder
den Kampf verlieren, ich musste an Ingrid denken und an die
Erinnerungen, die mich seitdem verfolgten.
„Und
danach?"
„Danach bin ich hierher
gekommen!"
Diese Information war
gleichbedeutend damit, es war nichts mit Ulrike und es wird auch
nichts mit ihr sein, ich war auf der Suche nach dir, Valeria; ich war
sicher, dass sie diese Information genau so interpretierte, wie ich
es mir gedacht hatte.
„Ach!"
Ich wagte einen kleinen Vorstoß, nachdem sie
ja vor einigen Minuten gesagt hatte, sie habe mich vermisst.
„Ja, ich wollte dich treffen!"
Sie sah an mir vorbei.
Ich
war trotzdem sicher, dass sie nichts hinter mir beschäftigte.
„Willst du sie wieder...?"
Einerseits wusste ich, dass es sie nichts anging,
andererseits musste ich mein Leben in irgendeiner Weise gestalten,
mit Ulrike und mit Valeria. Obwohl ich auch wusste, dass weder
Valeria noch Ulrike ein Leben mit beiden Damen akzeptieren würden.
„Nein, vielleicht war es das letzte Mal!"
Sie sah mich wieder an.
„Bist
du sicher, Leonard?!"
„Warum ist
dir das so wichtig?"
Diese Frage war so
lächerlich, wie eine Frage nur sein konnte, ich wusste es ganz
genau und trotzdem stellte ich sie.
Erwartete
ich überhaupt eine Antwort?
Sie stand
vor mir und das schwarze Kleid fiel zu Boden.
"Kannst
du dir das nicht zumindest vorstellen?"
Damals
bei Ingrid hatte ich verloren, hatte ich einige Fehler gemacht,
Fehler, die ich nicht wiederholen wollte, nicht wiederholen durfte.
„Bist du sicher, Leonard?"
Was
meinte sie mit dieser Frage?
Das selbe, wie
ich?
Ich war mir seit dem ersten Abend
sicher, dass ich scharf auf sie war.
Ich
wusste vom ersten Tag an, dass ich sie nicht begehren durfte, weil
sie viel zu jung für mich war.
Und ich
wusste vom ersten Tag an, dass das Schwachsinn war, dass ich sie
wollte und dass ich sie nehmen musste, wenn ich keinen Schaden
an meiner Seele nehmen wollte!
Seele!
Manchmal war ich mir sicher keine zu haben.
Manchmal hoffte ich keine zu haben.
Manchmal
wollte ich sie verkaufen, wie Peter Schlemihl.
Sie
schien durch mich hindurchzusehen.
„Ja,
warum eigentlich?"
War es weg?
Ich meine dieses kurz aufflammende Gefühl der
Zusammengehörigkeit?
Betrachtete man
unsere Beziehung, oder auch das Fehlen einer solchen von irgendeiner
Seite...
Wenn es eine Seite gab, musste es
auch eine andere Seite, eine Gegenseite geben!
Wenn
es eine Seite gab!
Eine Seite bedingte
immer eine Gegenseite.
Das Prinzip des
Dualismus.
Aber wenn es sich um das Prinzip
des Dualismus handelte, dann war es nicht wichtig, für welche
Seite man sich entschied, beides war gleich falsch und gleich
richtig!
War sie die Versuchung?
Blödsinn!
Aus welchem
Roman hatte ich diesen Schwachsinn?
Eigentlich
musste ich solche Gedanken aus meiner Gedankenwelt ausmerzen,
löschen, wie bei einem Computer.
[ del
C:\Skrupel\*.* ]
„Wenn das alles so
einfach wäre, Valeria!"
Sie sah
mich an.
Seit ich sie angesprochen hatte, sah
sie nicht mehr durch mich hindurch.
Sie sah
mich an und die Tatsache, dass sie mich ansah, gab mir Wärme und
Geborgenheit.
Vielleicht sollte ich mir
eingestehen, dass meine Gefühle für sie auch ganz gut mehr
sein konnten, als nur ein Ständer.
Sie
lächelte mich an.
Die Bedienung, eine
Frau mit kurzen schwarzen Haaren kam vorbei.
„Hier!"
Valeria hielt ihr eine LP hin.
„Wollt
ihr noch Tee?"
Sie nahm die LP und sah
sich das Cover an.
Valeria schüttelte
den Kopf.
Ich schüttete den Rest aus der
Kanne in die beiden Schalen.
„Meinst
du, dass wir heute noch ins Metropol gehen sollten, Valeria?"
„Wenn ich der Meinung wäre, dass wir nur
hier im Kathmandu bleiben sollten, hätte ich mich heute kaum
aufraffen können und hätte mich nicht mit dir getroffen!"
Sie sagte das einfach so daher.
Hatte
sie nicht zufällig das Kathmandu zu gleichen Zeiten, wie ich
besucht?
Heute, bevor Valeria gekommen war,
hatte ich die Bedienung gefragt, ob sie schon lange herkommt.
Die Antwort hatte mich verwundert, es schien, als
sei sie nur an den Tagen hier gewesen, an denen ich auch hier gewesen
war.
Ja die Frau war sogar noch weiter
gegangen, sie hatte vermutet, dass Valeria und ich uns immer im
Kathmandu verabredet hatten, vom ersten Abend an. Sie war der Meinung
gewesen, Valeria und ich hätten uns schon seit Jahren gekannt,
ja der Großvater hätte sich wohl mit der Enkelin
getroffen. Nach dem Großvater korrigierte sie sich und ersetzte
das Wort durch Onkel oder Vater. Das war der Gipfel der Diskretion,
immerhin hätte sie auch von einem alten geilen Kerl reden
können, der eine viel zu junge Frau traf.
Und
wenn ich jetzt darüber nachdachte, dann schien es mir, als
würden wir uns wirklich schon viele Jahre kennen, ja es schien
mir so, als hätte ich diesen Eindruck bereits am ersten Abend
gehabt.
„Wir werden heute zum
Nollendorfplatz 5 gehen!"
Ich muss sie
verdutzt angesehen haben.
Sie lachte.
„Ins Metropol?!"
Wortlos
stand sie auf und ergriff meine Hand.
„Komm,
lass uns gehen!"
„Nun gut, mit dir
gehe ich überall hin."
tOhne viel
miteinander geredet zu haben, erreichten wir auf direktem Wege den
Nollendorfplatz. Das heißt, wir hätten eigentlich nur den
direkten Weg über die Lietzenburger Straße zu gehen
brauchen, gingen aber über den Ku*damm, vorbei an
Kudamm-Ecke-Tauentzien über die Kleiststraße, vorbei an
den wohlgetarnten Damen des horizontalen Gewerbes, die immer besser
auszusehen schienen, als gewöhnliche Frauen. Irgendwie erinnerte
mich dieser Gang durch Berlin an meinen Gang mit Ingrid durch Prag im
März 1930, einen jener Gänge mit Ingrid, die aufgrund
meiner skrupelbehafteten Fehler noch heute in meinem Bewußtsein
herumschwirrten und die ich in der Datei verpasste Gelegenheiten
abgelegt hatte.
Ich erinnerte mich an die
Dinge, die ich über das Metropol in Erfahrung gebracht hatte,
lange bevor ich es zum ersten Mal betrat, als ich im Jesus Center
eine Etage tiefer war. Es wurden alle möglichen"sündigen"
Tatbestände nur angedeutet, um die genauere Ausformulierung der
Phantasie des Zuhörers zu überlassen. Meine Phantasie sagte
mir, dass es sich beim Metropol nur um einen Puff handeln konnte,
denn, es geschahen schlimme Dinge in diesen Räumen, Dinge die
man nicht beschreiben konnte, Dinge die so unsagbar sündhaft
waren, dass man sie wirklich nicht aussprechen durfte. Worte wie
Ehebruch und Götzenanbetung blieben mir ebenso in
Erinnerung, wie Teufelsmusik und Haschischsucht, obwohl
- dass es keine Haschischsucht gab, wusste ich zumindest seit der
Zeit, als ich keinen Bock mehr gehabt hatte, das Zeug zu rauchen.
Am Nollendorfplatz 5 gab es das Metropol, ich
vermutete, dass es sich um ein altes Kino handelte.
Über
eine breite einladende Treppe gingen wir nach oben.
Es
gab da ja auch den schmalen, steinigen Pfad!
Tatsächlich
kam man durch eine kleine unscheinbare Tür in dieses Jesus
Center.
Ein breites Portal schloss sich der
breiten Treppe an.
Wir kamen in einen
geräumigen Vorraum und wurden zur Kasse gebeten.
„Zwei
Personen?"
Ich nickte.
„Fuffzich
Maak!"
Wortlos legte Valeria ihm einen
braunen Schein hin und nahm zwei Eintrittskarten vom Tisch.
Ich folgte ihr durch eine kleinere Tür.
Die Bässe lauter Musik waren schon zu hören.
Die Beleuchtung war zunächst nur als mäßig
zu bezeichnen. Der Raum war so groß, dass er sich über
drei Etagen erstreckte.
„Das sieht fast
so aus, als hätten die hier eine Kirche umfunktioniert!"
„Schön wär's!"
Wir
mussten laut schreien, um uns verständlich zu machen.
Valeria zog mich auf eine Galerie. Auf original
Kinoklappstühlen konnten wir eine Lasershow an der Wand
bewundern, die die suggestiven Rhythmen der Musik noch weiter
unterstrich.
Unten, in der Mitte der unteren
Etage tummelten sich Menschen auf der Tanzfläche.
Dieses
Metropol war nichts anderes, als eine völlig normale laute
Disko!
Keine Ahnung, ob mich diese
Erkenntnis beim ersten Besuch erschüttert oder überrascht
hatte, wahrscheinlicher ist es, dass ich gar nichts anderes
erwartete, wusste ich doch die ganze Zeit, wie man mit den
Definitionen der Gläubigen umzugehen hatte, ja aus was
für einer Art von Realität sie geboren waren.
Die
laute Musik und die gewählten Lichteffekte schafften es, mich in
einen meditativen Zustand zu versetzten, schafften es, mein Ich nur
noch auf sich selbst zu reduzieren. Trotz der intensiven Eindrücke,
die auf mich einströmten, nahm ich nur noch mich, meine
Gedanken, meine Vergangenheit wahr.
Irgendwann
realisierte ich, dass Valeria meine Hand seit dem Kathmandu nicht
losgelassen hatte.
*
Nach
diesem netten Abend bat ich sie, mich am nächsten Abend zuhause
zu besuchen und sie war tatsächlich gekommen und hatte dieses
nicht eingepackte Buch in der Hand.
New-York
lag einst am Bosporus.
Lyon Sprague de Camp
kannte ich.
„Diesen Autor kenne ich,
Valeria! Ich habe bereits einige seiner Bücher gelesen!"
Sie sah mich leicht erschrocken an.
„Auch
dieses?“
Das leichte Entsetzen in ihrem
Gesicht stand ihr gar nicht 'mal so schlecht.
„Nein,
keine Sorge! Ich weiß, dass dieses Buch sehr gut ist! Es fehlt
mir seit gut zwanzig Jahren in meiner Sammlung!"
Ich
nahm mir Zeit, sie näher zu betrachten, während sich unsere
Konversation um die Bücher Lyon Sprague de Camp's drehten, die
ich in meiner Sammlung hatte.
„Vielleicht
nervt dich die Frage, die ich dir eigentlich noch bezüglich der
Bücher stellen wollte genau so, wie die erste Frage die ich dir
wegen des Lesens gestellt habe!"
Sie
trug ein gelbes Kleid mit einem ausgesprochen breiten schwarzen
Gürtel, der über die verschiedensten Ausbuchtungen zu
verfügen schien, wie ich ihn mir als einen idealen Gürtel
für eine Expedition vorgestellt hätte. Das Kleid war sehr
eng geschnitten und reichte fast bis zum Boden. Wegen der notwendigen
Beinfreiheit verfügte es über Schlitze auf beiden Seiten,
die bis zu einer Höhe zu reichen schienen, in der man
normalerweise den Saum eines Minirockes erwartet hätte, oder
noch ein gutes Stück weiter nach oben.
„Nur
zu, mich kann nichts mehr erschüttern, was Fragen zu meinen
Lesegewohnheiten angeht!"
Nachdenklichkeit
darstellend ging sie langsam an meiner reichhaltigen Bücherwand
entlang. Bei ihren Schritten war deutlich zu erkennen, dass die
beiden Schlitze in ihrem Kleid sich nur so weit auseinanderbewegten
wie es aufgrund des Bewegungsablaufes wirklich unbedingt erforderlich
war. Ich bewunderte in diesem Zusammenhang die Kunst des Schneiders,
der das Kleid offensichtlich so konstruiert hatte, dass es zu allen
erdenklichen Bewegungsabläufen kommen konnte, ohne zu viel ihrer
zweifelsfrei schönen Beine zu präsentieren.
„Gut
Leonard! Hast du die alle gelesen?"
Ich
musste schmunzeln als sie sich umdrehte und mich direkt ansah.
Oberhalb der breiten Gürtels war ihr Kleid sehr eng geschnitten,
obwohl ich noch nicht sicher war, ob sie einen BH trug, oder nicht.
Möglicherweise handelte es sich bei diesem Kleid auch um eines
jener, die im oberen Bereich den BH überflüssig machten,
weil sie schon in ihrem Schnitt und der Auswahl der Material
„Ja,
ich habe die alle gelesen! Auf den Stapeln da hinten in der Ecke
liegen die Bücher, die als nächstes an die Reihe kommen
werden!"
Ich deutete zu den Stapeln in
der Ecke neben dem Fenster.
„Erstaunlich!"
War ihr knapper Kommentar, während sie sich
wieder den Bücherrücken in der Regalwand zuwandte.
„Aber andererseits auch wieder nicht so
erstaunlich. Wenn man bedenkt, dass ich in den letzten Jahrzehnten so
ziemlich nichts anderes gemacht habe, außer zu lesen!"
„Eine eindeutig escapistische
Verhaltensweise!"
Sie drehte sich wieder
um und ich war mir mittlerweile sicher, dass sie auf einen BH
verzichtet hatte, was mich nicht nur in Erstaunen versetzte, sondern
auch dazu bewog, darüber nachzudenken, ob bei diesen prallen
Brüsten, die mühelos der Schwerkraft zu trotzen schienen
nicht ein Chirurg nachgeholfen haben musste. Außerdem fiel mir
auf, dass ich sie nun erstmals in einem so engen Oberteil sah, dass
ich bezüglich des Vorhandenseins eines BHs eine sichere
Erkenntnis gewinnen konnte und ich musste mir eingestehen, dass
dieser Anblick alle meine seit Wochen gehegten Erwartungen zu
übertreffen schien.
„Zweifellos!
Aber jetzt könnte ich mich empören und dir vorhalten, dass
du nicht von deinem Beruf loskommen kannst, so wie ich von meinen
Büchern!"
Sie lachte.
„Stimmt! Vielleicht sollten wir den
Aufenthaltsort wechseln! Aber nicht, bevor du mir nicht die anderen
Bücher gezeigt hast, die du von Lyon Sprague de Camp gelesen
hast!"
Mit wenigen Schritten stand ich
an der richtigen Stelle der Bücherwand und deutete auf eine
ganze Reihe von Taschenbüchern. Wenn sie wirklich den
Aufenthaltsort wechseln wollte, musste ich zusehen, ihr den
Aufenthalt in meinen Räumen angenehmer zu gestalten.
Valeria stand so nah neben mir, dass ich ihr Parfum
deutlich aber dezent wahrnehmen konnte. Es handelte sich mit
Sicherheit um jene Sorte, die Ingrid seinerzeit benutzt hatte, was
Valeria mit absoluter Sicherheit wusste, wenn sie ein einigermaßen
funktionsfähiges Gedächtnis hatte, denn wir hatten über
die Angelegenheit mit Ingrid schon vor einigen Tagen gesprochen, was
mir 'mal wieder verdeutlichte, wie weit es mit unserer Vertrautheit
schon gekommen war.
„So viele hat der
geschrieben?!"
Fasziniert glitt ihr
schlanker Finger an den Buchrücken entlang.
Sie
sah mich an, während sie eines der Bücher aus dem Regal
zog.
Die Kunst der Mathemagie.
„Was
wäre, wenn ich behaupten würde mein verehrter Leonard, dass
das, was in diesem Buch steht, tatsächlich möglich ist!"
„Was sollte schon sein, wenn du das behaupten
würdest? Es gibt so ziemlich nichts, was unmöglich ist!
Andererseits habe ich in allen seinen Büchern die genaue
Anwendungsmethode dieser Mathemagie vermisst. Noch nicht
einmal im Bann der Mathemagie, von dem ich behaupten muss,
dass ich wahrscheinlich so ziemlich der einzige Leser im
deutschsprachigen Raum war, fand ich irgendwelche verwertbaren
Hinweise."
Ihr Blick bohrte sich in
meine Augen, dass heißt, in mein linkes Auge, ich hatte mir
angewöhnt immer zu wissen, ob mir mein Gegenüber
tatsächlich in die Augen sah und wenn ja in welches. Ich hasste
es, wenn einem jemand in Sekundenabständen immer in ein anderes
Auge blickte und ich hasste es wenn mir jemand zwischen die Augen
genau auf die Nasenwurzel stierte.
„Mit
anderen Worten, du hättest den Versuch unternommen, wenn du eine
Gelegenheit dazu gebabt hättest!?"
Das
Trauma der verpassten Gelegenheiten machte sich wieder breit und
Valeria wusste es. Sie bezog sich häufig auf empirische
Erkenntnisse, Ingrid und ich in Prag war in diesem Moment
genau das, was Valeria bei mir abrufen wollte und es funktionierte,
ob ich nun wollte oder nicht. In Bruchteilen von Sekunden spielte es
sich ab.
Es handelte sich um nichts anderes
als eine Fahrt nach Prag.
„Ich will
dich auf keinen Fall langweilen!" hatte ich damals zu Valeria
gesagt und es ihr dann doch erzählt.
Es
war 1930, ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, nicht nur, was
diese Zeit angeht, als ich mit einer wild zusammengewürfelten
Gruppe von Leuten nach Prag reiste. Vielleicht hatte ich das Wort
KDF-Fahrt vermieden, um den Vorgang damit interessanter zu machen,
vielleicht hatte ich aber gar nicht darüber nachgedacht.
Wir fuhren mit dem Bus und kannten uns alle mehr
oder weniger gut, oder besser mehr weniger, zumindest weniger als wir
alle eigentlich wollten.
Die Busfahrt war wie
alle Busfahrten lang und nicht erwähnenswert.
Das
heißt...
Es handelte sich um eine
KDF-Fahrt.
Weil allerdings meine Gruppe nur
aus vierundzwanzig Leuten bestand, hatte man sich dazu entschlossen,
diese einwöchige Fahrt mit der Damengruppe gemeinsam
durchzuführen.
Wir fuhren mit einem Bus
und kannten die Mitschülerinnen aus der Damengruppe fast gar
nicht.
Hinter mir saßen zwei Mädchen,
von denen die eine Ingrid hieß, aber das sollte ich erst später
erfahren.
Das Erwähnenswerteste war wohl
die Grenzabfertigung, die sich erheblich verzögerte, weil Achim
und Horst ihrer Bärte wegen, zurückgeschickt wurden, um
sich beim Friseur rasieren zu lassen.
Ihre
Passbilder hatten sich zu weit von ihren tatsächlichen
Konterfeis entfernt, so dass diese Prozedur den gewissenhaften
Beamten - alle Beamten sind gewissenhaft - unerlässlich
erschien.
Sie mussten zurück-trampen,
so würde man das zumindest heutzutage benennen, um sich von
einem Friseur anhand der Passfotos in einen dementsprechenden Zustand
zurückverwandeln zu lassen.
Wir warteten
also zwei Stunden auf Horst und Achim, weil man unseren Bus nicht
mehr zurückfahren lassen wollte.
Der Bus
stand auf einem freien Platz von beachtlichen Ausmaßen; wir
durften uns allerdings nicht weiter als zwei Meter von ihm entfernen,
um uns die Beine zu vertreten. Vom Bus zur Zollstation, hinter der
sich noch eine Bedürfnisanstalt befand, stand uns noch ein zirka
zwei Meter breiter und hundertfünfzig Meter langer imaginärer
Tunnel zur Verfügung, der die Luftlinie zwischen dem Bus und den
Klos darstellte.
Dreihundert Quadratmeter
Auslauf für eine ganze Busladung.
Fotografieren
war selbstverständlich nicht gestattet, denn immerhin handelte
es sich ja mindestens um ein militärisches Sperrgebiet. Aller
Verbote zum Trotz gelang es allerdings Klaus-Jürgen Osterhaus,
der seine Kamera unter der Jacke einsatzbereit hielt, einige
Schnappschüsse zu machen, wobei seine linke Hand blitzschnell
die Jacke zurückriss, die Rechte auf den Auslöser drückte
und die linke mit der Jacke wieder zurückkam, eine
halbexibitionistische Handbewegung, die uns noch nach Wochen
reichlich Gesprächsstoff lieferte; die Bilder habe ich nie
gesehen.
Als Achim und Horst endlich
eintrafen, die Beamten ihre Zustimmung zur Einreise gaben, und wir
gebührend über die nun fehlenden Bärte und die
gestutzten Haare gelacht hatten, setzte der Bus sich endlich wieder
in Bewegung, um über, für verwöhnte sauerländer
Ärsche, schlechte Straßen, weiter nach Prag zu fahren, das
wir dann am Abend endlich erreichten.
In
Prag, im Hotel Meteor.
Achtermann erschien
dann in der Hotelhalle mit rund dreißig Schlüsseln an
dicken hölzernen Eiern befestigt - in die eine umlaufende
Vertiefung gefräst worden war, um einen hineinpassenden
Gummiring aufnehmen zu können, der die Aufgabe hatte, einen
weicheren Klang zu erzeugen, wenn man die Schlüssel auf den
Tresen der Rezeption legte - für die Hotelzimmer, die wir dann
verteilten.
Ich teilte mir mein Zimmer mit
Gernot, den einige für schwul hielten, worüber ich aber bis
jetzt keine definitive Aussage machen kann. Wenn er homosexuell
veranlagt war, konnte er sich bei mir gut beherrschen, oder ich
entsprach nicht seinem Typ.
Unser Zimmer
hatte die Nummer 410.
Unser Zimmer hatte die
Nummer 410, obgleich die Zahl 409 für mich unvergesslich bleiben
wird, wenn ich an Prag denke.
Nun denn,
kommen wir zum Kern der Geschichte.
Wenn man
die Hintergründe zusammenfassend betrachtet, kristallisiert sich
immer klarer eine Eigenschaft heraus, die uns zusammenführte.
Nennen wir diese Eigenschaft Antialkoholismus!
Es
war kein Antialkoholismus der militanten Art, sondern eine Art von
verzichtender Abstinenz.
Ingrid wohnte im
Zimmer nebenan mit einer Mitschülerin zusammen, deren Namen ich
möglicherweise damals kannte, der mir aber entfallen ist.
1962 während der sogenannten Cubakrise fiel mir
übrigens erst ein, wer es arrangiert hatte, Ingrid und mich Tür
an Tür wohnen zu lassen, niemand anderes, als ich selber.
Tatsächlich hatte ich es die ganzen Jahre
hindurch verdrängt, oder nicht wahrhaben wollen.
Ja
ich hatte es verdrängt, denn irgendwie war mir im Nachhinein
bekannt geworden, was für einen gravierenden Fehler ich gemacht
hatte. Aufgrund des Fehlers hatte ich versucht, die Ereignisse in
irgendeiner Schublade meines Seins zu verbergen. Vielleicht war es
auch gut, bestimmte Einzelheiten erst später zusammenfügen
zu können.
Als die Schlüssel zu den
Zimmern verteilt wurden, hatte ich unserem Gruppenleiter Achtermann
gleich zwei aus der Hand gerissen, mich davon überzeugt, dass
die Zimmernummern eine gewisse räumliche Nähe verhießen
und einen Ingrid gegeben, die sich nicht schnell genug vorgedrängt
hatte.
Nun kann ich nur vermuten, nicht
zuletzt aufgrund der Angelegenheit mit den Schlüsseln, dass
meine Emotionen schon auf der Fahrt im Bus geweckt worden sein
müssen.
Ingrid wohnte in Zimmer 409 mit
einer - nennen wir sie Gisela - zusammen - übrigens ist mir
aufgefallen, dass ich dazu neige, alle unwichtigen Frauen, die in
meinen Texten oder Erinnerungen irgendwelche Statistenrollen zu
besetzen haben, Gisela zu nennen - und hatte genau so wenig Interesse
wie ich, dem Alkohol zuzusprechen, was durch den Wechselkurs des
schwarz getauschten Geldes zugegebenermaßen nicht
einfach war, denn immerhin schmeckt dieses Pilsener Urquell so
gut, wie kein anderes Bier, obwohl ich sicher nicht zu den Leuten
gehöre, die einen Bierverstand haben.
Wir
redeten viel und wie von selbst ergab es sich, dass wir, ohne
es geplant zu haben, immer wieder zusammen, ohne die anderen durch
Prag schlenderten, vom Uflecu zum Hotel Meteor in dem wir wohnten,
oder vom grünen Frosch in der Altstadt zum Lucerna.
Ingrid und ich.
So, wer sich
hier etwas denkt, sei es was er wolle, denkt falsch.
Wer
hier denkt er würde denken, denkt falsch.
Wie
oft habe ich schon versucht, diese eine Woche zu analysieren, wie oft
hatte ich das Gefühl, einer wichtigen Erkenntnis nahe gekommen
zu sein, wie oft war ich im Traum weiter gekommen als in der
Realität, wie oft würde ich noch denken, damals alles
anders gemacht haben zu können?
Aber
tatsächlich gelingt es mir im Rahmen des Erzählens,
Erinnerungsfetzen zu ergreifen und zusammenzufügen, die die
letzten dreiundzwanzig Jahre in irgendwelchen Winkeln meiner Selbst
im Verborgenen gelauert haben müssen, um nun, im vollen
Bewusstsein des Unwiderruflichen, an die Oberfläche befördert
zu werden.
Im vollen Bewusstsein des
Unwiderruflichen!
Das dieses Kapitel mit
erste Fehlentscheidung überschrieben sein müsste,
ist nicht nur eine bodenlose Untertreibung, sondern scheinbar in
vollständiger Verkennung dessen, was einen Menschen ein Leben
lang prägen kann, eine ebensolche mit jahrzehnteüberdauernder
Tragweite, ohne die Möglichkeit einer Revision und ohne die
Chance zu überblicken, was geschehen wäre, hätte man
diese Fehlentscheidung nicht getroffen.
Einen
Trost hatte ich Jahre später gefunden, auf eine einfache und
unerwartete Weise, ich fand sie in einer anderen Erinnerung, an dem
ich derzeit arbeitete, beziehungsweise die ich derzeit zu verarbeiten
versuchte.
Damals war ich in Soest in
einem Geschäft und habe eine Frau getroffen, die ich vor über
zehn Jahren gekannt hatte.
Außerdem
habe ich mehrere Frauen im Einkaufszentrum getroffen, die ich schon
einige Jahre nicht mehr gesehen hatte.
Um
es kurz zu machen; ich war überrascht.
Sie
alle waren älter geworden.
Sie
sahen, genau wie ich, zehn Jahre älter aus, obwohl sie in meinen
Erinnerungen um keine Minute gealtert waren.
Na
ja, ob es ein Trost sein kann, auch Ingrid nach all den Jahren, um
eine entsprechende Zeit gealtert zu wissen?
Damals
in Prag war das alles kein Thema!
Erst
heute weiß ich, dass mich seit dieser Woche in Prag, seit
diesen Ereignissen um und mit Ingrid, ein Thema von Leonard Cohen
begleitet hat. Heute erst habe ich begriffen, was Leonard mit dem
Text meint, heute erst weiß ich, dass meine Affinität zu
seinem Thema wesentlich mehr beinhaltet, als Gefühlsduselei!
Suzanne takes you down...
And
Jesus was a sailor, when he walked upon the water,
and
he spent a long time watching from his lonely wooden tower
and when he knew for certain only drowning men
could see him
he said: All men will be
sailors then untill the see shall free them!
But
he himself was broken, long before the sky would open,
for
saken almost human he sank beneath your wisdom like a stone
And you want to travel with him and you want to
travel blind,
and he'll think may be
you'll trust him for he's touched your perfect body with his mind...!
Dieser Text hat so viel mehr mit mir und Ingrid zu
tun, als es selbst meine besten Freunde für möglich halten
würden; dass es selbst mich dermaßen überrascht, dass
ich sicher noch einige Tage brauchen werde, um diesen Text
letztendlich zu verinnerlichen, denn er hat nicht nur etwas mit mir
und Ingrid, sondern auch etwas mit mir, Ingrid und Jesus zu
tun.
Um diese Zusammenhänge
begreiflicher zu machen, ist es unumgänglich etwas auszuholen.
Etwas auszuholen bedeutet in diesem Fall, zumindest
die vorangegangenen sechs Jahre zu betrachten.
Immerhin
hatte unser Zusammensein noch einen positiven Aspekt, sie brachte
mich weiter weg von diesem Jesus - ihr erinnert euch, der Typ, der
von den Sanitätern oder Samaritern erschossen wurde.
Aufgrund eines Anrufes aus der Vergangenheit habe
ich ihn nun wieder gelesen. Der Anruf aus der Vergangenheit stammte
von einer Frau, die ich schon seit siebzehn Jahren nicht mehr gesehen
habe und die, aus welchen Gründen auch immer, Sabine und mich zu
einer Fete eingeladen hat.
Wenn man mit
jemandem telefoniert, den man so lange nicht mehr gesehen hat, gibt
es eine Menge Erinnerungen, die wieder an die Oberfläche des
Gedächtnisses gerissen werden, Erinnerungen, die ich
aufschreiben wollte, nicht um sie nicht wieder zu vergessen, sondern,
weil man nie weiß, ob man sie noch jemandem mitteilen kann, ob
sich jemals jemand dafür interessiert, oder nur, weil man sie
nach Jahren wieder lesen will, um sie möglicherweise mit neuen
Erinnerungen zu ergänzen.
Ich stieß
auf diese Gedanken und hatte das Gefühl, die Zeit sei gekommen,
dazu endlich etwas zu schreiben, die wenigen Zusammenhänge, die
ich bis dato zustande gebracht hatte, mit Leben zu füllen,
vielleicht in einem Bewusstsein, des nicht mehr verletzt werden
könnens, oder auch in dem Bewusstsein feststellen zu wollen,
ob man es endlich überwunden hat.
Eine psychotraumatologische Betrachtung.
Da
es wenig nützt, die Angelegenheit noch weiter hinauszuzögern...
Als ich mit Ingrid in Prag weilte war ich derart
unberührt von Frau, dass es mir eigentlich schon unangenehm sein
musste, obwohl alle meine Bekannten, die mit Jesus, ihr erinnert
euch, ihr Leben zu fristen und zu teilen versuchten, der Meinung
waren, es handele sich bei mir um einen beneidenswert unschuldigen
Zustand, hatte ich eigentlich wenig anderes im Kopf, als darauf
hinzuarbeiten dieses Manko so schnell wie möglich mittels einer
Frau auszubügeln.
Ich weiß nicht,
wie das so klingt. Vielleicht ist der Sex bei mir in einer gewissen
Weise institutionalisiert worden, aber wann, durch wen und warum...
Eines Nachmittags schlief Ingrid in ihrem Zimmer,
bei unverschlossener Tür und hatte mich gebeten, weil ich einen
Wecker besaß, den ich in Prag für 4,75 Reichsmark gekauft
hatte, sie um 17.00 h zu wecken.
Irgendwie
hatte ich dem Augenblick entgegengefiebert, ihr Zimmer zu betreten
und mir schon alles Erdenkliche, was meine damalige Phantasie zuließ
und was aus heutiger Sicht betrachtet sicherlich nur als läppisch
bezeichnet werden kann, ausgemalt. Irgendwie hatte ich den festen
Vorsatz, einen weiteren Schritt hinein in ein selbstbestimmtes Leben
zu gehen, mit Ingrids Hilfe.
Wie betritt man
das Zimmer einer Frau, in dem sie schläft, wenn man sie weder
unsanft wecken will, noch durch irgendwelches Fehlverhalten
abgewiesen werden will, nachdem man sich schon alles so schön
vorgestellt hatte, was man alles so machen könnte?
Vorsichtig!
Vorsichtig,
keine überflüssigen Geräusche verursachend.
Andererseits darf man sie auch nicht erschrecken!
Da Ingrid offensichtlich zu schlafen schien und mich
nicht bemerkt hatte, setzte ich mich so behutsam wie es mir möglich
war auf ihre Bettkante und betrachtete die Schlafende und ihren
gleichmäßigen Atem. Hatte sie mich nicht gebeten, sie zu
wecken?
Doch wie weckt man eine Frau.
Wie weckt man eine Frau, wenn man ständig in
der Angst des Abgewiesenwerdens lebt?
Und
jetzt stand ich Valeria gegenüber, die ganz genau wusste, welche
Erinnerungen sie in mir hervorgerufen hatte und sie wusste noch etwas
anderes, womit sie mir einen Schritt voraus war. Sie wusste ganz
genau, warum sie diese Erinnerungen in meinem Gedächtnis
aufgerufen hatte, für Bruchteile von Sekunden, sie wollte mich
in irgendeine Richtung drängen und bereitete es akribisch vor.
Sie musste irgendein Ziel vor Augen haben, sie manipulierte mich und
ich ließ es geschehen.
„Ja, ich
habe immer alles versucht, was es zu versuchen gab, Valeria. Ich habe
mit den Methoden Aleister Crowleys versucht den Alterungsprozess
aufzuhalten..."
Sie schien noch nicht
bereit zu sein, die Katze aus dem Sack lassen zu wollen, oder? Denn
mein Hinweis auf die Methoden Aleister Crowleys war doch wohl
deutlich genug.
„Also würdest du
den Versuch wagen, wenn es eine Möglichkeit gäbe, Leo!"
Sie hatte mich in einer Weise unterbrochen, die mich
meinen angesetzten Text vergessen ließ, war vielleicht auch
besser so, bevor sie mich fragen konnte, wie Aleister Crowley
versucht hat, sein Leben zu verlängern und bevor ich versucht
gewesen wäre, ihr wahrheitsgemäß zu antworten.
Bewusst zog ich meine linke Augenbraue hoch.
„Wie soll ich das verstehen?"
„So, wie ich es gesagt habe!"
„Ja, klar!"
Sie
machte einen nachdenklichen Eindruck, während sie zu dem Sessel
ging, der inmitten des Raumes stand, in dem ich so viele Stunden mit
einem Buch verbracht hatte.
„Vielleicht
wäre jetzt ein Drink nicht das Schlechteste!"
„Wie
wärs mit Kaffee!"
*
Ich
weiß, diese Vorgeschichte klingt bis jetzt noch nicht
unglaublich sondern eher harmlos und der Leser denkt noch darüber
nach, wo es hingehen soll, sofern er das Buch noch nicht zur Seite
gelegt hat, aber je weiter man in die Materie vordringt; andererseits
ist sie nicht unwichtig, die Vorgeschichte, denn sie half zumindest
mir, einen Teil der aufgeworfenen ungelösten Rätsel zu
entschlüsseln. Valeria hatte mich tatsächlich besucht, an
diesem Dienstag und wir haben tatsächlich Kaffee getrunken und
nichts anderes.
Lyon Sprague de Camp blieb
nicht unser einziges Gesprächsthema und es stellte sich sehr
schnell heraus, dass Valeria eigentlich gar keine Bücher gelesen
hatte, mit Ausnahme derjenigen, die sie für ihr Studium
gebraucht hatte. Obwohl ich diese Tatsache schon öfter von ihr
gehört hatte, fiel es mir doch äußerst schwer, ihr in
dieser Angelegenheit Glauben zu schenken. Sie war so unbelesen, wie
man sich gar keinen Menschen vorstellen konnte, zumindest dann nicht,
wenn man so ziemlich alles gelesen hatte, was zum Thema SF in den
letzten fünfzig Jahren geschrieben worden war, einschließlich
Ren Dhark und Perry Rhodan.
„Robert
Anton Wilson hat da etwas beschrieben, was für uns interessant
sein könnte!"
„Wieso kennst
du Robert Anton Wilson, wenn du doch immer nur Fachliteratur gelesen
hast?"
„Weil ein Teil seiner Werke
als Fachliteratur gilt, zumindest bei einigen Kollegen!"
„Willst du Mescalito sehen, Valeria?"
„Nein, ich will mehr! Ich will mehr und ich
glaube, dass du der richtige Begleiter bist, für dieses Mehr!"
Ich musste lachen.
„Ein
alter Sack, der in seinem Leben kaum etwas anderes getan hat, als zu
lesen? Ist dir klar, dass ich über sechzig bin, auch wenn
mancheiner behauptet, ich würde jünger aussehen? Ich bin am
04.06.1912 geboren!"
„Genau der!"
Sie stellte die Tasse mit dem dampfenden Kaffee auf
den Tisch und stand auf, um sich wieder der Wand mit den Büchern
zu nähern. Wahllos griff sie eines heraus und warf es mir zu.
Der Jesus-Zwischenfall von Frank Herbert.
„Weißt du, dass du mit
traumwandlerischer Sicherheit eines der besten Werke der SF-Literatur
herausgegriffen hast?"
„Willst du
da nicht 'mal hin? Willst du nicht einmal mitten hinein, in's
Geschehen? Willst du nicht einmal dabeisein?"
Sie
sagte das mit einem solchen missionarischen Eifer, dass ich einfach
nur nickte.
„Klar will ich das und nach
Arrakis, zum Wüstenplaneten und auf die Flusswelt der Zeit..."
„Warum tust du es dann nicht?"
Sie hatte mich angeschrieen.
Ich
stand auf und ging mit dem Jesus-Zwischenfall auf sie zu, um ihn
wieder in*s Regal zu stellen, genau zwischen ein Cyborg fällt
aus und der Lazaruseffekt.
„Du
meinst, wenn ich will, kann ich?!"
Ich
verstand immer noch nicht, welche Absichten sie verfolgte, ja konnte
mir nicht einmal annäherungsweise halbwegs zutreffende Gedanken
dazu machen.
„Ja, verdammt noch 'mal,
du kannst!"
Ich lachte.
„Wir
können! Leonard, ich habe seit einigen Jahren nach jemandem
gesucht, mit dem ich auf eine solche Reise gehen könnte!"
Ich sah sie an, so dass sie annehmen musste, ich
würde durch sie hindurchsehen. Bewusst vermied ich es, ihr
mitzuteilen, auf welche Reise ich seit einigen Wochen mit ihr zu
gehen gedachte, obwohl ich es auch für nicht erforderlich hielt,
weil ich erfahrungsgemäß wusste, dass man auf Reisen immer
die Gelegenheit bekommt...
„Du hast
nach jemandem gesucht, mit dem du diese Reise antreten kannst?!"
Langsam ging ich zur Sitzgruppe zurück. Wollte
sie mich verarschen? Ein schlechter Scherz.
„Leonard,
mein Vater hat mit Hoffmann zusammengearbeitet, du weißt schon,
der Hoffmann, der auch das LSD entwickelt hat."
Ich
schob mich an ihr vorbei und griff zu einem Lexikon.
LSD,
Abk. für Lysergsäurediäthylamid,
ein synthetisch hergestellter Abkömmling der Lysergsäure:
eine weiße, kristalline Substanz, die schon in kleinsten Dosen
(0,5-2 mg pro kg Körpergewicht) lang andauernde (6-12 Std.)
halluzinogene Wirkung hervorruft. Die Reaktionen auf LSD sind
individuell sehr unterschiedlich und können in angenehmen
Eindrücken, Hochstimmung, Missstimmung oder angstvollen
Rauschzuständen (Horrortrips) bestehen. LSD ist ein verbreitetes
Rauschgift, sein chron. Gebrauch kann zu psych. Abhängigkeit
führen. Obwohl keine körperl. Abhängigkeit und keine
Entzugserscheinungen auftreten, können körperl.
Dauerschäden nicht ausgeschlossen werden.
(c)
Meyers Lexikonverlag
„Du meinst, dass
dein Vater mit diesem Albert Hoffmann zusammenarbeitete, der das LSD
25 zum ersten Mal hergestellt hat? Es ist übrigens erschreckend,
wie wenig über diese Substanz in einem Lexikon steht. Wenn man
bedenkt, was ich alleine bei Timothy Leary gelesen habe, zu diesem
Thema!"
Valeria sah mir in die Augen.
„Wenn du sicher bist, dass du alle die Reisen
antreten willst, die du schon immer einmal antreten wolltest, dann
sollten wir diese Trips zusammen angehen!"
„Ja,
ich bin mir nicht nur sicher, was diesen Trip angeht, sondern auch,
dass ich es nur mit dir will!"
Womit ich
zweifelsohne in einem zumindest doppelten Sinne recht hatte.
Valeria sah mich schelmisch an und brachte eine
Kunststoffdose zum Vorschein, die sie mir zuwarf.
Es
handelte sich um ein Behältnis von der Größe, in der
man vor Jahren Novodigal, Lanitop und ähnliche Medikamente in
Umlauf gebracht hatte. Nichts stand auf der Verpackung und als ich
die Dose geöffnet hatte, fand ich darin fünf kleine Pillen
in schwarzer Farbe mit gelben Punkten. Solche Pillen hatte ich noch
nie gesehen, konnte mir aber vorstellen, dass es sich dabei um eine
Art Mutterkornalkaloid handeln musste, dem LSD nicht unähnlich,
weil wir ja Minuten zuvor bereits über LSD geredet hatten.
Valeria holte noch eine solche Packung aus ihrem Gürtel und
zeigte sie mir.
„Dies ist meine
Packung! Die Dosierung ist auf unsere jeweiligen Körpergewichte
abgestimmt! Das heißt, du musst auf deine Pillen gut aufpassen
und ich auf meine und wir dürfen sie nicht verwechseln!"
Sie öffnete ihre Dose, in der ich sieben
dunkelblaue Pillen mit pinkfarbenen Punkten sehen konnte. Sie entnahm
ihrer Dose eine der Pillen, steckte sie in den Mund und schluckte sie
hinunter.
„Du musst das selbe tun, los
beeil dich!"
Aufgrund meiner
LSD-Erfahrungen aus den Sechzigern und der Tatsache, dass ich
einerseits genau wusste, wie man jemanden von einem Horrortrip
herunterlabern konnte und andererseits ebenso genau wusste, wie
wichtig es war, dass man seinen Partner auf jedem Trip gedanklich
mitnahm, tat ich uns den Gefallen und schluckte ebenfalls eine der
Pillen, wobei ich mich meiner eigenen Schachtel bediente. Ich hatte
öfter als einmal das zweifelhafte Vergnügen gehabt nur mit
meinen Worten jemanden vor dem Wahnsinn zu bewahren, hatte Leute
erlebt, die auf Horrortrips geraten waren und in Phobien endeten, die
ihnen zuvor nicht einmal ansatzweise bekannt waren. Ich hatte erlebt,
dass Menschen auf den Trips geblieben waren, nie wieder so geworden
waren wie zuvor und wusste, dass Timothey Leary mit Hilfe von LSD in
einer einzigen Sitzung Neurosen zu heilen im Stande gewesen war. Und
ich wusste, dass ich meine Persönlichkeit mit allen erdenklichen
Störungsaspekten so gut kannte, dass ich jedem Horror und jeder
Phobie gewachsen war; ich konnte meine Trips seit Jahren sehr gut
steuern und war auch in der Lage, die Trips anderer positiv zu
beeinflussen, wenn sie in Bedrängnis gerieten. Man könnte
die Tatsache, dass ich eine Pille einwarf eigentlich als aktive
Hilfeleistung ansehen, als Begleitung auf einem Gang, der Valeria
möglicherweise in Bedrängnis führen würde, wenn
ich sie nicht begleitete und ich war zu diesem Zeitpunkt der einzige
mögliche und akzeptable Begleiter.
Und
ich wusste plötzlich, dass sie ganz genau gewusst hatte, dass es
so geschehen würde, wusste worauf sie mich den ganzen Abend über
konditioniert hatte - mit Erfolg.
Die Linse
war absolut geschmacklos und löste sich nicht im Mund auf, also
schluckte ich sie, genau so schnell hinunter, wie es zuvor Valeria
getan hatte.
„Auf eine solche Art bin
ich auch noch nie auf einen Trip mitgenommen worden! Hast du
Erfahrungen mit LSD Valeria?"
„Aber
das ist kein LSD, Leonard! Das ist der ultimative Unitrip! Wir müssen
nur aufpassen, dass wir zusammenbleiben, wir dürfen uns nicht
verlieren!"
Sie setzte sich zu mir auf
die Couch und ergriff meine Hand.
„Wo
wollen wir denn zuerst hin? Zum Jesus-Zwischenfall, zur Kunst
der Mathemagie, zum Wüstenplaneten oder wollen wir in
irgendwelche anderen Mysterien eindringen?!"
Vor
meinen Augen verschwamm bereits die Umgebung, während ich sie
noch reden hörte. Viel zu schnell, LSD brauchte mindestens
zwanzig Minuten, bis die Wirkung begann und dann kam es nicht wie ein
Dampfhammer, hatte sie nicht gesagt, es würde sich nicht um LSD
handeln sondern um den Unitrip, den ultimativen Trip...
Das
einzige was ich noch mit absoluter Sicherheit wahrnahm, war Valerias
Hand, die ich festhielt und der Klang ihrer Stimme mit dem letzten
Wort, das ich identifiziert hatte, Mysterien, Mysteriös,
Mysterious - möglicherweise folgte ich dem Klang des Wortes wie
man es bei der Transzendetalen Meditation tat, folgte ich diesem
Mantra in die tiefsten Tiefen meines Seins, folgte dem Mantra in
Winkel, wie ich sie nie zuvor bei mir wahrgenommen hatte.
Mir
war, als würde ich in einen tiefen schwarzen Abgrund fallen, als
fiele ich in eine unsagbare Tiefe, eine Tiefe, wo alle meine Sinne
nicht mehr zu funktionieren schienen, wo nur noch eines Realität
hatte, der Verlust der Sinneseindrücke und die absolute Nähe
Valerias, die mir eine gewisse Sicherheit verlieh. Im Schwarz in das
ich fiel konnte ich kleine gelbe Punkte erkennen.
Mysterien
spukten durch mein Gehirn, Erinnerungen, die nicht meine eigenen
waren, ich sah den Sandwurm auf Arrakis, der einen Haluter verschlang
- wohl bekomms - ich sah ein Luftschiff, das sich langsam über
eine unendliche Flusslandschaft erhob, ich sah den Nullzeitdeformator
auf Viti-Levu, Ringraumer aus blau schimmerndem Unitall. Ich sah
Conan den Barbaren, wie er sein Schwert schwang und ich sah Eric von
Melnibone den traurigen Helden bei Michael Moorcock, den weißhaarigen
Atlan, wie er aus seiner Unterseekuppel kam, die Nautilus, wie sie
vor der einsamen Insel auftauchte und ich sah Kugelraumer über
irgendwelchen Städten der Erde schweben, Kugelraumer, deren
turmdicke Landestützen fremdartige Gebäude zerfetzten. Ich
sah Atlan, wie er die schöne Mirona Thetin umarmte und sah
Corvin von Amber, wie er in den Schatten verschwand. Ich sah Jack aus
den Schatten, der auf einem Morasthaufen lag, ich sah futursistische
Fahrzeuge auf der Straße nach Überallhin, ich sah
blaugefärbte Menschen, die als Androiden verkauft wurden, ich
sah den Dämonenprinzen de von Gersen gejagt wurde, ich sah einen
Ringraumer, der wegen seiner Intervallfleder in ein geschlossenes
Gebirgsmassiv eintauchte ohne Spuren zu hinterlassen und
ich sah erneut Kugelraumer über irgendwelchen Städten der
Erde schweben, Kugelraumer, deren turmdicke Landestützen
fremdartige Gebäude zerfetzten ...
Alles
was ich sah war so real, wie es nur sein konnte, war so real, als
würde ich direkt davorstehen, als wäre ich mitten drin...
Wenn das ein Trip war, wie lange sollte er dauern,
was würde ich noch für weitere Eindrücke haben, was
würde ich noch alles zu sehen bekommen?
Ich
fiel und Valeria fiel mit mir.
Wir fielen ins
Schwarz und da waren auch noch gelbe Punkte.
Zong.
Wir waren auf der Couch gelandet.
Schon
vorbei?
Valerias Fingernägel hatten sich
in meine Hand gebohrt.
Mit der freien Hand
zeigte sie auf die Wand an der ich die Regale mit meinen Büchern
wusste.
Unweigerlich folgte mein Blick ihrem
deutenden Finger und sah hinaus aus dem Fenster, hinüber zu den
gelandeten Raumschiffen auf dem riesigen Feld des Raumhafens.
Mir wurde schwindelig.
Wir
befanden uns nicht mehr in meinem Zimmer...
*
Ging der Trip
weiter?
„Leonard, der Trip fängt
erst an!"
Valeria stand auf und zog mich
hoch.
Mir brach der Schweiß aus.
Zum einen wusste ich nicht mehr, ob ich nun auf
einem Trip war und wie Real die Realität sein mochte, zum
anderen war es erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit
Valeria sich mit den vorgefundenen Verhältnissen oder Tatsachen
abfand...
Ich folgte ihr zum Fenster.
„Leonard, wo sind wir, sag es mir!"
Das Fenster war so groß, dass es die ganze
Wandseite einnahm. Links neben dem Fenster befand sich eine
Apparatur, die man unschwer als so eine Art Computer
identifizieren konnte. Um was handelte es sich, um eine Positronik,
um einen Computer oder um etwas, dessen Name mir entfallen war?
„Wie, ich soll dir sagen, wo wir hier sind? Du
scheinst überhaupt nicht überrascht zu sein, was die
Umstände dieses Trips angeht und nun soll ich dir sagen, wo und
wann wir sind, ich, der ich schon fast glaube, den Verstand verloren
zu haben?"
„Klar, du musst wissen,
wo wir sind! Sieh dir das Feld da draußen an! Sieh dir die
Raumschiffe an, sie müssen dir irgendwie bekannt vorkommen!"
„Eines ist mir klar, Valeria. Dies ist
wirklich ein ultimativer Trip!"
Ich
kehrte vom Fenster zurück und ging durch eine Tür des
Zimmers, die sich selbsttätig öffnete, als ich mich ihr
näherte, um auf einem Flur zu stehen.
Valeria
war mir gefolgt und blieb im Türrahmen stehen, wohl auch um zu
vermeiden, dass die Tür sich schloss und ich ausgesperrt blieb.
Ich ging zur Nachbartür und betrachtete das
Schild daneben an der Wand.
„Habe ich
es mir doch gedacht, Valeria. Hier steht Jos Aachten van Haag auf dem
Türschild des Nachbarappartements! Diese Information brauchte
ich nur, um sicher zu gehen..."
Als ich
zu Valeria zurückkehrte blickte ich auf das Türschild des
Raumes, aus dem wir gekommen waren.
„Leonard
Lüneburg!"
Warum sollte mich das
überraschen, wusste ich doch, dass ich mich zuvor in meinem Raum
befunden hatte, warum sollte ich mich nun woanders befinden?
Ich schob Valeria zurück in den Raum, zum
Fenster, aus dem man den Raumhafen sehen konnte, während sich
die Eingangstür wieder selbständig schloss.
„Valeria, das hier muss der Raumhafen der
Stadt Alamo-Gordo sein, Cent-Field! Unser Nachbar Jos Aachten van
Haag ist Agent bei der GSO, der Galaktischen Sicherheits
Organisation. Wir befinden uns auf diesem Trip im
Ren-Dhark-Universum!"
Dann musste das
einem Computer nicht unähnliche Gebilde links vom Fenster ein
Suprasensor sein, wie die Rechenmaschinen bei Ren Dhark genannt
wurden.
„Ach! Und wer hat Ren Dhark
geschrieben oder erdacht?"
„Kurt
Brand! Es war in den sechziger Jahren. Er war zuvor Autor beim Perry
Rhodan Team gewesen und weil ihm einige Dinge nicht gefielen, so zum
Beispiel das Erreichen der Unsterblichkeit und der Einsatz von
parapsychisch begabten Menschen, sogenannten Mutanten, hat er diese
Ren Dhark Serie initiiert, um Perry Rhodan Konkurrenz zu machen."
„Und hat er erfolgreich konkurriert?"
„Nein, von der Ren Dhark Serie sind nur
achtundneunzig Romanhefte erschienen, wogegen Perry Rhodan
unaufhaltsam dem Band eintausend entgegenstrebt."
„Hast
du dieses Kurt Brand Universum wegen des Raumhafens erkannt, oder
wegen des Namens des GSO-Agenten?"
„Der
Name des Agenten gab mir nur eine letzte Sicherheit, denn die
Kugelraumer da draußen sehen so aus, wie Konstruktionen der
Giants und nicht wie die Konstruktionen der Arkoniden, wie es sie im
Rerry Rhodan Universum gibt. Ich würde es übrigens
vorziehen, wenn wir das hier nicht Kurt Brand Universum, sondern Ren
Dhark Univerum nennen würden, denn Kurt Brand hat auch andere
Sachen geschrieben, nicht zuletzt für Perry Rhodan."
„Wir befinden uns jetzt also im Ren Dhark
Universum!"
„Wenn du es so nennen
willst!"
„Wie lange dauert denn so
ein Trip? Ich würde mich nämlich freuen, wenn ich einmal
die Point Off sehen könnte, das Raumschiff, in dem Ren Dhark auf
der Suche nach den Mysterious ist. Es handelt sich dabei um einen
Ringraumer aus Unitall..."
„Der
Trip dauert so lange, bis wir ihn durch einen neuen ersetzen!"
„Was soll das heißen!?"
„Das soll heißen, dass wir uns hier
mitten in der Ren Dhark Realität befinden und dass wir wieder
eine solche Pille reinklinken müssen, um in eine andere Realität
zu gelangen!"
Ich musste mich setzen.
„Du meinst, wir befinden uns jetzt wirklich
und wahrhaftig in dem Ren Dhark Universum, das sich Kurt Brand
ausgedacht hat?!"
„Ja, Leonard,
wir können mit den Unitrips jederzeit weiterreisen, wenn du
willst ins Perry Rhodan Universum oder wieder zurück ins Ren
Dhark Universum. Diese Trips sind wirklich die ultimativen Trips, der
Weg an sich!"
„Das hört sich
ja so an, wie John Brunners The Infinitiv of Go. Willst du
damit behaupten, dass wir jetzt, wenn wir wollen, in die John Norman
Realität von Gor reisen können oder in die Antaresrealität
von John Bulmer, der sich für die Scorpio-Serie Alan Burt Akers
nannte? Soll das heißen, wir können zur Flusswelt der
Zeit, zum Wüstenplaneten, zu Hans Kneifels Interstellaren
Händlern und zu Helegor dem Groschenzähler, den sich Ernst
Vlceck erdacht hat?"
Ich hatte
unweigerlich geschrieen.
„Ja!"
Valerias Antwort war so lapidar...
Mir
wurde schwindelig.
„Soll das heißen,
wenn Kurt Brand in diesem Universum keine Klos eingeplant hat, gibt
es keine?!"
Valeria lachte.
„Nein, mein Verehrtester, denn Kurt Brand ist
nicht einfach nur jemand gewesen, der diesen Ren Dhark erfunden hat,
er war nicht nur der Schöpfer des Ren Dhark Universums, sondern
er verfügte auch über ein Unterbewusstsein und dieses
Unterbewusstsein war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass jeder
Protagonist, also auch Ren Dhark, ein Klo braucht, ob der Autor es
aufschreibt, oder nicht. Dabei handelt es sich um eine sogenannte
kathegorische Universumskonstante, die sich in jeder Realtität
wiederfindet. Wenn du dir eine Handlungsebene erdenkst, wirst du
nicht drum herumkommen, dich gedanklich damit auseinanderzusetzen. Du
tust das aber nicht nur, wenn du schreibst, sondern auch, wenn du
scheißt!"
Und diese kathegorische
Universumskonstante findet man in jeder bereisbaren
Realitätsebene!?"
„Klar,
sonst hätte man sehr schnell die Grenzen seiner universalen
Existenz überschritten! Stell dir vor, dass jemand vergessen hat
zu berücksichtigen, dass ein Mensch Sauerstoff zum Atmen
braucht!"
Zufällig hatte ich wieder
fasziniert auf das Fenster mit der Raumhafenansicht gesehen.
„Sieh da, ein Raumschiff landet!"
Wir stürmten förmlich zum Fenster.
Majestätisch langsam senkte sich ein seltsam
geformtes Raumschiff auf den Belag des Bodens nieder, wie ich es
nicht zuzuordnen im Stande war.
„Komisch,
Valeria! Ich kann dieses Raumschiff nicht zuordnen! Wenn mir das
schon im Ren Dhark Universum passiert, wie soll es denn dann erst im
Perry Rhodan Universum aussehen, in dem die Handlung bisher zumindest
um ein fast zwanzigfaches komplexer ist, ganz zu schweigen von den
Taschenbüchern, von denen es noch einmal über 400 gibt!"
Das Raumschiff setzte vorsichtig auf, als wolle es
den Bodenbelag nicht beschädigen.
„Und
diese kathegorische Universumskonstante von der du eben sprachest,
trifft auf alle bereisbaren Universen zu?"
„Nein,
nicht unbedingt! Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir nur in
Universen reisen, von denen du gelesen hast, können wir
natürlich die kathegorische Universumskonstante als feste
Komponente einplanen. Bei Perry Rhodan ist der Gebrauch von Toiletten
ebenso selbstverständlich, wie bei Ren Dhark; dass heißt,
du kannst in jeder für dich erreichbaren Realitätsebene
immer mit dem Vorhandensein der kathegorischen Universumskonstante
rechnen. Es gibt kein Perry Rhodan Universum oder Ren Dhark Universum
ohne kathegorische Universumskonstante! Zu dieser kathegorischen
Universumskonstante gehören natürlich ebenso das
Vorhandensein von Sauerstoff, die Verträglichkeit der
Nahrungsmittel und Getränke wie auch... aber das wirst du schon
sehen!"
Ich erwartete immer noch aus
einem Traum zu erwachen oder eine Verminderung der haluzinogenen
Wirkung der Droge, aber nichts dergleichen geschah.
Ich
konzentrierte mich wieder auf den Raumhafen und konnte Menschen
erkennen, die auf das Schiff zugingen, das auf den ersten Blick über
die auch in anderen Universen beschriebene Kugelform verfügte.
Wenn ich so recht überlegte gehörte es mit seinem Ringwulst
eigentlich mehr ins Perry Rhodan Universum, als zu Ren Dhark, obwohl
der Ringwulst nicht äquatorial verlief, sondern von Pol zu Pol.
Erst jetzt, angesichts der sich nähernden Menschen, konnte man
die Dimensionen abschätzen. Das fremde Schiff stand auf
erstaunlich kurzen Teleskopbeinen, die auffallend groß
dimensionierte Landeplatten trugen. Wahrscheinlich konnte man mit
einem solchen Raumschiff auch in den Wüsten eines Planeten
landen, ohne in den Boden einzusinken.
Eine
Polschleuse schien diese Raumkugel nicht zu besitzen. Allerdings
konnte man in einer Höhe von etwa fünfzig Metern eine
Öffnung erkennen, aus der sich langsam eine Rampe nach unten
schob. Ich schätzte alle Masse, indem ich die Kirche in meinem
Heimatort als Massstab in Relation zu den Menschen auf dem Landefeld
heranzog. Demnach musste dieses Raumschiff einen Durchmesser von etwa
250 Metern haben, was ich schon beachtlich fand. Andererseits wusste
ich, dass die Raumschiffe der Giants, über die die Menschheit in
diesem Universum zum Teil verfügte, Kugelraumer mit einem
Durchmesser von 400 Metern waren. Wie würde ich die Dimensionen
denn erst empfinden wenn ich im Perry Rhodan Universum mit den
gewaltigen Ultraschlachtschiffen der Universumsklasse konfrontiert
werden sollte?
„Der Singu der Rateken!
Valeria ich weiß jetzt, in welcher Handlung wir uns befinden!“
„Gut, dann weißt du sicher auch, was
weiterhin geschehen wird!"
„Ja, so
ungefähr!"
„Aber du hast es
doch gelesen! Dann rezitier uns doch 'mal die nächsten Seiten in
dem Roman!"
Ich muss Valeria sehr
ungläubig angesehen haben, denn sie schüttelte fragend den
Kopf.
„Valeria, ich habe zwar ein
außergewöhnliches Gedächtnis, aber was du da von mir
erwartest..."
„Soll das heißen,
du hast den Text gelesen, aber nicht gespeichert? Hast du es gelesen
und wieder vergessen? Warum liest du denn dann überhaupt etwas,
wenn du es wieder vergisst?"
Sie schien
diese Frage absolut Ernst gemeint zu haben. Ich kannte Valeria lange
genug, um beurteilen zu können, dass sie allerdings ganz genau
wusste, wie begrenzt das menschliche Erinnerungsvermögen ist und
war. Wollte sie mir damit verdeutlichen, dass sie sich besser
erinnern konnte?
Seit dem ich mich erinnern
kann, gilt bei allen Leuten, mit denen ich jemals zu tun hatte, mein
Gedächtnis als, na sagen wir, zumindest überdurchschnittlich.
Wenn ich also über ein außergewöhnliches Gedächtnis
verfüge, immerhin kommt es immer wieder in regelmäßiger
Häufigkeit vor, dass sich Menschen mit mir in Verbindung setzen,
weil ihr Gedächtnis aussagt, dass ich mich wohl besser an einige
Umständ von vor zwanzig Jahren erinnern kann, über was für
eine Art von Gedächtnis meint denn dann Valeria müsste ich
verfügen?
Diese Überlegungen
brachten mich naturgemäß nicht im Geringsten weiter. Ich
musste mich im Hier und Jetzt einerseits mit dem Ren Dhark Universum
und andererseit mit Valeria auseinandersetzen. Zu viel war ungeklärt
geblieben, seit wir diesen Unitrip geschmissen hatten; zu viel schien
es in diesem Zusammenhang zu geben, was Valeria nicht nur besser
wusste als ich, sondern über das sie überhaupt informiert
war, zumindest machte es den Eindruck auf mich, immer dann, wenn
meine Verwunderung größer war als ihre. Ich kannte mich
gut genug, um beurteilen zu können, dass mich so schnell nichts
aus der Bahn werfen konnte und stufte mich was Coolness anging, ohne
bedenken in der Kategorie äußerst cool ein, aber bei
allem, was ich in der letzten Stunde erlebt hatte, war mir Valeria
nicht nur cooler vorgekommen, nein, sie war es auch tatsächlich
gewesen.
Ich würde mich wohl zunächst
mehr mit Valeria auseinandersetzen müssen, als mit dem Ren Dhark
Universum.
„Du hast mich ganz schön
manipuliert, Valeria! Du hast mein Trauma mit den verpassten
Gelegenheiten benutzt, hast es mir vor Augen geführt und dann
hast du gnadenlos zugestoßen, als du den Zeitpunkt für
gekommen hieltest."
Sie drehte sich vom
Fenster um, durch das sie seit wenigen Minuten gebannt geblickt
hatte.
„Ja, das gebe ich zu, es fing an
mit der Farbe des Kleides und was den Schnitt angeht, er ist auf
deine Jugendtraumata mit Ilona abgestimmt, denn du beschäftigtest
dich zu sehr mit dem, was möglicherweise unter diesem Kleid sein
könnte, als damit, dass ich dich in eine bestimmte Richtung
manipulierte."
Hatte ich doch richtig
vermutet. Ich durfte jetzt nicht locker lassen, sondern war
gezwungen, die mögliche Gunst der Stunde zu nutzen und Valeria
einige Informationen zu entlocken. Wenn sie mir etwas sagen würde,
dann offensichtlich jetzt.
„Aber die
Geschichte mit Ilona habe ich dir doch gar nicht erzählt,
zumindest nicht in den nötigen Einzelheiten!"
Daran
konnte ich mich genau erinnern. Ich wusste mit absoluter Sicherheit,
was ich Valeria erzählt hatte und was nicht.
„Aber
du hattest mir eine Kladde mit Bildern gegeben, in der ich als
Fragment diesen Text gefunden habe."
Vor
einigen Jahren hätte ich diesen Umstand mit der Bemerkung
kommentiert, mir fiel es wie Schuppen aus den Haaren!
Der
Text war mir noch ziemlich wörtlich präsent.
Wenn
ich diese Geschichte nicht versehentlich in den Abfall geworfen
hätte...
Vielleicht wäre sie dann
anders ausgefallen, ja vielleicht später auch absichtlich
verworfen worden. So aber war ich dermaßen sauer darüber,
gerade diese Episode meines Lebens gedeleted zu haben, dass
ich noch einmal darüber nachdenken musste.
Kurzum,
dieser Text ist, nicht nur aufgrund meines erneuten Nachdenkens, eine
Art von Schlüsseltext, ja ich gehe sogar so weit, dass ich
behaupte, gerade dieser Text beinhalte den Schlüssel zu meinen
sexuellen Vorlieben.
Dieser Text handelte
von Ilona.
Seinerzeit!
Seinerzeit
arbeitete ich in einem, Krankenhaus.
Ich war
sechzehn Jahre alt und suchte nach Orientierung bezüglich meines
späteren Lebens.
Mein Einsatzort war
eine Innere Männerstation und genau auf dieser Station half
eines Sonntagmorgens Ilona aus, die normalerweise auf einer
Chirurgischen Frauenstation arbeitete und Krankenpflegeschülerin
im zweiten Ausbildungsjahr war.
Dunkle lange
Haare, ein absolut formvollendeter Körper...
Zu
diesem einen einzigen Tag unserer Zusammenarbeit kann ich eigentlich
nichts sagen, denn es war nur ein einziger Sonntag.
Eines
jedenfalls ist sicher, dieser eine Sonntag hat dazu geführt,
dass diese Frau meine Gedankenwelt beherrschte.
Sie
war so anders als die Frauen, die ich in diversen Schulklassen zuvor
begehrt hatte.
Sie war anders!
Anders!
Wie
anders?
Vielleicht weiß ich es
irgendwann, vielleicht werde ich es nie ergründen können -
wer weiß.
Die eigentliche Essenz all
dessen, was mit Ilona in Zusammenhang zu bringen ist, wenn man `mal
von den vielen, durch mich inszenierten, dienstlichen Begegnungen
absieht, ereignete sich in einem Zeitraum von nur einer einzigen
Nacht, in der Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang...
Es war Sommer!
Sie war in
ein gelbes oder weißes enges T-Shirt gehüllt und trug
einen kurzen zinnoberroten Faltenrock, einen jener Art, der vorne
einen Lendenschurz bildet und seitlich, an den Vorderseiten der
Oberschenkel in Falten gelegt ist.
Ilona trug
dieses enge T-Shirt, damals hat man Bluse dazu gesagt, und den kurzen
roten Rock, der normalerweise zum Tennisspiel gedacht gewesen war.
Den kurzen roten Rock!
Kurz
und rot!
Kurz und rot und nichts drunter.
Nichts drunter!
Aber waren
es nicht möglicherweise meine eigenen Äußerungen, die
dafür verantwortlich waren, dass diese Nacht unter der Kategorie
verpasste Gelegenheit abzuspeichern war?
Leicht
triumphierend blickte ich Valeria an.
„Nur
beginnt dein Irrtum schon bei der Farbe des Kleides! Ilonas Rock war
rot!"
Jetzt verstand ich, warum Valeria
erwartet hatte, ich könne den Singu der Rateken zitieren. Sie
schien sich jedes Wort gemerkt zu haben, was sie jemals gelesen
hatte, einfach jedes Wort...
„Stimmt,
Leonard! Und wessen Rock war gelb? Genau so gelb wie dieses Kleid?"
Mir wurde schwindlig.
„Bleib
ruhig sitzen, Leonard! Ich werde dir die Geschichte erzählen,
genau, wie du dich gerade an deine Begegnung mit Ilona erinnert hast,
kann ich dir deinen Mariontext Wort für Wort zitieren!
Frau war sicherlich nicht der richtige Ausdruck,
denn sie war fünfzehn und gebaut wie ein Kind.
Ich
war bei Georg und wartete darauf, dass das DRK die Schule öffnete,
um Freiwillige einzulassen, zur Blutspende.
Vorkriegszeit,
1930!
Fünfzehn Jahre vor Ende des Krieges!
Marion war
auch da, also nahm ich sie mit, als ich zur Blutspende ging.
Sie wartete draußen und bedauerte mich
hinterher sehr.
Wir waren dann später in
Georgs Zimmer und er knutschte mit Annegret.
Marion
saß neben mir und legte plötzlich und unerwartet einen Arm
um mich, um meinen Kopf zu sich herunterzuziehen und mir ihre Zunge
in den Mund zu drücken.
Ich wehrte mich
nicht."
„Hör auf, Valeria,
ich weiß, was ich geschrieben habe!"
Auf
dem Arnsberger Schlossberg, an einem Sonntagnachmittag.
Sie
trug einen kurzen gelben Rock und saß auf meinem Schoß,
während ich auf einer Bank saß..."
Triumphierend blickte Valeria mich an und zitierte
weiter.
„Ich griff ihr unter den Rock,
als wir auf der Bank saßen.
Ich griff
ihr unter den Rock."
„Valeria, wie
kannst du dir solche Textpassagen merken?!"
„Es
stimmt, dass du das geschrieben hast!? Du bist ein von der Sexualität
gesteuerter Mensch, ich weiß das! Ist ja auch kein Problem!"
Valeria setzte sich neben mich auf die Couch und
deutete auf meine Hose. Er stand, das wusste ich, sie hatte es
gesehen.
„Weißt du Leonard, du
hast dir Gedanken gemacht, warum ich so einen alten Kerl wie dich für
den Trip ausgesucht habe und bist zu keinem klaren Ergebnis gekommen.
Du hast gedacht, dass ich vielleicht einen Vaterkomplex haben könnte,
das trifft nicht zu. Ich habe jemanden gebraucht, der nicht nur ein
gutes Gedächtnis hat, sondern auch jemanden, der schon viel SF
und Fantasy gelesen hat, oder glaubst du, es wäre amüsant
irgenwo im Rommelfeldzug zu landen? Und ich habe jemanden gebraucht,
der gedanklich nicht so alt ist, wie du eigentlich bist, denn sonst
wären wir jetzt nicht hier. Weiterhin war es wichtig, zu wissen,
wie stark der Tripbegleiter sexuell gesteuert ist, denn stell dir
vor, wir werfen den nächten Unitrip und landen in irgendeinem
Pornoheft, oder in John Normans Gor-Realität!"
Ich
stand auf.
„Weißt du, irgendwie
habe ich mir das alles anders, romantischer vorgestellt, mit uns!"
„Siehst du, du hast es dir vorgestellt! Also
ist es auch richtig, deine Vorstellungen auf die eine oder andere
Art und Weise zu realisieren! Glücklicherweise bist du alt
genug, dasss man dir nicht vor jedem rip einen fertig machen musss,
um in einer halbwegs vernünftigen Realität zu landen!"
„Du redest darüber, als sei es ein
absolut mechanischer Vorgang!"
„Ist
es das nicht?"
Ein Summer störte
uns.
Valeria ging zur rechten Wand, an der
sich eine Art Fernseher und eine darunter befindliche Tastatur
befand.
„Das ist ein Vipho, Valeria!
Ich kann mich an den Namen dieser Kommunikatoren erinnern."
Valeria drückte einen Knopf.
Der
Bildschirm erhellte sich und eine Stimme sagte deutlich vernehmlich,
obwohl sie künstlich klang.
„Sie
werden von Henner Trawisheim gerufen, Herr Lüneburg!"
Mit wenigen Schritten war ich direkt vor dem
Bildschirm und schob Valeria sanft zur Seite.
Das
Bild flackerte und ein Mann war zu erkennen, der mich knapp begrüßte.
„Der Commander der Planeten braucht ihre
Hilfe, Herr Lüneburg! Kommen Sie so schnell wie möglich zum
Stab der TF, Sie und ihre - Kollegin werden abgeholt."
„Danke Herr Trawisheim, wir stehen
selbstverständlich zur Verfügung!"
Der
Bildschirm erlosch.
Als ich mich umsah stand
Valeria zwischen mir und dem Fenster, sah mich triumphierend an und
schlang ihre Arme um meinen Hals.
„Wir
werden also zu diesem Ren Dhark gebracht werden! Weißt du, wenn
du etwas liest, gibt es einen mehr oder weniger starken
Identifikationsfaktor mit dem jeweiligen Protagonisten..."
„Ich habe mir damals als Kind gedacht, ich
müsste Ren Dhark in dieser Situation beistehen..."
„Jetzt kannst du es!"
*
Henner
Trawisheims Hinweis hatte mir verdeutlicht, dass das was ich zuvor,
genau wie Valeria als Fenster angesehen hatte, gar kein Fenster war,
sondern eine sogenannte Schirmwand. Ich erinnerte mich zwar nicht,
jemals von so einer Schirmwand bei Ren Dhark gelesen zu haben, aber
das musste ja wohl nichts bedeuten.
„Valeria,
wir müssen uns dieses Fenster 'mal näher ansehen, es muss
da Möglichkeiten geben, den sichtbaren Ausschnitt zu verändern,
es kann sein, dass das ein großer Bildschirm ist!"
Tatsächlich fand sich unterhalb dessen, was wie
ein Fenster aussah eine kleine Schaltkonsole, auf der man zwei
Zahlenkolonnen erkennen konnte. Die erste zeigte zweifellos das Datum
an, an dem sich das ereignet hatte, was man sehen konnte und das
zweite Datum...
Valeria hatte ohne zu zögern
einen kleinen Sensor unterhalb des späteren Datums berührt.
Das Fenster begann zu flimmern.
„Eine
perfekte dreidimensionale Darstellung!"
„Ja
klar, was erwartest du sonst? War dir nicht klar, dass alles das,
über das du irgendwann einmal gelesen hast, Realität sein
könnte, ja Realität ist, irgendwie, irgendwo, irgendwann?"
Sie hatte ihren Satz gerade beendet, als es an der
Tür klopfte.
Da Valeria näher am
Ausgang stand, öffnete sie. Obwohl dieser Ausdruck natürlich
nicht zutraf, denn Valeria brauchte sich ja nur dieser Eingangstür
von innen zu nähern und schon glitt sie automatisch zur Seite.
Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass Valeria sich so anders
verhielt, wie ich es von ihr nie und nimmer erwartet hätte. Mit
der Geschmeidigkeit einer Raubkatze näherte sie sich der Tür
und wirkte in jedem weiteren Bewegungsablauf lauernd, jedes
Gefahrenmoment abwägend, als ginge es darum...
Worum
ging es ihr eigentlich bei diesem Verhalten?
Wollte
sie bei dem Besucher oder mir Eindruck schinden, oder war sie ehrlich
bemüht, für meine Sicherheit zu sorgen?
Es
war schon eine eigenartige Metamorphose, der Valeria und ich nun
unterworfen waren. Zunächst hatten wir uns als einfache
Beobachter in diesem Ren Dhark Universum befunden, um nun von einer
Minute zur anderen in das Geschehen integriert zu werden, ohne genau
zu wissen, um welches Geschehen es sich handelte oder handeln würde.
Konnte ich davon ausgehen, nachdem sich
herausgestellt hatte, dass sich der Strang der Ereignisse nicht mehr
mit dem Singu der Rateken zu beschäftigen hatte, dass wir uns
überhaupt noch in der von Kurt Brand beschriebenen
Handlungsebene befanden, oder war zu befürchten, dass wir nun
mit Ereignissen konfrontiert werden würden, die sich jenseits
des Bandes 98 befanden, der den Abschluss der Ren Dhark Serie gemacht
hatte? Hatte Ren Dhark schon die Mysterious getroffen, hatte er sie
schon nach Terra gebracht? Hatte er schon die Begegnung mit den
Robotern von Tower gehabt?
Sicher hätte
ich diesen Offizier der TF fragen können, doch wollte ich meine
Informationsbeschaffung auf eine diffizilere Art und Weise
durchführen, in einem lockeren Gespräch mit Henner
Trawisheim, obwohl ich mir andererseits sicher war, mit diesem
geistigen Cyborg kein lockeres Gespräch führen zu können,
weil seine Persönlichkeitsstruktur dafür viel zu zwanghaft
war. Eigentlich war ich mir auch sicher, dass die Erfindung der Figur
des Henner Trawisheims zu den Hauptfehlern der Ren Dhark Serie
gehörte, da diesem die notwendige Phantasie fehlen musste, mit
den ihm gestellten Aufgaben fertig werden zu müssen.
Das
Fahrzeug verschwand mit uns in einer unterirdischen Garage des
Gebäudes der TF.
In dem Gebäude
herrschte geschäftiges Treiben, wie ich es eigentlich in diesem
Handlungsverlauf noch nicht erwartet hatte.
Ein
Lift brachte uns zu Trawisheim und dieser bot uns zwei Stühle
an, die sich gegenüber seines riesigen Schreibtisches befanden.
„Ich weiß nicht, wie ich dieses Gespräch
beginnen soll und ich verrate ihnen sicherlich kein Geheimnis, wenn
ich behaupte, dass es solche Ereignisse schon seit vielen Jahren
nicht mehr in meinem Leben gegeben hat. Es handelt sich darum, dass
ich nicht weiß warum ich mit ihnen Kontakt aufgenommen habe,
sondern nur dass es für das Überleben des Commanders und
das Weiterbestehen der Point-Off äußerst wichtig ist. Ich
weiß, dass Sie, aus welchen Gründen auch immer, eine
Schlüsselfigur der bevorstehenden Ereignisse sein werden.!"
Valeria und ich hatten ihm ungerührt zugehört.
„Ich kann ihnen versprechen, Herr Trawisheim,
dass unsere uneingeschränkte Loyalität Ren Dhark und der
Suche nach den Mysterious gehört. Wir stehen ihnen zur
Verfügung! Wo befindet sich Ren Dhark jetzt eigentlich mit der
Point Off?"
Diese letzte von mir
gestellte Frage sollte eine Antwort hervorrufen, die mir Aufschluss
über die kommenden Ereignisse gab und Hinweise über die
notwendigen Maßnahmen enthielt. Ich konnte nur hoffen, dass ich
mich noch an wichtige Einzelheiten erinnern würde, immerhin
hatte ich Ren Dhark 1969 gelesen und ich konnte mit unvollständigen
Erinnerungen galaxisweite Katastrophen heraufbeschwören. Zudem
zeigte mir die Reaktion Trawisheims bei Erwähnung der
Mysterious, dass Ren Dhark diese Geheimnisvollen noch nicht gefunden
haben konnte, was bedeutete, dass Valeria und ich uns in der Handlung
zwischen dem Erscheinen der Rateken auf Terra und der Entdeckung der
Mysterious durch Ren Dhark befinden mussten.
„Ren
Dhark ist mit der Point Off von Erron 1 zur Zentralwelt der Schwarzen
Weißen unterwegs, um mit der dortigen Regierung zu verhandeln."
Mein Gedächtnis arbeitete auf Hochtouren und
ich war erfreut, als es innerhalb von Sekundenbruchteilen Klick
machte.
„Ron wedda wi terra!
Sagen Sie Herr Trawisheim, sind die einhundertzweiundachtzig
Energiestationen des galaktischen Abwehrsystems der Mysterious wieder
runtergefahren?"
Henner Trawisheim war
innerhalb von Sekundenbruchteilen kreideweiß geworden.
„Lüneburg, woher beziehen sie dieses
Wissen?
„Sagen sie Herr Trawisheim, wie
viele S-Kreuzer der TF können sie sofort mit Robotern von Tower
ausrüsten und startbereit machen?"
Er
starrte mich an, wie einen gerade aus dem Transmitter getretenen
Mysterious.
„Wollen sie mich..."
„Wir sollten es sein lassen, uns zu überlegen,
warum sie meinen, ich könne dem Commander helfen; sie sollten
akzeptieren, dass ich es kann! Und sie sollten akzeptieren, dass ich
mehr über die Geheimnisse der Erde weiß, als sie und Ren
Dhark für möglich halten würden. Ich habe mein Wissen
nie gegen Terra eingesetzt, sonst hätte das den Untergang der
Menschheit bedeuten können! Ich weiß, dass sie selbst
nicht hier säßen, wenn man ihnen nicht im Branatal
intellektuell auf die Sprünge geholfen hätte!"
Bei den letzten Worten war er aufgesprungen.
„Sie sind der einzige geistige Cyborg, über
den dieser Planet verfügt und das ist eines der größten
Staatsgeheimnisse!"
Langsam setzte sich
Henner Trawisheim wieder in seinen übergroßen Sessel.
„Sorgen sie sofort dafür, dass Marschall
Bulton uns über tausend S-Kreuzer zur Verfügung stellt und
außerdem zehn To-Raumer der Terraklasse!"
Man
hätte nach diesesn Worten eine Stecknadel fallen hören
können, doch niemand machte sich die Mühe dieses Tests.
Trawisheim drückte einen Knopf und näherte
seinen Kopf einem Mikrofon.
„Bulton
soll sofort hierher kommen!"
Er rang
sich ein Lächeln ab.
„Mein Wissen
über ihre Person stammt aus der ursprünglichen
Programmierung meines Cyborggehirns und wurde erst bewusst, als von
Erron 1 die Meldung kam, der Commander sei unterwegs zur Zentralwelt
der Schwarzen Weißen!"
Ich hatte
keine Zeit über seine Worte nachzudenken, denn ich überlegte
fieberhaft, ob meine Zahlenangaben tatsächlich mit denen aus dem
RD-Roman übereinstimmten.
Hatte da nicht
tausende von S-Kreuzern gestanden? Zumindest was die zehn
Ringraumer der Terraklasse anging war ich mir sicher.
Aber
viel wichtiger war in diesem Zusammenhang der Umgang mit dem
cholerischen Marschall Bulton, der jeden Moment kommen musste. Ich
würde wahrscheinlich sehr viel Fingerspitzengefühl
brauchen, um ihn von der Notwendigkeit des Vorhabens zu überzeugen.
Andererseits war es bei Trawisheim fast ohne mein Dazutun gegangen...
Aber auf solche Selbstläufer konnte ich mich
nicht verlassen, schießlich hing wirklich die Existenz Ren
Dharks, der Point Off mit ihrer Besatzung und letztendlich der ganzen
Menscheit davon ab, dass die terranische Flotte früh genug über
Cromar erschien, aber dass dieser Planet Cromar hieß, durfte zu
diesem Zeitpunkt noch niemand wissen.
Die Tür
flog auf und dieser Bulton stürmte herein.
„Was
soll das?! Haben die die Meinung, ich hätte nichts zu tun,
Trawisheim?"
erst nach dieser
Schimpfkanonade bemerkte er Valeria und mich, vor Trawisheims
Schreibtisch sitzen.
Ich stand wortlos auf
und deutete eine leichte Verneigung an.
„Mein
Name ist Leonard Lüneburg, verehrter Marschall! Ich bin hier, um
mit ihnen zu bereden, wie wir den Commander raushauen müssen,
denn ich weiß, dass er bei diesen Schwarzen Weißen auf
Schwierigkeiten stoßen wird!"
Seine
Augen verengten sich.
„Glauben sie
etwa, ich hätte in den letzten Minuten an etwas anderes gedacht,
als dass wir Dhark raushauen müssen?"
„Gut,
Marschall! Stellen sie mir alle S-Kreuzer, die mit Robs von Tower
ausgerüstet sind, auf die sie verzichten können, zur
Verfügung! Wir müssen diesen arroganten Pinseln zeigen,
dass sie mit uns nicht alles machen können!"
Er
schien meine Worte zu schlucken, ich schien die richtige
Kommunikationsebene zu ihm gefunden zu haben. Ob das wohl daran lag,
dass Romanfiguren relativ einfach gestrickt sind? Obwohl ich diesen
Gedanken eigentlich gar nicht zulassen durfte, denn noch hatte ich
nicht erhalten, was ich wollte.
„Aber
um diesen aufgeblasenen Herrenmenschen zu zeigen, was terranische
Technik zustandebringt, brauche ich auch noch zehn Ringraumer der
terranischen Terraklasse. Auf diese Schiffe können wir zurecht
stolz sein, und das müssen wir diesen Lackaffen auch zeigen!"
Er sah mich an, als hätte er eine Erscheinung.
Zum Glück griff in diesem Moment Henner
Trawisheim zu meinen Gunsten ein.
„Ich
glaube, dass der Mann recht hat, Bulton!"
Der
Marschall sah zu dem geistigen Cyborg rüber.
„Wer
ist das überhaupt?!"
„Wenn
ich ihnen sage, Marschall, dass dieser Mann jetzt genau der richtige
ist, um den Commander rauszuhauen, müssen sie mir das glauben!"
Unwillkürlich hatte Trawisheim die gleiche
Sprache benutzt, wie ich; mit raushauen kannte dieser Marschall sich
aus.
Ich machte sofort noch einen kurzen
Vorstoß.
„Geben sie mir das
Kommando über die S-451! Valeria und ich werden den Raumer mit
Robs von Tower übernehmen und - das Kommando über die ganze
Flotte!“
Valeria stand auf und machte
einige Schritte auf den Marschall zu.
„Kommen
sie schon, wir müssen uns beeilen, für das Leben des
Commanders!"
„Für das Leben
des Commanders!"
Während Bulton
sich zackig umdrehte, hatte er Valerias Worte vor sich hingemurmelt.
Mit einem kurzen Kopfnicken für Trawisheim
verließen wir dessen Büro und eilten hinter dem Marschall
her, der es plötzlich sehr eilig hatte.
Wir
folgten ihm bis zum Stab der TF, wo er bollerig wie er war,
ungemein schnell, die richtigen Instruktionen brüllte. Seinen
Ton konnte diesem Mann niemand übel nehmen. Erst als ich ihn in
Aktion erlebte, erkannte ich, dass er absolut kompetent war, für
diese Aufgabe.
Zwischendurch drehte er sich
zu Valeria und mir um.
„Am liebsten
würde ich die Sache selbst übernehmen!"
„Ich
weiß Marschall! Sie werden aber hier wesentlich dringender
gebraucht, denn wer sollte für die Sicherheit des Systems sorgen
können, wenn nicht sie?"
Eine halbe
Stunde später bremste ein Wagen mit quietschenden Reifen unter
der S-451.
Der blauschimmernde Ring aus
Unitall ragte groß und imposant vor uns in den Himmel.
Ringsherum waren wir von weiteren S-Kreuzern umgeben, aber wenn man
zum ersten Mal unter einem so gewaltigen Raumschiff steht...
Andererseits hatte der Ring nur einen
Aussendurchmesser von zweihundert Metern, wenn man das mit den
vierhundert Meter durchmessenden Ringraumern aus dem rötlich
schimmernden Tofirit verglich, die von den Terranern erbaut worden
waren und über drei Triebwerke der Mysterious verfügten...
*