Der große Raum war nur mäßig beleuchtet. Licht
kam nur durch die bullaugenartigen Kunstglasscheiben herein, die,
auch wenn sie nur hauchdünn waren, dem gewaltigen Wasserdruck in
zweitausend Metern Tiefe standhielten. An einem schwebenden Tisch saß
ein alter grauhaariger Mann, dessen grauweißer Bart eigenartig
mit den jungen wachen Augen kontrastierte - auch wenn diese Augen nun
etwas glasig wirkten, glasig wie die hauchdünnen Scheiben der
bullaugenartigen Fenster, durch die das einzige Licht in den großen
Raum fiel.
Cliff Alister Maclane hielt ein Glas in der Hand und versuchte
durch die goldgelbe Flüssigkeit hindurchzusehen und dadurch den
Fisch hinter der vermeintlich dicken Scheibe zu betrachten.
Ein Lächeln schlich sich um seinen Mund. Immerhin hatte nun
der Alkohol schon langsam seine Wirkung getan und begann seinen Geist
zu umnebeln.
Ein Summer ließ ihn zögerlich aufsehen.
„Wer stört?!“
Im Ring des Sichtschirms der mitten im Raum schwebte, baute sich
flimmerfrei ein Bild auf.
„Ich bin's nur, Mario! Cliff, wenn du mich hineinlässt,
könnten wir vielleicht einen Schluck trinken und vielleicht
könnte ich noch einige Puppen...“
„Schon gut, Mario!“
Cliff hatte abgewinkt und der Computer interpretierte seine Geste
als Zustimmung, Mario hineinzulassen.
Sekunden später spazierte Mario in den großen Raum und
blieb vor Cliff stehen.
Auch Mario Dimonti war zusehends älter
geworden, aber immer noch war es der alte Schalk, der aus seinen
Augen sprach, den Augen, die nicht aufgehört hatten, schönen
Frauen hinterherzusehen und die damit wohl erst aufhören würden,
wenn sie sich für immer geschlossen hatten.
„Commander Cliff Alister Maclane! Armierungsoffizier Mario
Dimonti meldet sich zur Stelle!“
Cliff lachte, stellte das Glas ab und deutete auf die altmodische
Flasche.
„Gut dass du kommst, du kannst dir ein Glas nehmen und mir
nachschenken!“
„Cliff, genau das werde ich nicht tun, wir werden nämlich
gebraucht, jetzt sofort!“
Cliff Alister Maclane lachte und kippte den Rest seines Glases
hinunter.
„Gebraucht Mario,“ sein Lachen klang bitter,
„gebraucht werden wir schon lange nicht mehr. Spätestens
seit der revolutionären Entwicklung in Sachen Automation, die
wir letztendlich den Frogs zu verdanken haben, werden Leute wie du
und ich nicht mehr gebraucht! Wir zählen zum Alten Eisen, sind
menschliche Altlasten...“
„Komm auf den Teppich, Cliff!“
Mario hatte seine Stimme ziemlich laut werden lassen.
„Cliff, die oberste Raumbehörde hat ein Problem!“
„Ach, Mario! Die oberste Raumbehörde hat immer nur
Probleme, aber spätestens seit dem die letzte ORION im Museum
steht, gehen mich diese Probleme nichts mehr an - und das gleiche
sollte auch für dich gelten!“
„Cliff!“ Mario hatte seinen ehemaligen Kommandanten an
den Schultern ergriffen, „wir werden gebraucht!“
*
Ein noch größerer Raum, deutlich heller ausgeleuchtet,
mit einem großen schwebenden Tisch in der Mitte.
Auf der einen Seite des Tisches saßen Commander Cliff
Alister Maclane, Armierungsoffizier Mario Dimonti, Astrogator Atan
Schubaschi, Ingenieur Hasso Sigbjörnsen und Helga Legrelle,
denen man aufgrund ihrer deutlich reservierten Haltung ansah, dass
sie sicher nicht so kooperativ sein würden, wie das von ihnen
erwartet werden würde.
Auf der anderen Seite des Tisches saßen General Lydia van
Dijk und Tamara Jagelovsk, die langjährige Leiterin des SD, sie
hatte Oberst Villar direkt abgelöst.
„Cliff!“ Tamara machte einen ungeduldigen Eindruck,
„jetzt glaub uns doch endlich, dass wir keinen Scherz mit euch
treiben wollen, wir brauchen eine Reaktivierung der ORION! Und die
einzigen Leute, die dieses Museumsschiff noch navigieren können,
seid ihr!“
Anstelle Cliffs antwortete Ingenieur Hasso Sigbjörnsen, der
genau wie Mario dem Lachen näher war, als dem Zustand, die
Ansprache Tamaras Ernst zu nehmen.
„Vielleicht können wir auch 'mal erfahren, worin dieser
plötzliche Sinneswandel begründet liegt, braucht die
oberste Raumbehörde Mario an den Werfern?“
Jetzt beugte sich Cliff vor.
„Ja Hasso, das wird es sein, die brauchen Mario an den
Werfern! Mit was hast du eigentlich immer geworfen Mario, mit
Batterien?“
Die alte Besatzung der ORION brach in schallendes Gelächter
aus, in das nach wenigen Sekunden auch Tamara Jagelovsk einfiel, nur
General Lydia van Dijk blieb ernst.
„Wir können den Ernst der Lage zur Zeit noch nicht
genau überblicken, aber eines ist sicher, die Raumschiffe der
neuen Generationen, die nach der ORION in Dienst gestellt wurden,
haben alle ausnahmslos Navigations- und Ortungsprobleme. Einige
unserer Kolonien melden sich nicht mehr...“
Cliff war aufgestanden.
„Also nichts anderes als das alte Spiel! Irgendwer meldet
sich nicht mehr und die neuen, ach so tollen, Raumschiffe haben
Probleme mit der Navigation..."“
„Cliff!“
Tamara hatte ihn unterbrochen.
„Cliff, die Lage scheint wirklich ernst zu sein!“
„Und nun wollt ihr die ORION reaktivieren, die alte ORION,
die ihr ins Museum gesteckt habt, weil die neuen Schiffe ja so viel
besser waren...“
Mario mischte sich nun ein.
Cliff setzte sich wieder hin.
„Ja, Cliff hat recht! Was ist mit der alten HYDRA, General?
Gibt es die nicht auch noch?“
„Ja, Dimonti, die gibt es auch noch!“
Lydia van Dijke stand auf und blickte scheinbar teilnahmslos den
Fischen zu, die draußen vorbeischwammen.
Irgendwie merkten alle Beteiligten, dass sie nur noch Sekunden von
der Eröffnung der wahren Beweggründe entfernt waren.
General Lydia van Dijke drehte sich um und blickte zuerst Cliff
und dann Mario tief in die Augen.
„Die ORION ist unser einziges Schiff, das noch mit der
Overkill-Einrichtung ausgestattet ist!“
Cliff sprang auf, wie vor vielen Jahren.
„Soll das heißen, ihr habt keine dieser tollen neuen
Schiffe mit Overkill ausgestattet?“
Lydia van Dijke trat ganz nah an ihn heran.
„Nein Cliff, das soll sogar heißen, dass wir nie ein
anderes Schiff, als die ORION mit dieser Bewaffnung ausgestattet
haben!“
Cliff drehte sich um und sah seine alte Crew hilflos an.
„Aber warum? Warum hat man keine anderen Schiffe damit
ausgestattet? Weder damals noch heute?“
Nun stand Tamara auf.
„Die Overkilleinrichtung war damals speziell für die
ORION konstituiert worden. Man könnte sie auch nicht ausbauen
und in ein moderneres Schiff integrieren! Man hatte sie damals auch
nur in die ORION eingebaut, weil es weder bei den schnellen
Raumverbänden, noch bei der Raumpatrouille eine Besatzung gab,
die ein mit euch vergleichbares Gruppenpsychogramm abgab.“
Sie blickte zur Seite und sah direkt Lydia van Dijke an.
„Das gilt auch für die Besatzung der HYDRA!“
Lydia van Dijke nickte zustimmend.
„Der Overkill war zu gefährlich und es reichte damals
eines unserer Schiffe mit dieser Waffe zu bestücken. Die neuen
Schiffe waren dank der Automatisierung nicht mehr so
Personalintensiv, dadurch waren Kosten zu sparen. Heute gibt es aber
keine Raumfahrer mehr im aktiven Dienst, die ein Raumschiff wie die
ORION navigieren können!“
Hasso lachte verächtlich.
„Was lernen die denn heute auf der Raumakademie?“
„Nichts Hasso, gar nichts!“
Cliff hatte sich bei diesen Worten wieder hingesetzt.
„Worum geht es also genau?“
Zum ersten Mal erhob Atan sein Wort.
„Und werden wir wieder einen Sicherheitsoffizier an Bord
haben?“
Aller Augen blickten auf Tamara, deren Blick undurchsichtig blieb.
Lydia van Dijke nahm nun auch wieder Platz.
„Können wir denn davon ausgehen, dass die alte
Besatzung der ORION bereit ist, mit diesem alten Museumsstück...“
Helga Legrelle lachte auf.
„Womit denn sonst, wenn nicht mit der ORION? Die ORION ist
mit uns in Rente gegangen, also müssen wir, wie auch sie
reaktiviert werden!“
Die alte Besatzung der ORION stimmte dem uneingeschränkt zu,
das heißt - Cliff...
„Wann erfahren wir endlich, um was es genau geht? Oder
erfahren wir Näheres wie gehabt von Ordonanzleutnant
Spring-Brauner?“
„Nein!“ General Lydia van Dijk hatte die Stimme
erhoben, „sie erfahren alles erforderliche jetzt und hier! Die
äußeren Kolonien scheinen von der Erde abgeschnitten zu
sein, wir wissen nicht warum. Unsere Raumschiffe von den schnellen
Raumverbänden kommen wegen Problemen mit der Ortung nicht an
Beteigeuze vorbei, sonst finden sie nicht wieder zurück...“
Sie wurde bei ihren Ausführungen durch Tamara Jagelovsk
unterbrochen.
„Wir vermuten, dass es sich um eine uralte Sache handelt. Im
ausgehenden zwanzigsten und beginnenden einundzwanzigsten Jahrhundert
gab es in der Datenverarbeitung sogenannte Viren, die Computer mehr
oder weniger nachhaltig stören konnten, das konnte bis zum
Totalausfall führen. Es gab auch Viren, die erst dann tätig
wurden, wenn bestimmte Bedingungen eintraten, das konnte
beispielsweise ein bestimmtes Datum sein...“
Nun wurde sie ihrerseits von Lydia van Dijk unterbrochen.
„Wir haben festgestellt, dass die Störungen beginnen
aufzutreten, wenn ein Raumschiff sich weiter als fünfzehn
Lichtjahre von der Erde entfernt. Die Ortungen beginnen zu streiken
und alle erdenklichen Systempannen können auftreten. - Es ist
fast so, als wolle jemand verhindern, dass wir in Raumtiefen
vorstoßen, in denen wir noch vor Jahren zuhause waren. Wir
können tatsächlich seit einigen Tagen mit keinem unserer
Schiffe mehr unsere äußeren Kolonien erreichen. Die
Kolonien sind von uns abgeschnitten oder wir von ihnen.“
Hassos Ingenieurkenntnisse meldeten sich.
„Soll das heißen, die Computerprobleme sind in dem
Moment reversibel, wenn man sich wieder der alten Erde zuwendet?
Rücksturz zur Erde kein Problem?“
„Nicht ganz!“ Lydia van Dijk wirkte leicht
verunsichert, „je weiter ein Schiff sich von der Erde entfernt
hat, desto irreversibler werden die Probleme! Wir haben schon einige
Totalverluste zu verzeichnen!“
Nun mischte sich wieder Tamara ein.
„Ihr seht, dass wir mit unseren Mitteln so nicht
weiterkommen. Nur die ORION ist im Stande die Kolonien anzusteuern
und nachzusehen, ob alles in Ordnung ist, oder was da faul ist. Und
wenn da was faul ist, könnte immer noch der Overkill die letzte
Rettung für die Menschheit sein.“
Cliff nickte langsam.
„Und jedermann weiß, dass wir die ORION niemals
irgendwelchen Debütanten anvertrauen würden...“
„Sofern überhaupt noch eine Ausbildung stattfindet!“
Ergänzte Hasso.
*
Die Tür des Lifts in der Orion-Zentrale drehte sich zur
Seite.
Nur zögernd trat Cliff in diesen Raum der Geschichte.
Wie viele Jahre war er schon nicht mehr hier gewesen?
Jahre, in denen er nicht nur sich selbst in Frage gestellt hatte,
sondern ebenso die oberste Raumbehörde, den Sicherheitsdienst,
die Frogs und Marios Damen- und Bourbonkonsum.
Langsam nur näherte er sich fast ehrfurchtsvoll dem Sessel
des Kommandanten, von dem aus er einige Entscheidungen getroffen
hatte, die einerseits bestehende Befehle in Frage stellten,
andererseits aber die Menschheit gerettet hatten.
Befehlsverweigerungen, die einerseits geahndet werden mussten,
andererseits aber nur geahndet werden konnten, weil sie stattgefunden
hatten...
Letztendlich war niemand anderes als er für den Fortbestand
der Menschheit verantwortlich und was war der Dank?
Man hatte die ORION in ein Museum gestellt, ja ihre ganze alte
Raumbasis zum Museum gemacht und ihre Besatzung durch Pensionierung
aus dem Verkehr gezogen, weil raumfahrerische Dinosaurier nicht mehr
in die neue Welt passten.
Mit einer ebensolchen Borniertheit hatte man sie nun wieder
gerufen, gerufen in einer Situation, die niemand vorausahnen konnte,
die die Verantwortlichen, die sich in ihren Sachzwängen nicht
von den Verantwortlichen von damals unterschieden, vor unlösbare
Rätsel stellten.
Nur dass die Verantwortlichen von heute Menschen waren, die damals
zu den Wenigen gehörten, die wussten, wem sie die Rettung der
Menschheit zu verdanken hatten.
Seine Hand berührte die Lehne des Sessels als ersten
Gegenstand der Zentrale der ORION, dieser ORION, die wohl niemand von
der Mannschaft jemals nur als Gegenstand gesehen hatte, auch wenn sie
öfter als einmal ohne ORION zurückgekommen waren.
Er hatte die ORION öfter als einmal geopfert, um die Erde und
damit den Fortbestand der Menschheit zu sichern.
Nun stand er in der Zentrale der ORION XII und machte sehr bewusst
die wenigen Schritte um den Sessel herum.
Die Lifttür öffnete sich und Helga Legrelle trat im
selben Moment ein, in dem er sich in seinen alten Sessel setzte.
„Hast du dich schon häuslich niedergelassen, Cliff?“
Er war froh, dass sie erst jetzt gekommen war, dass sie sein
zögerliches Eintreten nicht beobachtet hatte.
„Helga, soweit ich die Zentrale hier sehe, ist alles beim
Alten.“
„Ich habe mir die Daten aus dem Computer geholt, Cliff! Die
Orion ist eigentlich kein Museum gewesen, man hat maximal Führungen
für hohe Offiziere der Flotte hierher gemacht!“
Hasso hatte sich aus dem Maschinenraum gemeldet, er schien shon
länger an Bord zu sein.
„Und an den anderen Kontrollen hat auch nieman
rumgefummelt!“
Auch Mario war bereits an seinem Platz.
Helga Legrelle
Ingenieur Hasso Sigbjörnsen
Astrogator Atan Schubaschi
Tamara Jagelovsk
Lydia van Dijk
Ordonanzleutnant Spring-Brauner
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