Was will die Frau?

Mohlberg Verlag

Immer wenn ich meinte 'mal etwas länger schlafen zu können, schaltete ich das Vipho aus, um auch ganz sicher gehen zu können, nicht gestört zu werden.

Wie aussichtslos es für mich war, mein persönliches Schlafbedürfnis zu realisieren, wurde mir an diesem besagten Morgen wieder einmal drastisch vor verschlafene Augen geführt.

Nicht das Schrillen des Viphos hatte mich aus meinen Träumen gerissen, sondern eine nicht minder durchdringende Tonfolge, die mein persönlicher Suprasensor über die eingebaute Lautsprecheranlage von sich gab.

War ich nun tatsächlich in meiner Wohnung?

Zweifellos, denn nur da fühlte ich mich, aufgrund meines Berufes sicher genug, so rücksichtslos tief zu schlafen.

Ich tastete mich von meinem Lager aus in Richtung des Geräusches. Der Suprasensor registrierte meine Bemühungen und dimmte, gefühlvoll langsam, um die Empfindlichkeit meiner Augen wissend, die Beleuchtung hoch.

Meine Hand fand den Knopf zur Aktivierung der Verbindung - es konnte nur äußerst wichtig sein, denn der Suprasensor ließ nur Nachrichten zu mir durch, die von Bernd Eylers oder einem seiner engsten Mitarbeiter persönlich stammten.

Ich schien wirklich nicht lange geschlafen zu haben, denn ohne meine Zunge unter Kontrolle zu haben hörte ich meine Stimme, wie sie sich mit Eylers meldete, wohl in Folge der letzten Gedankenassoziation und des noch nicht vollständigen erwacht Seins.

„Oh, wenn ich nicht wüsste, wer ich bin, nähme ich an, mich verwählt zu haben!"

Das konnte nur Bernd Eylers persönlich sein.

„Schlafen sie eigentlich nie? Oder ist es bereits Mittag?"

„Hören sie zu, van Haag, wir haben ein gewaltiges Problem im Brana-Tal und damit auch auf dem Rest der Erde!"

Immer wenn ich Problem und Brana-Tal in einem einzigen Satz hörte, war ich wie elektrisiert und damit innerhalb von Sekundenbruchteilen hellwach.

„Schießen sie los!"

„Ein Cyborg wird vermisst, sehen sie zu, dass sie das so schnell wie möglich geregelt kriegen! Ich brauche ihnen sicher nicht zu sagen, wie dringend die Angelegenheit ist!"

Klick - machte es schon seit gut fünfzig Jahren nicht mehr, wenn jemand eine Verbindung unterbracht, doch hätte dieses Geräusch jetzt gut gepasst, als Bernd Eylers mich in den Auftrag entließ.

So schnell ich konnte, hatte ich mich angekleidet, trank im Hinausgehen noch einen Becher Kaffee und eilte auch schon zum nächsten Transmitter der TF, um mich auf dem schnellsten Wege im Brana-Tal einfinden zu können. Bei dieser Gelegenheit konnte ich mich auch über die Tageszeit informieren; es war etwa acht Uhr Ortszeit Alamogordo, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, das entsprach, wenn man bedachte, wie lange ich am Vortag gearbeitet hatte, gut vier Stunden Schlaf, was keine Dauerlösung sein konnte.

Mein Ausweis der GSO öffnete mir alle erforderlichen Türen, wenn auch mancher Angestellte der Transmitterstation murrte. Ich wurde unter höchster Prioritätsstufe als erster abgefertigt und trat etwa sieben Minuten nach Beendigung des Gesprächs mit Bernd Eylers im Brana-Tal aus dem Transmitter, dass heißt ich stolperte mehr, als ich trat, verlor dabei allerdings mit Berechnung einen miniaturisierten Suprasensor, der innerhalb der nächsten halben Stunde nicht entdeckt werden würde.

„Jos Aachten van Haag, Agent der GSO! Wir haben hier häufig Prominente, aber selten welche, die so sehr wie sie im Verborgenen tätig sind!"

Der Wachoffizier wies eine Ordonnanz an, mich sofort zum Chef zu bringen. Ich folgte der jungen Dame und traf Minuten später in Echri Ezbals Büro ein.

Der alte weißhaarige Mann sprühte einige Kakteen, von denen er wahrhaft gewaltige Exemplare sein Eigen nannte.

Ohne sich umzudrehen begann er mit mir zu reden.

„Gut, dass Eylers sofort einen der Besten geschickt hat, van Haag! Es handelt sich um eine - sagen wir - prekäre Situation!"

Ich setzte mich auf den Teppich vor einen flachen Tisch, auf dem dampfend eine Teekanne stand.

„Alle unsere Cyborgs sind im Einsatz und nun das... Wissen sie, ich wüsste wirklich niemanden außer ihnen, der sie wieder zurückbringen könnte!"

„Wen zurückbringen?"

„Helena Fuji! Wissen sie, sie ist eine der ersten Frauen, die zu Cyborgs umfunktioniert wurden."

Er drehte sich um und deutete auf die Sprühflasche in seinen Händen.

„Ein altes Rezept aus dem zwanzigsten Jahrhundert, Neem-Öl! Eignet sich ausgezeichnet zur Bekämpfung von saugenden Insekten, ohne sie zu töten!"

„Ich wusste gar nicht, dass es auch Frauen als Cyborgs gibt!"

„Wenige, sehr wenige! Die Eingriffe sind doch sehr inversiv und kaum wieder rückgängig zu machen. Helena Fuji hatte einen angeborenen Gehirndefekt, sie konnte nicht richtig sehen und hatte gewaltige motorische Probleme. Die herkömmliche Medizin konnte ihr nicht helfen."

Er ließ den Bildschirm eines Suprasensors aufleuchten. Man konnte eine Frau erkennen, die an einem Tisch saß und versuchte ihr Frühstück einzunehmen. Sie hatte dazu keine Werkzeuge wie Messer und Gabel, weil sie sich aufgrund ihrer überschießenden Bewegungsabläufe damit selbst verletzt hätte.

„Es gab keine Möglichkeit, ihr zu helfen, doch dann hatte sie einen Unfall, mit kompletter Querschnittslähmung, einer sogenannter Tetraplegie. Nun, wir konnten sie retten."

Der Bildschirmausschnitt wechselte. man konnte die Frau nun bei dem üblichen Cyborgtraining sehen. Sie sprang über eine Mauer, als würde sie auf dem Mond stehen.

Der alte Mann räusperte sich.

„Vielleicht sollten sie sich von den Bildern dieser anmutigen Frau losreißen, van Haag! Ihr Problem ergab sich bei der Umschaltung ins Zweite System. Ihre emotionale Komponente wurde nicht ausgeschaltet. Sie ist unter allen Bedingungen eine ganz normale Frau, ohne die für das Zweite System typische Emotionslosigkeit. Sie ist im Laufe der letzten Nacht verschwunden und ich habe keine Leute hier, denen ich zutraue, sie im Ernstfall zu überwältigen. Holger Alsop, Bram Sass und Lati Oshuta sind mit dem Commander der Planeten unterwegs und alle verfügbaren Cyborgs wären ihr aufgrund ihrer fehlenden Erfahrungen nicht gewachsen."

„Wieso reden sie von überwältigen? Halten sie die Dame für gefährlich?"

„Prinzipiell nicht, aber wenn man sich ihr nähert und sie der Meinung ist, man wolle ihr was..."

Den Rest seiner Worte konnte er getrost im Raum stehen lassen, ich konnte mir gut vorstellen, wozu Cyborgs fähig waren.

„Haben sie keine Geräte, die die besonderen Fähigkeiten ihrer Cyborgs desaktivieren?"

„Doch, aber dazu müssen sie erst einmal betäubt auf einem OP-Tisch liegen."

*


Im Transmitterraum des Brana-Tales bückte ich mich, als wolle ich meine Schuhe binden und nahm dabei den etwa münzgroßen Suprasensor wieder an mich, den ich verloren hatte und der sich der Färbung des Bodens automatisch angepasst hatte. Ich konnte ihn nur erkennen, weil ich zu diesem Zweck beim Betreten des Raumes eine geeignete Brille aufgesetzt hatte.

Mit einem kurzen Handgriff hatte ich die Münze in mein Kombigerät am Handgelenk gesteckt, mit dem man nicht nur die aktuelle Zeit erkennen konnte, sondern das auch als tragbares Vipho funktionierte, wie es in dieser Zeit Standard war.

Nachdem ich in Alamogordo wieder aus dem Transmitter getreten war, setzte ich mich in eines der zahlreichen Straßencafés, die es nach der Robonenzeit nun wieder gab und bestellte mir einen Cappuccino mit aufgeschäumter Milch. Ich blickte über den träge dahinfließenden Rio-Grande auf dem sich ein altertümlicher Raddampfer bewegte. Mittels meiner Brille zoomte ich den Namen des Raddampfers näher heran; Roswell, nun einer der Vororte Alamogordos, kein richtiger Stadtteil wie Santa-Fee.

Mein Handgelenkgerät hatte mit dem miniaturisierten Suprasensor kommuniziert, den ich im Brana-Tal im Transmitterraum zurückgelassen hatte. Der Minisuprasensor hatte keine andere Aufgabe gehabt, als mit dem Suprasensor des Tales zu kommunizieren und sich alle Transmitterdaten übertragen zu lassen, bezüglich der Transporte der letzten vierundzwanzig Stunden. Diese Informationen hätte ich auch so von Echri Ezbals Leuten bekommen können, dadurch wäre mein Aufenthalt aber sicher verzögert worden, weil man sich mit den höchsten Stellen der GSO in Verbindung gesetzt hätte. So war es einfacher gewesen; mein Suprasensor hatte sich mit einer nicht zu überbietenden Prioritätsstufe zu erkennen gegeben und alle erforderlichen Daten erhalten.

Als der Cappuccino serviert wurde, wußte ich bereits, wohin Helena Fuji geflohen war. Meine Überlegungen waren ganz einfach gewesen. Wenn jemand unbemerkt das Brana-Tal verlassen wollte, gab es wegen des undurchdringlichen Schutzschirms keine andere Möglichkeit, als über einen Transmitter. Weil es eine zentrale Transmittersteuerung gab, konnte ich die Daten nur von dem zentralen Transmittersuprasensor erhalten, was ich dann auch tat.

Helena Fuji war eine Frau, die Zeit ihres Lebens erheblich gehandikapt gewesen war. Sie konnte nicht alleine Essen, sich kaum normal bewegen und jetzt, nachdem sie ihre körperlichen Gebrechen überwunden hatte...

Was, wenn sie nur einmal ausbrechen wollte?

Was, wenn sie nur einige Tage in absoluter Freiheit verbringen wollte, wenn sie alles das tun wollte, wozu sie zuvor nicht in der Lage gewesen war?

Was wenn ich mich irrte?

Alle Transmittertransporte in der fraglichen Zeit hatten zu Kliniken stattgefunden oder es waren Waren geliefert worden. Ich ging nicht davon aus, Helena Fuji habe ein Interesse, sich eine Klinik anzusehen, nicht, nachdem sie nun erstmals in ihrem Leben nicht mehr auf medizinische Betreuung angewiesen war. Was sollte sie in einer Fabrik, die zur Versorgung von Raumschiffen und Weltraumstationen geeignet war, denn genau so wurde das Brana-Tal gehandhabt, auch wenn es sich zufällig auf der Erde befand. Ein einziger Transport ging nach Alamo Gordo, in die Hauptstadt, in der ich mich nun auch wieder befand. Der Transmitter war über eine Stunde lang auf eine Fabrik in Ohio eingestellt, es hatte nur eine kurze Unterbrechung gegeben, die gerade 'mal sieben Sekunden gedauert hatte, sieben Sekunden, die vollkommen ausreichten, durch den Transmitter nach Alamo Gordo zu gehen.

Die gewählte Gegenstation war eine relativ unbedeutende in der Nähe Cent-Fields, des Raumhafens. Schnell überprüfte ich mittels meines Minisuprasensors, ob es in der Nähe der Station Probleme am Energiezaun des Raumhafens gegeben hatte. Nein, es hätte mich auch überrascht. Helena Fuji hatte kein Interesse, den Planeten zu verlassen, sie wußte, wie wahrscheinlich es sein würde, zukünftige Einsatzorte außerhalb des irdischen Planetensystems zu haben.

In der Nähe der Transmitterstation lag aber nicht nur der Raumhafen, sondern auch der Freizeitpark MYSTERIES-OCCURENTS, den Ren Dhark persönlich vor einigen Monaten eröffnet hatte.

Von einem Taxi ließ ich mich zum Freizeitpark transportieren. Während der Fahrt bestellte ich bei der Zentrale der GSO Informationen über ungewöhnliche Ereignisse im Park. Es hatte sie bisher noch nicht gegeben.

Am breiten einladenden Eingangsportal fand ich eine Unitalltafel, die erst vor wenigen Wochen aufgestellt worden sein konnte.

Irgend etwas an dieser Zahl irritierte mich, also jagte ich sie durch meinen Minisuprasensor; meine Vermutung hatte mich nicht getäuscht, tatsächlich handelte es sich um 23 hoch 5.

Ohne den Eintrittspreis zu entrichten verschaffte ich mir schnell Zutritt, denn es war mir wichtig, den Vorsprung der Frau nicht zu groß werden zu lassen.

Dies war mein erster Besuch in diesem Freizeitpark und ich war überrascht, wie viele Familien schon zu dieser frühen Tageszeit unterwegs waren.

Da ich noch nie in diesem Park gewesen war, musste ich mich erst 'mal orientieren.

In holographischen Symbolen, die mit Schriftzeichen untermalt waren, konnte man neben den Bereichen der terranischen Geschichte und Frühgeschichte, auch interstellare Raumschiffe und eine Anzeige, in der ich unschwer den Hinweis auf einen Nachbau des Höhlensystems auf dem Kontinent Deluge auf dem Planeten Hope zu erkennen war. In einer großen Halle dieses Höhlensystems war von Ren Dhark die POINT OFF entdeckt worden. Da mich dieser Teil terranischer Geschichte schon seit Jahren faszinierte, ging ich ohne zu zögern in die entsprechende Richtung.

Mein Minisuprasensor hatte Kontakt zu den Anlagen des Erlebnisparks aufgenommen und würde mir ein Signal geben, wenn es Erkenntnisse über besondere Vorkommnisse gegeben hätte. Ich verzichtete bewusst darauf, die offiziellen Stellen des Parks auf Helena Fuji aufmerksam zu machen, weil ich durch mein Handeln nicht zu einer Eskalation der Situation beitragen wollte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen zu welchen Handlungen ein Cyborg fähig sein konnte, der in die Enge getrieben wurde, was allerdings nur problematisch war, wenn es nicht gelungen war, eine vollständige Installation des sogenannten Zweiten Systems vorzunehmen. Einen weiteren Sicherheitsfaktor definierte ich in der Persönlichkeitsstruktur Echri Ezbals, der alte Inder verfügte über weitreichende Menschenkenntnisse und moralische Ansprüche, die die Auswahl potentieller Cyborgs schon erheblich einschränkte. Cyborg werden konnte nur jemand, den der alte Mann aus Indien für einen überzeugte Pazifisten hielt.

Meine Beine trugen mich in Richtung des Höhlensystems von Deluge und meine Gedanken bewegten sich um eine Person, die zum erstem Mal in ihrem Leben die Gelegenheit hatte, sich frei zu bewegen und die Welt um sich herum zu entdecken.

Vielleicht unterschied sie sich ja gar nicht so sehr von mir. Vielleicht suchte sie ja auch dieses Höhlensystem als erstes auf, weil es zu einer der wichtigsten Stationen der Menschheit seit ihrem ersten Schritt in die Galaxis gehörte. War sie möglicherweise aufgrund der Informationen seitens der Medien ebenso fasziniert gewesen wie fast jeder Terraner und so wie ich, von dieser sagenhaften Technik der Mysterious?

Über ein Rollband bewegte ich mich durch die "Maschinenhalle" des langgezogenen Höhlensystems, das ein so gelungener Nachbau zu sein schien, dass ich keine Möglichkeit sah, die zweifellos vorhandenen Hologramme von den funktionslosen Attrappen zu unterscheiden. Ich war mir sogar sicher, dass es auch den Leuten, die den Höhlenkomplex auf dem Planeten Hope kannten, schwer gefallen wäre, ihren tatsächlichen Aufenthaltsort, als auf der Erde befindlich zu erkennen.

Menschen wohin man blickte; selbst wenn ich Helena Fuji erkannt hätte, wie sollte ich sie zurückbringen ins Brana-Tal, ohne aufsehen zu erregen oder eine weitergehende Eskalation zu provozieren?

Direkt vor der legendären Ringraumerhöhle, der Halle, in der die POINT OFF gefunden worden war, gab mein Minisuprasensor das erwartete Signal. Ich verließ das Rollband und ließ die visuellen und akustischen Informationen über meine Spezialbrille laufen. Im Bezirk für terranische Frühgeschichte hatte es einen Zwischenfall gegeben, eine Frau hatte sich durch die Absperrungen nicht aufhalten lassen, sondern das Innere eines Pyramidennachbaus betreten.

Wer sollte in der Lage sein, sich Zutritt zu verschaffen, wenn nicht jemand mit wahrhaft übermenschlichen Körperkräften.

Über den Suprasensor veranlasste ich dass es keine Aktionen gab, um die Frau zu behindern und ließ mich über das visuelle System der Brille in die Richtung ägyptische Geschichte leiten; ich beschloss, die nächstbeste Gelegenheit zu nutzen, mir die Halle mit der Rekonstruktion der POINT OFF einmal in aller Ruhe anzusehen.

Der Kontrast war schon gewaltig, hatte man sich vor Minuten noch in einem Höhlensystem befunden, dessen Original sich auf einem anderen Planeten befand, stand man nun in gleißender Sonne vor einer Pyramidenprojektion im heißen Wüstensand. Man hatte hier nur die wesentlichen inneren Kammern rekonstruiert und den Rest einfach in Form von holographischen Projektionen realisiert, weil es ein relativer Katzensprung war, das Original im Bundesstaat Ägypten zu besuchen. Vor etwa fünfzehn Minuten hatte eine Frau innerhalb einer der Kammern eine Tür aufgebrochen, die in der richtigen Pyramide in Ägypten in eine verborgene Kammer führen mochte, aber in dieser Rekonstruktion führte sie nur in einen Raum mit Aggregaten zur Projektion von Hologrammen.

Bevor ich mir die Kammer auch nur ansehen konnte, bekam ich über den Minisuprasensor die Information, die Frau habe den Park bereits verlassen und sich zum Interkontinetalterminal des Raumhafens Cent Field begeben.

*


Ich hatte sie um eine Maschine verpasst. Helena Fuji war tatsächlich auf einem Interkontinentalflug nach Kairo. Ihre Maschine würde etwa zwanzig Minuten vor meiner landen, also hatte sie einen deutlichen Vorsprung. Ich entschied mich dagegen, die offiziellen Stellen der GSO in Kairo zu mobilisieren; bisher hatte ich nur den Eindruck, Helena Fuji wolle ihre Freiheit genießen - so lange sie noch konnte.

Es war schon bedauerlich, dass man noch keine Transmitterstrecken in ausreichender Menge eingerichtet hatte, sonst wäre ich wesentlich schneller gewesen. Andererseits hätte Helena Fuji dann ebenfalls dieses schnellere Transportmedium nutzen können.

In Kairo angekommen bestieg ich, ohne zu zögern, ein Rover-Taxi und ließ mich direkt zu den Pyramiden nach Gize chauffieren.

Unerbittlich brannte die Sonne auf die Wüste nieder, der Taxifahrer hatte die Klimaanlage so eingestellt, dass man beim Aussteigen nicht den absoluten Hitzeschock bekam, sondern langsam während der Fahrt an die hohen Temperaturen gewöhnt wurde.

Als ich in der Nähe des Sphinx ausstieg, meldete mir mein Minisuprasensor einen kleinen Zwischenfall, dem man hier aber keine größere Bedeutung beigemessen hatte. Eine Frau hatte die Absperrungen durchbrochen und hatte die größte Pyramide bestiegen. Selbstverständlich war ihr bei dieser Hitze niemand gefolgt, denn man wurde ja sicher ihrer habhaft, wenn sie wieder herunterkam.

Mit gemischten Gefühlen blieb ich vor diesem imposanten Bauwerk stehen, dem letzten Überbleibsel der Sieben Weltwunder der Antike, vor diesem Gebäude, von dem man erst seit einigen Jahrzehnten wusste, dass es tatsächlich etwa zwölftausend Jahre alt war.

Ich hatte in einem internen Papier der GSO gelesen, Ren Dhark schließe einen Mysteriousursprung nicht aus. Zumindest nahm er an, die Geheimnisvollen hätten die Erde kennen müssen, wie sie einen Großteil der bekannten Sauerstoffwelten vor den Terranern betreten hatten. Ren Dhark nahm an, es habe möglicherweise auch auf der Erde einmal Artefakte der Mysterious gegeben und es wäre wahrscheinlich, diese Artefakte früher oder später zu finden.

Warum aber saß nun Helena Fuji oben auf dieser Pyramide und machte nichts?

Mittels des Teleobjektivs eines Touristen hatte ich nach ihr gesehen. Sie saß auf der Spitze und machte nichts.

Da ich nicht das geringste Interesse verspürte, diese Steinquader zu erklimmen wartete ich, wie auch die örtlichen Sicherheitsbehörden, doch sie rührte sich nicht.

Zur Mittagszeit, dem denkbar schlechtesten Moment für ein solches Unterfangen, traf ich den Entschluss, zu handeln.

Im Nachhinein fällt es schwer, gerade diesen Zeitpunkt zu begründen, doch hatte ich das Gefühl, nun handeln zu müssen und wenn ich eines in meinem Agentenleben gelernt hatte, war es, auf Gefühle zu achten. Es ist unbeschreiblich, wegen der hochstehenden Sonne verfügte die Pyramide über keine Schattenseite, in gleißender Sonne an einem solchen Bauwerk immer höher zu klettern, wohlwissend, dass das schon vor zwölftausend Jahren Menschen getan haben. Ich hatte das Gefühl, mich unaufhaltsam immer mehr der Sonne zu nähern. Während des Aufstiegs kreisten meine Gedanken wieder um Ren Dharks Theorie bezüglich der Mysterious. Wenn er Recht hatte und alles sprach dafür, hatte auch Mysterious im Laufe der Jahrtausende dieses Bauwerk bestiegen, wenn sie es auch möglicherweise nicht selbst errichtet hatten.

Als ich noch etwa fünf Meter von Helena Fuji entfernt war und zum wiederholten Male eine Verschnaufpause einlegte, rief ich ihren Namen, obwohl mir klar war, dass sie mich mit ihren Cyborgsinnen schon längst bemerkt haben musste.

Ich kletterte weiter, als sie sich nicht rührte.

Sie saß mit geöffneten Augen auf der Spitze und hatte sich seit Stunden nicht gerührt.

„Ist das nicht einer der grandiosesten Orte des ganzen Planeten? Jos Aachten van Haag?"

„Sehr richtig Helena, woher kennst du mich?"

Sie lachte mich an, während sie nach meiner Wasserflasche griff und sie öffnete.

Als sie trank setzte ich mich zu ihr.

„Selbstverständlich wurden die Daten der wichtigsten GSO-Agenten in mein Gedächtnis programmiert!"

Nach einigen Minuten, wir saßen schweigend da und betrachtete die anderen beiden Pyramiden, die nach Pharaonen benannt worden waren, für die diese Pyramiden auch schon jahrtausendealte Artefakte waren, stellte ich ihr die entscheidende Frage.

„Was willst du, Helena Fuji?"

Sie lachte ein zweites Mal.

„Leben!"

Ende

Mail: U.C. Karas

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