VORWORT

Die Handlung dieses Romanes war als Perry Rhodan Taschenbuch konzipiert worden. Der Protagonist der Handlung ist John Marshall der Telepath und Leiter des terranischen Mutantenkorbs. Was nun folgt, ist der Anfang des Romans.

Die Gedanken der FRAU

Die Lichter der Stadt flimmerten über den See hinweg dessen Oberfläche relativ geglättet erschien. Nur hin und wieder verursachte ein Fisch zentrische Kreise, wenn er versuchte ein Insekt zu verspeisen, welches auf die Wasseroberfläche gefallen war und durch die typisch insektoiden Schwimmbewegungen versuchte, sich aus der misslichen Lage zu befreien. Enten schwammen vorbei, deren dunkle Silhouetten sich gegen den Lichterschein der Stadt abhoben.

Geräusche drangen in meine Ohren, die ich aber erst gar nicht in mein Bewusstsein vordringen ließ. Die Stadt schien sich zur Ruhe begeben zu haben und ich ließ meinen Gedanken so lange freien Lauf, bis ich bemerkte, dass ich mich, ohne es gewollt zu haben, in den Gedanken eines Menschen wiederfand. Durch fremde Augen erblickte ich die Auslagen eines Geschäftes, dessen holographische Präsentation garantiert über Jahre hinweg keine Wiederholungen zuliess.

Aus Diskretionsgründen schaltete ich mich sofort wieder aus den Gedanken aus. Ich erinnerte mich an einige Ereignisse in den letzten Jahrhunderten, in denen es gerade dieses telepathische Herumschweifen geschafft hatte, Attentate auf Atlan zu verhindern, zu einer Zeit als der Arkonide für neunundsechzig Jahre Imperator des arkonidischen Imperiums war. In einer solchen Situation hatte Wuriu Sengu zufällig durch den Stoff eines arkonidischen Gewandes einen Energiestrahler gesehen, der zu einer Bombe umgebaut worden war und der nur die Aufgabe gehabt hatte, Atlan zu töten.

Ich schob diese Gedanken beiseite. Es hatte schon seit einigen Jahren keine gravierenden Störungen des relativ friedlichen Beisammenseins der galaktischen Völkergemeinschaft gegeben. Man lebte, zumindest offiziell, bewusst aneinander vorbei und setzte lediglich die Geheimdienste darauf an, sich gegenüber dem Nachbarn einige Vorteile zu verschaffen, die man später vielleicht einmal brauchten konnte.

Wieder geschah es, dass ich durch die Augen eines Menschen in die holographischen Auslagen einer Handelskette blickte. Es musste sich um eine Frau handeln, denn sie nahm ganz andere Einzelheiten der Holographien wahr, als es ein Mann gemacht hätte. Wieder bemühte ich mich, so schnell wie möglich aus den Gedanken dieser Frau zu verschwinden. Obwohl es fast niemanden gab, der es bemerken konnte, wenn ein Telepath seine Gedanken erfasste, gebot mir doch der Anstand, so diskret wie möglich damit umzugehen. Die Telepathie konnte viel häufiger ein Fluch, als ein Segen sein.

Ein leises Plätschern drang in meine Ohren. Eine der Enten, die vorbeigeschwommen waren watschelte an Land um nach Nahrungsmitteln zu suchen.

Meine Gedanken irrten weiter durch die Nacht, erfassten einmal den Wahrnehmungshorizont eines Tieres im Zoo von Terrania-City, die Gedanken eines Paares in sexueller Umarmung und die Gedanken eines Wachmannes, der sich fragte, welchen Sinn seine Tätigkeit hatte, wenn man bedachte, dass die Positroniken das Gebäude viel gründlicher überwachen konnten, als er.

Mein Visiphon schrillte - ich hatte den Ton so eingestellt, dass das Geräusch mich auf jeden Fall wecken würde, wenn ich schlief, mich aber auch aus jeder telepathischen Versenkung holen konnte, wenn ich gerade einmal konzentriert in der Gedankenwelt einer Person versunken sein sollte.

„Verbindung herstellen!"

Die Positronik reagierte sofort auf meine Stimme; keine zwei Meter vom Ufer des Sees entfernt flammte der Sichtschirm des Visiphons auf und stellte eine junge Dame dar, die ich flüchtig aus der Zentrale der Solaren Abwehr kannte, es musste sich um eine enge Mitarbeiterin Alan D. Mercants handeln.

„Es tut mir leid sie zu stören, Sir! Der Solarmarshall wünscht sie jedoch zu sprechen!"

„Kein Problem, meine Liebe! Stellen sie die Verbindung her!"

Ohne einen flackernden Übergang wurde der Sichtschirm plötzlich durch das markante Gesicht des kleinen Mannes ausgefüllt, der seit Jahrhunderten die Solare Abwehr befehligte.

„John, falls du schon geschlafen haben solltest..."

Ich hatte abgewunken.

„Gut, dann kann ich ja gleich mit der Tür ins Haus fallen!"

Während ich ihm zuhörte erfasste ich mehr beiläufig die Gedanken Nora Drenalins, einer Frau, die mich mehr interessierte, als alle anderen Frauen des Planeten zusammen.

„Wir haben da eine Frau in der Stadt, die wir seit ihrer Ankunft in Terrania beschattet haben. Einerseits gibt es nichts, was wir ihr vorwerfen können, andererseits erweckte sie das Misstrauen einiger meiner Leute. Ich hatte mir eigentlich gedacht, du könntest einmal kurz ihren Gedankeninhalt sondieren und uns mitteilen, ob es überhaupt irgendwelche Gründe gibt, diese Frau zu überwachen!"

„Das ist aber ungewöhnlich, Alan! Ich kann mich nicht erinnern, jemals von deiner Behörde in einer solchen Angelegenheit angesprochen worden zu sein. Was noch ungewöhnlicher ist, du selbst setzt dich mit mir in Verbindung..."

Er schmunzelte.

„Vielleicht wirst du die Angelegenheit ja innerhalb weniger Minuten klären können, dann sind alle weiteren Worte überflüssig!"

Er gab mir noch an, in welchem Hotel die Dame abgestiegen war und unterbrach dann die Verbindung, nachdem ich ihm versprochen hatte, ihn innerhalb der nächsten Stunde über die Harmlosigkeit der Dame oder die Begründung des Verdachtes zu informieren.

Was mochte den großen Chef der Solaren Abwehr bewogen haben, sich nicht nur selbst in so banale Ermittlungen einzuschalten, wie den Verdacht, mit einer eingereisten Person sei etwas nicht in Ordnung, sondern dazu noch den Leiter des solaren Mutantenkorbs zu bitten, Informationen zu beschaffen?

Was konnte hinter einem solchen Ansinnen stecken?

Ich fragte mich, was den Verdacht einiger Agenten der Solaren Abwehr hervorgerufen haben mochte.

Ich kleidete mich um, das Hotel, das ich aufsuchen würde, gehörte zu den teuersten Absteigen, die man auf diesem Planeten aufsuchen konnte und ich wählte Kleidung aus, die mich auf keinen Fall auffallen lassen würde.

Ein Robottaxi brachte mich von meinem Wohnsitz am Goshunsee zum Hotel Interstellar, in dem die Frau abgestiegen sein sollte. Auf dem Weg zum Hotel setzte sich die Zentrale der Solaren Abwehr mit mir in Verbindung. Ich sollte Kontakt zu der Agentin Daria Nobel aufnehmen, die mir alle erforderlichen Informationen auf dem üblichen Wege mitteilen werde.

Ich wunderte mich wieder, denn Daria Nobel gehörte zu den absoluten Topagentinnen der Abwehr und wenn sie auf einen Fall angesetzt wurde, handelte es sich in der Regel um die Sicherheit des Solaren Imperiums oder eines seiner Repräsentanten.

Trotz dieser seltsamen Umstände hielt ich es nicht für nötig einen der Beteiligten nach den Gründen für die Brisanz der Ereignisse zu befragen. Solche Einzelheiten erfuhr ich naturgemäß im Vorbeigehen, indem ich einen flüchtigen Gedanken eines der Mitarbeiter der Abwehr auffing.

Daria Nobel kam mir wieder in den Sinn.

Sie gehörte zu einer relativ kleinen Gruppe von terranischen Topagenten, die mittels eines langwierigen Trainings in der Zusammenarbeit mit Mutanten ausgebildet worden waren. Sie war dazu in der Lage, mir innerhalb von wenigen Sekunden alle erforderlichen Informationen zu vermitteln. Es bedurfte einer besonders strukturierten Konzentration, alles Beiwerk wegzulassen und sich auf das zu konzentrieren, was an Daten zu übermitteln war.

Das Robottaxi ließ mich vor einer der Eingangshallen des Hotels im dreiundzwanzigsten Stockwerk, aussteigen. Ich stand auf einem balkonmäßig angeflanschten Parkdeck des pyramidenartig erstellten Hotels. Ein Blick nach oben zeigte mir, dass ich mich ungefähr in der Mitte einer der vier Seiten befand. Man hatte das Interstellar vor gut zweihundert Jahren in Betrieb genommen und immer weiter modernisiert. Was die Größenverhältnisse anging hatte man sich ziemlich genau nach der Cheopspyramide im ehemaligen Landesteil Ägypten des Kontinents Afrika gerichtet. Die Farben der Inneneinrichtung begonnen bei den teuren Suiten zu den Fluren hatte man ebenfalls der der Steine im alten Ägypten angelehnt, wobei man, so weit ich wusste auch auf das Wissen des alten Arkoniden Atlan zurückgegriffen hatte, der nicht nur diesen Kulturkreis aus eigenem Erleben kannte.

Ich wusste, dass ein Teil dessen, was jeden Besucher in seinen Bann zog, auf holographischen Projektionen basierte, die man geschickt in die vorhandene Architektur integriert hatte. Die Roboter deren Aufgabenbereich im Kellnern und Hostessendiensten bestanden, waren im Aussehen so gestaltet, dass man sie mit normalen Terranern verwechseln konnte.

Außerdem gab es Roboter, deren Aussehen sich an so ziemlich allen Wesen orientierte, mit denen Terraner Kontakt gehabt hatten.

Außer den humanoiden Rassen, die alle auf die alten Lemurer zurückzuführen waren, hatte ich nach einem Rundumblick neben einem Haluter, Blues, Swoon, Unither und Tosider gesehen.

'John!'

Ich empfing einen intensiven Gedankenimpuls aus unmittelbarer Nähe, der direkt an mich gerichtet war.

Das war unverkennbar Daria Nobels Gedankenmuster.

Ohne das ich sie in der geräumigen Halle gesehen hatte, nahm ich an einem der Tische Platz und griff nach einem Informationsterminal, um es zu aktivieren. Jeder Beobachter würde nun annehmen, ich sei auf die Informationen konzentriert, die sich im altägyptisch marmorgestylten Holokubus vor mir abzeichneten.

Ohne Schwierigkeiten konnte ich Darias Gedankenimpulse aus diesem Konglomerat von Gedanken und Empfindungen um mich herum selektieren.

'Es handelt sich um eine Frau, die von Akon aus eingereist ist. Sie gab bei ihrer Einreise an, Expertin für Transmittertechnologie zu sein und zu beabsichtigen, einige neue Kontakte auf Terra herzustellen. Sie behauptete, einige Transmitterfirmen auf Akon zu repräsentieren. Wir wurden erst auf sie aufmerksam, als sie eine Vorlesung der Universität von Terrania besuchte, in der es um die Theorie fünfdimensionaler Transporte ging. Der Professor, es handelte sich übrigens um Geoffry Abel Waringer, Rhodans Schwiegersohn, stellte eine Frage, von der er mit Sicherheit annehmen musste, niemand der Anwesenden könne sie beantworten. Diese Frau stand auf und erwies sich als wesentlich kompetenter als jeder der Anwesenden einschließlich des Professors.'

In diesem Moment trat Daria in mein Gesichtsfeld und setzte sich unaufgefordert zu mir an den Tisch. Sie setzte sich in einer unnachahmlichen Weise, die zweifellos alle humanoiden Männer in der näheren Umgebung den Atem anhalten ließ. Daria Nobel war eine so atemberaubende Schönheit, dass sie entweder von Aramedizinern gestaltet worden war, oder gar keine wirkliche Frau sein konnte, sondern zu dem zahllreichen Heer der Begleitroboter zählen musste; so zumindest mochten nun die Männer in der näheren Umgebung denken - ich nahm mir allerdings nicht die Zeit, mich auf die Gedanken meiner Umgebung zu konzentrieren. Zu mir an den Tisch setzte sich allerdings eine leibhaftige Frau, die noch nicht in die Finger eines Chirurgen gefallen war und stellte zwei Gläser mit indischem Tee zwischen uns, wie ich aus ihren Gedanken entnehmen konnte.

„Was sollte daran so besonders sein?"

'Waringer ist älter, als jeder akonische Transmitterexperte und hat eindeutig mehr Erfahrung auf diesem Gebiet, als jeder lebende Mensch, wenn man einmal von den älteren Unsterblichen insbesondere Atlan absieht. Tatsächlich hat die Information dieser Frau unserem Professor die Augen geöffnet und ihm zu neuen Erkenntnissen verholfen, wie sie bisher weder die Akonen, noch die Arkoniden oder Terraner hatten.

Ich trank einen Schluck des Tees und nahm dabei einen ID-Key an mich, den Daria wohl an der Tasse befestigt hatte.

„Du hast mich überzeugt, meine Teure! Fragt sich nur, woher es stammt!"

Sie lächelte.

„Aus Indien!"

Die Antwort bezog sich auf eventuelle Zuhörer, aber da sich meine Frage nicht auf den Tee, sondern die Informationen der Frau bezogen hatte, konzentrierte ich mich umgehend wieder auf Darias Gedanken.

'Nach allem, was wir an Erkenntnissen auch von der USO haben, gibt es dieses Wissen nicht mehr in dieser Galaxis.'

Also musste es dieses Wissen gegeben haben. Ich war viel zu wenig in der Materie, um mir auf diese Informationen einen Reim machen zu können.

„Und woher genau?'"

'Wir wissen nur mit Sicherheit, dass dieses Wissen vor zweihundertfünfzig Jahren mit dem Reich der Meister der Insel unterging!'

Warum ging es mir immer noch kalt den Rücken hinunter, wenn nur jemand in meiner Nähe an diese Zeit dachte, die ich selber mitgemacht hatte?

Die Meister der Insel hatten wirklich eine so überragende Transmittertechnologie entwickelt gehabt, wie kein Volk nach ihnen.

„Kann dieser Tee noch aus der Zeit der alten Lemurer stammen?"

Wobei ich diesmal die Frau meinte. Es war ein offenes Geheimnis, dass Atlan, der alte Arkonide immer noch darauf wartete, dass man eine Duploschablone von Mirona Thetin fand, der Frau, die er geliebt hatte und die sich später als Faktor eins der Meister der Insel enttarnt hatte. Atlan hatte seit gut zweihundertfünfzig Jahren darunter zu leiden gehabt, diese Frau getötet zu haben, oder nicht? Wir alle wussten, dass Perry Rhodan persönlich ihren toten Körper in Atlans Anwesenheit in den Weltraum gestoßen hatte.

'Wenn du jetzt an Mirona Thetin gedacht haben solltest, muss ich dich enttäuschen. Die Frau hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit Faktor eins. Auch wenn man alle Möglichkeiten plastischer Chirurgie ausnutzen würde, oder die beste Biomolplastmechanikerin zur Verfügung hätte, würde man nicht aus Mirona Thetin diese Frau konstruieren, die sich Thein Gooph nennt. Wir haben sie so unauffällig wie möglich überwacht, ohne jedoch zu einem Ergebnis gekommen zu sein.'

Was nun unausgesprochen, oder besser unausgedacht zwischen uns stand, war die Erwartung an mich, mich in die Gedankenwelt dieser Frau einzuklinken, um festzustellen, wer sie war, woher sie kam, woher sie ihr Wissen bezogen hatte und was für Ziele sie insbesondere hier auf Terra verfolgte.

Daria sah mich an.

Ich hob die linke Augenbraue, um ihr zu signalisieren, dass ich verstanden hatte und ihren Wünschen entsprechen werde.

'Sie wohnt in Zimmer 451 in der 28 Etage. Wir haben für dich Zimmer 451 in der 23 Etage reserviert, du brauchst sicher die Möglichkeit der ungestörten Konzentration.'

Ich trank den Tee aus und erhob mich.

Daria lehnte sich demonstrativ zurück und schlug die Beine grazil übereinander.

Als ich mich von dem Tisch entfernte, nahm ich aus den Gedanken einiger Leute in der Umgebung wahr, dass man allgemein der Meinung war, ich hätte mit dieser Dame, oder diesem Roboter einen Preis ausgehandelt und wäre schon einmal vorgegangen.

Ich hatte Jahre gebraucht, bis ich mir in solchen Situationen das Grinsen abgewöhnt hatte.

Immer wieder kam es im menschlichen Denken zu eklatanten Fehleinschätzungen, dessen, was man meinte wahrzunehmen. Ja schon die Wahrnehmung der Umgebung war derart unterschiedlich bei den Menschen, denen ich im Laufe meines langen Lebens begegnet war, differierte in einer Weise, von der ich ganz genau wusste, dass es kaum einen Menschen gab, der sich dessen bewusst war. Als ich jung war, hatten Psychologen von selektiver Wahrnehmung geredet und diese empirisch erforscht. Ich hatte mich damals nicht als Telepath zu erkennen gegeben, denn was hätte man mit jemandem gemacht, der in den Gedanken eines jeden Menschen herumstöbern konnte, ohne dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, ihn daran zu hindern...

In dieser Zeit hinderte man Leute wie mich noch mit sehr drastischen Mitteln daran, das zu tun, wozu sie im Stande waren. Wenn man sie nicht tötete, nahm man doch zumindest eine Lobotomie vor, eine Gehirnoperation, die die auffällig arbeitenden Sektoren des Gehirns unrettbar zerstörte, wodurch man keine Telepathen mehr vor sich hatte, sondern einen Menschen mit einer sogenannten artifiziellen geistigen Behinderung.

Einigen Wegweisern folgend fand ich schnell das Zimmer mit der Nummer 451, in der dreiundzwanzigste Etage des Hotels befand ich mich ja bereits.

Mein Indentifikationscode, den mein Kombigerät am Handgelenk aussandte öffnete mir die automatischen Türen zu den Räumen, die man mir hier reserviert hatte.

Dieses Zimmer war äußerst luxuriös ausgestattet, wie alle Zimmer dieser Hotelanlage; ich hatte auch nichts anderes, als den puren Luxus erwartet.

Ohne die speziellen Einrichtungen des Raumes zu beachten, legte ich mich auf das Bett, in dessen Unterbau ein Antigravaggregat integriert war, so dass man jede erforderliche Schwerkraft einstellen konnte, um den verdienten Schlaf in gewohnter Gravitation zu finden. Aufgrund der Größe des Bettes wusste ich, dass es für Ertruser nicht geeignet war, daher konnte man auch davon ausgehen, dass das Antigravaggregat auch nicht mehr als zwei g zu erzeugen vermochte, was auch so selten vorkam, dass Hotels nicht mehr als ein Prozent der Zimmer mit dementsprechenden Möglichkeiten ausstatteten.

Bei geschlossenen Augen ging mein Bewusstsein nun auf diese Wanderschaft, die sich in den Bewusstseinen anderer Entitäten orientierte. Die Dame, die man mir als Zielabjekt genannt hatte, musste sich in ihrem Zimmer über mir aufhalten, sonst hätte ich bereits anderslautende Informationen erhalten. Ich konnte fast übergangslos mit den Augen einer Frau sehen, die sich gerade in einem altmodischen terranischen Spiegel betrachtete und versuchte, die Koordination ihrer Bewegungen, die sie mit einer Bürste in ihren Haaren durchführte, bewusst zu steuern. Unwillkürlich musste ich lachen, hatte es doch diese Koordinationsprobleme damals gegeben, als sich die terranische Zivilisation auf die arkonidische Technik einstellte, in der man keine Spiegel mehr benutzte, sondern ungespiegelte Projektionen. Zwar hatte man noch einige Zeit Projektoren angeboten, die es den Terranern gestatteten, die Projektionen derart umzupolen, dass sie sich genau so seitenverkehrt wie im Spiegel sehen konnten, jedoch waren seitdem gut sechhundert Jahre vergangen, man hatte sich den Gewohnheiten der anderen galaktischen Zivilisationen angepasst. Mittlerweile ging die koordinative Anpassung so gut, dass man dem Spiegelbild der Frau, das ich in ihren Gedanken sehen konnte, als würde ich aus ihren Augen sehen , so gut an den Spiegel gewöhnt, dass sie sich so sicher herrichtete, wie ich es eigentlich nicht in dieser kurzen Zeit erwartet hatte. Sie bewegte sich mit einer Sicherheit, als hätte sie sich nur mal kurz wieder zurückgewöhnen müssen; als hätte sie schon öfter mir Spiegeln zu tun gehabt. Obwohl dieser Spiegel in ihrer Suite nur als Gag des Managements gedachte gewesen war.

Die Frau hätte sofort mittels einer mündlich geäußerten Order die gewohnte Projektion aktivieren können. Sie unterließ es aber offensichtlich aus zwei Gründen. Erstens, weil sie es nicht wusste und zweitens, weil es sich nicht als nötig erwies.

Ich fügte diesen Erkenntnispunkt in mein Gedächtnis unter die Rubrik, später zu ergründender Mosaikstein.

Sie ging äußerst konzentriert vor, ihr äußeres zu gestalten, ohne an andere Dinge zu denken. Solche Phänomene konnte man fast nie erleben, denn jeder Mensch dachte sehr viel unzusammenhängendes Zeugs, wenn er vor einem Spiegel oder einem Holoprojektor stand.

Wie konnte sie so konzentriert mit dem Kämmen ihrer Haare beschäftigt sein, ohne einen Gedanken an etwas anderes zu verschwenden? Ich war lange genug mit Telepathie befasst, um mir der außergewöhnlichen Gedankenwelt dieser Frau bewusst zu sein. Selbst Daria Nobel war nach jahrelangem Training nicht in der Lage, so konzentriert an einem Gedanken zu hängen, ohne abzuschweifen. Ich erinnerte mich als meditierende Yogis, deren Gedanken ich vor gut sechs bis siebenhundert Jahren gelesen hatte. Sie waren ähnlich konzentriert gewesen, hatten sich allerdings während der Meditation nicht bewegen können. Es war, als laufe ihre Gedankenwelt vor mir wie ein Programm ab, als hätte sie einen Teil ihres Bewusstseins für Trivialgedanken ausgegrenzt. Doch was fand in den tieferen Tiefen ihrer Gedankenwelt statt? Ich war mir so sicher, wie ein Telepath nur sein konnte, dass es da tiefere Tiefen geben musste.

Nur eines konnte ich ihren Gedanken andeutungsweise entnehmen, sie beabsichtigte im sogenannten Top-Restaurant des Hotels noch etwas zu trinken. sie hätte sich jederzeit jede Art von Getränk auf ihr Zimmer bestellen können, Robotkellner- und Kellnerinnen standen bereit jederzeit alles zu den Gästen zu bringen, was die normalen Servoeinrichtungen der Zimmer nicht beschaffen konnten.

Offensichtlich gehörte es allerdings nicht zur Natur des Menschen, sich in seine vier Wände einzuschließen, um zu essen und zu trinken, wenn man das auch ohne große Anstrengung in einer Umgebung machen konnte, die ihresgleichen suchte. Ich kannte das Top-Restaurant des Hotels und war schon einige Male da essen gewesen; konnte also sehr gut nachvollziehen, dass sie beabsichtigte, dieses Restaurant aufzusuchen. weil ich sie nun zweifelsfrei angepeilt hatte, würde es mir keine Schwierigkeiten mehr bereiten, sie kurzfristig ausfindig zu machen, sofern sie sich im Umkreis von zehn bis zwanzig Kilometern befand . Ich verließ mein Hotelzimmer und sah zu, so schnell wie möglich in das Restaurant zu kommen, um schon vor ihr dazusein.

Ihre Gedankenmuster hatten sich eindeutig mit einem Platz an der Bar beschäftigt, über die das Restaurant verfügte.

*

Als die Dame das Restaurant betrat, saß ich bereits an der Bar, die sie in Gedanken vor sich gesehen hatte, auf genau dem Hocker, an den sie gedacht hatte.

Durch ihre Augen konnte ich mich an der Bar sitzen sehen. Ich erkannte, dass sie ihren Blick ziemlich schnell, unauffällig und gründlich durch den Raum schweifen ließ, wie ich es normalerweise nur bei Personen mit einer speziellen Ausbildung bemerkt hatte. Topagenten der USO, der Solaren Abwehr oder des akonischen Energiekommandos...

Klar, war es nicht so, dass sie von Akon kam? Oder war das zu offensichtlich?

Ich entschied mich zunächst einmal für letzteres und versuchte in ihren Gedankeninhalten bewusst nach Hinweisen zu suchen, die mir eindeutigere Auskunft.

Wenn man auch in den Gedanken eines Menschen lesen kann, wie in einem offenen Buch, kann man doch, ähnlich wie bei dem besagten Buch, nur das lesen, was auch auf den Seiten geschrieben steht. Mit anderen Worten kann man aus den Gedanken eines Menschen nichts entnehmen, was er gerade nicht denkt. Klar profitierte ich von meiner jahrhundertelangen Erfahrung, aber dieses zwischen den Zeilen lesen was doch eine sehr subjektive Angelegenheit, die mehr mit Interpretation, als dem direkten Zugriff auf Daten zu tun hatte. Sie stand immer noch am Eingang der Bar und fixierte nun mich von hinten. Es war diese Art des Fixierens, die es einem kalt über den Recken laufen ließ.

Einige Gedanken kamen bei Tein Gooph an die Oberfläche, die sich allesamt damit befassten, wo ich wohl herkommen mochte.

Terra? Nein! Arkon? So sieht kein Arkonide aus? Akon? Möglicherweise! Vielleicht aber auch Olymp oder eine der anderen terranischen Kolonialwelten.

Ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein, setzte sie sich in Bewegung und nahm zielstrebig auf dem Hocker rechts neben mir Platz. Sie sah sich nun von ihrem neuen Aufenthaltsort aus um und ließ ihren Blick einen kurzen Moment auf meinem Cassia Cooler ruhen, einem ayurvedischen Getränk, das im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert aufgekommen war und nach nun fast sechshundert Jahren immer noch zu einem der beliebtesten alkoholfreien Getränke zählte. Ihr Blick glitt an mir hoch und sah nun mein Profil an.

„Was ist das für ein Getränk, Terraner?"

Ich ließ in meiner Konzentration nach und sah nach rechts. Zum ersten mal sah ich diese Frau mit meinen eigenen Augen und nicht ihr Bild in den Gedanken anderer einschliesslich ihrer selbst.

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