Das nun folgende Werk ist ein vollständiger Roman, der als Perry Rhodan Taschenbuch geschrieben wurde. Die Perry Rhodan Redaktion schickte ihn zurück, mit der Begründung, dass die Handlung dazu geeignet sei, beim Leser die Annahme hervorzurufen, Mirona Thetin sei nicht tot, sondern könne möglicherweise noch einmal in der Serie auftauchen; eine solche Möglichkeit sei nach Angaben von Klaus N. Frick ausgeschlossen. Wir haben hier den ganzen Roman veröffentlicht und weisen hiermit noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass dieses Buch nicht von der offiziellen Perry Rhodan Redaktion legitimiert wurde, sondern das Werk eines Einzeltäters ist.

C O D E W O R T - T A M A N I U M Raumhafen

1.

Quinto-Center im Jahr 2656.

Auftrag

Der Name der genannt werden kann, ist nicht der Name des Namenlosen.

Das Wesen das begriffen werden kann, ist nicht das Wesen des Unbegreiflichen.

Lao-Tse




Konzentriert sah der weißhaarige alte Mann in den Holokubus der Positronik. Sein Alter sah man ihm nicht an, nein, er wirkte wie ein Mann in mittleren Jahren.

„Viktor Kaiman!"

Der genannte Name war eine Anweisung an die Positronik.

Im Holokubus erschien in arkonidischen Schriftzeichen der Name der genannt worden war.

Atlan grinste.

`Der Name der gesagt werden kann, ist nicht der Name des Namenlosen!'

Laotse begann sein Werk Tao te King mit diesen Worten, oder genauer, bei diesen Worten handelte es sich um den zweiten Satz.

Unter dem genannten Namen waren Daten erschienen, die der uralte Arkonide nicht zum ersten Mal sah, sich aber ins Gedächtnis zurückrufen wollte, obwohl er Dank seines photographischen Gedächtnisses nicht einer Positronik bedurft hätte.

`Mutter Akonin aus einer sehr alten Familie. Vater Sohn einer Anti und möglicherweise eines Oxtorners oder eines anderen Terranerabkömmlings.'

Viktor Kaiman hatte nur einmal von seinem Erbteil an der Kompaktkonstitution seines Großvaters gesprochen, der gerade einmal ausreichen würde, sich ungehindert auf Ertrus zu bewegen, aber schon wenn er die Heimatwelt seines Großvaters besuche, brauche er ein Antigravaggregat, um die zu hohe Schwerkraft von 4,8 g auszugleichen. Diese Bemerkung konnte genau so gut scherzhaft gemeint gewesen sein und schien daher wenig relevant, sich Gewißheit über die Herkunft des Mannes zu verschaffen. Abgesehen von seinem haarlosen Schädel sah Viktor Kaiman aus wie ein Akone oder Terraner. Dank der vielen Sprachen, die er absolut akzentfrei sprach, konnte er sich auf vielen Planeten der Galaxis wie ein Einheimischer bewegen. Er war Galaktohistoriker und Galaktosoziologe, hätte aber auch jederzeit einen Lehrstuhl für humanoide Sprachen übernehmen können, denn er beherrschte zumindest eine gängige Sprache aller galaktischen Zentralwelten, auf denen sich Humanoide angesiedelt hatten.

`Aus dem Holokubus ging eindeutig hervor, die Großmutter Kaimans, die Anti, habe immer behauptet, sie sei von einem Oxtorner vergewaltigt worden, was sich nicht nachweisen ließ. Viktor Kaiman hatte zu diesem Thema nur gegrinst und angegeben, seine Großmutter habe behaupten müssen, es sei ein Oxtorner gewesen, weil sie sich ansonsten die Frage gefallen lassen mußte, wieso sie sich nicht gewehrt habe - bei einem Oxtorner erübrigte sich eine solche Frage schon von selbst, weil es da nichts zu wehren gegeben hätte.'

Einen Teil seiner Kindheit hatte der interstellare Kosmopolit wohl in einem Báaloltempel der Anti zugebracht, wodurch er als ausgebildeter Báalolpriester praktizieren konnte. Er behauptete immer, es würde sich um sein zweites Standbein handeln, denn wenn die USO ihn feuern würde, könne er immer noch als Báalolpriester sein Auskommen haben.

„Die Space-Jet mit Viktor Kaiman nähert sich Quinto-Center!"

Die Stimme der Positronik klang an diesem Tage relativ blechern, Atlan hatte auf die Beanspruchung einer lebensechter klingenden Stimme verzichtet.

„Wenn Kaiman gelandet ist, bringt ihn sofort zu mir!"

Der Alte war sicher, in Kaiman den richtigen Mann gefunden zu haben. Nun galt es nur noch, ihn von diesem Auftrag zu überzeugen.

Letztendlich hatte dieser Auftrag auch etwas mit Laotse zu tun, aber mit dem eigentlichen Anfang, dem ersten Satz des Tao te King.

°Das Wesen, das begriffen werden kann, ist nicht das Wesen des Unbegreiflichen.°

*


Quinto-Center im Jahr 2656.

Seit Jahren war ich nicht mehr in Quinto Center gewesen, jenem Hauptquartier der USO, der ich angehörte. Meine Aufgaben im Auftrag der United Stars Organisation hatten mich viel herumkommen lassen in den letzten Jahren. Nachdem der kleine Raumer, in dem ich hierher gebracht wurde, die Öffnung in der Mondoberfläche durchstoßen hatte, schloß sie sich hinter uns fast augenblicklich. Tatsächlich wunderte ich mich immer wieder, daß es nie zu Unfällen gekommen sein sollte, bei denen Raumschiffe zu Schaden gekommen waren, denn das Öffnen und Schließen der Eingänge erforderte eine Präzision, bei der es auf Millimeter ankam. Positroniken hatten ganz genau die Größe und Geschwindigkeit des einfliegenden oder ausfliegenden Raumschiffes zu berücksichtigen, der Rest war Millimeterarbeit, die sich in Sekundenbruchteilen abspielte.

Der darauf folgende Schacht durch die Oberfläche des Mondes war dann sechs Kilometer lang, bis man den jeweiligen Hangar erreichte.

Sanft setzte die Space-Jet in dem Hangar auf. Über der durchsichtigen Kuppel schloß sich wieder das innere Schleusentor.

Um einem zufälligen Betrachter eine zwar kraterübersäte, aber ansonsten intakte und unberührte Mondlandschaft vorzugaukeln, hatte man sich hier sehr viel einfallen lassen. Bei Quinto Center handelte es sich tatsächlich um einen ausgehöhlten Mond, der für die Zwecke der USO ausgebaut worden war. Von außen konnte man nichts anderes erkennen als eine öde Mondlandschaft. Aber um diese Mondlandschaft sehen zu können, hätte es schon starker Scheinwerfer aus großen Raumschiffen bedurft, denn dieser Mond bewegte sich fernab von Sonnen im interstellaren Raum, den Anschein eines verirrten Himmelskörpers hervorrufend, der vielleicht in Jahrmillionen von einer Sonne eingefangen werden würde.

Insider, und als solchen darf ich mich bezeichnen, wußten, daß der Kurs dieses vollständig ausgehöhlten Mondes so berechnet war, daß die Kollision mit einer Sonne in den nächsten Jahrtausenden nicht zu erwarten sein würde.

Außerhalb der Space-Jet hellte nun die diffuse Beleuchtung auf und man konnte unter der vollständig geschlossenen Decke geschäftig Roboter agieren sehen, die soeben einen Shift in einen Raumer der Staatenklasse luden, der in der selben Schleuse stand, wie meine Space-Jet. Sekunden später waren auch die Geräusche, die bei der Verladung verursacht wurden zu hören - atembare Luft begann die Space-Jet zu umströmen.

Ich bedankte mich kurz bei dem epsalischen Piloten, der mich hergebracht hatte und verließ den Kleinstraumer durch die untere Luftschleuse.

Im Antigrafschacht schloß ich zuvor kurz die Augen, um mich meiner Rolle als USO- Spezialist mit militärischem Rang bewußt zu werden.

Unterhalb des kleinen Raumschiffes wurde ich von einem weiblichen Ordonanzoffizier erwartet, in der Uniform der USO schon relativ deplaciert wirkte. Die Dame salutierte.

„Oberst Kaiman! Leutnant Mansing meldet sich zur Stelle! Ich habe die Aufgabe, sie umgehend zum Lordadmiral zu bringen!"

„Gut, gut meine Liebe! Dann werde ich ihnen eben folgen, und wenn es zum Lordadmiral geht!"

Irritiert sah sie mich an.

Vielleicht hätte ich mein Rollenverhalten doch lieber...

Sie drehte sich wortlos um und ich folgte ihr.

Durch Korridore und Antigravschächte kamen wir dem Allerheiligsten immer näher.

Der Lordadmiral wollte mich also selber sprechen.

Das konnte ja heiter werden, denn für einen einfachen Spezialisten war es keine Selbstverständlichkeit, zum Lordadmiral der USO zu gelangen, wenn er schon in die Höhle des Löwen Quinto Center kam.

Durch zahlreiche versteckte Kontrollen geriet ich bald an einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab. Minuten später betrat ich das geräumige aber einfach eingerichtete Büro, in dem der uralte Weißhaarige hinter einem Holokubus saß und sich scheinbar angestrengt einige Schaltbilder ansah.

Die Ordonanzoffizierin stand stramm und bellte:

„Sir! Oberst Kaiman wie befohlen hergebracht!"

Knallte die Hacken zusammen, denen High Heels sicher gut gestanden hätten und verließ den Raum.

Das Schott knallte hinter ihr zu.

Der uralte Arkonide rührte sich nicht.

Er hatte mich sicher nicht hier her bestellt um mich unbeachtet im Raum stehen zu lassen.

Sollte ich mich räuspern?

Nein, die Dame war ja schon laut genug gewesen.

Ich ging zu einem Servoauatomaten, tastete mir einen terranischen Kaffee und sah mich zu ihm um.

„Kaffee?"

Er nickte unmerklich.

Ich drückte wieder die Tastenkombination und sagte zum Automaten:

„Für Atlan!"

Ich stellte ihm den Kaffee neben den Bildschirm und konnte bei einem flüchtigen Blick erkennen welcher Art die Daten auf seinem Bildschirm waren. Es handelte sich um persönliche Informationen über meine Mutter, deren Vollständigkeit mich einerseits in Erstaunen versetzte, mir aber andererseits bewies, wie gut die USO recherchierte.

„Vielleicht sollte ich die Daten geringfügig ergänzen!"

Er blickte kurz auf, meine in die Worte gelegte Polemik bewußt übergehend.

„Scheint mir nicht nötig zu sein."

Er hatte so wie ich akonisch gesprochen, also konnte ich erfreut sein, mit dem alten Arkoniden in der Sprache sprechen zu können, die ich für unsere Unterhaltung ausgewählt hatte. Denn bei allen möglichen Höflichkeitsformen in terranischen Sprachen hatte ich Probleme mit dem Lordadmiral der USO zu reden, wie mit einer beliebigen anderen Person, also hatte ich eine Sprache gewählt, die mir zuließ, als Gleicher unter Gleichen mit ihm zu sprechen.

Auf einen knappen Wink hin setzte ich mich in einen bequemen Kontursessel.

„Du stammst tatsächlich aus einer relativ blaublütigen Familie im Blauen System, gehst aber auch gut als Terraner Viktor Kaiman durch, Kompliment!"

„Danke Euer Gnaden!"

In dieser Sprache ging mir ein solcher Begriff sehr leicht über die Lippen.

„Zwar gilt meine Mutter nicht zu Unrecht als Akonin alten Geblütes, doch ist mein Vater Abkömmling einer Anti und eines Terraners. Aber das ist sicher nicht der Grund, warum du mich herbestellt hast, Euer Lordschaft!"

„Richtig, ich bin der Meinung, daß du aufgrund deines Stammbaumes genau der Richtige für meine Erwartungen bist!"

„Du hast mich wegen meiner Abstammung herbestellt?"

Der uralte Mann grinste, er schien mir meine Verwunderung, ja Empörung, sehr genau angesehen zu haben.

„Ja!"

Er griff zu der Tasse Kaffee, die ich ihm hingestellt hatte.

„Um der Wahrheit alle Ehre zu machen, gibt es noch einige andere Gründe, warum ich gerade dich ausgewählt habe."

Sein unmerkliches Zögern, das nun kam, konnte nur gesprächsführungstechnisch zu erklären sein, denn wenn es jemanden gab, der nicht zu zögern brauchte, weil er nachzudenken hatte, wie er es formulieren sollte, dann ihn.

„Du bist seit langer Zeit in der USO. In dieser langen Zeit hast du nicht nur viele Planeten der Galaxis kennengelernt, sondern durch deine Verhaltensweisen auch bewiesen, daß du nicht käuflich bist. Deine Loyalität der United Stars Organisation gegenüber ist unumstritten."

Er trank einen Schluck des Kaffees und ich wußte, daß er mir etwas verschwieg, was seine Beweggründe betraf und daß ich es möglicherweise nie erfahren würde.

Ich holte tief Luft, denn wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich seit geraumer Zeit nicht mehr geatmet, so sehr hatte mich dieser über zehntausendjährige Arkonide in seinen Bann gezogen.

„Weiterhin gilt dein permanenter Geldbedarf als unumstritten. Daß du unter diesen Umständen allzeit loyal geblieben bist, ehrt dich."

Seine Hand schnellte nach vorn und schlug einen Hebel zur Seite.

„Bemerkenswert schnelle Reflexe!"

hörte ich mich sagen.

Ein Energieschirm hüllte nun den alten Arkoniden und mich ein.

Auf diese Weise konnte er sichergehen, unsere gesprochenen Worte so abzuschirmen, daß sie von Nichts und Niemandem mitgehört werden konnten.

„Zunächst, als Einleitung zwei Dinge! Du bist entlassen!"

Ich rührte mich nicht, irgendwas mußte der alte Mann doch im Schilde führen.

„Das war der erste Punkt, Atlan. Wie sieht es mit dem zweiten aus?"

„Wenn du in meine persönlichen Dienste trittst, werde ich deine Bezüge zunächst verdoppeln und dann werden wir weiter sehen."

Schwarze Ringe tanzten vor meinen Augen. Aus mir völlig unersichtlichen Gründen hatte Atlan die Klimaanlage auf die Verhältnisse in einer finnischen Sauna eingestellt, oder meine Wärmerezeptoren spielten mir einen Streich.

„In welcher Funktion gedenkst du mich einzustellen? Als Butler?"

Atlan amüsierte sich köstlich.

„Als Agenten in eigener Sache!"

Ich schluckte.

Atlan schob mir einen kleinen Speicherkristall über den Tisch.

„Mein erster und wahrscheinlich auch einziger Auftrag an dich ist eine Personenfahndung!"

„Wo ist der Haken? Euer Ehren?"

Ich stand auf, konnte mich aber aufgrund des aktivierten Energieschirmes nicht weit bewegen, so umrundete ich den alten Arkoniden einmal und kehrte dann zu meinem Kontursessel zurück.

„Was mache ich, wenn ich die Person gefunden habe?"

„Du bringst sie zu mir, nicht nach Quinto Center, Terra oder Arkon, sondern zu mir. Von der Belohnung wirst du ein Leben in Saus und Braus führen können. Wenn du die Person nicht findest, kannst du ganz regulär in Rente gehen, ohne den Auftrag beendet zu haben, du müßtest die Informationen dann nur an deinen Nachfolger weitergeben!"

Ich sah auf den Speicherkristall.

„Die Informationen meiner Vorgänger? Wie viele Vorgänger gab es überhaupt?"

Er sah mich mit seinen alten Augen an, den Augen, die schon so vieles erblickt hatten, über das Atlan noch Jahrtausende schweigen würde.

„Die Informationen werden dir schon weiterhelfen..."

„So wie dann meine Informationen meinem Nachfolger weiterhelfen werden!"

Ich unterdrückte den Impuls aufzustehen.

„Eines ist nun sonnenklar, bei der gesuchten Person handelt es sich um den Träger eines Zellaktivators! Wen sonst sollte man über einen längeren Zeitraum suchen wollen, wenn nicht einen relativ Unsterblichen?"

Seine Augen verrieten weder Zustimmung noch Ablehnung, aber irgend etwas in diesem Blick schien mich aufzufordern, mit meiner assoziativen Gedankenkette fortzufahren.

Als ich zögerte konnte ich die erste Reaktion in seinen Augen wahrnehmen. Bei Arkoniden kann man fast alle Emotionen in den Augen erkennen. In diesem Fall verengten sie sich, aber nicht in einem Maße unmerklich, wie es bei unwillkürlichen Reaktionen üblich war, sondern eine Idee stärker, so mußte ich also von einer bewußten Bewegung ausgehen.

„Aktivatoren tragen zur Zeit außer dir, Perry Rhodan, Allan D. Mercant, Julian Tifflor, Homer G. Adams, Mory Rhodan-Abro, Ronald Tekener, Geoffrey-Abel Waringer und Reginald Bull. Das sind neun Personen! Außerdem verfügen noch einige Mutanten des Mutantenkorps der Solaren Abwehr über Zellaktivatoren. Das sind John Marshall, Kitai Ishibashi, André Noir, Ralf Marten, Wuriu Sengu, Iwan-Iwanowitsch Goratschin, Betty Toufry, Fellmer Lloyd, Ras Tschubai, Tako Kakuta, Son Okura und Tama Yokida. Das sind zwölf Aktivatoren für Terramutanten. Einundzwanzig bekannte Personen tragen also zur Zeit ein solches Gerät."

Meine Kunstpause hatte nur den Sinn, ihm Gelegenheit zu geben, mich zu unterbrechen, was er nicht tat.

„Da meines Wissens niemand der aufgezählten Zellaktivatorträger verschollen ist, kann es sich nur um eine Person handeln, die im Besitz eines der Aktivatoren ist, die ES über die Galaxis ausgeschüttet hat oder..."

Dieses Oder hatte ich nicht wie eine Frage klingen lassen. Aber auch wenn ich es als Frage gedacht hätte, der Alte machte nicht die geringsten Anstalten, zu einer Antwort, welcher Art auch immer, anzusetzen.

„Du erwartest also von mir, einen Aktivatorträger zu finden, den entweder alle Welt für tot hält, oder eine Person, die einen der von ES ausgestreuten zwanzig Aktivatoren gefunden hat, das heißt einen der vier noch verschollenen, und ihn nun trägt!"

Da er keine weitere Reaktion zeigte, fühlte ich mich weit genug bestätigt, um mit meinen Gedankengängen fortfahren zu können.

„Wenn es sich um einen der ausgestreuten Aktivatoren handeln würde, wäre es ein Leichtes, die ganze USO und die Solare Abwehr auf diese Thematik anzusetzen; du hättest wahrscheinlich innerhalb eines halben Jahres Erfolg!"

Grinsend lehnte er sich nun zurück, als genösse er meine verbalen Ergüsse.

Konnte er sich nicht endlich dazu herablassen, mich zu bestätigen oder zu widerlegen?

„Ergo handelt es sich um eine Person, die schon seit Jahrhunderten tot ist, oder für tot gehalten wird, bei der im Augenblick des Todes der Zellaktivator vernichtet wurde, beziehungsweise, der es gelang, einen diesbezüglichen Eindruck zu vermitteln!"

Nun war es an mir, mich genüßlich zurückzulehnen, denn meine Assoziationskette hielt ich für in sich schlüssig und somit war ich der Meinung, Atlan sei am Zug.

Ich sollte mich irren.

„Und?!"

Der alte Arkonide verlangte allen Ernstes von mir weiterzumachen.

Ich schüttelte den Kopf wie ein Terraner.

Tatsächlich verfügte ich bis zu diesem Zeitpunkt nur über eine einzige Information, über ein einziges Wort des Arkoniden und war gezwungen worden, alle weiteren Überlegungen selber anzustellen - Personenfahndung.

„Du solltest zunächst einmal den Schirm kurz desaktivieren!"

Er zog die linke Augenbraue hoch.

„Da ich kein USO-Spezialist mehr bin, sondern Privatmann und Angestellter eines angesehenen Arkoniden, gestatte ich mir einen guten Schluck alten schottischen Whiskys."

Während seine Hand nach vorne fuhr, um mir meinen Wunsch zu erfüllen, stand ich auch schon auf, um das Schirmfeld im Augenblick seines Zusammenbruches zu durchschreiten.

„Bourbon, Viktor! Laß uns lieber Bourbon trinken!"

Die Servoautomatik ließ hinter ihrer sich öffnenden Klappe eine Flasche Whisky erscheinen und zwei Gläser. Auf dem altterranischen Etikett stand tatsächlich etwas von Tennesse zu lesen, das sich sicher nicht in Schottland, sondern auf dem Kontinent Amerika befand.

Als ich zu Atlan zurückkehrte, war das Grinsen auf meiner Seite.

Nachdem wir uns zugeprostet hatten, schaltete der Weißhaarige wieder das Schirmfeld ein und sah mich an.

„Ich schließe aus deinem Verhalten, daß du den Auftrag und somit die Kündigung annimmst!"

„Du vermutest richtig - was geschah mit meinem Vorgänger?"

„Er wurde auf Lepso von einem der Nachfolger Ehret Jammuns persönlich getötet, dem alten Boß des Geheimdienstes, den man staatliche Wohlfahrtsorganisation nennt!"

„Das ist schlecht! Du erwartest also von mir, die Suche fortzusetzen und diese Person mit dem Zellaktivator zu finden. Da du keine Angst zu haben scheinst, daß ich der Person den Zellaktivator abnehme, um dann meinerseits unsterblich zu werden, was mir durchaus zuzutrauen wäre, scheint es sich um einen Aktivator zu handeln, der auf die Individualschwingungsfrequenz seines Trägers eingestellt wurde."

Ich goß uns beiden Whisky nach.

„Legst du Wert auf Rache? Soll ich Ehret Jammuns Nachfolger einen Unfall erleiden lassen?"

„Vergiß es vorerst!"

Sein Blick drückte unmißverständlich sein Mißfallen bezüglich Ehret Jammuns Nachfolger aus, also fuhr ich fort.

„Es gab nur insgesamt fünfzehn Aktivatoren, die nicht auf andere Personen übertragbar waren."

Atlan nickte unmerklich.

Es war klar, daß ihn die von mir genannte Zahl überraschen mußte, denn jeder, oder sagen wir, fast jeder Bewohner der Milchstraße hätte behauptet, es habe immer nur zwei Zellaktivatoren gegeben...

„Einen trägst du selber, einen Perry Rhodan und dreizehn wurden, so die offizielle Version, vernichtet. Es handelte sich dabei um die Zellaktivatoren der Meister der Insel!"

„Ja Viktor, die Meister der Insel!"

„Da ganz genau bekannt ist, unter welchen Umständen die sechs Meister der Insel vor einigen Jahrtausenden ums Leben kamen, indem nämlich Faktor I ihre Aktivatoren umschaltete, weil sie seine Identität erkannt hatten und weil sechs weitere Zellaktivatoren vernichtet wurden, als ihre Träger von Terranern getötet wurden, kann es sich nur um eine einzige Person handeln, die ich für dich suchen soll. Dadurch wäre mir auch verständlich, warum ich es nicht als USO-Spezialist machen kann und warum ich diese Person bei Atlan abliefern soll und nicht auf Terra oder sonstwo. Die Person, die ich für dich finden soll, ist niemand anderes als Faktor 1 der Meister der Insel!"

Atlan nickte andächtig.

„Ja, Viktor! Finde Mirona Thetin!"

*


Im Jahr 2656.

Lepso

Viktor Kaiman gehörte nicht zu den Menschen, deren Wesen ohne weiteres begriffen werden konnte. Nur in einer Eigenschaft des Wesens des Mannes, der so viele Identitäten haben konnte, war Atlan sich relativ sicher. Vielleicht war das auch ein Grund für seine Wahl gewesen, wenn auch ein unbewußter.

Mirona Thetin war absolut nicht der Typ Frau, die Viktor interessierte!

Diese Sicherheit nahm Atlan aus den Informationen, die ihm zu Viktor Kaiman zur Verfügung standen. Wäre Mirona Thetin eine Springerin gewesen, hätte die Angelegenheit schon ganz anders ausgesehen, obwohl es äußerst selten war, daß Akonen eine Schwäche für Springerinnen hatten. Atlan war sich sicher, in Viktor einen Mann engagiert zu haben, der die Frau tatsächlich zu ihm bringen würde, weil er seine Emotionen unter Kontrolle hatte.

Viktor Kaiman war auch schon abgeklärt genug, um zu wissen, welcher Frauentyp aus welchen Gründen von ihm favorisiert wurde. Sicher konnte er die Aneinanderreihung von Schlüsselerlebnissen genauestens darlegen, die zur Bildung seines Geschmackes bezüglich Frauen beigetragen hatten. Ein Umstand, den Atlan von diesem Mann einfach erwartete, ohne sich eine Bestätigung verschafft zu haben.

Nein, Viktor würde die Frau, wenn er sie fand, auf direktem Wege zu Atlan schaffen, oder ihn, Atlan, über ihren Aufenthaltsort unterrichten. Viktor würde niemals versuchen, Mirona zu überwältigen, dazu war er zu sehr Realist. Er konnte sich sicher ausmalen, zu welcher Überlegenheit die Technik der Meister der Insel sie gebracht hatte.

Selbst Atlan wußte, daß er sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit Mirona Thetin einlassen würde. Ihm war klar, mit ihr unter neutralen Bedingungen reden zu müssen, oder gar nicht.

Was würde sein, wenn Viktor oder einer seiner Nachfolger Mirona gefunden hatte und sie nichts von dem alten Arkoniden wissen wollte?

*


Im Jahr 2656.

Das Raumschiff, in dem ich mich nun dem Planeten Lepso näherte, war offengestanden eine ausgediente terranische Korvette. Ein Kugelraumer mit einem Durchmesser von sechzig Metern.

Alle Wege führen nach Lepso.

Dieser Ausspruch hatte schon vor Jahren in der USO Tradition gehabt, denn wenn Syndikate des interstellaren Verbrechens eine gute Ausgangsbasis brauchten, griffen sie oft auf diesen Planeten zurück, weil die dort herrschende Anarchie wahrscheinlich durch keinen bekannten Planeten der Galaxis übertroffen wurde.

Auf Lepso war es völlig unerheblich, mit was für einem Raumschifftyp man landete, Hauptsache man entrichtete die überhöhten Landegebühren.

Die Sonne, die Lepso beschien, verschwand hinter dem Planeten, der der dritte des Systems Firing war. Wir näherten uns der Nachtseite des Freihandelsplaneten.

Auch wenn meine Korvette schon einige Jahrhunderte im Dienst gewesen war - ich behauptete immer, es würde sich dabei um eines der ehemaligen Beiboote der CREST III handeln - war sie doch mit allem vollgestopft, was modernste galaktische Technologie zu bieten hatte.

Die Besatzung bestand aus zwanzig Individuen, die von mir wild zusammengewürfelt worden waren, um damit fast jeden bekannten Planeten der Galaxis anfliegen zu können und aufgrund der guten Auswahl des jeweiligen Funkers sofort Landeerlaubnis zu erhalten.

Meiner Besatzung war nicht bekannt, bis vor wenigen Wochen für einen USO-Spezialisten gearbeitet zu haben, obwohl es sicher niemanden gestört hätte, denn ich bezahlte besser als die meisten anderen Schiffseigner.

Der Blue hinter dem Kontrollpult gab mir durch ein Handzeichen zu verstehen, der Raumer würde nun durch die automatische Steuerung des Raumhafens gelandet werden. Selbstverständlich hielt er sich bereit, in jeder Phase der Landung wieder auf manuelle Steuerung umzuschalten oder die bordeigene Positronik damit zu beauftragen.

Auf Lepso, der galaktischen Freihandelswelt, hatte ich mich in den letzten Jahren oft aufgehalten. Ich galt bei meinen Handelspartnern als ein äußerst eigenwilliger Akone mit einem terranischen Namen. Den terranischen Namen bewunderten viele Wesen, die mich kannten, war doch aufgrund der uns Akonen eigenen Arroganz, selbst Arkoniden gegenüber, die Benutzung eines terranischen Namens gleichbedeutend mit einem Terraner des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich Bello oder Miss Piggy, Flipper oder Skippy, Lassy oder Fury nannte. Der Name Viktor konnte aber auch gut von Antis oder Aras ausgesprochen werden, wodurch er nur wenigen Leuten auffiel, die einer oder mehrerer terranischer Sprachen mächtig waren. Kaiman brachte niemand mit dem terranischen Alligator in Verbindung, es sei denn er wurde auf bestimmte Zusammenhänge hingewiesen. Ich machte natürlich keinen Hehl daraus, daß mein Großvater Terraner war und meine Großmutter zur Übernahme des terranischen Namens gezwungen hatte. Nur auf Akon benutzte ich auch meinen alten akonischen Namen, Notan von Azur, der mir auf diesem ehrwürdigen Planeten alle Tore öffnete.

Auf Lepso gedachte ich den Auftrag des alten Arkoniden gut in Angriff nehmen zu können, denn mein Vorgänger war hier nicht nur getötet worden, sondern hatte auch einen Roboter mit allen erdenklichen Informationen bezüglich seiner Erkenntnisse und derer seiner Vorgänger gespeist. Dieser Roboter sollte sich als der Schlüssel zu meinem weiteren Vorgehen erweisen, so zumindest dachte ich.

Die Informationen, die ich aus dem Speicherkristall des Arkoniden hatte, bezogen sich fast ausschließlich auf Daten, die mein Vorgänger, ein ehemaliger Agent der Solaren Abwehr, seinem Hausroboter einverleibt hatte. Meine Aufgabe war also nur, den Roboter zu finden, seine Daten zu sichten und auf den gesammelten Informationen basierend weiterzumachen.

Die Fakten konnte ich so nüchtern aufzählen, wie die Wetterberichte für Aralon der letzten drei Wochen. Aber dann hörte es auf mit der Nüchternheit.

Die Meister der Insel!

Es hatte wohl keine Auseinandersetzung in den letzten Jahrtausenden gegeben, die mit so viel Leid und Unheil verbunden gewesen war, seit den Haluterkriegen vor etwa fünfzigtausend Jahren.

Die Meister der Insel!

Ein Begriff, der an Mystik und Imagination wohl kaum zu überbieten war. Das galt für die Zeit der Auseinandersetzung mit der Nachbargalaxis Andromeda, in der die Meister alle Fäden in den Händen gehalten hatten, wie auch für alle Zeiten danach. Jeder Mensch, Blue und Haluter wußte aus dem Geschichtsunterricht und diversen Memobändern, daß es nichts gegeben hat, was die Existenz freier Planeten in dieser Galaxis so sehr in Frage gestellt hatte, wie eben diese Meister der Insel.

Erst nach jahrelanger Auseinandersetzung hatte man in Erfahrung gebracht, wer diese mysteriösen Wesen waren, Lemurer, Menschen von der Erde, von Terra, als es noch Lemur hieß. Allen anderen Galaktikern, mit Ausnahme der Terraner, erschien diese Erkenntnis damals absolut plausibel, hatte man doch von den Terranern schon lange das Bild rücksichtslos expandierender Barbaren gehabt. Wen wunderte es da, in den Meistern der Insel Abkömmlinge der ersten terranischen Menschheit zu wissen, jener Lemurer, die die Vorfahren der Tefroder in Andromeda, aber auch der Akonen in unserer Galaxis waren. Bei diesem Erkenntnisstand angelangt, hatte es einen Bruch im Stolz der Akonen, der Arkoniden und aller anderen Nachfahren der Akonen gegeben, der letzten Endes darin fruchtete, daß alle Humanoiden unserer Galaxis einen gemeinsamen Ursprung ausgerechnet auf dem Planeten der Emporkömmlinge, Terra hatten.

Den Terranern war es gelungen, sechs ihrer alten Vorfahren zu töten, nur noch Faktor I war übrig geblieben, der höchste der Meister der Insel, den noch nicht einmal Faktor II bis VII zu kennen schienen. Der letzte Meister der Insel, die Frau Mirona Thetin, hatte sich dann Atlan auf der Zentralwelt der Andromeda-Galaxis Tamanium zu erkennen gegeben und ihm angeboten, mit ihr zusammen die Milchstraße und den Andromedanebel zu beherrschen. Atlan hatte abgelehnt und unter Umständen, die nur er genau kannte, hatte er im Rahmen einer Auseinandersetzung Mirona Thetin getötet, mit einem archaischen Speer, so die offizielle Geschichtsschreibung.

Ich beauftragte meine Positronik, mir noch einmal einen Auszug aus einer Rede des alten Arkoniden einzuspielen, aus der einige Besonderheiten bezüglich der Zellaktivatoren der Meister der Insel hervorgingen.

Auf dem Bildschirm tauchte das Gesicht und der Oberkörper Atlans auf. Die Worte, die ich dann zu hören bekam, hatte er vor etwa zweihundertfünfzig Jahren gesagt, als die Auseinandersetzungen mit den Meistern der Insel noch nicht beendet waren und noch niemand zu hoffen wagte, daß man sie bezwingen würde.

Bedächtig hielt der Arkonide ein winziges Gerät in die Aufnahmeoptik.

„Dies ist ein Impulsaufzeichner, der die Aktivität von Zellaktivatoren registriert. Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen und Beobachtungen müssen wir davon ausgehen, daß jeder Meister der Insel einen Zellaktivator trägt. Woher diese Aktivatoren stammen, ist unbekannt. Die Möglichkeit, daß ES dahintersteckt, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, obwohl sie abwegig erscheint. Jedenfalls unterscheiden sich die Aktivatoren der MDI in einigen Punkten von den unseren. Neben dem geringfügig anderen Aussehen ist es ein Punkt, der besonders hervorsticht. Wenn einem von uns das Gerät abgenommen wird, tritt der Zellenverfall nach etwa 62 Stunden ein."

Er machte eine kurze Pause, um seine Worte besser wirken zu lassen.

„Unsere Aktivatoren können, mit Ausnahme von Rhodans und meinem, von jedermann getragen werden. Anders jedoch bei den Aktivatoren der MDI. Wird einem MDI der Aktivator abgenommen, stirbt dieser innerhalb weniger Minuten und der Aktivator zerstört sich von selbst. So weit einige Überlegungen zum Thema Zellaktivator. Zurück zum Impulsaufzeichner. Falls sich nun tatsächlich ein Meister auf Vario aufhält und einen Aktivator trägt, wird uns dieses Gerät zu ihm führen."

Er schaltete das Gerät ein. Ein summendes Geräusch wurde hörbar.

„Das Gerät zeigt uns hiermit, daß es einwandfrei arbeitet, es hat augenblicklich auf meinen eigenen Zellaktivator angesprochen!"

Der Bildschirm wurde wieder dunkel.

Tatsächlich war es den Terranern damals gelungen, nachdem Atlan diese Worte gesprochen hatte, mit Hilfe des Impulsgebers, den MDI Nevis Latan zu enttarnen und festzusetzen. Die Technologie der Meister hatte damals die Crest III um fünfzigtausend Jahre in die Vergangenheit versetzt. Mit der unfreiwilligen Hilfe des Meisters der Insel war es dann gelungen, wieder in die damalige Gegenwart zu reisen.

Die Zeit, die mein Raumer für die Überwindung der Strecke nach Lepso brauchte, hatte ich dazu genutzt, intensiv die bekannten Informationen bezüglich der Endphase der Auseinandersetzung mit den Meistern der Insel zu selektieren. Die Meister Regnal Orton, Toser Ban, Nevis Latan, Miras Etrin, Proht Meyhet, Trinar Molat und Mirona Thetin. Bei allen trafen die Informationen bezüglich der Zellaktivatoren zu, bei allen, bis auf Mirona Thetin.

Im Speicherkristall, den Atlan mir gab, hatte ich den Hinweis gefunden, einer meiner Vorgänger sei ein Haluter gewesen, der sich besonders intensiv durch die Aufzeichnungen seines Volkes gearbeitet hatte, um an Informationen zu gelangen, die sonst niemandem zugänglich gewesen wären. Wie der alte Arkonide es geschafft, hatte einen Haluter zu engagieren und was aus ihm geworden war, entzog sich meiner Kenntnis, ebenso, wie die Frage, warum Atlan nicht immer auf dem Laufenden war, was den Stand der Ermittlungen betraf, denn er hatte mir keine weiteren Informationen gegeben. So war es schon naheliegend für mich, genau da weiterzumachen, wo mein Vorgänger gescheitert war.

Der Blue hinter den Kontrollen erhob sich und schaltete einige Aggregate aus. Wir waren gelandet worden, ohne wahrnehmbare Erschütterung. Nun begann die Automatik des Raumers langsam, innerhalb der nächsten Stunden, die schiffsinterne Gravitation der des Planeten anzupassen. Bei Gravitationsgrößen zwischen 0,8 und 1,2 erfolgte ein solcher Vorgang automatisch. Viele Raumschiffkommandanten ließen ihre Positroniken auch während der Überwindung der Strecke zwischen zwei Planeten die Gravitation entsprechend langsam angleichen, um den Passagieren den Übergang zwischen zwei Gravitationsstärken so unauffällig und langsam wie möglich zu gestalten.

Gelandet waren wir auf der Nachtseite des Planeten, auf dem größten der neun Raumhäfen nahe der größten Stadt Orbana. Bei der interstellaren Raumfahrt konnte man auf Tag-und Nachtseite eines Planeten keine Rücksicht nehmen, denn wie viel Zeit ginge verloren, wenn man immer wartete, bis man zu einer definierten planetaren Zeit, beispielsweise der Mittagszeit, landete. Bei modernen Raumschiffen wurde der ganze Landevorgang in der Regel sowieso nur mittels der eigenen Antigravaggregate und der steuernden planetaren Fesselfelder durchgeführt, da jede andere Art von Fortbewegung zur Verbreitung schädigender Gase in der Atmosphäre des Planeten geführt hätte.

Die Raumhafenkontrolle auf Lepso war so geldgierig wie desinteressiert. Als wir unseren Obolus für die nächsten zehn Tage entrichtet hatten, raste der Gleiter des Beauftragten wieder davon, man hatte allerdings, das zeigten meine Ortungsintrumente an, unser Schiff nach parapsychischen Begabungen abgetastet. Da man dabei sicherlich auf meine eigene parapsychische Identität gestoßen war, die meinen Erbteil der Anti-Großmutter auswies, war man wohl zufrieden gewesen. Personen, die man auf Lepso nicht duldete, waren die Mutanten Terras, zu frisch waren noch die Memoaufzeichnungen, die im Jahre 2103 terranischer Zeitrechnung gemacht worden waren und den Überfall Perry Rhodans und seiner Mutanten auf die Repräsentanten der Báalopriesterschaft zeigten, die zu viel offenkundige Macht an sich gerissen hatten und möglicherweise die herrschende Anarchie in Frage gestellt hätten.

Eines war auf diesem Planeten sicher, wenn wir die zehn bezahlten Tage auch nur eine einzige Minute überschritten, würde man uns unerbittlich wieder zur Kasse bitten.

Ohne Umschweife nahm ich einen planetengeeigneten Gleiter, jagte zwischen den gelandeten Raumschiffen aller erdenklichen galaktischen Völker hindurch und betrachtete mehr beiläufig einige Schiffe, deren Erscheinung selbst für Lepso ungewöhnlich war.

In der Nähe meiner kleinen Korvette entdeckte ich einen Raumer, der wie ein altes Schiff der Tefroder aussah, hielt es aber für unmöglich, ein solches vor mir zu haben.

Auf keiner anderen bekannten Welt war es möglich, ohne besondere Genehmigung oder Vorankündigung mit einem Gleiter zwischen den gelandeten Raumschiffen, deren Landebeine zur Vermeidung von Kollisionen beleuchtet waren, herumzuhuschen.

Das Schiff, das ich für tefrodischen Ursprungs gehalten hatte, trug eine Aufschrift in großen arkonidischen Lettern.

NOTRO LANGER.

Der Name klang so wenig arkonidisch wie terranisch. Hätte dieses Raumschiff nicht einen Namen getragen, der in riesigen arkonidischen Lettern an seinem Rumpf prangte, hätte ich es für tefrodisch halten müssen.

So verließ ich den Raumhafen und lenkte meinen Gleiter direkt ins Getümmel der großen Stadt.

Bei dieser Stadt handelte es sich um ein Sammelsurium der unterschiedlichsten galaktischen Baustile der verschiedenen Epochen der letzten Jahrtausende.

Im Zentrum der Stadt befand sich das gewaltige Kasino, um das herum diese Stadt entstanden war, die in der Galaxis nicht ihresgleichen fand. So wie der Rest der Stadt, war auch das Kasino im Laufe der Jahrtausende ständig, unter Verwendung aller erdenklichen Baustoffe, vom aus Felsen herausgeschnittenen Steinquader bis zu modernsten Metall-und Kunststoffverbindungen, erweitert worden.

Bei diesem Gedanken angelangt ertappte ich mich bei dem Verdacht, in den letzten Jahrtausenden hätten durchaus schon Beauftragte der Meister der Insel hier auf Lepso gewesen sein können, getarnt als ganz normale Akonen, zumindest bevor die Terraner auf der galaktischen Bühne erschienen waren. Dieser Gedankengang faszinierte den Galaktohistoriker in mir, wogegen der Galaktokriminologe eher skeptisch war.

Da ich mich mit diesem Gleiter schon sehr oft durch die Verkehrswege Lepsos bewegt hatte, war es ein Leichtes gewesen, die Steuerpositronik auf die letzte bekannte Adresse meines Vorgängers von der Solaren Abwehr einzustellen. Augustos Rohnberg hatte die letzten drei Jahre auf Lepso zugebracht und als ein Mann hier gelebt, der es nicht nötig hatte, für seinen Lebensunterhalt selber zu sorgen, da ihm ein Erbonkel jeden Monat einen Batzen Geld auf sein Konto bei der Himuti-Bank überwies. Wer wußte schon außer dem alten Arkoniden, Augustos Rohnberg und mir, daß dieser obskure Erbonkel niemand anderer als der alte Arkonide selber gewesen sein mußte.

Mein Verdacht, Augustos habe sich sein schönes Leben auf Kosten des Alten gemacht, keimte nur kurz auf, denn Atlan war sicher der Letzte, der mir einfiel, der einen Menschen beschäftigte, der sich durch Unfähigkeit und Untätigkeit hervortat.

Mein Gleiter stoppte vor einem Gebäude, dessen Baustil eine grotesk anmutende Synthese zwischen einem Báaloltempel und einem chinesischen Restaurant zu sein schien.

Da der Gleiter auf den Verkehrswegen der Stadt rund fünfzig Zentimeter über dem Untergrund geschwebt hatte, war er zum Stoppen nach oben ausgewichen und schwebte nun so hoch, daß alle auf diesem Planeten zugelassenen Gleiter ohne Probleme unter ihm passieren konnten.

Bei diesem Gebäude handelte es sich um ein Wohnhaus, in dem man kleine, aber teure Räumlichkeiten mieten konnte. Als kommerzielle Einrichtung gab es nur ein einziges Restaurant, in dessen Werbefläche dafür geworben wurde, daß es keine terranischen Nahrungsmittel oder Eßgewohnheiten gäbe. Ich mußte schmunzeln, mit der terranischen Eigenart, getötete Tiere zu verspeisen, hatten sich die zivilisierten Bewohner der Galaxis nie abfinden können.

Ich befahl der Positronik des Gleiters, sich auf dem Parkdeck des Hauses eine freie Nische zu suchen.

Mitten in der Fassade fand sich eine Öffnung, die meinen Gleiter und mich verschluckte.

Als mein Vehikel zwischen anderen stand, ging ich zielstrebig durch die Korridore des Gebäudes, um nach der Wohnung Rohnbergs zu suchen.

Klar war mir schon, in dieser Wohnung jemand anderen anzutreffen, aber ich gedachte meine Ermittlungen nicht zu verdeckt vorzunehmen, denn immerhin war Lepso ein Planet, auf dem ich die Verhältnisse besser kannte, als auf mancher anderen Welt.

Gekleidet wie ein akonischer Aristokrat fiel ich zwar überall auf, aber man begegnete mir mit einem nicht zu unterschätzenden angemessenen Respekt.

Vor der Tür mit der arkonidischen Nummer, die der terranischen 730 entsprach, betätigte ich ohne zu zögern die Ruftaste für die Positronik, die für den Einlaß oder das Zurückweisen von Besuchern installiert war.

Neben der Tür flammte ein Trivideoschirm auf, der das Symbol der Firma präsentierte, die diese Positronik gebaut hatte und eine unpersönliche Stimme schnarrte in arkonidisch los.

„Wer seid ihr! Und was wollt ihr?"

Ein akonischer Aristokrat ließ sich normalerweise nicht dazu hinab, arkonidisch zu reden, auch wenn er diese Sprache in der Regel beherrschte, also hatte der Apparat sich mit meinem akonisch herumzuschlagen, was man von einer Positronik auf Lepso erwarten konnte.

„Mein Name ist Viktor Kaiman! Ich verlange umgehend den Terraner Augustos Rohnberg zu sprechen, also öffne die Tür!"

Ich hatte meine Worte nicht nur mit gegebener Arroganz, sondern auch mit dem Befehlston des ewig Fordernden von mir gegeben, den Eindruck vermittelnd, schon durch die Überwindung einer Einlaßpositronik in meiner Ehre verletzt zu werden.

Ich liebte es, in die Rolle des Akonen zu schlüpfen, genau so sehr konnte es mir gefallen als Terraner aufzutreten. Eine Terranerin, mit der ich eine Kampfausbildung bei der USO gemacht hatte, behauptete, es gäbe auf Terra eine Religion, in der einer der Gründer in einem Hyperkomspruch gesagt habe, sei dem Anti ein Anti, dem Akonen ein Akone und dem Springer ein Springer. Die Rolle eines Springers konnte mir bisweilen auch gefallen, aber nun war ich Akone auf einem Planeten, auf dem Akonen und Antis zu den angesehensten Persönlichkeiten zählten.

Die Positronik begann zu schnarren.

„In diesen Räumen gibt es keinen Augustos Rohnberg mehr. Wenn ihr etwas über seinen Verbleib erfahren wollt, kann ich euch mit dem Zentralarchiv des Planeten korrespondieren lassen!"

Die Positronik hatte sich tatsächlich der Sprache Akons bedient.

„Dann laß mich nicht lange warten!"

Schon wenige Sekunden später wechselte das Symbol auf dem Trivideoschirm.

„Wenn ihr Informationen vom Zentralarchiv haben wollt, legitimiert euch und gebt Einblick in eure Finanzen!"

„Ich bin Viktor Kaiman und habe mich hier nicht zu legitimieren! Wo kann ich Augustos Rohnberg finden?"

Kein USO-Spezialist oder Agent der Solaren Abwehr hätte auf Lepso lange überleben können, wenn er es gewagt hätte in ähnlicher Weise vorzugehen, doch der Name Viktor Kaiman war bekannt und reihte sich in die Liste der auf Lepso ansässigen Báalolpriester ein.

Umgehend wurde eine Nachrichtensendung von vor etwa sechs Wochen eingeblendet, aus der hervorging, Augustos Rohnberg habe sein Leben nach einer Wette mit Ehret Jammuns Nachfolger, merkwürdigerweise wurde nie der Name dieses Nachfolgers erwähnt, verloren.

„Kann ich noch etwas für euch tun?"

„Ja, wo befinden sich derzeit die ehemaligen Habseligkeiten Rohnbergs?"

„Im Báaloltempel 'Ischtar', euer Gnaden!"

Da sich weder ein akonischer Aristokrat, noch ein Anti in seiner Eigenschaft als Báalolpriester bei einer Maschine bedankte, drehte ich mich um und ging zurück zu meinem Gleiter.

*


Quinto-Center im Jahr 2656.

Dieser Viktor Kaiman war der beste Mann, den man in die Höhle des Löwen, Lepso, die galaktische Freihandelswelt schicken konnte und bei dem man mit absoluter Sicherheit wußte, daß er unversehrt aus dieser Hölle des organisierten Verbrechens, der Drogen, des Schmuggels und des Handels mit intelligenten Wesen zurückkommen würde.

Dieser Viktor Kaiman war aber auch der einzige USO-Spezialist gewesen, der auf Lepso zu jeder Zeit behaupten gekonnt hätte, ein USO-Spezialist zu sein und über dessen Scherz das ganze galaktische Gesindel nur gelacht hätte, um dann zur Tagesordnung zurückkehren zu können.

Atlan entspannte sich.

Niemand konnte ihm nachempfinden, was für ein Gefühl es war, jemanden mit einer Ermittlung zu betrauen, die vielleicht noch Jahrhunderte in Anspruch nahm und bei deren Realisation schon einige gute Leute ums Leben gekommen waren, und die noch nicht einmal in dieser Galaxis enden mußte, sondern genau so wahrscheinlich oder unwahrscheinlich in der Nachbargalaxis Andromeda weitergehen würde.

Niemand wußte von diesem Auftrag, außer dem jeweiligen Agenten und dem ehemaligen Kristallprinzen.

Atlan hatte noch nie eine Frau auf die Suche geschickt, denn niemand konnte ahnen, was dieser Schritt für eine Überwindung gewesen wäre.

Auch konnte er nicht einfach immer den besten Mann auswählen, vielleicht hätte er dann auch schon an Ronald Tekener gedacht, sondern er mußte nach einer Synthese suchen, einem Mann, der gut genug war, einer der besten zu sein, aber nicht von jeder Person in Atlans unmittelbarer Umgebung als solcher gesehen wurde.

Atlan wußte derzeit niemanden, der auf den Planeten dieser Galaxis erfolgreicher agieren konnte als Kaiman, der in keine Rolle zu schlüpfen hatte, weil er diese Rollen lebte, ohne Wenn und Aber. Er war Akone, Anti, Terraner und wenn es sein mußte auch Springer oder Arkonide. Nur als Ara hätte man sich diesen Mann nicht vorzustellen vermocht, obwohl, dieser haarlose Schädel...

Aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände fehlten Atlan die wichtigen Daten, die Augustos Rohnberg in den letzten Monaten auf Lepso zusammengetragen hatte. Hätte man schon vor einigen Jahren gewußt, daß die Spur nach Lepso führt, wäre sicherlich schon damals Viktor Kaiman ins Rennen gegangen und nicht Augustos Rohnberg.

Konnte Viktor Kaiman seine Recherchen unauffällig an der Stelle aufnehmen, an der Augustos Rohnberg gescheitert war?

Atlan glaubte nicht an eine Wette. Rohnberg war kein Mensch für Wetten gewesen, deren Ausgang ungewiß war.

Was hatte Rohnberg entdeckt, was letzten Endes zu seinem Tode geführt hatte?

*


Lepso, 2656.

Der Báaloltempel 'Ischtar'!

Dieser Hinweis ließ mich in meinem Gleiter grübeln.

Das konnte kein Zufall sein, aber wenn es kein Zufall war, was dann?

Ich hatte in diesem Tempel nicht nur einen großen Teil meiner Kindheit verbracht, sondern bewohnte immer noch einige der Räume die für Antis bestimmt waren, wenn ich auf Lepso weilte.

Ein Gefühl beschlich mich, vom Jäger zum Gejagten geworden zu sein, schon bevor ich den Boden dieses Planeten betreten hatte, ja schon bevor mir Atlan diesen Auftrag erteilt hatte und bevor ich ihn in Quinto Center aufgesucht hatte. Ich fühlte mich wie jemand, der plötzlich erkannte, schon seit geraumer Zeit nicht mehr Herr seines Handelns gewesen zu sein.

Meine Priesterschaft kam mir nun zur Hilfe.

Wenn es für einen Báalolpriester einen Ort der Zuflucht gab, dann einen Tempel des Báalol. Wenn es für einen Báalolpriester noch einen sichereren Ort zu geben hatte, dann den Tempel seiner größten Verbundenheit; dieser mein Tempel war der 'Ischtartempel' auf Lepso. Und gerade da erwartete mich eine schicksalhafte Herausforderung in Form eines Haushaltsroboters, der einem Toten gehörte, dessen Tod im direkten Zusammenhang mit seinem Auftrag stehen mußte und somit mit meinem.

Wer konnte dafür Sorge getragen haben, den Roboter zu mir nach Hause zu schaffen?

Atlan?

Wollte der alte Arkonide mich durch eine solche Handlungsweise so richtig auf den Auftrag einstimmen? Oder wollte er mich bezüglich der mannigfachen Gefahren sensibilisieren?

Da ich den Ischtartempel unter keinen Umständen als Gefahr betrachten konnte und wollte, ließ ich meinen Gleiter auf schnellstem Wege dorthin fahren.

Auf dem Weg zum Tempel schaltete ich eine abhörsichere Leitung zu meinem Raumer. Auf Lepso konnte man auf jeder Kommunikationsebene abhörsichere Leitungen benutzen, die dann aber einen erheblich höheren Gebührensatz erforderten.

Im Raumer meldete sich Norgef Darim, eine Topsiderin, die zu der kleinen, regelmäßig wechselnden Wachmannschaft gehörte, weil die anderen Besatzungsmitglieder sich sicher in den Vergnügungsvierteln des Planeten aufhielten.

„Norgef! Du bist an Bord geblieben?"

„Ja, Viktor, was sollte eine Topsiderin außerhalb ihrer Zeit der Begegnung auf einem Planeten, der nicht viel mehr als Vergnügungen zu bieten hat?"

„Vielleicht könntest du dir die architektonischen Besonderheiten ansehen?"

„Seit wann glaubst du, ich würde mich für Architektur interessieren?"

Ich mußte grinsen und kam dann zum Kern meines Anliegens.

„Ich werde mich in nächster Zeit im Báaloltempel 'Ischtar' aufhalten und benötige dafür einige Gegenstände aus Raum neunzehn. Diese Gegenstände kann mir nur eine Frau der Besatzung hierher bringen, weil in den Tempel nur Frauen und Antis eingelassen werden."

„Wenn ich die Aufzeichnung deiner Umgebung richtig interpretiere, befindest du dich gerade in deinem Gleiter, warum kommst du nicht selber vorbei und nimmst die Sachen mit?"

„Weil ich euch bezahle und das nicht schlecht!"

Ich sah nicht die geringste Veranlassung, Norgef zu erklären, was für ein Rollenverhalten für einen Báalolpriester angezeigt war.

„Außer mir ist nur noch die Unitherin Gara Rofur hier, die humanoiden Frauen scheinen die Zeit der Begegnung zu suchen."

„Die Humanoiden haben glücklicherweise immer Zeit der Begegnung."

Ich zählte die Gegenstände auf, die ich brauchte und überließ es Norgef zu entscheiden, ob sie oder die Unitherin zu mir kam.

Ich glaube, bewußter als an diesem Tag hatte ich den Tempel noch nie betreten, wenn man mal davon absah, daß man als junger Anti voller Ehrfurcht zum ersten Mal in einen Báaloltempel kommt.

Vor einigen Jahrtausenden, denn so alt war dieses Gebäude in seiner ursprünglichen Form, mochte es vielleicht auf einem freien Platz gestanden haben, inmitten einer parkähnlichen Landschaft. Nun war der Tempel eingekeilt von Gebäuden aller erdenklichen Baustile und aller vorstellbaren Funktionen. Da man in der Zeit nach dem Bau mit Sicherheit genügend Platz in der Umgebung zur Verfügung gehabt hatte, um Gleiter und auch kleine Raumschiffe unterzubringen, es aber andererseits versäumt hatte, als die Stadt weiter expandierte, sich entsprechende Plätze zu sichern, mußte ich nun meinen Gleiter in einem der Nachbargebäude parken lassen. Die Nischen der für den Tempel reservierten Parkflächen wurden durch Energiefelder vor Zugriffen gesichert, so daß ich sicher sein konnte, meinen Gleiter unversehrt wiederzufinden. Außerdem waren die Parkflächen als Unterbezirke des nahen Tempels deklariert, was eventuell interessierte Gleiterschieber noch zusätzlich fernhielt.

Mit schnellen, raumgreifenden Schritten verließ ich das Parkdeck für kleine Gleiter - größere Fortbewegungsmittel landeten üblicherweise auf dem Dach.

Da sich der Ischtartempel keine vier Kilometer Luftlinie vom Kasino entfernt befand, stand der Tempel nun in unmittelbarer Nähe des Zentrums der Stadt. Entsprechend der Zentrumsnähe brodelte hier das Leben.

In einer düsteren schmalen Gasse baute sich ein Ertruser vor mir auf und stemmte seine Arme in die Seiten. Zugegeben eine imposante Erscheinung, die so ziemlich jeden zur Herausgabe seiner ganzen Ersparnisse gebracht hätte. Wenn ich an dem Ertruser vorbei wollte, mußte er entweder freiwillig zur Seite treten, oder ich mußte etwas nachhelfen.

Eine Frau schrie in der Dunkelheit hinter ihm auf.

„Zurück Magran! Er ist ein Anti!"

Eilig machte der Ertruser mir den Weg frei. Ohne ihn zu beachten ging ich an ihm vorbei. In einer Nische der engen Gasse stand ein Antimädchen, sich in den engen Hauseingang drückend, der hinter ihr zu erahnen war. Sie war noch sehr jung und wirkte in ihrem langen wallenden Gewand zerbrechlich und deplaciert.

Vor ihr blieb ich stehen.

Ihre großen dunklen Augen blickten mir angstvoll entgegen. Mit allem hatte sie wohl gerechnet, aber nicht mit einem potentiellen Überfallopfer, das ein Anti war, wie sie. Zu sicher hatte sie sich gefühlt, mit dem bulligen Ertruser als Kumpanen.

„Verzeiht, es handelte sich um einen Irrtum!"

Ich mußte schmunzeln.

„Irrtum ist gut mein Kind! Wie heißt du?"

„Gevoreny! Was gedenkt ihr nun zu tun?"

„Nichts, Gevoreny!"

Demonstrativ machte ich die Geste der Verneinung, wie sie Arkoniden praktizierten, eine Geste, die sie kannte.

„Es ist nicht richtig, was du hier machst! Du solltest deine Fähigkeiten lieber zum Wohle der Allgemeinheit nutzen! Wenn du willst, nehme ich dich mit in den Tempel!"

Sie schüttelte wortlos den Kopf, wie sie es sicher von dem Ertruser gelernt hatte, diese terranische Geste wurde normalerweise nicht von Antis benutzt und machte mit der linken Hand die Ehrenbezeigung, wie sie einem älteren Antipriester gebührte.

Als Anti hatte sie meinen Geist gespürt, der die Aura des Báalol ausstrahlte.

Ohne weitere Begegnungen mit Personen, die mich meines Geldes berauben wollten, gelangte ich zum Eingang des Tempels.

Ich betrat das Haus mit meiner Wohnung so vorsichtig, als würde ich in die Zentrale der Staatlichen Wohlfahrtsorganisation Lepsos einbrechen, jederzeit auf eine Entdeckung vorbereitet und bereit zu jeder Art von Verteidigung.

Die äußere Eintrittspforte ließ sich ohne Kraftanstrengung öffnen und schloß sich geräuschlos, nachdem ich eingetreten war.

Die diffuse Beleuchtung ließ zur Linken und zur Rechten in einem Dämmerlicht hinter Panzerglasplatten die Gestalten von Báalolpriesterinnen in violetten Roben erkennen, die in den Gang in der Mitte sahen, in dem ich mich nun befand. Als Eingeweihter wußte ich natürlich, daß es sich dabei um Illusionen handelte, weil immer nur eine Priesterin bereit war, eventuelle unberechtigt eindringende Personen, in Empfang zu nehmen.

Die Individualtaster der Positronik identifizierten mich und die Innere Pforte schwang auf.

Hinter der Inneren Pforte folgte ein großer Saal, der nur schwach beleuchtet war. Während ich mich nach rechts wandte, um zu den Wohneinheiten zu gelangen, spürte ich bereits ein Individuum, das mich in meinen Räumlichkeiten erwartete. Da Topsiderinnen und Unitherinnen nicht über eine Individualstrahlungsintensität verfügten, um einem Viertelanti wie mir schon aus einer solchen Entfernung aufzufallen, mußte es sich um eine der Priesterinnen des Tempels handeln.

Mit geschlossenen Augen sandte ich ihr das Signal meiner Ankunft.

Meine Fähigkeiten als Antimutant beschränkten sich rein semantisch mehr auf die Sendung als den Empfang.

Wenn ich nun trotzdem die Ausstrahlung auffing, dann nur, weil sie an mich dachte und keinen Wert darauf legte, die Richtung ihrer Gedanken abzuschirmen.

Vor dem Eingang zu meinen Räumen blieb ich stehen.

Nur eine einzige Anti hielt sich im ersten Raum hinter der Tür auf. Es handelte sich um eine relativ junge Frau, die äußerst nervös war.

Ich trat ein.

Auch hinter der Tür herrschte das diffuse Licht der Nacht. Da sich die Frau nicht in meinem direkten Gesichtsfeld aufhielt, wandte ich mich zur Seite, bis ich sie erblickte. Ihre betörende Schönheit wies sie als Netrona Garith aus, die zweifellos zu den schönsten Frauen gehörte, die in diesem Tempel lebten und arbeiteten.

„Netrona, ich freue mich, von dir erwartet zu werden! Woher wußtest du, daß ich in dieser Nacht kommen würde?"

Sie trat einen Schritt auf mich zu.

In ihrer roten Robe, die aus einem Streifen Stoff von sechzig Zentimetern Breite und zweieinhalb Metern Länge bestand, mit einem Loch in der Mitte für den Kopf und die dadurch naturgemäß zur einen Hälfte ihre hintere Körperseite bedeckte und mit der anderen die vordere, sah sie so verletzlich aus.

„Viktor! Das Zentralarchiv hat mich benachrichtigt. Seltsame Dinge sind geschehen, seit dem du Lepso verlassen hattest."

Netrona wandte sich zur Seite und ging zur Wand, in die eine Servoautomatik integriert war. Der seitliche Schlitz ihres Gewandes reichte von den Schultern bis fast zum unteren Ende des Gewandes in der Nähe des Bodens.

Mit meinen Fingern bedeutete ich ihr das alte terranische Zeichen für Viktory, doch das konnte sie nicht kennen und interpretierte es, wie es gemeint war, als Bitte, mir ein Getränk gleicher Art mitzubringen, wie sie es für sich zu tasten gedachte.

„Dann mußt du mir alles in aller Ruhe erzählen!"

Wir setzten uns und Netrona trank erst einmal einen großen Schluck aus ihrem Becher.

Ein Gong erklang vom Eingang.

„Ja!"

Ich sah bei der Aufforderung zur Tür.

„Eine Topsiderin ist mit einem Gleiter am Lieferanteneingang und will dir einige Utensilien bringen!"

„Sie soll die Utensilien herbringen!"

Da ich keine Antwort erhielt, mußte ich davon ausgehen, daß meine Anweisung in die Tat umgesetzt werden würde.

„Vor wenigen Wochen erschien hier am Tempel ein Haushaltsroboter und gab an, einem Augustos Rohnberg gehört zu haben und nach dessen Ableben an dich vererbt worden zu sein!"

Ich war sprachlos.

Sollte der alte Arkonide tatsächlich meinen Vorgänger instruiert haben, alle Informationen an mich weiterzugeben, wenn er seinen Auftrag nicht zu Ende führen konnte?

Oder gab es Zusammenhänge, die so offensichtlich waren...

Gong.

Wir sahen beide zur Tür.

„Die Topsiderin begehrt Einlaß!"

Ich mußte grinsen.

„Sie möge eintreten."

Sekunden später schob Norgef Darim eine kleine Antigravplatte in den Raum. Mit einem kurzen Blick betrachtete sie die sich ihr bietende Szene.

Viktor Kaiman mit einer fast unbekleideten Frau bei diffusem Licht mit einem Glas in der Hand.

Sie ließ die Antigravplatte los, stemmte sich auf ihren Schwanz, der den Namen Topsider zu verantworten hatte und sah mich mit einem schwer zu durchschauenden Gesichtsausdruck ihres Echsengesichtes an.

Wenn ich nicht zuvor mit ihr am Trivideoschirm kommuniziert hätte, wäre meine Chance gering gewesen, ihre Gedanken zu erfassen, denn bei einem Viertelanti war es weit her mit der Telepathie.

„Vielen Dank, Norgef. Wir werden in den nächsten Tagen miteinander kommunizieren, es sei denn, ich müßte länger auf Lepso bleiben, dann würde es sich lohnen, das Raumschiff im Orbit zu parken und Gebühren zu sparen.

„Ich hoffe, daß dir die von mir gebrachten Utensilien die Begegnung versüßen werden, Viktor!"

Sie drehte sich um und verschwand.

Netrona Garith sah mich ernst an.

„Netrona, ob sie Recht hatte mit ihren Gedanken bezüglich der Situation hängt von dir ab. Daß sie Unrecht hatte mit ihren Gedanken bezüglich der Utensilien, kann ich dir versprechen!"

Netrona hatte in den Gedanken der Topsiderin blättern können, wie in einem offenen Buch, denn sie war zu hundert Prozent eine Anti.

„Da wir nichts Verdächtiges am Haushaltsroboter entdecken konnten, haben wir ihn hier im Raum in eine leere Nische für Roboter geschickt. Seit dem steht er da drin und wartet auf dich!"

„Was noch nicht erklärt, warum du hier so nervös auf mich gewartet hast!"

Sie rutschte etwas unruhig auf ihrem Sitz hin und her. Ich mußte mich vor Fehlinterpretationen bezüglich ihres Hierseins hüten.

„Der Roboter erklärte, er habe Informationen, von denen würde dein Leben abhängen, daher müsse er direkt nach deinem Eintreffen aktiviert werden, um dich zu warnen."

Es ehrte mich, wenn die schöne Netrona Garith so besorgt um mich war, daß sie mir diese Information persönlich geben mußte.

Ich drückte sie an mich, um ihr die Angst zu nehmen.

Ob der Roboter nun einen Tag länger im Schrank stand und desaktiviert blieb, würde er nicht bemerken können.

*


Ryk-451, im Jahr 2656.

Dunkelheit lag über dem Tal.

Der erste Blitz zeichnete seine bizarre Struktur am Horizont.

Die Megalithfestung am Fuße des Berges erstrahlte kurz in der Lichtflut.

Wassermassen fielen vom purpurfarbenen Himmel.

Der Donner ließ alle zusammenzucken, die die Sekunden gezählt hatten, die seit dem Blitz vergangen waren.

Der zweite Blitz schlug näher ein.

Der Megalithbau glänzte im grell erstrahlenden Lichtschein.

Der krachende Donner verhieß nichts gutes.

An einem Fenster in der Megalithfestung stand eine schöne Frau und sah in die Finsternis.

*


Lepso, im Jahr 2656.

Das diffuse Licht in meinen Räumlichkeiten war der Helligkeit des Tages gewichen, die durch - Lichtschächte mehrmals umgelenkt - von der Decke her den Raum erhellte.

Netrona Garith war gegangen, um ihren Pflichten im Tempel nachzukommen und ich näherte mich zögernd, ja ehrfürchtig dem Abstellplatz des Roboters.

Ohne es auch nur ansatzweise geahnt zu haben, war ich da in eine Angelegenheit hineingeraten, in der ich schon über die Maßen stark involviert war, bevor ich überhaupt von dem Auftrag gewußt hatte.

Bevor ich mich dem Roboter in der Nische zuwandte, die ich nun zu öffnen gedachte, hatte ich Kontakt zum Zentralarchiv aufgenommen, mit dem Auftrag, in den vorhandenen Speichern des Planeten nach einer Frau zu suchen, die wie Mirona Thetin aussah.

Seit dem offiziellen Ende Faktor I waren so viele Jahre vergangen, daß sie sich wahrscheinlich völlig unbehelligt und unerkannt über alle Planeten der Galaxis bewegen konnte, ohne jemandem aufzufallen, außer Atlan oder einigen anderen Zellaktivatorträgern, bei denen sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.

Die Gebühren, die ich an das Zentralarchiv zu entrichten hatte, waren immens, so kamen mir zunächst Zweifel bezüglich der Authentizität der Summe, was mich aber nicht daran hinderte, zu signalisieren, durchaus zahlungswillig zu sein.

Mittels eines Strahlungsmeßgerätes registrierte ich die derzeitige Inaktivität des Roboters in seiner Nische. Zumindest zur Zeit war die Maschine absolut desaktiviert, es würde also einige Minuten dauern, ihn wieder normal in Betrieb zu nehmen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund mißtraute ich zu diesem Zeitpunkt dem Roboter, der auf so obskure Weise zu mir gelangt war und allem anderen, was zu diesem Auftrag gehörte, einschließlich dem alten Arkoniden.

Bevor ich mittels Fernimpuls die Nische öffnete, schaltete ich meinen körpereigenen Schutzschirm ein, der ähnlich undurchdringbare Eigenschaften aufwies, wie seinerzeit die Individualschutzschirme der ehemaligen Meister der Insel. Mein Schirm erhielt diese Qualitäten allerdings erst durch Einsatz meiner latenten Antifähigkeiten, ein Individualschutzfeld zu verstärken.

Der Roboter sah nicht anders aus, als tausende andere Universalhaushaltsmaschinen, ein aufrecht stehender zylindrischer Rumpf ruhte auf drei Beinen, die zur normalen Fortbewegung mit Rollen versehen waren, am oberen Ende war eine halbkugelförmige Kommunikationseinheit zu finden und seitlich vom Rumpf acht verschiedene Extremitäten, die zum Teil tentakelartig auszufahren waren.

Man mag meine Vorsicht für übertrieben halten, aber ich öffnete so vorsichtig wie möglich die Verkleidung der Maschine, überzeugte mich davon, kein ungewöhnliches Bauteil in ihrem Inneren vorzufinden und trennte alle Verbindungen der Kommunikationseinheit vom motorischen Apparat.

Da im Robotkörper keine Bauteile zu finden waren, die dazu geeignet erschienen, Informationen zu speichern, demontierte ich die Kommunikationseinheit nun vollständig, schloß sie an einer externen Energiequelle an und aktivierte sie, nachdem ich aus dem nun in der Nische zurückgelassenen Rumpf die Energiezelle ausgebaut hatte.

Ein altes akonisches Sprichwort besagt, daß Vorsicht die Ursache für ein langes Leben sein kann.

Auf der Kommunikationseinheit erschien eine Anzeige, die den Totalausfall des Roboters wegen nicht vorhandener Betriebsanzeige der ausführenden Sektionen besagte.

Ich schloß die Kommunikationseinheit an meiner Positronik an, um die abgespeicherten Daten abrufen zu können, ohne mit der Kommunikationseinheit in Kontakt treten zu müssen.

Mit Hilfe der Positronik fand ich innerhalb einer Stunde einige versteckte Informationsbänke, die ich isolierte und in den Speicher der Positronik kopierte.

Als ich versuchte, die Daten auf dem Holokubus darzustellen, verlangte die Positronik den Zugangscode.

Aus einem kaltblütig intuitiven Impuls heraus gab ich meinen Namen an, denn immerhin war die Maschine ohne mein Dazutun zu mir gelangt.

Ich wurde tatsächlich als zugangsberechtigt identifiziert.

Ein Piep des Externkommunikators unterbrach mich in meiner Arbeit.

Das robotische Zentralarchiv wollte mir die bestellten Daten übermitteln. Ich ließ die Daten in meine Positronik speichern und bestätigte die geforderte horrende Summe.

Meine Neugier hatte nun einen Kampf auszufechten, auf welche Informationen sollte ich zuerst zurückgreifen?

Die Informationen im Speicher des Roboters besagten, Atlan sei sicher gewesen, es hätte von Mirona Thetin eine Atomschablone gegeben, wie man sie für Multiduplikatoren der Meister der Insel brauchte, um ein genaues Abbild des Originales herzustellen. Diese Informationen hatte der Arkonide in Mironas Verhalten kurz vor ihrem Tode hineininterpretiert. Da ihr Körper andererseits nicht verfallen war, wie bei den anderen Meistern der Insel, mag dem Umstand zuzuschreiben gewesen sein, daß sie als Faktor I die Aktivatoren der anderen Meister umgeschaltet hatte, so vermutete man zumindest vor ziemlich genau zweihundertfünfzig terranischen Jahren. Einerseits mußte sie den Aktivator im Körper getragen haben, andererseits hatte man ihn auf der IMPERATOR nicht orten können. Wenn sie nun ein sogenannter Duplo des Originales gewesen wäre, hätte sie ohne Zellaktivator nur wenige Sekunden zu überleben gehabt. Entweder war die von Atlan getötete Mirona Thetin ein Duplo des Originales mit Zellaktivator oder der Arkonide hoffte einen Duplo mit Zellaktivator zu finden, oder er suchte die Atomschablone, um sie zu duplizieren und dann mit einem Aktivator zu versehen.

Das Ergebnis wäre möglicherweise für ihn gleich gewesen denn er hatte Mirona Thetin geliebt und sie hatte ihn geliebt.

Diese Vorabinformationen stammten aus dem ersten Speicher des Roboters. Meine Vorgänger hatten zum Teil ermittelt, welche Aktivitäten die Meister der Insel in dieser Milchstraße in den letzten Jahrtausenden durchgeführt hatten und es war geradezu erschütternd, die Fakten zu ordnen, aus denen die Machenschaften dieser sieben bis dreizehn Menschen hervorgingen. Das Archiv der Haluter auf Halut war ergiebig gewesen, denn die Haluter hatten Jahrtausende lang die Geschehnisse in der Galaxis beobachtet, immer auf der Suche nach Indizien für eine Rückkehr der Lemurer aus dem Andromedanebel suchend. Oft genug hatten sie unerkannt die Anfänge im Keim erstickt, aber es gab noch einige Stützpunkte der alten Lemurer in der Galaxis und wer konnte schon sagen, ob sie nicht später von den Meistern der Insel weiterbenutzt worden waren.

Augustos Rohnberg war nach Lepso gekommen, weil er Informationen erhalten hatte, ein Springer versuche einen Multiduplikator der Meister der Insel meistbietend zu verkaufen.

Er hatte gehofft, über einen solchen Apparat Informationen zu erhalten, die eine direkte Spur zu den nicht mehr existierenden Meistern der Insel mit sich brachten und somit zu versuchen, Faktor I oder deren Duplo mit Zellaktivator auf die Spur zu kommen.

Warum hatte der Roboter sich in meine Wohnung begeben?

Mittels meiner Positronik drang ich in seinen Speicher ein, in dem er seine täglichen Verrichtungen aufzeichnete und suchte nach der letzten Begegnung mit Augustos Rohnberg.

Der Holokubus meiner Positronik zeigte die Erinnerungen des Roboters auf dem Bildschirm an.

Der von Rohnberg bewohnte Raum war zu erkennen, in dem der Roboter damit beschäftigt war, Staub zu saugen, als Rohnberg den Raum verließ. Aus der eingeblendeten Zeitanzeige war zu ersehen, daß Rohnberg zu diesem Zeitpunkt noch genau sieben Lepsostunden zu leben gehabt hatte.

Die nun folgende Hausarbeit war so interessant und erbaulich, wie Hausarbeit nur sein konnte, bis die Information von Rohnbergs Ableben zum Universalhaushaltsroboter gelangte. In solchen Fällen ruft eine Haushaltseinheit immer die Informationen ab, die ihm sein Besitzer für einen solchen Fall hinterlassen hatte. In diesem Fall gab es nur eine Anweisung, die als geheim gekennzeichneten Informationen nur jemandem zu übermitteln, der über den entsprechenden Berechtigungscode verfügte.

Was nach der Todesnachricht geschah, war für mich unbegreiflich, ich konnte es zunächst nicht glauben, dazu aber wieder so schlampig ausgeführt, daß ich auch dieses nicht glauben wollte.

Jemand hatte den Zugangscode nachträglich geändert und dem Roboter befohlen zu mir zu gehen und da auf mich zu warten.

Ein solcher Eingriff war geradezu ausgeschlossen, aber wenn es tatsächlich jemandem gelingen sollte, eine solche Manipulation vorzunehmen, dann konnte man die Spuren zumindest geschickt genug vertuschen, um sie vor einem oberflächlichen Beobachter kurzfristig verbergen zu können. Aber sie wurden von mir entdeckt, was nur eines bedeuten konnte. Jemand wollte sicher gehen, diese Manipulation durch mich entdeckt zu wissen. Nur was wollte dieser Jemand damit bezwecken?

Die Informationsspeicher des Roboters gaben nicht her, wer ihn manipuliert hatte, ich konnte nur den genauen Zeitpunkt ermitteln.

Mein erster Gedanke war eine direkte Anfrage beim Zentralarchiv, wer sich zum fraglichen Zeitpunkt alles im Gebäude aufgehalten hatte, doch erschien mir ein solches Vorgehen nicht nur als zu plump, sondern auch als gefährlich, denn ich wurde den Verdacht nicht los, alle meine Handlungen seien nicht mehr selbstbestimmt, seit dem ich den Auftrag des Alten angenommen hatte.

Wer manipulierte mich und wozu?

*


Ryk-451, 2656.

Hinter einem kleinen Fenster, durch das, wegen der meterdicken Außenwände, kaum ein Lichtstrahl ins Innere gelangte, saß eine Frau vor einem Holoprojektor.

Vor ihr erschien ein Hologramm des Tales, in dem die Megalithfestung stand. Das Tal hatte sich kaum verändert, die Zeit seit der Aufnahme des Hologrammes hatte nur eine wesentliche Veränderung mit sich gebracht, die Festung, denn sie war auf dem Hologramm nicht zu sehen.

Majestätisch langsam senkte sich eine schwarze fugenlose Kugel aus den Wolken nieder und schwebte zwischen den Bäumen des Tales.

Das Hologramm änderte den sichtbaren Ausschnitt. Die Frau konnte nun aus einem anderen Winkel in das Tal sehen, von einem höheren Standort aus.

Sie wußte, daß genau dieser Ausschnitt, den sie nun sah, aus der schwarzen Kugel heraus eingespeichert worden war.

*


Lepso, 2656.

Lorrg Nugdrim hatte mir den Rücken zugedreht, sah mich aber mit ihren hinteren Augen an, wie es nur Blues mit ihren Tellerköpfen vermochten.

Lorrg gehörte zu der Besatzung meines Schiffes. Ich hatte mich mit ihr in einer Bar in der Nähe des Kasinos getroffen, um ihr einen Speicherkristall zuzustecken.

Ich erwartete von ihr, daß sie mir alle zur Verfügung stehenden Informationen beschaffte, die das Haus betrafen, in dem Augustos Rohnbergs Roboter manipuliert worden war. Ich hatte die junge Blue instruiert, diese Informationen aus dem Zentralarchiv mit den unterschiedlichsten Begründungen anzufordern, die keine Rückschlüsse auf sie selber, Augustos Rohnberg, den Roboter und mich zuließen.

„Wenn du noch länger hier beschäftigst bist, werden wir den Orbit aufsuchen, du kannst ja dann jederzeit mit einem kleinen Beiboot abgeholt werden!"

„Ja, ich lasse euch in dieser Beziehung freie Hand! Ich würde mich freuen, dich in einem halben Tag wieder treffen zu können, sagen wir wieder hier!?"

„Gute Geschäfte Viktor!"

Sie drehte sich zu mir um, wobei ihr Tellerkopf auf dem viel zu schmalen Hals bedächtig schwankte, brachte es noch fertig mir zuzunicken und ging.

Auch wenn ich etwas anderes gesagt hatte, würde Lorrg ein anderes Besatzungsmitglied zu mir schicken, um mir die benötigten Informationen zu überbringen.

Meine Wohnung im Ischtartempel würde ich aus Sicherheitsgründen nicht mehr aufsuchen. Netrona Garith hatte mir den Zugangscode zu einer Wohnung gegeben, die sie vor Jahren von einer Verwandten geerbt hatte und nur äußerst selten aufsuchte. Die Übergabe des Zugangscodes und die Information, wo ich diese Wohnung finden könne, hatte sie mir so unauffällig gegeben, als sei sie selbst schon seit Jahren in der Solaren Abwehr, der USO oder dem akonischen Energiekommando beschäftigt. Diesen Gedanken beiseite schiebend machte ich mich auf den Weg zu dieser Wohnung, ohne es zu versäumen, eventuelle Verfolger abzuhängen, was unter den Bedingungen der ständigen Überwachung durch das lepsoische Zentralarchiv sicherlich nicht einfach war.

Die Daten bezüglich meiner Aufgabe hatte ich in meiner Positronik gelöscht und trug nun einen Speicherkristall mit mir herum, der alles enthielt, was der Roboter für mich zu bieten gehabt hatte, die Informationen aus dem Zentralarchiv und alle Informationen geschichtlicher Natur, die ich für wichtig hielt.

Die Wohnung, die mir Netrona zur Verfügung gestellt hatte, erwies sich als geräumig und luxuriös. Riesige Fensterflächen ließen großzügig das Licht des Tages herein, aber nicht wieder hinaus. Niemand konnte von außen in die Wohnung sehen, aber von drinnen blieb einem nichts verborgen, was sich außerhalb abspielte.

Eines der großen Fenster ließ ich aufgleiten und mittels eines Energievorhanges für austretende Lichtstrahlen undurchlässig werden. Materie konnte nun ohne Schwierigkeiten passieren, allerdings war es unwahrscheinlich, rund zehn Meter über dem Boden mit eindringender Materie zu rechnen. Als ich mich auf einer Liege niederließ, um einige Stunden zu schlafen, schaltete ich trotzdem meinen Individualschutzschirm ein, der auch während des Schlafes durch meine latenten Antifähigkeiten verstärkt werden würde.

Ich träumte von einem Multiduplikator, aus dem eine Mirona Thetin nach der anderen trat, um nach wenigen Schritten zusammenzusinken und nach dem Tode zu verfallen.

Schweißgebadet wachte ich auf.

Auf der Straße vor Netrona Gariths Wohnung spielten lärmend Kinder.

Grinsend erkannte ich kleine Tellerköpfe, die mit blauem Flaum bedeckt waren.

Fünf kleine Blueskinder, die man nicht voneinander unterscheiden konnte spielten mit einer urterranischen Frisbyscheibe, die einer der ersten Exportartikel der Terraner zu den Planeten der Gataser gewesen war.

Die Blues warfen sich die Scheibe mit mehr oder weniger Geschick gegenseitig zu, bis sie von einem der ungeschicktesten zu hoch geworfen wurde und geradewegs genau durch mein Fenster mit dem Energievorhang zu mir hereingeflogen kam.

Guter Wurf Kleiner!

Mit einem schnellen Griff entfernte ich den kleinen Speicherkristall, den die Mutter der Kinder unter der Scheibe angebracht hatte und wartete ab, bis das Getöse der Blueskinder unten auf der Straße nicht mehr zu überhören war. Ich warf die Scheibe zurück, durch den Energievorhang und die kleinen nahmen erfreut ihr Spiel wieder auf, wobei sie sich lärmend entfernten.

Die kleinen Blues und ihre Mutter Lorrg Nugdrim hatte ganze Arbeit geleistet. Die Informationen des Speicherkristalls gab ich der Positronik ein, die in Netrona Gariths Wohnung stand. Zuvor hatte ich mich davon überzeugt, daß diese Positronik mit keinem anderen Gerät vernetzt war.

Lorrg Nugdrim hatte einen alten Springer gegen Bezahlung dazu gebracht, beim Zentralarchiv die entsprechenden Informationen zu erhalten, indem er angegeben hatte, in der besagten Zeit habe man ihn in der Straße vor dem betreffenden Haus angesprochen und da er nun doch auf das angebotene Geschäft eingehen wolle, brauche er eine Aufzeichnung der Personen, die das Gebäude betreten hatten, denn dahin sei sein zukünftiger Geschäftspartner verschwunden. Solche Anfragen waren nichts Ungewöhnliches, denn mindestens sechzig Prozent der auf Lepso abgeschlossenen Geschäfte galten auf anderen Planeten der Galaxis als illegal.

Als selbstverständlichen Service hatte der Springer gegen entsprechend horrende Bezahlung auch noch eine Aufzeichnung der einfliegenden Gleiter erhalten und natürlich eine Aufzeichnung von innerhalb des Gebäudes, auf der man die den Gleitern entsteigenden Personen erkennen konnte.

Wenn sich jemand auf Lepso für die Schritte eines Mitmenschen interessierte, konnte er eine Menge in Erfahrung bringen. Wenn man sich allerdings dafür interessierte, wer was in Erfahrung bringen wollte, biß man auf Granit.

Ohne mir die Personen, die das Gebäude betreten hatten, näher anzusehen, kopierte ich sie in meinen kleinen Bildspeicher, der in den Chronometer am rechten Handgelenk integriert war.

Ich erwartete zwar nicht, eine der Personen zu erkennen, die das Gebäude betreten hatten, aber konnte jederzeit nachsehen, ob sich mein jeweiliges Gegenüber im Gebäude aufgehalten hatte, als man den Roboter manipuliert hatte.

Also begann ich die Informationen zu sondieren, die das Zentralarchiv geliefert hatte. Aufgrund eines Strukturbildes von Mirona Thetin hatte die planetenumfassende Informationszentrale einen ganzen Wust von Daten geliefert.

Ich öffnete die Datei.

Fünfhundertsechsundachtzig Eintragungen in den letzten zwölftausend Jahren.

Meine Verblüffung war wohl kaum noch zu überbieten. In solchen Situationen kroch es mir kalt über den Rücken, ein Erbe meiner terranischen Vorfahren. Da auch meine Augen zu tränen begannen, hatte ich immer angenommen, in meine Ahnenreihe habe sich irgendwann einmal ein Arkonide eingeschlichen.

Ich sah mir zunächst die Daten der jeweiligen Aufzeichnungen an. Hinter den Zeichen für lepsonische Zeitrechnung standen noch die Umrechnungen auf den arkonidischen, den akonischen und den terranischen Kalender.

Die erste Eintragung erfolgte im Jahr 9541 vor Christus. Immerhin 561 Jahre vor dem Zeitpunkt, als Atlan seinen Zellaktivator von ES erhalten hatte. Wenn der Arkonide schon im Vergleich zu allen anderen Aktivatorträgern uralt war, wie alt mochte dann Mirona Thetin sein? Immerhin hatte sie schon vor zwanzigtausend Jahren ihren Zellaktivator erhalten, zusammen mit zwölf anderen Lemurern und nach einigen Jahrtausenden sechs ihrer Kollegen aus dem Wege geräumt, indem sie ihre Zellaktivatoren aus - oder umgeschaltet hatte; das Ergebnis war und blieb das Selbe.

So verblüffend der Zeitpunkt der ersten Eintragung auch war, denn diese schöne Tefroderin war schon vor 12197 Jahren auf Lepso gewesen, also gehörte sie zweifellos zu jenen Personen, die das Kasino zur Zeit seiner Entstehung gesehen hatten. Mit Sicherheit war sie auch die einzige noch lebende Zeitzeugin. Aber was die letzten zwanzigtausend Jahre anging, war sie sicher die einzige Zeitzeugin, es sei denn, ich jagte einem Phantom nach.

Die letzte Eintragung war unter dem Jahr 2656.

Ich weiß nicht, welchem Umstand ich es verdanke, nicht in Ohnmacht gefallen zu sein, doch ein Blick auf den interstellaren Wandkalender, den Netrona Garith an einer der Wände hängen hatte, bewies mir in aller Deutlichkeit, ich irrte mich nicht. Auf Terra schrieben wir Dienstag den 23. August des Jahres 2656!

Ich hatte nun einen Wust von Daten aus den unterschiedlichsten Quellen und wurde das Gefühl nicht los, die Informationen würden mir viel zu einfach zufliegen, was mein Gefühl, das ich schon seit einiger Zeit in der Magengegend hatte, nicht unbedingt verbesserte.

Jemand hatte den Haushaltsroboter nach Augustos Rohnbergs Ableben manipuliert, wohl wissend, ich würde sein Nachfolger werden.

Dieser Gedanke allein reichte schon aus, mir zu signalisieren, diesen Planeten so schnell wie möglich zu verlassen, da ich keine Veranlassung dazu verspürte, irgend jemandes Zielscheibe zu werden. Des Weiteren erschien es mir als hochgradig verdächtig, in so kurzer Zeit Informationen zusammengetragen zu haben, die besagten, eine Frau mit dem Aussehen Mirona Thetins habe noch vor wenigen Tagen gleichzeitig mit mir auf Lepso geweilt, obwohl sie vor 250 Jahren von Atlan getötet worden war.

Vielleicht hätte ich diesen Auftrag nicht annehmen dürfen, denn schon die Nennung des Begriffes Meister der Insel hätte mich nachhaltig warnen müssen. Wie konnte ich auf Informationen gestoßen sein, obwohl die Agenten der letzten zweihundert Jahre sicher nicht schlechter waren als ich. Die ganze Sache roch förmlich nach einer Falle.

Aber wenn schon eine Falle, dann für wen?

*


Ryk-451, 2656.

Am Morgen ging die erste Sonne auf.

Das Gewitter hatte keinen Schaden angerichtet, wie die Gewitter der letzten Jahrtausende keinen Schaden angerichtet hatten.

Die Megalithfestung stand unversehrt im Tal und reflektierte das Licht der blauen Sonne.

Erst Stunden später beim zweiten Sonnenaufgang, als die rote Sonne ihre Lichtfinger nach dem Planeten ausstreckte, erstrahlte die Festung einer alten Kultur in ihrem wahren Glanz.

Die Frau stand am Fenster und sah in die Ferne...

*


Lepso, 2656.

Netrona Garith hatte ihre Wohnung aufgesucht, von der nach ihren Angaben niemand wußte. Warum hatte sie mir diese Wohnung zur Verfügung gestellt?

Oder war ich zu mißtrauisch?

„Netrona, ich danke dir für diese Wohnung, ich konnte sie gut gebrauchen. Trotzdem werde ich Lepso noch heute verlassen!"

Wie sollte ich die Bestürzung in ihrem Gesicht einordnen?

„Wenn ich dir weiterhin helfen kann, sag es!"

„Ich stehe schon zu tief in deiner Schuld, Netrona! Wenn ich nach Lepso zurückkomme, werde ich hoffentlich Gelegenheit genug haben, mich bei dir zu bedanken!"

Lächelnd trat sie einen Schritt auf mich zu.

„Ich habe dich nie gefragt, was für Geschäften du nachgehst! Du kamest in den Tempel, wann immer es dir beliebte. Deine Räumlichkeiten wurden von uns immer untadelig verwaltet und du entrichtetest immer deine jährlichen Beiträge. Niemand von uns hält dich für einen normalen Báalolpriester. Für das akonische Energiekommando arbeitest du nicht, doch deine Wege sind nicht die des Geschäftsmannes oder des Priesters. Deine Wege sind die Verborgenen, deren Sinn man nur verstehen kann, wenn man ebenfalls im Verborgenen arbeitet. Viktor mit dem terranischen Namen, sei vorsichtig, auf daß dein Leben lange währe!"

Ein Robottaxi sollte mich zum Raumhafen bringen.

Ich hatte der Positronik nicht den Namen meines Schiffes angegeben, sondern gesagt, ich wolle beim Gebäude des staatlichen Wohlfahrtsdienstes aussteigen.

Der Flug des Gleiters verlief so normal, wie ich es gewohnt war, bis wir uns dem Raumhafen genähert hatten. Ich bereitete mich schon auf den Ausstieg vor, als der Gleiter plötzlich mit irrwitzigen Werten beschleunigte und am Rande des Raumhafens entlang, mit mir als einzigem Passagier in Richtung Westen davonjagte.

Am westlichen Rand des Raumhafens gab es eine kleine Abwrackwerft, die kleinere Raumfahrzeuge zerlegte, dem Recyclingprozeß zuführte und aus den noch brauchbaren Aggregaten billige Gebrauchsraumer produzierte, die sich auch relativ arme Springer-Patriarchen leisten konnten.

Mein Robottaxi hielt mit hohen Werten auf eines der zu zerlegenden Raumschiffe zu, verzögerte knapp und flog durch die obere Polschleuse in den Raumer ein.

Zu hart setzte der Robotgleiter auf.

Fast jeder Terraner oder Akone hätte schon beim Aufsetzen sein Bewußtsein verloren, mich rettete einzig mein durch Antikräfte verstärkter Individualschutzschirm, der sich allerdings nach der mechanischen Überlastung, selbsttätig ausschaltete.

Da ich mir sicher war, daß niemand auf Lepso die Gerüchte bezüglich meines möglichen oxtornischen Großvaters kannte, schloß ich die Augen und spielte den Bewußtlosen. Jahrelanges Training in Extremsituationen und der Umstand, daß ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wenn mir dazu geeignete Geräte zur Verfügung standen, eine möglichst hohe Gravitation auf meinen Körper einwirken ließ, konnten schon dazu führen, daß man sich auf einem Planeten wie Ertrus so ziemlich ungehindert bewegen konnte, auch ohne Epsaler, Ertruser oder Oxtorner zu sein.

Die Tür des Gleiters wurde mit Wucht zur Seite gerissen und durch meine Augenlider erkannte ich die riesenhafte Silhouette eines Ertrusers, der mich unsanft am Kragen ergriff, aus dem Gleiter riß und zu Boden warf.

Ich mußte diese Handlung unweigerlich als feindlichen Akt einordnen, da der Ertruser bei dieser Aktion einem normalgebauten Anti oder Terraner schon die Rippen gebrochen hätte. Der Aufprall auf dem harten Boden hätte den meisten Humanoiden eine Gehirnerschütterung, wenn nicht mehr eingehandelt.

Als der Ertruser näher kam, um erneut nach mir zu greifen, riß ich die Augen auf, was ihn zu einem überraschten Ausruf veranlasse.

Ich rollte mich zur Seite, weil ich nicht von diesem achthundert Kilogramm schweren Fleischberg plattgewalzt werden wollte, der unter einer Gravitation von 3,4 g aufgewachsen war.

In solchen Augenblicken bedauerte ich immer, nicht wirklich genetisches Material von meinem potentiellen oxtornischen Großvater mitbekommen zu haben. Zwar verzichtete ich auf meine kleine Waffe, die ich immer noch als Trumpf im Ärmel hatte, wie auf meinen Individualschutzschirm, war aber bereit, auf diese beiden Mittel der Überlegenheit zurückzugreifen, falls ich den Ertruser nicht so zur Räson zu bringen vermochte.

Wütend knurrend versuchte er nach mir zu greifen. Mit beiden Händen erfaßte ich sein Handgelenk und schwang, da ich ihn mit meinem Fliegengewicht nicht zu Fall bringen konnte, meinen ganzen Körper hoch, um ihm mit beiden Füßen gleichzeitig ins Gesicht zu treten.

Jede andere Person wäre nach einer solchen Aktion für Stunden außer Gefecht gewesen, nicht so ein Ertruser.

Da ich sein Handgelenk weiter festgehalten hatte und mein Schwung reichte, um meine Beine über seinen Kopf zu bringen, zwang ich ihn, um die Drehbewegung in seinem Arm so gering wie möglich zu halten, sich hinter mir her zu drehen, da ich ihn ansonsten durch meinen Schwung nach hinten gerissen hätte. Die Überraschung des Ertrusers begann abzuklingen. Er hatte damit gerechnet, auf einen in seinen Augen wehrlosen Terraner oder Akonen zu treffen. Als er nun bemerkte, daß sich sein vermeintliches Opfer zu wehren vermochte, begann er, so zumindest dachte er, Ernst zu machen.

Ich änderte meine Taktik und ließ seinen Arm los. Es hatte sowieso keinen Sinn, den Arm eines Ertrusers festzuhalten, da er einen normal gebauten Arkoniden oder Anti wegen des geringeren Gewichtes meterweit zu werfen vermochte, und das mit einem Arm.

Abwehrbereit stand ich ihm gegenüber.

Grinsend sah er seine Hand an und ballte sie zur Faust. Der Schlagkraft eines solchen Dampfhammers hätte ein Oxtorner nicht auszuweichen brauchen, ebensowenig wie ein Epsaler oder Haluter. Mir blieb nur ein kurzes Ausweichen und der Vorteil meiner geringeren Massenträgheit. Meine Faust traf seine linke Schulter knapp unterhalb des Schlüsselbeins. Da ich fast mit der Kraft eines Umweltangepassten zugeschlagen hatte, reichte das aus, ihm eine partielle Nervenlähmung zuzufügen.

Seine Überraschung wurde noch größer. Ein Ertruser ist normalerweise unter solchen Bedingungen in seiner Ehre gekränkt, es sei denn, er stände einem Artgenossen gegenüber - aber so.

Ich rechnete mit einem durchdrehenden Berserker, sollte mich aber irren.

Seine rechte Hand fuhr in seine Jacke, sein linker Arm hing unbrauchbar an seiner Seite.

Mit einem Gedankenimpuls baute ich mein Schutzfeld auf und verstärkte es augenblicklich. Die doppelte Staffelung des Schutzschirmes bewahrte mich vor weiterem Schaden, denn was er als Waffe zum Vorschein brachte, war ein Kombistrahler terranischer Bauart, wie er speziell zur Bekämpfung von Antis entwickelt worden war. Während er auf den Auslöser drückte, glitt auch schon mein kleiner 700 Jahre alter Derringer aus meinem Ärmel in meine Hand und jagte ihm eine Terkonitkugel in die Brust.

Ungläubig starrte er mich an.

Er hatte wahrscheinlich gedacht, ich sei unbewaffnet und hatte nur mit meinem Schutzschirm gerechnet, weil er im Robottaxi, das er ja auch manipuliert zu haben schien, Ortungsanlagen installiert hatte, die ihm nur das Vorhandensein eines Schutzschirmgenerators angezeigt hatten. Einen alten terranischen Derringer konnte keine Energieortung erkennen. Noch während er gefällt wie ein Baum auf dem Rücken lag, hatte er seinen Kombistrahler auf Dauerfeuer stehen und starrte mich immer noch fassungslos an. Ein terranischer Kombistrahler war seit Jahrhunderten die Waffe der Wahl gegen Antis gewesen. Er wollte immer noch nicht glauben, daß er damit gegen mich nichts ausrichten gekonnt hatte. Seine Kombiwaffe verschoß einen tödlichen Energiestrahl erheblicher Stärke, der durch die Verstärkung meines Energieschirmes aufgehalten wurde. Als zweite tödliche Wirkung verschoß seine Kombiwaffe Projektile in schneller Folge, die aus allen möglichen Kunststoffen und Metallen hergestellt waren. Die Projektile fielen, nachdem sie gegen mein Prallfeld zur Abwehr fester Materialien gerast waren, unwirksam und deformiert zu Boden.

Versuche in der Vergangenheit waren zu dem Ergebnis gekommen, daß diese terranischen Kombistrahler, aufgrund der verschiedenen Projektilmaterialien, mit einer achtzigprozentigen Wahrscheinlichkeit innerhalb von einer halben Minute den verstärkten Schutzschirm eines jeden Antis zu durchschlagen vermochten.

Die Terraner erinnerten mich in ihrer vor etwa fünfhundert Jahren durchgeführten Antihetze an Vampirjäger aus ihrer eigenen Historie, die besessen mit Silberkugeln um sich schossen und Holzpfähle verwendeten.

Wer auf Lepso einen terranischen Kombistrahler mit sich führte, wurde zwangsläufig als jemand eingestuft, der Antis zu töten gedachte.

Der Kombistrahler allein war schon Beweis genug für den staatlichen Wohlfahrtsdienst, daß ich in Notwehr gehandelt hatte.

Der Ertruser atmete kaum noch, als sein Finger sich vom Abzug löste und seine Waffe zu Boden polterte.

„Was wolltest du von mir Magran?!"

Ich hatte meine Stimme durch einen hypnotischen Gedankenstoß verstärkt. In dieser Beziehung war ich ein besserer Anti, als als Telepath.

Hätte ich meine telepathischen Fähigkeiten besser im Griff gehabt, hätte ich seine letzten Gedanken lesen können, denn nun war er schon nicht mehr im Stande zu reden.

Als er seinen letzten Atemzug getan hatte, schloß ich meine Augen und versuchte so entspannt wie es mir nur möglich war, in der Nähe weilende Individuen, insbesondere Antis aufzuspüren. In diesem Zusammenhang dachte ich an das Antimädchen Gevoreny, das Magran, vor einem ersten Angriff auf mich, gewarnt hatte. Damals hatte ich in meiner Arroganz oder Infantilität die Situation völlig verkannt. Man hatte mich überwältigen wollen, mich und keinen anderen. Man hatte mich für einen Terraner oder schlimmstenfalls Akonen gehalten, erst das Mädchen hatte mich als Anti identifiziert und den Koloß zurückgepfiffen.

Leider schien ich nicht nur die positiven Anteile von Antis, Akonen und Terranern geerbt zu haben, sondern schien sich als Negativanteil in meiner Person die allen diesen Völkern eigene individuelle Arroganz noch potenziert zu haben, so unbegründet sie auch immer sein mochte.

Bei diesem Komplott mußte ich endlich offensiv zur Sache gehen, sonst würde ich ein einfältiger Spielball der Gewalten bleiben, deren Identität ich nicht kannte.

Nichts konnte ich entdecken, das Raumschiff und seine Umgebung waren frei von denkenden Individuen, es sei denn, es handelte sich um Personen, die ihre Gedanken abzuschirmen verstanden, wie zum Beispiel Antis. War Gevoreny in der Nähe gewesen? War sie möglicherweise Zeugin meiner Auseinandersetzung mit dem Ertruser Magran gewesen? Und wenn das der Fall war, wo war sie jetzt? Hatte es Sinn, das ganze Raumschiffwrack nach ihr zu durchsuchen?

Ich verließ das Raumschiff, weil ich mich nicht noch einmal einem Robottaxi anvertrauen wollte. Etwa einen Kilometer vom Raumschiffwrack entfernt fand ich eine Robotkolonne, die einen terranischen Allzweckpanzer vom Typ Shift zerlegte. Den anführenden Roboter wies ich an, den staatlichen Wohlfahrtsdienst von dem Mordanschlag auf meine Person zu unterrichten und nachzufragen, ob ich auf die staatlichen Ordnungskräfte zu warten habe.

Sekunden später nannte mir die Maschine einen Preis und ich erklärte mich bereit, die durch die Leiche eines Ertrusers anfallenden Kosten zu übernehmen.

Ich bat den Roboter, meinen Raumer anzufunken, weil ich lieber von jemandem transportiert wurde, dem ich vertrauen konnte.

Etwa eine halbe Stunde später, die Leute des staatlichen Wohlfahrtsdienstes waren schon eingetroffen und ich spielte schon mit dem Gedanken, mich von ihnen zu meinem Schiff bringen zu lassen, hörte ich ein gewaltiges Getöse, das allerdings nicht von einem startenden oder landenden Raumschiff zu stammen schien.

Ein bodengebundenes Fahrzeug schoß auf mich zu und hielt direkt neben mir. Dieses Fahrzeug verfügte über vier luftbereifte Räder und erstrahlte in einem grellen Orange. Johann stieß die Tür auf der rechten Seite auf und machte eine einladende Geste.

Johann Schmidt, der einzige Terraner meines Teams, grinste mir breit entgegen.

„Tolle Karre was? Schwing dich rein Viktor!"

„Wo hast du dieses Bodenfahrzeug aufgetan Johann?"

Ich ließ mich neben ihm nieder und er fummelte an eigenartigen Hebeln herum, die den Galaktohistoriker in mir weckten.

Die Tür ließ ich hinter mir zuknallen. Wir saßen auf schwarzen Sitzen unter freiem Himmel.

„Auf einem Flohmarkt hier. Es handelt sich um den Nachbau eines terranischen Autos aus der Zeit, in der Perry Rhodan noch nicht den Mond betreten hatte.

„Beeindruckend!"

Das Auto ruckte an und brachte mich, wie Johann meinte komfortabel und nostalgisch zu meiner Korvette.

Alle Besatzungsmitglieder meldeten sich in regelmäßigen Zeitabständen im Schiff, um nicht von einem Start überrascht zu werden.

Ich ordnete an, alle Besatzungsmitglieder zurückzurufen und zu starten, wenn alle an Bord waren. Norgef Darim hatte wieder alle Sachen, die mir wichtig erschienen, bei Netrona Garith abgeholt, einschließlich einer Kopie der Informationen, die ich zusammengetragen hatte. Eine weitere Kopie hatte ich zur Sicherheit bei Netrona gelassen und sie gebeten, diese Kopie jemandem zu übergeben, dessen berechtigtes Interesse sie aus seinen Gedanken zu erkennen glaubte, falls sie sicher sei, ich würde nicht mehr leben.

Mich hatte nicht einmal gewundert, daß sie ohne zu zögern akzeptiert hatte.

Als alle meine Leute an Bord waren, wobei ich die fünf Blueskinder nicht zur Besatzung zählte, startete Gara Rofur, die Unitherin, gleichzeitig mit einem größeren Raumer der Akonen, der mich an die gefährlichen Schiffe des Energiekommandos erinnerte.

Ohne Ziel, aber voll flucht - und gefechtsbereit driftete die Korvette aus dem System der Sonne Firing.

In der Polkuppel der Korvette hatte ich mein eigenes Reich, zu dem meine Besatzungsmitglieder nur Zugang hatten, wenn ich sie zu mir rief. Hier sondierte ich die erlangten Daten mit Hilfe einer separaten Positronik, die in keiner Verbindung zum Rest des Schiffes stand.

Ich war an einen Punkt gekommen, an dem sich normalerweise jeder Detektiv genußvoll zurücklehnte, die Fakten sondierte und voller Entschlußkraft zur Tat schritt. Nur hatten diese von mir ermittelten Fakten einen bitteren Beigeschmack.

*


3.

Auf und davon

Ryk-451. 2656.

Irgend jemand hatte sich die Arbeit gemacht, ein Fundament aus geschmolzenem Stein zu fertigen, auf dem er dann Stein für Stein die riesigen Granitblöcke fugenlos zusammengefügt hatte.

Die Granitblöcke verfügten über eine Kantenlänge von vier mal zwei mal einem Meter. Ohne Mörtel waren sie übereinandergelegt worden und wurden gegen Verrutschen durch ausgeformte rezeptorähnliche Auswüchse gesichert. Zwei Meter dick waren die Wände im unteren Bereich der Festung.

Einen einzigen Zugang gab es zu ebener Erde.

Die Frage nach dem Warum war so müßig wie die Frage nach dem Wozu!

Die Fenster hatte man erst in einer Höhe von zwanzig Metern eingebaut, wo die Wandstärke noch einen guten Meter betrug.

Man mochte sich fragen, wie man diese Festung errichtet hatte.

Man mochte sich ebenso fragen, wer der Erbauer war, denn wenn er über ausreichende technische Kenntnisse verfügte, benötigte er keine solche Festung, denn ein einfacher Energieschirm verfügte über einen vergleichbaren Schutzfaktor. Wenn man nicht über geeignete technische Hilfsmittel verfügte, hatte man Jahrhunderte an einem solchen Bau mit tausenden von Personen zu knechten. Wie wollte man die vielen Helfer motivieren, deren Väter schon an diesem nicht enden wollenden Gebäude gearbeitet hatten?

Doch wenn man eine solche Festung mit entsprechender Technologie errichtete, konnte man sicher sein, daß sie über einige Jahrhunderte hinweg nicht von primitiven Eingeborenen betreten wurde. So lange hielt kein Schutzschirmaggregat ohne Wartung.

Nun, die Festung stand in diesem Tal und niemand wußte genau, wer sie erbaut hatte und wann das geschehen war.

Die Stufen innerhalb des Gemäuers ließen zumindest erahnen, daß es sich um große Wesen gehandelt haben mußte, die auf entsprechenden Beinen große Schritte machen konnten. Die Höhe der Räume zumindest betrug zehn Meter. Kein einziger war niedriger als sechs Meter.

Wollten die Erbauer alle Leute, die nach ihnen die Megalithfestung betraten, durch die Raumhöhe beeindrucken?

Zumindest erschien es als gegeben, daß die Erbauer die Höhe der Treppenstufen ihren eigenen Bedürfnissen angepaßt hatten, denn mittels nicht zu begehender Treppen würde wohl kaum jemand die Leute beeindrucken wollen, die nach ihm kamen.

*


Lepso, 2656.

Augustos Rohnberg war einer großen Sache auf der Spur gewesen. Irgend jemand bot auf Lepso relativ unverfängliche Dinge zu absolut unglaublich günstigen Preisen an. Bei diesen Dingen handelte es sich um kulturhistorische Gegenstände, die aufgrund ihrer Seltenheit normalerweise zu horrenden Summen feilgeboten wurden.

Rohnberg hatte mehrere alte terranische Desintegratoren gekauft, ein Modell, das sicher die erste Waffe terranischer Herkunft mit arkonidischer Technik war. Diese Handwaffen waren nur wenige Jahre produziert worden, weil man sie technologisch sehr schnell weiterentwickelt hatte und danach selbst die Arkoniden die terranischen Verfeinerungen übernommen hatten. Jedenfalls waren derartige Des-integratoren schon vor fünfhundert Jahren eine seltene Rarität gewesen. Augustos Rohnberg hatte gleich zu Anfang einen Verdacht und ließ die Desintegratoren, die technisch veraltet waren, überprüfen. Das Ergebnis war, wenn auch nicht anders erwartet, erschrekkend. Alle Strahler wiesen absolut identische Merkmale auf, die nicht durch eine Fertigung auf der selben Maschine in derselben Fabrikationshalle zu erklären waren, sondern nur dadurch, daß es sich tatsächlich dreimal um ein und dieselbe Waffe handelte. Mit anderen Worten war jede dieser Waffen eine absolut originalgetreue Kopie der anderen, was sich bis in die Atomstrukturen fortsetzte.

Kopien dieser Perfektion waren nur auf eine einzige Weise herzustellen, mittels eines Multiduplikators der Meister der Insel.

Multidon fiel mir ein, der Planet in Andromeda, auf dem Faktor III Proht Meyhet residierte und mittels tausender von Multiduplikatoren alles erdenkliche für die Streitkräfte der Meister der Insel herstellte, einschließlich Menschen. Diese Menschen waren sogenannte Duplos, originalgetreue Duplikate von Tefrodern, die in ebenfalls duplizierten Raumschiffen gegen die eindringenden Terraner vorgingen.

Warum hatte Augustos Rohnberg nicht seine Erkenntnisse rechtzeitig an den alten Arkoniden weitergegeben?

Perry Rhodan war vor 250 Jahren relativ sicher gewesen, alle Multiduplikatoren der Meister der Insel vernichtet zu haben. Eine unverständliche Handlung, wenn man mal von der Verwerflichkeit der Duplizierung von Lebewesen absah, waren diese Geräte ja wohl ideal für die Fertigung von großen Serien.

Multidon, der Ort der Multiduplikatoren war durch eine Arkonbombe mittels eines Atombrandes vernichtet worden.

Eine Liste mit gefundenen Gegenständen, die man dupliziert hatte war beigefügt. Ich sah mir die Liste an, weil ich unbedingt zwei Hoffnungen bestätigt sehen wollte. Die Größe der duplizierten Gegenstände, so hoffte ich, war ausnahmslos kleiner als ein ausgewachsener Mensch, was bedeutet hätte, daß der Multiduplikator nur zur Duplizierung kleinerer Gegenstände geeignet war. Meine Hoffnung verflog so schnell, wie sie aufgekommen war.

Was ich da auf dem Bildschirm sah, war nichts anderes, als Johann Schmidts Fahrzeug, mit dem er mich abgeholt hatte. Es handelte sich also nicht um einen Nachbau, sondern um ein dupliziertes Original aus dem Jahr 1970.

Oder...

Aus Rohnbergs Aufzeichnungen ging weiter hervor, wie die duplizierten Gegenstände nach Lepso gekommen waren. In regelmäßigen Zeitabständen war ein Kugelraumer über Lepso erschienen und hatte große Mengen dieser Gegenstände an Bord gehabt, um sie hier an die galaktischen Händler zu verkaufen.

Das Raumschiff hatte einen Durchmesser von einhundert terranischen Metern und trug den Namen NOTRO LANGER.

Mit geschlossenen Augen erinnerte ich mich.

In der Nähe meiner kleinen Korvette entdeckte ich einen Raumer, der wie ein altes Schiff der Tefroder aussah, hielt es aber für unmöglich, ein solches vor mir zu haben. Auf keiner anderen bekannten Welt war es möglich, ohne besondere Genehmigung oder Vorankündigung, mit einem Gleiter zwischen den gelandeten Raumschiffen, deren Landebeine zur Vermeidung von Kollisionen beleuchtet waren, herumzuhuschen. Das Schiff, das ich für tefrodischen Ursprungs gehalten hatte, trug eine Aufschrift in großen arkonidischen Lettern.

NOTRO LANGER.

Der Name klang so wenig arkonidisch wie terranisch. Hätte dieses Raumschiff nicht einen Namen getragen, der in riesigen arkonidischen Lettern an seinem Rumpf prangte, hätte ich es für tefrodisch halten müssen.

Ein Multiduplikator tefrodischen Ursprungs, der Gegenstände herstellte, die man mit einem tefrodischen Raumschiff nach Lepso gebracht hatte.

Ich aktivierte den Kommunikator.

„Johann soll mal zu mir kommen!"

Norgef Darims Stimme meldete sich. Die Topsiderin hatte wohl das Kommando übernommen.

„Er wird gleich kommen!"

Ich tastete zwei schottische Whisky an der Servoautomatik. Johann war Minuten Später da und wir prosteten uns zu.

„Wo und von wem hast du dein Auto gekauft?"

„Oh, wenn er dich interessiert, können wir uns sicher über einen Preis einigen!"

„Ich will diesen Anachronismus nicht kaufen, sondern nur wissen, wo du ihn herhast!"

„Eigentlich hatte ich auch nicht vor, ihn zu verkaufen! Ich habe ihn aus einer Auktionshalle. Eine schöne Frau hat ihn mir verkauft!"

„Du kannst ja schöne Frauen sehr genau beschreiben, dann beschreib mir mal diese Frau, so genau wie möglich!"

„Nun gut. Wenn es eine Terranerin war, trug sie eurasische Gesichtszüge. Der Mund war groß und von vollen roten Lippen umrahmt. Die dunklen Augen waren von beeindruckender Größe und Form, eigentlich hätte sie einem altägyptischen Wandgemälde entstiegen sein können. Ihre Haare waren dunkelschwarz und lang. Größe ungefähr so groß wie du. Sie hatte einen Körperbau..."

Er begann einen schwärmerischen Gesichtsausdruck aufzusetzen.

„Sah sie ungefähr so aus?"

Ich betätigte einige Schaltungen und blendete ein Bild Mirona Thetins, das im Jahr 2405, also vor 251 Jahren angefertigt worden war, auf den Bildschirm der Positronik.

Johann erblaßte.

„Das ist sie! Woher hast du dieses Bild? Und in was für einer altmodischen Kulisse steht die Frau?"

„Das Bild habe ich aus einer Werbeanzeige einer Firma, die nostalgische Gegenstände auf Lepso anbietet!"

Er schluckte meine Ausrede.

„Eine faszinierende Frau, findest du nicht?"

Automatisch nickte ich, sie war wirklich von außergewöhnlicher Schönheit.

Nachdem Johann gegangen war, versuchte ich mir diesen Zeitraum, der vergangen war, zu vergegenwärtigen. 250 Jahre.

Die schöne Tefroderin war vor 250 Jahren von Atlan getötet worden. Vor diesem Zeitpunkt war mein Großvater gerade mal geboren, meine Großmutter wurde im Ischtartempel auf Lepso erzogen und die akonischen Vorfahren meiner Mutter hatten gerade das Licht Akons erblickt. Atlan hatte sich in diesen Jahren kaum geändert, wie er sich auch in den nächsten Jahrtausenden kaum ändern würde. Ebenso die Tefroderin, bei der es sich ja eigentlich nur um einen Duplo handeln konnte, aber woher hatte sie ihren Zellaktivator, der ja bekanntlich gar nicht dupliziert werden konnte?

Aus Augustos Rohnbergs Aufzeichnungen ging hervor, daß etwa einmal im Monat ein Raumschiff auf Lepso erschienen war, um Waren anzubieten, die mittels eines Multiduplikators hergestellt worden waren.

Ich sah mir die 586 Eintragungen durch, die mir das Zentralarchiv übermittelt hatte. Die Frau, deren Schönheit auch mich berührt zu haben schien, war in regelmäßigen Zeitabständen in den letzten Jahren auf Lepso erschienen, um ihre Waren zu verkaufen. Was sollte sie mit dieser Aktion bezwecken wollen?

In den Aufzeichnungen, die vor dem terranischen Aufbruch ins All angesiedelt waren, tauchte diese Frau in unregelmäßigen Zeitabständen auf Lepso auf und tätigte absolut unerklärliche Geschäfte. Es faszinierte mich, schnell zwischen den einzelnen Aufzeichnungen hin-und herzuschalten. Die Frau blieb immer die selbe, nur ihre Kleidung und die Umgebung änderten sich. Zeitsprünge, wie man sie bei einer Schauspielerin in Historienfilmen sehen konnte.

Eine Aufzeichnung ließ mich zögern, aufgrund des eingeblendeten Datums handelte es sich um die letzte.

Ich sah mir die letzte Eintragung an.

Mir stockte der Atem.

Auf dem Bildschirm erschien das originalgetreue Gesicht der Tefroderin.

Mirona Thetin verließ einen Gleiter und betrat die Rampe eines Raumschiffes.

Mir brach der Schweiß aus, als ich im Hintergrund meine Korvette erkannte. Mirona Thetin betrat das Raumschiff, das ich für tefrodischen Ursprungs gehalten hatte und verließ aufrechten Ganges Lepso.

Ein weiterer Schreck fuhr mir in die Glieder, als ich versehentlich den Namen des Schiffes rückwärts las, da dieser Umstand bei einigen galaktischen Sprachen erforderlich war.

NOTRO LANGER!

Dieser Name war nichts anderes als ein Anagramm.

REGNAL ORTON!

Besser bekannt als Faktor VII der Meister der Insel, der Meister der den Terranern als erster zum Opfer gefallen war.

*


Ryk-451, 2656.

Wolken formierten sich über den nahen Bergen. Ein unbeteiligter Beobachter hätte sich gewünscht, diese Naturereignisse visuell zu konservieren. Immer neue Formen und Strukturen wurden langsam vom auflebenden Wind über das Tal getrieben.

Lücken zwischen den Wolken ließen abwechselnd Licht der roten oder der blauen Sonne durch. Die dadurch entstehenden Reflexe gehörten zu den bemerkenswertesten Naturereignissen dieses Planeten.

Die Megalithfestung stand da wie eh und je; allen Unbilden der Natur strotzend, keinen Deut den Elementen weichend.

Ein unbeteiligter Beobachter hätte die perfekt aufeinander abgestimmte Struktur der gigantischen Bauteile der Festung aus geschliffenem Granitgestein bewundert, wäre angesichts solch vollendeter Baukunst vor Ehrfurcht erstarrt.

Doch einen unbeteiligten Beobachter gab es nicht, ja hatte es noch nie gegeben.

*


Im Jahr 2656.

Johann Schmidt hatte bei der Raumhafenbehörde Lepsos nachgefragt, mit welchem Ziel die NOTRO LANGER Lepso verlassen hatte. Ich war fest entschlossen, den Planeten aufzusuchen, von dem die Duplowaren stammten.

Die verlangte Gebühr war bekanntermaßen immens, aber die verlangte Information beinhaltete sogar die genauen Koordinaten des Planeten, den das tefrodische Schiff immer wieder anflog. Dieser Planet war auf keiner bekannten Karte zu finden, auch wenn es einige Springerpatriarchen gab, die ihn regelmäßig aufsuchten.

Als nächstes kaufte ich Daten, aus denen alle Raumschiffe hervorgehen sollten, die wie tefrodische Schiffe aussahen.

Die nun folgende Liste beunruhigte mich doch mehr, als ich es erwartet hatte. Entweder war ich da einer großen Sache auf der Spur, oder dem größten Gag, seit Erfindung des Bumerangs.

NOTRO LANGER, NAB RESOT, NATAL SIVEN, TALOM RANIRT, NIRTE SARIM, TEHYEM THORP waren die Namen der fraglichen Raumschiffe, die alle über eine Größe von hundert Metern Durchmesser verfügten und niemals gleichzeitig auf Lepso gewesen waren.

Das Lesen der Anagramme der Schiffsnamen ließ mich erschauern.

Regnal Orton, Toser Ban, Nevis Latan, Trinar Molat, Miras Etrin, Proht Meyhet. Immer waren die Namen der Schiffe in arkonidischer Schrift auf die Außenhaut der Schiffe gepinselt und immer handelte es sich um Anagramme der Namen bereits gestorbener Meister der Insel. Ein Name fehlte, der von Faktor I.

Ich aktivierte den Kommunikator.

„Kurs Aralon! Auf Aralon wird es einen längeren Aufenthalt für euch alle geben, ich habe etwas zu erledigen."

„Klar, du hast etwas zu erledigen!"

Norgef Darim saß immer noch an den Kontrollen.

„Nur gut, daß du nicht länger auf Lepso etwas zu erledigen hattest, denn da hätte ich ja wochenlang kein anderes Besatzungsmitglied zu sehen bekommen!"

*


Ryk-451, im Jahr 2656.

Regen setzte ein.

Dieser Regen war von außergewöhnlicher Ergiebigkeit und fiel fast täglich.

Die Regentropfen benetzten das geschliffene Granitgestein und bildeten nach und nach einen gleichmäßigen feuchten Film, der den Glanz des Baus noch erhöhte.

Selten, aber immer wieder, geschah es, daß für Bruchteile von Sekunden eine der Sonnen mit ihren Lichtstrahlen die Wolkendecke durchbrach und eigenartig unwirkliche Reflexe auf den Außenwänden der Megalithfestung erzeugte.

War es schon selten, daß die Strahlen einer der Sonnen die Wolkendecke während des Regens durchbrachen, war es noch seltener daß beide Sonnen mittels eigener Lücken in der Wolkendecke ihr Licht ins Tal schicken konnten. Dann, hätte ein unbeteiligte Beobachter die seltene Gelegenheit gehabt, zwei Regenbögen zu beobachten, deren Farbspektrum sich erheblich voneinander unterschied.

Vielleicht würde es irgendwann einmal einen unbeteiligten Beobachter auf diesem Planeten geben...

Vielleicht...

*


Im Jahr 2656.

Auf dem Weg nach Aralon bat ich Johann Schmidt, mir zu gestatten, seinen Neuerwerb im Hangar zu untersuchen. Da ich nicht wußte, auf was genau man zu achten hatte, wenn man ein dupliziertes Auto von einem Nachbau unterscheiden wollte, ließ ich mich überraschen.

Im Hangar hinter der unteren Polschleuse stand Johanns Auto, das er als Cabrio bezeichnet hatte, weil es über ein Stoffdach verfügte, das man bei Bedarf über den Innenraum, in dem die Passagiere saßen, ziehen konnte. Dieser Bezug war allerdings noch nicht einmal raumfest, ja er schützte nur gegen Wasser, das in fester oder flüssiger Form vom Himmel fiel. Nicht genug mit diesen Einschränkungen, man konnte mit diesem Auto nur auf Planeten fahren, deren Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre bei etwa zwanzig Prozent lag. Na ja, es handelte sich eben um ein präkosmonautisches Fahrzeug, das für die Benutzung auf nur einem Planeten hergestellt worden war. Das Dach war wie zuvor zurückgestülpt, was ich auch so belassen wollte. Ich umrundete das Auto einige Male. Die Farbe war von einem hohen Glanz und kein Staubkorn war auf seiner Oberfläche zu erkennen. Die Laufflächen der Räder wiesen tiefe Rillen auf, zur Wegleitung eventuell auf den zu befahrenden Untergründen stehenden Wassers. Aus einem Lehrfilm, den ich aufgrund meiner galaktohistorischen Studien gesehen hatte, wußte ich ungefähr, wie ich diese Details einzuordnen hatte.

Es gelang mir schnell, die Tür zu öffnen, die sich zur Seite aufschwingen ließ.

Man konnte sich in ähnlicher Weise hinsetzen, wie in einem Gleiter, mußte aber die Tür selber hinter sich schließen.

Die Kontrollen bestanden im Wesentlichen aus einem großen drehbaren Rad, das wohl mechanisch mit den vorderen Rädern verbunden war, drei Fußpedalen auf dem Boden und einem großen Hebel auf der rechten Seite. Durch die drei Speichen des ersterwähnten Rades, konnte man verglaste Anzeigeinstrumente erkennen. Eine alte terranische Analoguhr, mehrere kleinere Anzeiger mit Symbolen und ein großes Rundinstrument, auf dem ein Zeiger die jeweilige Geschwindigkeit in Relation zum Planeten angab: Km/h.

In der Mitte des Geschwindigkeitsmeßinstrumentes sah ich eine fünfstellige Anzeige, die terranisch - arabische Zahlen trug.

00064

Da es sich nur um Kilometer handeln konnte, war dieses Auto erst vierundsechzig Kilometer weit gefahren. Wenn man bedachte, daß Johann mich damit vom Rande des Raumhafens abgeholt hatte und das Fahrzeug auch zu meiner Korvette bewegt haben mußte, war das eine sehr kurze Strecke. Allein dieses Indiz sprach sehr für ein Duploauto.

Ich ging jede Wette ein, daß alle angebotenen nostalgischen Fahrzeuge, bis ins kleinste Detail absolut identisch waren und mit einer extrem geringen Kilometerleistung von zwei oder drei verkauft wurden. Also hatte man eine Atomschablone von einem Fahrzeug, daß gerade die Herstellerfirma auf Terra verlassen hatte.

Ich sah ein, daß diese Angelegenheit so keinen Sinn hatte und ging zunächst einmal in mein privates Memoarchif. Ich hatte in meiner Eigenschaft als Galaktohistoriker ein ziemlich umfangreiches Archiv zur Hypnoschulung angelegt. Sicher würde ich auch eine Schulung für den Umgang mit prähistorischen Fahrzeugen finden. Außerdem würde es sich sicherlich als sinnvoll erweisen, eine kleine Auffrischung in Tefroda zu nehmen.

*


4.

Aralon

Im Jahr 2656.

Die Frau stand in einem unterirdischen Gewölbe unterhalb der Megalithfestung.

Direkt vor ihren Füßen betrachtete sie einen Fußabdruck. Das Kellergewölbe war aus dem Felsgestein herausgeschnitten worden. Um einen ebenen Boden zu erhalten, hatte man das Gestein verflüssigt und dann wieder aushärten lassen. Ein Fuß des Erbauers war wohl in dem flüssigen Gestein verewigt worden, als er unachtsam, die noch nicht erkaltete Masse betreten hatte. Der Fuß hatte sich zentimetertief in die glutflüssige Lava gedrückt und schien den ungeheuren Temperaturen widerstanden zu haben.

Die Frau stellte ihren Fuß in den Abdruck.

Sie konnte ihn dreimal hintereinanderstellen. Ebenso war es ihr möglich, ihn dreimal nebeneinander in dem Fußabdruck unterzubringen.

Der Frau war bekannt, daß der Erbauer nicht wiederkehren würde. Vor rund zwölftausend Jahren hatte er die Megalithfestung erbaut und seinen Fußabdruck hinterlassen.

Der Erbauer!

Sicher hatte er aus einer Laune heraus, möglicherweise als persönliche Hinterlassenschaft, diesen Abdruck zurückgelassen.

Vielleicht...

*


Aralon, 2656.

Auf Aralon, der Welt der galaktischen Mediziner, kaufte ich einem alten Springerpatriarchen einen Raumcontainer ab, der über ein eigenes Antigravaggregat verfügte und Platz für alles zu bieten hatte, was ich bei meinem Ausflug zu benötigen befürchtete.

Ich suchte ein Reisebüro der galaktischen Händler auf, in dem man Reisen zu den ausgefallensten Planeten der Galaxis buchen konnte.

Warum es viele Reisebüros auf Aralon gab, war mir allerdings schleierhaft.

°REISEN OHNE REPATRIIERUNGSGARANTIE!°

Was so viel heißen sollte, bei diesem Reisebüro könne man sich nicht einmal sicher sein, unbeschadet wieder zum Ausgangspunkt zurückzukommen.

Ich buchte eine Passage zum Planeten Ryk-451, der von den Siedlern, die auf ihm wohnten, liebevoll Lichtwald genannt wurde.

Klar sagte mir die Bezeichnung Lichtwald besser zu, aber buchen konnte man eine solche Reise nur, wenn man sich des Namens Ryk-451 bediente.

Eine übergewichtige Springerin im Touristenzentrum saß mir mürrisch gegenüber und herrschte mich an.

„Wo soll es hingehen!?"

Meine akonischen Anteile gewannen kurzerhand einen innerlich ausgefochtenen Konflikt.

„Wenn du dir keinen anderen Ton angewöhnst, werde ich eine andere Agentur aufsuchen!"

Überrascht starrte sie mich an.

„Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?"

Die Stimme kam aus dem Hintergrund des Raumes, von einer männlichen Person, die ich aufgrund der Lautstärke nur als Überschweren identifizieren konnte.

Ich drehte mich nicht um, sondern rief in ähnlicher Lautstärke zurück.

„Ich wünsche eine teure Reise zu buchen und dementsprechend behandelt zu werden, da ich ansonsten woanders hingehe!"

Der Überschwere schwieg, hatte er vielleicht geglaubt, mich aufgrund seiner Körperkonstitution beeindrucken zu können? Die Überschweren waren Abkömmlinge der Springer und es gewohnt auf Planeten mit erheblich erhöhter Schwerkraft zu leben. Erst als die Terraner Ertruser, Oxtorner und Epsaler zu ihren kolonialistischen Nachfolgern zählten, gab es Personen in der Galaxis, die den Überschweren körperlich etwas entgegenzusetzen hatten.

Die übergewichtige Springerin, die mir gegenübersaß, schwieg ebenfalls.

„Ich will einen Planeten besuchen, auf dem mir nicht ständig irgendwelche Terraner mit Bild - und Tonaufzeichnungsgeräten entgegenkommen!"

Das verstand sie.

Sie reichte mir eine Folie, auf der scheinbar alle Planeten verzeichnet waren, die die vorgegebene Bedingung erfüllten und von ihrem Springerpatriarchen auch angesteuert wurden.

Ein kurzer Blick genügte mir um sicher sein zu können, den gesuchten Planeten mit dieser Agentur besuchen zu können. Die Springerin konnte aus ihrer Position keine Schriftzeichen auf der Folie erkennen, also schloß ich demonstrativ die Augen und stach scheinbar ziellos mit dem Zeigefinger zu. Dann nahm ich die Liste, um mir den Namen des Planeten anzusehen, den der Zufall ausgesucht hatte.

RUMATA!

Diesen Namen hatte ich bisher weder gehört, noch gelesen.

„Ryk-451, auch Lichtwald genannt!"

Gedankenverloren blickte sie mich an.

„Gibt es dabei irgendwelche Schwierigkeiten?"

Grinsend sah ich die Springerin an.

„Nein, schon morgen startet ein Schiff dahin!"

„Oh, schon morgen! Kannst du in Erfahrung bringen, ob ich einen galaktischen Einheitscontainer mitnehmen kann?"

Die Springerin wurde immer nervöser und begann zu schwitzen.

Sie tastete eine Nummer am Kommunikator, die ich mir merkte.

Der Bildschirm hellte sich auf und zeigte das Symbol irgendeiner Springersippe.

„Die TARUMA I!"

Als das Bild wechselte, erkannte ich unter dem Mann, dessen Oberkörper ich sah, in Arkonidischer Schrift TARUMA I.

Es handelte sich also um den Repräsentanten der TARUMA, deren Patriarch sicher ebenfalls Taruma hieß.

„Habt ihr noch Platz für einen Passagier und einen galaktischen Einheitscontainer?"

Die Springerin sah mich an, als erwarte sie einen Widerspruch.

Der Springer auf dem Bildschirm antwortete sofort.

„Wir haben noch zwei Kabinen frei und Platz für bis zu fünf Container."

Als die Springerin mich ansah, machte ich die Geste der Zustimmung, wie sie Akonen machten.

„Wie ist dein Name?"

„Viktor Kaiman!"

„Du findest die TARUMA I auf Raumhafen sieben!"

*


Ryk-451, 2656.

Die große Halle beherbergte das wichtigste Requisit. Armdicke Energieleiter versorgten die alte Maschine mit Energie.

Die Frau stellte einen Wert ein, der auf einer Skala in tefrodischen Zahlen dargestellt wurde. Ein unbeteiligter Beobachter hätte die Zahlen in terranische Werte umrechnen können, 1234.

Die Frau bediente den Hebel zur Aktivierung der Maschinerie.

Dieser Hebel war von den Erbauern des Multiduplikators so sehr überdimensioniert worden, weil man beabsichtigt hatte, jedem Benutzer die Tragweite seines Handelns bewußt zu machen. Immerhin ließ man diese Maschine Gegenstände herstellen, die absolut identisch waren. Begrenzt wurde die mögliche Anzahl der Duplikate nur durch die Zufuhr von Materie, deren Atome verwendet werden konnten. Der Hebel war schwergängig, aber auch diese Schwergängigkeit wurde von den Erbauern durchaus gewünscht. Möglicherweise überlegte sich ein potentieller Benutzer beim Überwinden des Widerstandes die Konsequenzen seines Handelns.

Mit einem Ruck kam der Hebel in die Aktivierungsposition.

Ungeheuerliche Energien!

Lautstarke Entladungen!

Ein Antigravaggregat nach dem anderen wurde von dem Multiduplikator ausgespuckt.

Ein Roboter lud sie in einfache Kisten, die bereit standen für einen Transport nach Lepso.

*


Aralon, 2656.

Ich belud den Raumcontainer unter meiner Korvette. Johann Schmidt sah mich mißtrauisch an, als wir gemeinsam seine Sonderanfertigung verstauten, die in einer zwei Meter langen sargartigen Kiste verpackt war. Johann war wirklich ein Genie, eigentlich der genialste Robotiker, den ich kannte.

Lorrg Nugdrim trat hinter mich und hielt mir einen Zettel hin, der in Gatas, einer der Umgangssprachen der Blues, beschriftet war.

°Wir wurden auf dem Weg von Lepso hierher von zwei Raumern verfolgt.°

Die Notiz zerknüllte sie in ihrer Hand.

„Du hattest mir versprochen, mit mir eine Spezialklinik hier zu besuchen!"

Da ich ihr weder etwas versprochen hatte, noch jemals mit ihr über Aralon geredet hatte, nickte ich nur und versprach ihr, nach beendeter Verladung des Containers, mit ihr in einem Gleiter die Klinik aufzusuchen.

Als Johann Schmidt sich von dem Container abwandte, hielt ich ihn am Arm zurück und beugte mich zu ihm rüber, um ihm einen Begriff ins Ohr zu flüstern.

„Tamanium!"

Er nickte nur und ging weiter, als habe er das Wort nicht gehört.

Gut, ich konnte zufrieden sein, als er mit seinem ehemaligen Auto in den Container fuhr. Ich hatte ihm dieses Fahrzeug tatsächlich abgekauft.

Er stieg aus und stutzte.

„Woher stammt diese Kiste, die war doch eben noch nicht hier!?"

Dabei deutete er auf das sargartige Behältnis.

„Ich habe mich ein wenig angestrengt und sie alleine verladen Johann!"

Damit gab er sich zufrieden und sorgte anschließend noch für ein ordnungsgemäßes Verschließen des Raumcontainers.

Die Stimme des Blues, den Lorrg Nugdrim heimlich verehrte klang aus einem verborgenen Lautsprecher in der Nähe der unteren Polschleuse.

„Der Transporter für den Raumcontainer wird in etwa einer Stunde hier sein!"

„Gut, Lukas!"

Wir alle, die wir keine Blues waren, nannten ihn immer nur Lukas, weil sein eigentlicher Name so unaussprechlich war, daß er sich mit Lukas einverstanden erklärt hatte.

Geräuschlos hielt ein geschlossener Planetengleiter neben mir.

Die Seitentür öffnete sich und Lorrg Nugdrim machte eine einladende Geste.

Als ich mich im viel zu engen Sitz zurechtgerückt hatte, schoß der Gleiter schon in Richtung Stadt.

„Ich nehme an, man kann uns hier nicht abhören, sonst hättest du auch jeden anderen Gleiter nehmen können und nicht den, mit dem du angeheuert hast."

„Stimmt! Ich habe die Daten der Positronik bezüglich unserer Reise hierher ausgewertet und festgestellt, daß wir von zwei Raumern verfolgt wurden. Die gingen dabei so vorsichtig vor, daß ich sie mit der normalen Ortung niemals erfaßt hätte. Bei beiden Schiffsbesatzungen handelt es sich um absolute Profis!"

Die Stadt war erreicht und Lorrg schien tatsächlich ein konkretes Ziel anzusteuern.

„Konntest du darüber hinaus noch Daten ermitteln?"

„Nein, nur eines ist außergewöhnlich! Die beiden Schiffe schienen nicht zusammen zu gehören, sondern getrennt zu operieren!"

„Das ist allerdings ein Hammer!"

„Es handelte sich zwar um Kugelraumer, aber mit Sicherheit nicht um ein tefrodisches Schiff. Eines der Schiffe scheint das andere bemerkt zu haben und hat seine Taktik geändert, so konnte ich es auch nicht mehr weiter erfassen."

„Vielen Dank Lorrg! Du glaubst gar nicht, was für einen wichtigen Dienst du mir erwiesen hast!"

„Doch, daher wirst du mich jetzt in die Spezialklinik begleiten, die Rechnung bezahlen und niemandem verraten, was ich da gemacht habe, schon gar nicht einem Blue!"

„Und was gedenkst du in der Klinik zu tun?"

„Von euch Humanoiden habe ich gelernt, wie gut man leben kann, wenn man nicht aus jeder Beziehung sofort mit fünf Kindern gesegnet wird. Meine Fünf reichen mir und du weißt, daß jede Art von Geburtenkontrolle bei meinem Volk verpönt ist!"

Ich verstand.

*


Ryk-451, 2656.

Ein kalter Wind durchzog das Tal.

Von keiner der Sonnen beschienen stand die Megalithfestung unanfechtbar da. Sie hatte schon an diesem Ort gestanden, bevor der erste Humanoide den Planeten betreten hatte. Man munkelte, sie würde auch noch an diesem Ort stehen, nachdem der letzte Humanoide den Planeten wieder verlassen hatte.

Einige Kilometer von der Festung entfernt, aber aufgrund eines natürlichen Knickes des Tales von der Festung aus nicht sichtbar, hatten die Humanoiden ein Dorf errichtet. Die Straße, die zu diesem Dorf führte, kam aus Richtung Norden und reichte bis an das nördliche Ende des Kontinents. In dem Dorf aber hatte sie ihr Ziel erreicht, keine Straße, kein Weg führte weiter nach Süden.

Im Süden gab es nur noch zwei Orte, die der Beschreibung Wert gewesen wären.

Der Zweite war die Südspitze des Kontinentes, doch man konnte sie nicht erreichen, es sei denn man wählte den Wasserweg.

Der Erste lag genau zwischen dem Dorf und dem Kap.

Es handelte sich um eine Megalithfestung und die war Tabu!

*


Aralon, 2656.

Johann Schmidt brachte mich mit einem Gleiter zur TARUMA I und schwirrte sofort, nachdem ich ausgestiegen war, mit hohen Beschleunigungswerten davon.

Die TARUMA I war ein alter Kasten. Es handelte sich um das typische Walzenraumschiff der Springer, wie sie seit Jahrtausenden in fast unveränderter Form gebaut wurden. Der Zylinder hatte einen Durchmesser von etwa zweihundert Metern und eine Höhe von gut dreihundert Metern, was einen Rauminhalt von gut 9,4 Millionen Kubikmetern entsprach - ganz beachtlich, was man in einem solchen Raumschiff alles unterbringen konnte. Wenn man allerdings bedachte, daß dieser Rauminhalt gerade mal einem Zehntel Kubikkilometer entsprach, war es im Vergleich zu den Schlachtschiffen der Flotten der Galaxis wieder wenig.

Ich sah am Rumpf des Schiffes hinauf und konnte die Spuren des jahrelangen Einsatzes im Weltraum erkennen, die Narben die von kleinen und kleinsten Meteoriten hinterlassen worden waren, ebenso, wie die thermischen Beeinträchtigungen, wie sie zu hohe Geschwindigkeiten beim Eintritt in die Atmosphäre eines Planeten hinterlassen konnten. Der Terraner in mir hätte dieses Raumschiff als Seelenverkäufer deklariert und infolgedessen nicht betreten. Der Akone hingegen hatte keine Vorurteile gegenüber den Springern, die ja auch sicher und ohne Blessuren einen anderen Planeten erreichen wollten und vertraute sich ohne Bedenken diesem Kahn an.

Die TARUMA I stand auf Stützen, etwa einen halben Meter Platz zwischen dem Boden des Raumhafens und der Unterfläche des Raumers ließen. Die Leuchtzeichen an der Außenwand signalisierten, daß nur noch eine kleinere Schleuse geöffnet sei, die für Personen und kleinere Güter ausreichte.

Eine Robotstimme schnarrte laut und vernehmlich.

„Zwei Passagiere werden noch an Bord genommen! Start in einer Stunde!"

Etwa fünfzig Meter hatte ich noch zum Raumschiff zurückzulegen, wobei ich geradewegs auf die erwähnte Schleuse zuging.

Ein geschlossener Gleiter näherte sich, durch dessen Verglasung niemand zu identifizieren war. Die abgedunkelten Scheiben konnten den Sinn haben, die Insassen vor dem relativ hohen UV-Anteil der Sonne Aralons zu schützen, was bedeuten konnte, daß es sich dabei nicht um Arkonidenabkömmlinge handeln konnte, da diese wesentlich höhere Dosen UV-Lichts ertragen konnten, als Terraner.

Ein Ara verließ den Gleiter und ging mit Riesenschritten auf die Schleuse zu, die auch ich ansteuerte.

Der Ara konnte nicht die Ursache für die abgedunkelten Scheiben sein, da er sich hier auf seiner Heimatwelt befand.

Ich erreichte die Schleuse vor dem Ara.

Ein Übergewichtiger großer Springer blickte mir entgegen.

„Mein Name ist Viktor Kaiman! Ich gedenke mittels dieses Raumers Lichtwald zu erreichen! Ist mein Raumcontainer an Bord und wo kann ich ihn inspizieren?"

Der Springer sah mich gelangweilt an.

„Zu eins, alles klar! Zu zwei, warum nicht? Zu drei, ja! Und zu vier, Hangar drei mit freiem Zutritt für berechtigte Passagiere!"

„Verdammt cool und einsilbig, Mann! Und welche Kabine bewohne ich?"

Er schmunzelte.

„Zu fünf, Nummer 667!"

Als wir lachten, klopfte er mir dabei auf die Schulter.

„Wie heißt du, falls ich dich brauche?"

„Zu sechs, Tarutanka!"

Ich klopfte ihm meinerseits auf die Schulter, nickte ihm zu und betrat das Innere des Raumers.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich noch, daß Tarutanka zusammenzuckte, als der Ara ihm einen kleinen Gegenstand zeigte und ohne Umschweife absolut ernst wurde.

Hinter dem inneren Schleusentor stand eine äußerst attraktive Springerin, die anscheinend die Aufgabe hatte, bestimmte Personen am Verlassen des Raumers zu hindern, wobei ihr Handeln außerhalb der TARUMA I nicht zu sehen sein sollte.

Sie streifte mich mit einem flüchtigen Blick, der mich bei längerer Verweildauer ganz schön aus dem Gleichgewicht gebracht hätte. Diese Frau war ganz genau mein Typ, wenn ihr Blick intensiver und interessierter gewesen wäre, hätte ich stehen bleiben müssen, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.

So ging ich betont gelangweilt weiter.

Beiläufig hielt mich ihr Arm zurück.

Als ich mich umdrehte, sah sie mich direkt an.

„Wenn du einen kleinen alten Springer sehen solltest, dann ruf über den Kommunikator nach Tarulina! Der alte hat sich verirrt und unsere Positronik kann ihn nicht finden!"

„Wenn eure Positronik ihn nicht findet, kann das nur bedeuten, daß er sich nicht an Bord befindet oder alfaorderberechtigt ist!"

Sie nickte.

„Er ist an Bord, wir müssen ihn finden!"

„Nun gut, Tarulina! Ich werde nach dir rufen, wenn er mir begegnet! Doch wie soll ich ihn ansprechen?"

„Nenn ihn Tarumo! Das wird er verstehen!"

Diese Tarulina war ganz nach meinem Geschmack, sie konnte mir gefallen.

Da auf Springerraumschiffen an jeder Abzweigung gut ablesbare Zeichen zur besseren Orientierung angebracht waren, fiel es mir nicht schwer, Hangar 3 zu finden.

Die Überwachungspositronik fragte nach meinem Namen und ließ mich, als sie mein Bild mit dem an der Schleuse angefertigten verglichen hatte, passieren. Zumindest nahm ich an, daß man die jeweilige Identität anhand von Bild - und Stimmanalysen ermittelte. Mein Raumcontainer stand so eingekeilt, daß ich keine Möglichkeit sah, ihn zu öffnen und in sein Inneres zu sehen. Gut, wenn ich ihn nicht öffnen konnte, dann konnte es auch kein anderer Passagier oder Raumfahrer.

Als ich den Hangar verlassen wollte, bemerkte ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Ich wirbelte herum und hatte auch schon meinen Individualschirm aktiviert.

Nichts war zu erkennen. Die Richtung, aus der ich die Bewegung zu gewahren gedacht hatte, war absolut überschaubar und leer. Die Hangarwand war nur mit Klappen versehen, hinter denen die Mannschaft allerlei Gerätschaften untergebracht hatte, wie man sie zuweilen in Hangars brauchte. Das ging von Feuerlöscheinrichtungen über Werkzeuge bis hin zu Robotern, die man im Bedarfsfall aktivieren konnte.

Eine der Klappen war nur angelehnt. Sie befand sich etwa in Augenhöhe.

Vorsichtig näherte ich mich der Wand und stieß die Klappe mit meinem Fuß auf, jederzeit bereit, meinen Individualschirm zu verstärken. Auf diesem Springerschiff hatte ich nicht mit Gefahren zu rechnen, die mein Individualschirm nicht bewältigen würde.

In dem hinter der Klappe verborgenen Kasten hockte ein alter Mann.

Bevor ich mich fragen konnte, was er da wollte, oder wie er es geschafft hatte, in das Fach zu klettern, herrschte er mich an.

„Kommst du endlich zur Ablösung?"

Er hatte eine Sprache gesprochen, die mich an altarkonidisch erinnerte, die ich aber auf Anhieb verstand.

„Ja Tarumo! Gab es irgendwelche besonderen Vorkommnisse?"

„Nein, keine Vorkommnisse, aber ich habe hier lange auf dich gewartet!"

Ich half dem alten Mann aus dem Schrank, wobei ich ihn einfach heraushob.

Während ich mit ihm gesprochen hatte, nahm ich beiläufig wahr, daß jemand in den Hangar gekommen war und sich unser Gespräch anhörte, ohne einzugreifen.

Der alte Springer protestierte nicht, als ich ihn auf die Füße stellte. Bekleidet war er mit einem hinten offenen Hemd, wie es viele Kulturen für ihre Pflegebedürftigen und Kranken benutzten.

„Wer bist du überhaupt? Ich kenne dich nicht!"

„Ich dachte du hättest mich erwartet!"

„Du hast recht, Maghan! Wie konnte ich so vergeßlich sein?"

Nun schien es unserem Zuhörer wohl doch zu weit zu gehen.

„Hab ich dich endlich gefunden, Großvater!"

Die Stimme gehörte Tarulina, ich hatte mich nicht umgedreht, um zu sehen, wer da gekommen war. Tarulina sprach arkonidisch.

Der Alte sah mich schelmisch an.

„Was hat sie gesagt?"

„Sie habe dich gesucht, Tarumo! Nun hat sie dich gefunden!"

Erst jetzt bemerkte ich, welcher Sprache wir uns bedienten. Tarumo hatte nicht altarkonidisch sondern tefrodisch gesprochen.

Tarulina und ich führten den alten nun zwischen uns aus dem Hangar.

„Wir haben deinen Schutzfeldgenerator angemessen, als du ihn aktiviert hast! Warum hast du mich nicht gerufen?"

„Weil ich deinen Opa zuerst aus seiner mißlichen Lage befreien wollte!"

„Was quasselt ihr?"

„Sie erklärte mir, wie froh sie sei, daß du keine besonderen Vorkommnisse gemeldet hast!"

Tarulina bedeutete mir, sie und den alten zu einem Lift zu begleiten.

„Irgend etwas stimmt in den letzten Jahren nicht mehr, Maghan!"

Tarulinas Augen verengten sich, als sie ihren Großvater reden hörte.

„Ist gut, Opa!"

Aber ihre in arkonidisch gesprochenen Worte schien der alte Mann nicht mehr zu verstehen.

Ich sah Tarulina an, als wir im Lift nach oben fuhren.

„Ist das die einzige Sprache, die er noch versteht?"

Sie nickte zögernd.

„Und keiner von euch redet sie?"

„Aber unsere Translatoren..."

„Papperlapapp!"

Der Alte fiel ihr ins Wort.

Das hatte so tefrodisch wie altarkonidisch geklungen.

Als der Lift anhielt und die Tür zur Seite schwang, hätte ich normalerweise wieder meinen Individualschirm aktivieren müssen, unterließ es aber, weil ich dabei den Alten und das Mädchen verletzt hätte.

Zwei große Springer hatten ihre Energiestrahler auf mich gerichtet.

Zwischen ihnen schwebte auf einer Antigravplattform, in einem Sessel sitzend eine alte Springerin.

Takusch!"

Der Alte stieß dieses eine Wort hervor und die beiden Springer mit den Waffen klappten bewußtlos zusammen. In den Wänden verborgene Paralysatoren hatten sie auf Geheiß des Alten betäubt. Sie würden in einigen Stunden wieder zu Bewußtsein kommen.

Die alte Springerin sah entsetzt von Tarumo zu mir, dann zu Tarulina, die ebenso fassungslos neben mir stand.

„Komm Tarumo, wir bringen dich in dein Quartier! Du hast dir eine Ruhepause verdient!"

Mit dem Kopf machte ich eine einladende Bewegung, die Tarulina nicht mißverstehen konnte und nickte der alten Springerin höflich zu.

„Was sollte das mit den bewaffneten Knaben, Tarulina?"

„Verstehst du denn nicht, niemand hat seit Jahren seine Sprache mehr gesprochen!"

„Dann seit doch froh! Ich habe sogar einen Hypnoschuler und die entsprechenden Speicher dabei!"

„Was?"

Sie sah mich entsetzt an.

„Wenn ihr wollt, kann ja einer von euch eine Hypnoschulung nehmen!"

„Du behauptest, du kannst uns Tefroda Hypnokurse zur Verfügung stellen?"

„Keine weiteren Beeinträchtigungen!"

Die alte Springerin hatte das laut in den Gang gerufen.

Ich sah mich um, sie war hinter uns hergeschwebt.

„Ich nehme an, du bist Taruma, Matriarchin der Sippe."

Sie nickte.

„Früher war Tarumo unser Patriarch, bis dieser hirnorganische Abbauprozeß begann. Hätten wir nur gewußt, daß seine Muttersprache Tefroda war."

„Aber warum habt ihr euch keine Memobänder in Tefroda besorgt?"

„Bist du naiv!"

„Woher hätten wir die Bänder bekommen sollen und wie hätten wir unser Begehr begründen können?"

Ich verstand. Die Meister der Insel hatten zu viel Unheil über diese Galaxis gebracht, wer hätte verstanden, daß sich jemand für ihre Sprache interessierte. Man hätte wahrscheinlich Fragen beantworten müssen, warum Tarumo ausgerechnet Tefroda als Muttersprache benutzte.

Eine Tür schwang vor uns zur Seite, wir führten Tarumo hinein.

Mit einer selbstverständlichen Geste bot er mir einen Platz an.

„Nimm Platz, Maghan!"

„Du siehst, er nennt dich Maghan! Mit dieser Anrede wurden nur die Meister der Insel angesprochen. Wir versuchen ihn vor der Öffentlichkeit zu verbergen!"

*


5.

Der alte Springer

Im Jahr 2656.

Die Frau näherte sich dem Multiduplikator in der großen Halle mit einem unscheinbaren Gegenstand in der Hand.

Prüfend betrachtete sie den Gegenstand, bevor sie ihn in das für solche Gegenstände vorgesehene Fach legte und dieses verschloß.

Sie stellte eine Ziffer ein, die man in eine terranische Zahl umrechnen mußte und den Wert 4825 erhielt. Mit einem kurzen Blick überzeugte sie sich, daß für ihr Vorhaben genug Ausgangsmaterial vorhanden war und wandte sich dann, ohne zu zögern dem schwergängigen Hebel zu.

Beherzt zog sie den Hebel in die Position...

Und nahm nach Sekunden den ersten Gegenstand entgegen.

Ein Grinsen überzog ihr Gesicht, als sie den hölzernen Gegenstand in den Händen hielt.

Ein Roboter eilte herbei, um alle weiteren Gegenstände, die der Multiduplikator ausspie, aufzufangen und sicher abzulegen. Er konnte nicht verhindern, daß drei Geigen auf dem Hallenboden landeten und zerbrachen.

Die Frau las zufrieden die terranischen Buchstaben, die sie durch das Schalloch sehen konnte.

Stradivari 1702.

*


Im Jahr 2656.

An Bord der TARUMA I befanden sich etwa fünfzig Besatzungsmitglieder und achtundzwanzig Passagiere.

Von Tarulina wußte ich, daß der Passagier, der nach mir gekommen war, aus irgendwelchen Gründen unerkannt bleiben wollte und einen entsprechenden Aufpreis zur normalen Beförderung bezahlt hatte. Solche Sonderbehandlungen waren auch nur auf Raumschiffen der Springer möglich.

Meine Kabine war spartanisch eingerichtet, doch ließ sie nichts vermissen, was man auf einem Raumschiff erwartete, das Passagiere beförderte.

Zu allem Überfluß verfügte sie sogar über ein Panzerluk, durch das man die jeweilige Umgebung des Raumschiffes, zumeist den Weltraum direkt betrachten konnte. Die unendliche Schwärze faszinierte mich immer wieder aufs Neue.

Ich verbrachte einige Stunden mit dem Versuch, meine angeborenen und dann weiter ausgebauten Antianteile zu nutzen, um die Identität des Passagiers zu ermitteln, der noch nach mir gekommen war. Von den Springern konnte ich keine Information erwarten, denn die wußten ja selber nicht, wer die Kabine mit der Nummer 568 bewohnte. Sie hatten auch nicht das geringste Interesse, ihre möglicherweise vorhandene Neugier zu befriedigen, da sie dafür bezahlt wurden, ihre Neugier zu zügeln.

Mein Interesse war ein anderes, denn Lorrg Nugdrim hatte mich über zwei Raumschiffe unterrichtet, die uns von Lepso nach Aralon gefolgt waren. Wenn wir einen Passagier an Bord hatten, der offiziell inkognito reiste, konnte das mehrere Gründe haben.

Erstens mochte es sich um einen galaktischen VIP handeln, der seine Ruhe haben wollte.

Zweitens konnte es eine interstellar gesuchte Person sein, die nicht erkannt werden wollte.

Drittens konnte es eine Person sein, deren finanzielle Möglichkeiten es zuließen und die ihre Ruhe haben wollte.

Und viertens konnte die Person nicht erkannt werden wollen, weil sich jemand an Bord aufhielt, der sie nicht erkennen sollte.

Wenn viertens zutraf, dann wegen welcher an Bord befindlichen Person?

Ich nahm mich selbst nicht so wichtig, anzunehmen, ich sei diese Person, aber hatten uns nicht zwei unabhängig voneinander operierende Raumschiffe verfolgt?

Andererseits war ich mir sicher, mit meinen Recherchen auf Lepso noch nicht in das vielbesungene Wespennest gestochen zu haben. Zumindest war ich der Meinung, ein Versuch könne nicht schaden, was jedoch leichter gesagt war, als getan. Ich hatte zwar einerseits ausreichend Zeit, mich auf die Kabine mit dem Fremden zu konzentrieren, ohne in meiner Konzentration gestört zu werden, konnte aber andererseits gerade mal das Vorhandensein einer Entität registrieren. Dieser Umstand war nicht auf meine relativ schwachen Fähigkeiten zurückzuführen, sondern stand eindeutig im direkten Zusammenhang mit dem Fremden, der es schaffte seine Gedanken hervorragend abzuschirmen.

Die unerkannt reisende Person nahm auch alle Mahlzeiten in ihrer Kabine ein, so daß es mir auch keine Erkenntnisse brachte, als ich eine Mikrokamera installierte, die jede Person aufzeichnete, die die Kabine betrat oder verließ. Auf den Einsatz eines flugtauglichen Mikrospions in Form eines Insektes verzichtete ich, weil ich mir nicht den Zorn der Schiffsbesatzung einhandeln wollte, die für das Unerkanntbleiben des Passagiers verantwortlich war.

Bei meinen Versuchen, die Identität des Passagiers in Kabine 568 zu ermitteln, war es mir gelungen, alle Insassen des Raumschiffes zu erfassen. Klar hatte ich Stunden gebraucht, aber ich konnte eindeutig feststellen, wer sich wo aufhielt. Wenn ich mir vorstellte, daß ein normaler Anti sich für diese Informationen kaum zu konzentrieren hatte, konnte ich fast vor Neid erblassen. Aber man konnte nicht alles haben. Wie oft hatte ich Umweltangepasste beneidet, die Oxtornerblut mit sich herumtrugen, und sich ihre körperlichen Fähigkeiten nicht mühselig zu erarbeiten hatten, indem sie viel Geld in Spezialkliniken der Aras trugen, so wie ich.

Eine interessante Angelegenheit brachte mich dazu, in einer ganz anderen Angelegenheit zu ermitteln. Tarumo hielt sich längere Zeit in Hangar drei auf, genau dem Hangar, in dem mein Raumcontainer deponiert worden war. Was suchte der verwirrte Alte im Umfeld meines Containers? Verwunderlich war die Zeit, in der er unterwegs gewesen war. Es handelte sich um die Hauptruhezeit im Raumschiff. Auch wenn es in der Raumfahrt weder Tag noch Nacht gab, hatte jeder Raumer doch seine Eigenzeit, nach der sich alle Besatzungsmitglieder und Passagiere zu richten hatten.

Mitten in der Ruheperiode hatte der alte Springer seine Räume verlassen und sich auf Umwegen in den Hangar begeben.

Vielleicht sollte ich dem alten Knaben mal auf den Zahn fühlen?

*


Ryk-451, 2656.

Eine Kugel senkte sich aus den Wolken nieder und schwebte langsam von oben in die Festung.

In arkonidischen Lettern prangte ein Name an der Kugel, der weithin sichtbar war.

TEHYEM THORP!

Während Roboter das Raumschiff beluden, schwebte eine Maschine hinauf zu den Lettern in arkonidischer Schrift, um sie auszutauschen.

Kisten mit alten terranischen Musikinstrumenten unvergleichlichen Klanges wurden in das Raumschiff geladen, um auf Lepso veräußert zu werden.

Schon im Vorfeld hatte man die Werbetrommel gerührt und alle potentiellen Interessenten zum Kauf eingeladen.

*


Im Jahr 2656.

Tarulina und einige andere Besatzungsmitglieder hatten sich einer Hypnoschulung in Tefroda unterzogen, um sich ohne Translator mit dem ehemaligen Patriarchen verständigen zu können. Ich besuchte den Alten täglich und hörte mir das wirre Zeug an, das er erzählte. Tarulina und ihre Großmutter erwiesen sich als äußerst dankbare Gastgeber. Es war mir tatsächlich gelungen, dem Alten seinen Prioritätscode zu entlocken, indem ich ihm gegenüber offiziell als sein Maghan aufgetreten war.

Nun war es ihm weder möglich, sich von der Positronik unerkannt im Raumschiff zu bewegen, noch aufgrund seiner Alphaorderberechtigung Besatzungsmitglieder paralysieren zu lassen. Ein Umstand, der mir entgegenkam.

„Ein Alptraum ist beendet!"

Hatte Taruma zu mir gesagt. Die alte Springerin hatte es abgelehnt, ihren Mann überwältigen zu lassen, oder durch Medikamente zu beeinträchtigen. Der Alte wirkte nun bei allem, was um ihn herum geschah, wesentlich gelassener, weil alle Leute, die zu ihm kamen, mit ihm in der ihm bekannten Sprache redeten.

Als Kind war er mit seiner Sippe in Raumnot geraten und als einziger Überlebender von einem kleinen tefrodischen Raumer gerettet worden. So war zu erklären, daß er eine Muttersprache zu haben schien, die für Springer so untypisch war, wie für Terraner und Arkoniden.

Nach der Auseinandersetzung um die Meister der Insel war er mit einem winzigen Raumschiff in seiner Heimatgalaxis wieder aufgetaucht, hatte aber aufgrund der Zeitdilatation, sein Raumschiff hatte ein zerstörtes Lineartriebwerb gehabt und er war einige Jahre mit einfacher Lichtgeschwindigkeit geflogen, was einer Reise in die Zukunft um einhundert Jahre gleichkam, einige Jahre gewonnen. Er hatte seine Frau geheiratet und mit ihr eine Springersippe gegründet.

Über seine Erlebnisse in Andromeda hatte er nie gesprochen.

Wir saßen uns nun gegenüber und tranken einen Tee, dessen Rezeptur zu den Besonderheiten der Ernährung auf Springerschiffen gehörte.

„Tarumo, hast du schon gehört, daß Mirona Thetin Faktor I sein soll?"

Der Alte lachte hysterisch.

„Mirona Thetin! Ich weiß, daß Thetin einen terranischen Wortstamm hat!"

Er hatte scheinbar vergessen, wie lange die Zeit der Meister der Insel schon Vergangenheit war.

„Es gibt eine terranische Sprache, in der bedeutet thetisch behauptend!"

Ich runzelte die Stirn, was äußerst selten bei mir vorkommt.

Er lachte weiter, als habe er den sprichwörtlichen Schalk im Nacken.

„Behauptend, Faktor I zu sein?"

Ich mußte schlucken.

„Glaubst du Viktor, die anderen Meister der Insel hätten in einem Zeitraum von mehreren Jahrtausenden nicht die Möglichkeit gefunden, die Person zu identifizieren, die schon seit genau so langer Zeit lebte, wie sie selber?"

Ich konnte Tarumo nicht widersprechen.

„Ich verstehe, was du meinst! Wenn ich zwanzigtausend Jahre Zeit hätte, hätte ich an allen Stellen meiner Galaxis, an denen ich regelmäßig vorbeikomme, Personenerkennungsgeräte installiert, die mich informieren würden, ob jemand vorbeigekommen ist, der älter als ein normales Menschenleben sein muß, weil er vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden schon einmal vorbeigekommen ist!"

Im Prinzip nicht anders, als ich es bei meiner Suche nach Mirona Thetin gemacht hatte. Diese Vorgehensweise hielt ich für so naheliegend, daß ich meinte, jeder hätte drüber stolpern müssen. Trotzdem, ich hatte Informationen über diese Frau, die die letzten zwölftausend Jahre betrafen. Wenn ich über solche Informationen verfügte, oder in den Besitz solcher Daten gelangt war, warum sollte diese Datenfülle dann einem anderen verwehrt sein?

„Entweder ist Mirona Thetin nie an einer dieser Einrichtungen vorbeigekommen, oder sie war nicht so alt wie sie vorgab!"

Konnte der Alte wirklich verwirrt sein?

Ich beschloß, das Gespräch ganz beiläufig von Tefroda zu Arkonidisch wechseln zu lassen.

„Sie war immerhin Regentin des Planeten Thetus im Sulvi-System in Andromeda..."

Obwohl ich arkonidisch gesprochen hatte, unterbrach er mich abrupt.

„Glaubst du, eine Tefroderin, die so alt war, wie sie zu sein scheint, wäre nicht an irgendwelchen Apparaten zur Identifikation vorbeigekommen? Immerhin hatte sie als Regentin auch andere Planeten zu besuchen! Meinst du es wäre den Bewohnern des Systems nicht aufgefallen, wenn sie Jahrhunderte-oder gar jahrtausende lang von einer Regentin regiert worden sind, die nicht um eine einzige Minute altert? Nein, Regentin des Systems kann sie nicht sehr lange gewesen sein, ohne aufzufallen, oder die Sache mit der Regentin des Systems war ein Schwindel, dem die Terraner aufgesessen sind!"

Ich nickte, wie ein Terraner.

Nun benutzte der alte Springer terranisches englisch, als wolle er mich mit meinen eigenen Waffen schlagen.

„Wenn ich nicht so verwirrt erschienen wäre, hättest du dich niemals als Terranerabkömmling zu erkennen gegeben!"

Er fuhr nun akonisch fort.

„Aber ein Akone war bei deiner Produktion auch beteiligt!"

Er zog einen kleinen Gegenstand unter seinem Hemd hervor.

„Aber dieser kleine Kasten identifiziert dich auch als Anti!"

Wir lachten beide schallend, jeder hatte den anderen ertappt.

Als Tarumo sich beruhigt hatte, sah er mich an.

„Tarulina! Komm, ich will mit dir reden!"

Tatsächlich hatte ich nicht bemerkt, daß das Mädchen schon seit geraumer Zeit im Zimmer weilen mußte, so sehr hatte der Alte mich in seinen Bann gezogen.

„Großvater!"

„Papperlapapp! Du wirst niemandem von unserem kleinen Geheimnis erzählen! Ist das klar?"

„Ja, Großvater! Aber warum?"

„Weißt du, wenn jemand so alt geworden ist wie ich, will er keine Fragen mehr beantworten müssen! Jetzt, wo nur noch Leute zu mir kommen, die die alte Sprache sprechen, hat es ja wohl keinen großen Sinn, sich vor allen zu verstecken. Du hast in all den Jahren nie schlecht über mich gesprochen, zur Belohnung wirst du jetzt zur Mitwisserin gemacht."

„Aber Großmutter!"

„Die würde mich verkaufen, wenn sie einen guten Preis erzielen könnte!"

Ich erhob mich.

„Tut mir leid Freunde, ich habe keine Lust, in Familienfehden verwickelt zu werden!"

„Setz' dich hin!"

Beide hatten wie aus einem Munde gesprochen.

Tarumo ergriff das Wort.

„Niemand wird erfahren, daß du ein alter Bastard bist!"

Er lachte.

„Du hast mich übrigens im Hangar angetroffen, weil ich deinen Container untersuchen wollte!"

„Du wolltest ihn untersuchen?"

„Ich habe ihn untersucht!"

„Und zu was für einem Ergebnis bist du gekommen?"

„Sei verdammt vorsichtig, bei allem was du vorhast, Viktor!"

*


Ryk-451, 2656.

Die Jahreszeit hatte gewechselt!

Die Sonnen beschienen das Tal und beleuchteten die Festung, ja tauchten sie in das unwirkliche Licht zweier Gestirne, die im Wettstreit lagen.

Die Türme der Festung warfen zwei Schatten.

Die Bäume, die zu den Besonderheiten dieses Planeten gehörten, wuchsen nur noch vereinzelt in dieser Region, die schon so nah am Südpol lag, daß sich die Neigung der planetaren Achse um neunzehn Grad bemerkbar machte.

In dieser Jahreszeit, geschah es nie, daß nicht zumindest eine der Sonnen am Himmel stand. Vier Monate lang konnte man den Dauernden Wechsel zwischen roter und blauer Sonne erleben, die einige Stunden gemeinsam das Tal beschienen, bis sich eine der Beiden hinter den Horizont zurückzog, um der anderen Gelegenheit zu geben, ihre Farben dominieren zu lassen. Dann, nach Stunden kehrte die erste Sonne zurück, beschien eine Zeit lang die Südhalbkugel mit ihrer Begleiterin, bis diese ihr Platz machte und Gelegenheit gab, diesen Teil des Planeten mit ihren Farben zu überfluten.

Die Bewohner der polnahen Hemisphären sprachen von den roten und den blauen Stunden - und sie sprachen von den Stunden der Zusammenkunft.

*


Im Jahr 2656.

Das Springerschiff war alt und entsprechend langsam näherte es sich seinem Ziel. Es gab Raumschiffe der Springer, die waren fünfhundert Jahre jünger und natürlich auch, entsprechend der Fortschritte der galaktischen Linearantriebtechnik, wesentlich schneller.

Die langsame Reise in der TARUMA I gab mir Gelegenheit, nicht nur regelmäßige Gespräche mit Tarumo zu führen, angenehme Stunden mit Tarulina zu verbringen und mich mit den anderen Passagieren zu befassen, sondern auch genug Zeit, die von mir auf Lepso gesammelten Informationen zu sichten, was ja schon seit geraumer Zeit überfällig war.

Zu schnell hatte sich meine Suche, ohne mein direktes Dazutun, weiterentwickelt. Zu schnell waren mir die Informationen ohne jede Anstrengung zugeflossen. Zu schnell näherte ich mich nun dem Ziel, auch wenn ich mich in einem extrem langsamen Raumschiff fortbewegte.

War meine Korvette nicht von zwei Kugelraumern verfolgt worden?

War nicht gleichzeitig mit uns auf Lepso ein akonisches Raumschiff gestartet, das mich unangenehm an die Raumschiffe des akonischen Energiekommandos erinnert hatte?

Wie viele Agenten hatten schon vor mir nach der schönen Tefroderin gesucht? Wie viele Agenten waren innerhalb weniger Tage so nah an sie herangekommen? Immerhin mußte ich davon ausgehen, nun einen Planeten aufzusuchen, auf dem sie sich aufhielt. Vielleicht waren meine Vorgänger nicht so einfältig wie ich an diese Angelegenheit herangegangen!?

Ich rief nun die Informationen ab, die ich auf Lepso vom Zentralarchiv erhalten hatte. Irgend eine Person mußte ja die Wohnung Rohnbergs betreten haben, um den Roboter zu instruieren, mich aufzusuchen.

Menschen tauchten auf dem Bildschirm auf, wie man sie zu jeder Zeit auf jeder Straße in jeder beliebigen Stadt der Galaxis finden konnte. Ich machte mich auf eine lange Suche gefaßt, auf eine Suche, die mehr nach Details ausgerichtet war, als auf tatsächlich greifbare Fakten. Doch dann...

Diese Person kannte ich.

Ich war ihr in einer dunklen Gasse auf Lepso in Begleitung eines riesenhaften Ertrusers begegnet. Und ich hatte gedacht, sie könne möglicherweise in der Nähe gewesen sein, als der Ertruser mich dann Tage später tatsächlich überfallen hatte.

Gevoreny!

Das Antimädchen Gevoreny betrat das Gebäude, in dem Rohnbergs Roboter mit der Hausarbeit beschäftigt war.

Die Zeitangaben auf dem Schirm stimmten.

Gevoreny hielt sich genau in dem Zeitraum im Gebäude auf, in dem der Roboter manipuliert worden war. Konzentriert sah ich mir weiter die Informationen an. Gevoreny verließ das Gebäude, nach einem Zeitraum, der ausreichte, die Manipulation vorzunehmen.

Trotz der Tatsache, daß ich meiner Sache sicher war, die Manipulatorin identifiziert zu haben, sah ich mir alle weiteren Personen an, die sich zum fraglichen Zeitpunkt im Gebäude aufgehalten hatten.

Das Ergebnis hatte ich nicht anders erwartet. Niemand fiel mir auf, niemand schien den Gevorenystein in meinem Puzzle ersetzen zu können.

Trotzdem!

Ich konnte mir in dieser Angelegenheit nicht sicher sein.

Gevoreny und Magran, hatten sie zusammengearbeitet?

Es sah ganz danach aus.

Was ich nicht verstand, war der Umstand, daß Magran mich überfallen wollte und Gevoreny ihn beim ersten Mal zurückhielt. Wo war sie bei seinem zweiten Überfall gewesen?

Ich gab der Positronik alle Daten ein, die ich auszuwerten gedachte und ließ sie Mirona Thetins Auftritte auf Lepso mit Anwesenheiten Gevorenys in Verbindung bringen. Für solche möglichen Begegnungen kamen natürlich nur die letzten zwanzig Jahre in Frage. Das Ergebnis lag schnell vor und war negativ.

Ich sichtete die vorhandenen Informationen noch einige Stunden, ordnete sie dabei neu und erstellte für mich eine kleine Chronologie der Ereignisse, wie sie sich mir zur Zeit darstellten.

Augustos Rohnberg wurde von Atlan beauftragt, Mirona Thetin zu finden. Rohnberg ermittelte ab einem bestimmten Zeitpunkt auf Lepso, weil die Spur eindeutig duplizierter Gegenstände hierher führte.

Augustos wollte über seinen Stand der Ermittlungen Atlan unterrichten, wobei er sich sicher auf seine Erkenntnisse bezüglich eines offensichtlich tätigen Multiduplikators konzentriert hatte. Laut seinen Informationen versprach sich Rohnberg von seinen Ermittlungen, näher an mögliche tefrodische Aktivitäten in der Milchstraße zu kommen. Immerhin konnte er sich ausrechnen, daß alle tefrodischen Wege irgendwann einmal bei Mirona Thetin endeten - immer vorausgesetzt, sie lebte tatsächlich. Letzteres wollte ich natürlich nicht bezweifeln, wenn ich meine 586 Eintragungen betrachtete, die immer eine Person auf Lepso zeigten, die möglicherweise mit Mirona Thetin identisch war.

Augustos Rohnbergs Ermittlungen hatten irgend jemandem auf die Füße getreten, der dann schnell für dessen frühes Ableben gesorgt hatte.

Gevoreny hatte dann den Haushaltsroboter manipuliert, wie aus meinen Informationen hervorging, nachdem Rohnberg erschossen worden war.

Warum hatte sie mir eine so offensichtliche Spur gelegt?

Warum hatte sie Magran bei seinem ersten Überfall behindert?

Wenn sie den Roboter zu mir geschickt hatte, war es dann nicht wahrscheinlich, daß sie auch gewußt hatte, daß ich ein Báalol war?

Tarumo schien Recht zu haben. Ich würde mich wohl äußerst vorsichtig verhalten müssen!

*


Ryk-451, 2656.

In der blauen Stunde produzierte der Multiduplikator ein Modell des Palastes des Kristallprinzen auf Arkon I.

Es handelte sich um das Modell, das der einzigartige Architekt selbst hergestellt hatte und das als unersetzliches Sammlerstück schon vor Jahrtausenden verschollen war.

Die Galaxis würde nun bereichert werden.

Konnte man sich vor Jahrtausenden nur eines dieser Modelle leisten, war es nun, Dank der Atomschablone, möglich, so viele Modelle herzustellen, wie es erforderlich war, um die Nachfrage zu befriedigen.

*


Im Jahr 2656.

Wenn ich überleben wollte, mußte ich einige Unsicherheitsfaktoren eliminieren. Also ging ich in den Hangar drei und besorgte mir einige Utensilien aus meinem Raumcontainer. Die Versiegelungspositronik, für ein kleines seitliches Montageluk, zeigte an, daß sie den Container bereits zur Öffnung freigegeben hatte. Pech für den Unbefugten, daß die Positronik gar keine diesbezügliche Funktion auszuführen hatte, sondern nur im Augenblick der Freigabe der Öffnung eine kurze Aufzeichnung der betreffenden unbefugten Person zu machen hatte.

Die aufgezeichnete Person trug einen leichten Raumanzug mit Helm. Da das Visier gegen Lichteinstrahlung auf Reflexionsbetrieb geschaltet war, konnte man hinter der Helmscheibe niemanden erkennen. Vor der Verriegelungspositronik hatte ich eine Platte des Bodenbelages präpariert und konnte nun das genaue Gewicht der Person ablesen, die versucht hatte, meinen Container zu untersuchen. Offensichtlich hatte sich Tarumo auf anderem Wege seine Informationen besorgt, denn es existierte keine Aufzeichnung von ihm.

Die Person, die sich Zugang verschaffen wollte, hatte einen leichten Raumanzug getragen, also brauchte ich nur das Gewicht eines leichten Raumanzuges vom Gewicht der Person abzuziehen...

Viele Kandidaten blieben da nicht übrig.

So leicht waren höchstens sieben Personen an Bord. Wenn ich mich richtig erinnerte, handelte es sich um sechs Frauen und einen Mann.

Es erschien mir logisch, daß jemand extrem Leichtgewichtiges den Versuch gewagt hatte, denn ich hätte es kaum schaffen können, als relativ normal gebauter Akone, durch das Montageluk ins Innere des Containers zu gelangen.

Nun gut.

Ich präparierte in einigen Gängen des Raumers die Bodenplatten, um mir die genauen Gewichte der in Frage kommenden Leute zu beschaffen.

Selbstverständlich hatte ich bei diesem Versuch genau den Zeitpunkt des unbemerkten Wiegens zu beachten, da die Gravitation an Bord nach und nach den Werten unseres Zielplaneten Ryk-451 angepaßt wurde. Als wir Aralon verlassen hatten, herrschte innerhalb der TARUMA I die selbe Gravitation, wie auf dem Planeten Aralon. Wenn wir auf Lichtwald landen würden, war zu erwarten, daß dann die Gravitation genau dem Werte des Planeten Ryk-451 entsprach.

Tarulina gehörte auch zu den Personen, deren Gewichtsklasse sich an dem Container zu schaffen gemacht hatte, schied aber von vornherein aus, weil sie sich zur fraglichen Zeit mit mir zusammen bei Tarumo aufgehalten hatte.

Ich besuchte Tarutanka in der Zentrale, da ich wußte, daß er im Augenblick mit der Schiffsführung betraut war. Er konnte mir die genauen Gravitationswerte zu jedem beliebigen Zeitpunkt unserer Reise durchgeben, die ich dann in meine kleine Positronik einspeichern konnte. Auf diese Weise gedachte ich, innerhalb des nächsten Bordtages genauestens über die Identität der Person informiert zu sein, die so großes Interesse am Inhalt meines Containers zu haben schien.

*


6.

Lichtwald

Im Jahr 2656.

Das Licht zweier Sonnen beleuchtete die uralte Megalithfestung, als sich majestätisch langsam eine Kugel aus dem Inneren des Gebäudes löste und den vereinzelten Wolken am violetten Himmel entgegenstrebte.

Die Frau sah dem Raumschiff nach, auf dessen Seiten undeutlich in arkonidischer Schrift der Name des Raumschiffes zu lesen war.

TALOM RANIRT!

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Augen, als sie sich abwandte und im Inneren der Festung verschwand.

*


Lichtwald, 2656.

Der Planet gehörte zu den Welten, deren Bewohner Kolonisten waren, die für sich einen weitgehenden Verzicht auf interstellare Raumfahrt definiert hatten, aber trotzdem über rege Kontakte mit den Springern verfügten. Regelmäßig landeten deren Walzenraumer und betrieben Handel mit Gütern, die nicht im Verdacht stehen konnten, den technischen Standard des Planeten zu sehr zu beeinträchtigen. Was immer das auch heißen mochte. Die Bewohner des Planeten lehnten anscheinend aus religiösen Gründen die Raumfahrt ab und hatten Lichtwald zu ihrem persönlichen Paradies erklärt.

Der Planet gehörte in jene Kategorie von Sauerstoffwelten, wie sie in der ganzen Galaxis von Lemurerabkömmlingen und deren Verwandten bewohnt wurden.

Tarutanka hatte die Schiffssteuerung an Tarulina abgegeben, weil sie, laut seinen Aussagen, mehr Gefühl für die Besonderheiten des Planeten aufzubringen vermochte. Um welche Art von Besonderheiten es sich dabei handelte, sollte ich noch erfahren.

Während des Landeanfluges saß ich in der Zentrale neben Tarulina, eine Ehre, die ich meinem guten Verhältnis zu ihr und ihrem Großvater zu verdanken hatte.

Majestätisch langsam drehte sich der Planet unter der Frontalerfassung des Raumers hinweg. Tarulina nahm einige Kurskorrekturen vor, die auch die Neigung der TARUMA I betrafen. Hätte ich nicht schon einige Jahre Weltraumerfahrung hinter mir, hätte ich mich unweigerlich an den Lehnen des Kontursessels, in dem ich saß, festgehalten. Der Frontschirm vermittelte mir das Gefühl, des nach vorne Kippens. Virtuos bediente Tarulina die Kontrollen. Die TARUMA I reagierte, wie ein nasser Schwamm. Klar, ich hätte eine Korvette, eine Space-Jet oder auch einen Kugelraumer der Hundertmeterklasse ebensogut beherrscht, aber bei den erwähnten Raumschiffen handelte es sich um leichte, extrem direkt reagierende Einheiten, mit denen man die gewagtesten Manöver in Planetennähe durchführen konnte.

Aus dem Orbit konnte man ausgedehnte Wasserflächen erkennen, die gut die Hälfte der Planetenoberfläche ausmachten. Das war weniger Wasser als auf der Erde, aber mehr als auf Arkon.

Die Landflächen wiesen erodierte Gebirgsregionen ebenso auf, wie relativ junge Gebirgsmassive. Wüstenregionen lösten sich mit ausgedehnten Gebieten ab, in denen Waldwuchs dominierte. Die Bäume, das wußte ich aus einer Memoaufzeichnung, wuchsen grundsätzlich in einem so großen Abstand voneinander, daß sie sich weder gegenseitig behinderten, noch dem jeweiligen Baumnachbarn einen Platz an der Sonne streitig zu machen versuchten - genauer einen Platz an den Sonnen, denn derer zwei beschienen den Planeten.

Die technische Hauptarbeit beim Landevorgang wurde vom Antigravaggregat ausgeübt, mit dem Tarulina die TARUMA I langsam dem Boden des Planeten entgegensinken ließ. Sie hatte schon im Vakuum um Lichtwald so genau gezielt, daß sie in der Atmosphäre nur noch wenige geringfügige Richtungsänderungen vorzunehmen hatte, um die Lufthülle um den Planeten nicht zu sehr aufzuwühlen. Die Kurskorrekturen nahm Tarulina, in den unteren Luftschichten, mittels Luft ansaugender und komprimiert ausstoßender Düsen vor. Es hatte sich im Laufe der Jahrtausende, in denen die interstellare Raumfahrt betrieben wurde, erwiesen, wie wichtig der schonende Umgang mit den Atmosphären der angeflogenen Planeten war. Der Gebrauch von Impulstriebwerken innerhalb der Lufthülle eines Planeten konnte zu Orkanen sonst nicht gewohnter Intensität führen.

Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der die Springer auf solche Zusammenhänge keine Rücksicht genommen hatten, weil es nicht ihrem Naturell entsprach, auf Planeten zu leben und sie infolgedessen auch kein Verständnis für die Notwendigkeit des Erhaltes von Ressourcen hatten.

Als die Planetenoberfläche näher kam, erkannte ich eine Insel, vielleicht auch schon mehr einen Kontinent, von nicht unerheblicher Größe.

„Wir werden auf der Südhalbkugel landen, an der Nordspitze des Kontinents!"

„Gut daß du von einem Kontinent geredet hast, Tarulina, ich hätte dazu geneigt, dieses Eiland als Insel zu bezeichnen!"

„Du solltest dich lieber an die Definition der Planetarier halten, Viktor!"

Eine Assoziation lenkte meine Aufmerksamkeit kurzzeitig ab.

Eine Begegnung mit der Meisterin der Insel!

Die große Insel, die Tarulina als Kontinent bezeichnete, war mit einiger Wahrscheinlichkeit vulkanischen Ursprungs. Sie wies eine charakteristische Sichelform auf und hatte an der Außenseite eine extrem flach abfallende Küste, wogegen schroffe Steilküstenformationen an der Innenseite meine letzten Zweifel bezüglich des vulkanischen Ursprunges hinwegfegten.

Als wir tiefer kamen, konnte ich einzelne Gebäude und Bäume identifizieren. Es gab größere und kleinere Ansiedlungen, zwischen denen ich schwarze Bänder ausmachen konnte.

Die Größe der Insel entsprach tatsächlich der eines Kontinentes, was mich wieder am vulkanischen Ursprung zweifeln ließ. Ein Vulkan der groß genug gewesen wäre, einen so großen Kontinent zu hinterlassen, ließ bei seinem Ausbruch den ganzen Planeten auseinanderbrechen. Oder konnte es sein, daß in grauer Vorzeit irgendwelche Intelligenzwesen nachgeholfen hatten?

Die TARUMA I landete auf einem Gelände, das man weder als Raumhafen bezeichnen, noch benutzen konnte, in der Nähe der flach abfallenden Küste an der Nordspitze des Kontinents.

Von einer Landung, im eigentlichen Sinne des Wortes, konnte wegen des zu weichen Untergrundes, keine Rede sein.

Tarulina ließ den Raumer nur mit rund zehn Prozent seines Gewichtes den Boden beanspruchen. Den Rest hatten weiterhin die Antigravaggregate zu tragen.

Das war also die Besonderheit, die Tarutanka mir angekündigt hatte. Tarulina senkte den Raumer mit sehr viel Fingerspitzengefühl auf den Planeten nieder und blockte die Einstellung des Antigravaggregates. So konnte es nicht geschehen, daß irgend jemand, aus welchen Gründen auch immer, den Antigravantrieb, der immerhin noch neunzig Prozent des Schiffsgewichtes trug, ausschaltete und damit eine Katastrophe heraufbeschwor.

Von Tarulina erfuhr ich, daß eines der Springerraumschiffe mittels eines Bergungskreuzers abgeholt werden mußte, als nach dem Aufsetzen der Antigravantrieb versagt hatte, und der Walzenraumer mehrere Meter tief in den - für Raumschiffe - zu weichen Untergrund gesackt war.

Kurz überlegte ich, daß ein Entladen der TARUMA I unter ähnlichen Umständen nicht möglich gewesen wäre, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder, weil er wirklich sehr unwahrscheinlich war.

Einmal im Monat landete Tarulina diese Walze auf diesem Planeten.

Wenn Taruma auch sicherlich zu den geizigeren Matriarchinnen gehörte, konnte man doch sicher sein, daß sie nicht am Antigravaggregat sparen würde, weil eine Bergung so ziemlich das Teuerste war, was einem Springerpatriarchen passieren konnte. Die einzigen teureren Posten, die einem älteren Raumschiff zustoßen konnten, waren eine komplette Havarie oder ein Schaden am Hypertriebwerk.

*


Im Jahr 2405, Andromeda.

Wie war damals die erste Begegnung mit ihr gewesen, als man ihr kleines Raumschiff...

Nachdem es den Terranern gelungen war den Planeten Multidon zu vernichten, funkte ein kleines tefrodisches Beiboot in der Nähe der IMPERATOR ein Signal, das mit dem terranischen SOS zu vergleichen war. Der Kommandant der IMPERATOR ließ eine Space-Jet ausschleusen, mit dem Auftrag, nach Überlebenden zu suchen.

Die Terraner fanden ein total zerstörtes Beibootwrack vor.

Sie entdeckten eine bewußtlose Frau, die den Angriff auf dieses kleine Raumschiff überlebt hatte.

Sie brachten sie zur IMPERATOR, wo sich das medizinische Personal ihrer annahmen.

*


Im Jahr 2656.

Tarulina hatte mir anvertraut, die TARUMA I würde mindestens zwei terranische Wochen auf Ryk-451 bleiben, weil Tarutanka einige Reparaturen durchführen wollte. Es schien immer noch billiger zu sein, auf Lichtwald neunzig Prozent des Raumschiffgewichtes mit dem Antigravaggregat abzufangen, als einen entsprechend langen Zeitraum auf einem Planeten mit adäquatem Bodenbelag, aber gesalzenen Liegekosten zu verbringen.

Bei den fälligen Reparaturarbeiten handelte es sich offensichtlich um Tätigkeiten, die man nicht im Vakuum des Weltraumes durchführen konnte, weil sie entweder mit den Sichtkuppeln, den Außenschleusen oder der bordeigenen Sauerstoffversorgung zu tun hatten.

Aus diesem Grunde hatte ich beschlossen, meinen Container kurzerhand an Bord zu lassen. Da ich ohnehin alle wichtigen Utensilien mitzunehmen gedachte, war es einfacher, den Raumcontainer in der TARUMA I zu belassen, als sich einen Standplatz am Raumhafen zu beschaffen.

Auf Lepso hatte ich ein neuartiges Antigravkombiistrument entdeckt, das mir verdächtig nach tefrodischer Fertigung aussah. Zwei dieser Geräte hatte ich gekauft und sie waren mir bei einer genaueren Mikroskopie zu ähnlich erschienen, um anzunehmen, sie seien nicht mittels eines Multiduplikators entstanden.

Mittels eines der Geräte bugsierte ich mein Auto im Schwebezustand aus dem Container und dem Hangar auf die Planetenoberfläche.

Bei dieser Gelegenheit betrat ich erstmals den Boden des Planeten.

Die Luft wirkte kühl und verfügte über einen leicht modrigen Geruch. Der Himmel war violett gefärbt, was von den beiden Sonnen herrührte, die zu dieser Zeit beide weit über dem Horizont standen.

Die sargartige Kiste hatte ich Tarumo in Verwahrung gegeben.

Irgendwie hatte der alte Springer mein Vertrauen gewonnen.

Tarulina wollte ich in dieser Angelegenheit nicht behelligen, sie war noch viel zu jung, um mit einer solchen Verantwortung belastet zu werden.

„Ich werde mich melden, wenn ich etwas brauche!"

Sie sah mich nachdenklich an.

„Vielleicht sollte ich dich begleiten? Vielleicht sollte ich dich aber auch nur fragen, wer du bist und was du auf diesem Planeten willst!"

„Du weißt doch, ich bin ein einfacher Akone..."

„Der perfekt einige terranische Sprachen beherrscht, tefrodisch redet, entsprechende Hypnoschulungen dabei hat und so ganz nebenbei einen Container in unserem Hangar stehen hat, für den sich unser geheimnisvoller, inkognito reisender, Passagier so sehr interessiert hat, daß er nur aus diesem Grunde seine Kabine verlassen hat!"

Tarulina schüttelte den Kopf.

„Ich würde mich freuen, dich wohlbehalten wiederzusehen! Ich würde mich auch freuen, wenn du die Rückreise mit uns antreten würdest!"

„Ich werde mein möglichstes tun, Tarulina! Ich kann mir keine angenehmere Gesellschaft für die Rückreise vorstellen, als dich und einige Leute deiner Sippe!"

Sie lächelte.

„Außerdem werde ich dich heute Abend hier abholen und mit dir Essen gehen!"

„Versprochen?"

„Versprochen!"

Meine Hypnoschulung, für den Umgang mit historischen Fahrzeugen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben wurden, hatte mich fast zu einem Experten auf dem Gebiet des Autofahrens werden lassen.

Mein erstes Ziel war selbstverständlich jenes Etablissement, das man auf jedem Planeten in der Nähe des Raumhafens finden konnte, ein Gebäude, in dem man Zimmer mieten konnte, die nicht an Raumschiffe erinnerten und in denen man alle möglichen Drogen in Geselligkeit zu sich nehmen konnte, ohne von jemandem gestört zu werden.

Die Raumhafenkneipe war so klein, wie man erwarten konnte. Neunzehn Raumschiffe standen auf der Ebene, ausnahmslos von ihren bordeigenen Antigravaggregaten am Einsinken gehindert.

Wen wunderte es, wenn man bei einem so kleinen Raumhafen nur eine Hafenkneipe fand, die aber sehr gut besucht war.

Wie die anwesenden Raumschiffe schon verhießen, waren hauptsächlich Springer und Topsider zu erwarten, obwohl ich auch ein Raumschiff gesehen hatte, das eindeutig terranischen Ursprunges war.

Vor dem Gebäude standen Gleiter und Bodenfahrzeuge, so daß mein Automobil terranischer Herkunft gar nicht auffiel. Einerseits hatte ich zwar befürchtet, schon vor der Kneipe mindestens eine Doublette meines Fahrzeuges anzutreffen, wußte aber nicht ob es ein Grund zur Freude war, in meinem Fahrzeug ein Einzelstück, zumindest vor der Kneipe, zu wissen.

Schon an Bord meiner Korvette hatte ich einige Änderungen vornehmen lassen, deren auffälligste die geänderte Farbe war. Das Auto erstrahlte nicht mehr in diesem Signalorange, welches zur Zeit seiner Herstellung wohl auf Terra hoch in Kurs gestanden hatte, sondern war in einem fast glasartig reflektierenden Schwarz lackiert. Der Begriff Lackiert traf natürlich im Jahr 2656 so nicht zu. Meine Roboter hatten das ganze Fahrzeug mit einem millimeterdünnen glasklaren Kunststoff überzogen, der der ganzen Karosse mehr Stabilität verlieh.

Als ich das Gebäude betrat, hörte ich die übliche unidentifizierbare Geräuschkulisse, wie sie allen derartigen Etablissements der bekannten Galaxis Eigen ist. Der laute Geräuschpegel wurde aus wild durcheinander redenden Lebewesen und einer untermalenden Musik gebildet.

Im Inneren des großen Raumes, den ich betrat, herrschte gleißende Helligkeit. Überall standen Tische und Stühle für die unterschiedlichsten galaktischen Intelligenzen herum, die größerenteils besetzt waren.

Noch am Eingang stehend orientierte ich mich. Der Galaktosoziologe in mir mußte unweigerlich schmunzeln, obwohl sich dieser Impuls nicht bis zu meinem Gesicht fortsetzte. Am besten Tisch des Raumes saßen zwei Überschwere, hielten klobige Krüge mit einem Fassungsvermögen von etwa fünf Litern in den Pranken und prosteten sich gegenseitig zu. An einem der Nachbartische saßen fünf Terraner, von denen zwei unschwer als Ertruser zu erkennen waren. Die anderen umgebenden Tische waren leer. Alle anderen Besucher des Etablissements saßen mindestens mit einem Tisch Abstand zu den Überschweren, aber auch zu den Ertrusern.

Man hoffte offensichtlich im Ernstfall sein Heil in der Flucht zu finden, wußte doch jeder der Anwesenden, daß man sich mit einem angetrunkenen Umweltangepassten nicht anlegen durfte.

Ich haßte es, wenn Ertruser, Epsaler und Überschwere ihre körperliche Überlegenheit so unbekümmert zur Schau stellten und damit die Intelligenzen in ihrer Umgebung einschüchterten.

Die Terraner, die mit den Ertrusern an einem Tisch saßen, genossen es offensichtlich, die beiden Kampfmaschinen an ihrer Seite zu wissen.

Den Wirt hielt ich für einen Einheimischen. Er warf mir Blicke zu, die mir eindeutig signalisieren sollten, mich besser von den beiden Tischen in der Mitte des Raumes fernzuhalten.

Die anderen Anwesenden, zumeist Springer, vermieden es, die vier Umweltangepassten auch nur anzusehen. Niemand wollte hier einen Streit provozieren.

Ich gebe zu, ich gab einer meiner Schwächen nach, als ich mich an einen freien Tisch direkt hinter einen der Überschweren setzte.

Die Geräuschkulisse ebbte etwas ab. Von jedem Tisch sah zumindest eine Person zu mir rüber.

Dieser arrogante Pinsel von Akon muß einfach verrückt sein.

Diesen Gedankenimpuls konnte ich so deutlich empfangen, als hätte ihn mir ein Anti bewußt gesendet.

Natürlich paßte es nicht zu meiner Rolle, mich jetzt umzusehen, um den Denker oder die Denkerin zu identifizieren.

Mir fiel auf, daß an allen umliegenden Tischen menschliche Bedienungen die Bestellungen aufnahmen und die bestellten Waren brachten.

„Was kann ich Euch bringen? Euer Gnaden!"

Neben mir stand ein Robotkellner, dem man schon einige Blessuren ansah, die unschwer als Begegnungen mit Umweltangepassten zu erkennen waren. Ich konnte mir vorstellen, daß die menschlichen Bedienungen sich nicht in die Nähe der leicht angetrunkenen Überschweren wagten.

Ich bestellte eine akonische Matzerazion, die mir wesentlich besser schmeckte, als jeder terranische Tee.

„Na du Wicht?! Willst du nicht was anständiges trinken?"

Der Überschwere hatte mit einer Lautstärke hinter mir gesprochen, daß fast alle Gespräche im Raum verstummten.

„Vielleicht solltest du uns zu einem Rudumbo einladen!"

Rudumbo nannte man ein Getränk, dessen Alkoholgehalt fast nur von Umweltangepassten vertragen wurde und das nur eine begrenzte Zeit. Wenn es sich bei den Fünfliterkrügen, die die Überschweren vor sich stehen hatten, tatsächlich um Rudumbo handelte, mußten die Burschen schon fast volltrunken sein.

„Vielleicht solltest du auf Milch zurückgreifen, sonst müssen wir dich hier 'rausrollen!"

„Oho! Der akonische Wicht will frech werden!"

„Du solltest etwas leiser reden, die Leute gucken schon alle!"

Aufgeregt versuchte der Wirt mir etwas zu signalisieren.

Ich weiß nicht warum ich es nicht lassen konnte. Warum hatte ich mich nicht an einen anderen Tisch gesetzt, jeder Galaktiker hätte verstanden, daß die Tische in der Mitte absolutes Tabu waren, es sei denn, man war lebensmüde.

Der Wirt schien mich schon abgeschrieben zu haben und bangte nun um seine Einrichtung, ja um das ganze Gebäude. Überschwere waren dafür bekannt, durch Wände nicht aufgehalten zu werden.

Die Ertruser lachten schallend.

„Rausrollen ist gut! Der Akone hat Humor!"

Ertruser waren mit zweieinhalb Metern deutlich größer, als Überschwere oder Epsaler, die nur gut einhundertsechzig Zentimeter groß wurden, aber ebenso breit waren.

Ich konnte sicher sein, daß die Überschweren sich nicht mit den Ertrusern einlassen wollten, die mit ihrer Schulterbreite von über zwei Metern zu den Besitzern der mächtigsten Körper der Galaxis zählten, wenn man von den Halutern absah.

„Du willst uns also hier rausrollen du Wicht!"

Der zweite Überschwere mischte sich ein. Seine Lautstärke ließ nichts Gutes vermuten.

„Du scheinst mich nicht richtig verstanden zu haben! Ich sagte, ihr solltet auf Milch umsteigen, weil wir euch sonst hier raus-rollen müssen! Damit meinte ich alle Anwesenden. Eine Person wäre bei euren Gewichten sicher überfordert!"

Ein Luftzug signalisierte mir eine schnelle Bewegung.

Mit einem gedankenschnellen Reflex fing ich die Faust des Überschweren mit der Hand ab und hielt sie fest.

Den Aras sei Dank, war mein letzter Besuch in einer Spezialklinik auf Aralon ein voller Erfolg gewesen, würde allerdings leider nicht viel länger als ein halbes Jahr ausreichen.

Zugegebenermaßen drückte ich mit aller Kraft zu, die mir mein Körper gestattete und stand langsam auf, die Faust des Überschweren immer noch festhaltend. Er war auch aufgestanden. Ich überragte ihn um etwa zwanzig Zentimeter. Der Faustschlag eines Überschweren wäre normalerweise für jeden Terraner, Akonen, Arkoniden oder Springer tödlich gewesen. Daher hatte ich jedes Recht der Galaxis, sauer auf ihn zu sein.

„Du willst doch wohl friedlich sein, du Zwerg!"

Die Provokation hätte ich mir besser geschenkt.

Einer der Ertruser stand auf.

„Sehe ich da richtig? Der Akone scheint den Dicken festzuhalten!"

„Der Dicke zeigt dir gleich, wie der Akone ihn festhält!"

Der Überschwere wurde immer wütender. Meine Hand hatte sich um seine Faust geschlossen, wie eine Stahlklammer. Naturgemäß hatte niemand, auch kein Umweltangepasster, genug Kraft in der Streckmuskulatur seiner Hand, um auch nur ein Drittel der Kraft seiner eigenen Beugemuskulatur aufzubringen. Diese anatomische Besonderheit wurde von den meisten Humanoiden vernachlässigt.

„Ich glaube, du solltest nach draußen gehen und dir ein wenig die Füße vertreten. Wenn du dann die gute Luft dieses Planeten tief eingeatmet hast, um dich zu beruhigen, kannst du ja wieder hereinkommen!"

Da ich meine Worte, mit allem zu Gebote stehenden, hypnotisch verstärkt hatte, konnte ich tatsächlich seine Faust loslassen und er ging hinaus, wie ich von ihm verlangt hatte.

„Du verdammter Akone..."

Der zweite Überschwere schoß wie ein Geschoß auf mich zu, als der erste den Raum verlassen hatte.

Den Schwung seiner Geschwindigkeit nutzend, riß ich ihn hoch und beförderte ihn mit einem Ruck auf meine linke Schulter. Da er als Überschwerer einen Sturz aus dieser Höhe bei der für ihn geringen Gravitation des Planeten nicht zu fürchten hatte, bekam er schon bevor ich ihn ergriffen hatte, eine hypnotische Lähmung verpaßt.

Ich trug ihn raus und warf ihn vor die Tür. Meine Lendenwirbelsäule machte sich schmerzhaft bemerkbar, immerhin hatte ein Überschwerer ein Gewicht von etwa zweihundertundfünfzig Kilogramm.

Bevor ich wieder hinein ging, versäumte ich nicht, den beiden Kampfmaschinen hypnotisch die Erinnerung an die letzte Viertel Stunde zu nehmen.

Oft hatte ich schon bedauert, meine Hypnofähigkeiten nur an bewußtseinsgetrübten Personen anwenden zu können. Für angetrunkene oder durch andere Drogen beeinträchtigte Personen reichte es fast immer.

Die Überschweren gingen zu ihrem Gleiter, als ich in den Schankraum zurückkehrte.

Der Wirt starrte mich fassungslos an, während ich grinsend auf meinen Mikrogravitator deutete, den ich am Gürtel trug.

Der Robotkellner brachte gerade meinen akonischen Tee, als ich mich wieder setzte.

Ein Springer setzte sich zu mir an den Tisch.

Er deutete auf ein Kombiinstrument an seinem Handgelenk.

„Das mit dem Mikrogravitator kannst du einem anderen erzählen. Ich habe keine Energieemmission geortet!"

„Dann solltest du deinen Apparat überprüfen lassen."

„Lungar Driegund!"

„Schön Lungar! Mein Name ist Viktor Kaiman!"

Lungar schnippte einmal mit den Fingern.

Eine junge Springerin brachte ihm ein Getränk. Er schien hier Stammkunde zu sein.

„Was führt dich in dieses verlassene Nest von einem Planeten, Akone? Du wirst doch nicht dem Glauben der Monobioten anhängen..."

„Monobioten?"

„Klar, Monobioten! Es gibt nur eine Galaxis, in der irgendein Gott Leben entstehen ließ und das ist unsere!"

„Das ist Monotheismus gepaart mit Ignoranz!"

„Das ist die Realität auf diesem Planeten! Wenn die derzeitigen Bewohner, beziehungsweise ihre Vorfahren, ihn nicht alle mit Raumschiffen angeflogen hätten, sondern hier aus irgendeiner Evolution hervorgegangen wären, würden sie ihn für eine flache Scheibe halten, wie noch vor einigen Jahren die Terraner ihre Welt!"

Er lachte über den Seitenhieb gegenüber den Terranern. Tatsächlich hatten die Vorfahren der heutigen Terraner noch in Höhlen gehaust, als Akonen, Arkoniden und Springer schon die interstellare Raumfahrt betrieben.

„Warum lassen die Kolonisten denn dann zu, daß hier ständig Raumschiffe landen, deren Existenz ja schon fast das Gegenteil beweist?"

„Weil sie die Ressourcen dieses Planeten schonen und somit auf interstellaren Handel angewiesen sind! Du scheinst noch nicht in der Stadt jenseits des Energetischen Vorhanges gewesen zu sein..."

Ich machte unwillkürlich die akonische Geste der Bestätigung.

„Ich kam heute mit der TARUMA I her. Ich bin Galaktohistoriker und Galaktosoziologe und wollte hier meinen Wissenshorizont erweitern!"

Er lachte unverhohlen.

„Ein Galaktohistoriker wird hier kaum etwas finden, um seinen Horizont zu erweitern! Ein Galaktosoziologe kann die Ignoranz, die er hier vorfindet in jedem Geschichtsbuch nachlesen, das ein guter Galaktohistoriker geschrieben hat!"

„Du sprachest von dem Energetischen Vorhang, was hat er für einen Sinn?"

Ich war fest entschlossen, alle Informationen, die ich brauchte, diesem Springer zu entlocken. Zunächst mußte ich in Erfahrung bringen, ob es noch andere Orte auf dem Planeten gab, an denen Raumschiffe landeten. Tarutanka hatte angegeben, dieser Raumhafen sei seines Wissens der einzige des Planeten.

„Der Energetische Vorhang hat die Aufgabe, die Ignoranz der Bewohner Lichtwalds vor der Aufklärung von Außen zu bewahren! Die lassen nur Leute mit Gerätschaften durch, die dem Stand eines Primitivplaneten des präatomaren Zeitalters entsprechen! Außerdem lassen sie keine Schuß- oder Energiewaffen auf ihren Planeten!"

„Der letzte Punkt kann mir gefallen! Du sagtest, ein Galaktohistoriker habe hier kaum etwas zu entdecken! Also muß es doch etwas geben!"

„Klar, die alte Lemurerfestung!"

Sekundenlang hatte ich Angst, alle Anwesenden hätten dieses laute Klick gehört, welches sich in meinem Bewußtsein abspielte.

Die alte Lemurerfestung!

„Kann man diese alte Lemurerfestung besichtigen? Wo befindet sie sich?"

Er schmunzelte

„Die Festung ist nicht zu verfehlen! Sie befindet sich am anderen Ende Dieses Kontinents! Richtung Süden und dann immer geradeaus! Aber besichtigen? Ich glaube nicht, daß die Lemurer da jemanden reinlassen!"

Klick! Die Lemurer!

Mit einem gewaltigen Schluck trank er sein Glas leer.

„Niemand hat diese Festung betreten, seit dem die Lemurer zurückgekehrt sind! Die Bewohner Lichtwalds betrachten sie mit Argwohn! Aber was sollen sie unternehmen? Die Festung ist uralter Besitz und das Raumschiff, das da regelmäßig landet, landet im Inneren der Festung!"

Klick! Raumschiff im Inneren der Festung der Lemurer!

„Und seit wann sind die Lemurer zurück?"

„Seit etwa sieben Jahren! Ich weiß das so genau, weil man vor sieben Jahren die Embargovorschriften erweitert hat. Seit dieser Zeit lassen die Planetarier keine Schußwaffen mehr durch."

„Laufen die jetzt alle mit Schwertern und Säbeln herum? Oder sind es Pazifisten?"

„Mit Pfeil und Bogen oder einer Armbrust, oder mit Schwert und Schild!"

Ich winkte die junge Springerin herbei, die meinem Gesprächspartner zuvor den Drink serviert hatte, um etwas zu bestellen. Sie machte einen großen Bogen um den Tisch mit den Ertrusern.

„Für Lungar das Gleiche wie eben und für mich das Selbe wie für Lungar!"

Ein zweieinhalb Meter großer Ertruser, der eine Schulterbreite von gut zwei Metern hat, verfügt selbstverständlich auch über eine diesbezügliche Spannweite, denn auch seine Proportionen entsprechen dem Goldenen Schnitt. Nur so war zu erklären, daß es einer der Ertruser schaffte, nach der jungen Springerin zu grapschen, als sie an unserem Tisch stand. Der Ertruser bekam einen ihrer Arme zu fassen und wollte sie an seinen Tisch zerren.

Sie riß vor Schreck und Angst die Augen auf und wurde leichenblaß.

Ich wußte zwar nicht, was man in dieser Spelunke den Ertrusern alles zuzutrauen hatte, fühlte mich aber in diesem Moment für das Schicksal des Mädchens verantwortlich, da ich sie an unseren Tisch gewunken hatte.

Mit einer spielerischen Bewegung hatte ich den Unterarm des Ertrusers ergriffen und durch gezielten Druck, auf einen wenig bekannten Nervenpunkt zwischen Elle und Speiche, die Beugemuskulatur in seiner Hand für wenige Sekunden gelähmt. Das Springermädchen suchte sein Heil in der Flucht und ich rief dem Robotkellner zu, er solle sich um eine Runde für meine ertrusischen Freunde kümmern.

Aus verengten Augen sah mich der Springer Lungar Driegund an, als die Ertruser mir freundlich zuprosteten.

„So etwas habe ich noch nie gesehen! Ich hätte nie gedacht, daß ihr eine so gute Ausbildung beim Energiekommando auf Akon habt!"

*


Im Jahr 2405, Andromeda.

An Bord der IMPERATOR hatte man die bewußtlose Frau in einem Kabinentrakt untergebracht.

„Ich bin Mirona Thetin und weiß die Fürsorge, die man mir angedeihen läßt, wohl zu schätzen."

Sie trug eine Montur, die aus einem einzigen Stück metallen schimmernden Stoffs zu bestehen schien. Eng genug, um nichts zu verbergen.

Das Haar der Tefroderin war pechschwarz.

Die Terraner schätzten ihr Alter auf etwa 25 Jahre.

„Wo befinde ich mich?"

„An Bord eines terranischen Schiffes in unmittelbarer Nähe des Multidon-Systems."

„Und was wird man mit mir tun?"

Man verwies si sofort an den Kommandanten des Schiffes Atlan, der ihr alle gewünschten Aiskünfte zhu geben vermöge.

„Gut Terraner, er möge zu mir kommen und sich mir gegenüber über seine Absichten äußern. Eines Tages wird er mir dankbar sein, daß ich gewillt bin, ihn zu empfangen!"

*


Im Jahr 2656.

Die Bewohner Lichtwalds hatten sich vor einigen Jahrhunderten aus religiösen Gründen auf diesen Planeten zurückgezogen und der interstellaren Raumfahrt entsagt.

Es gehörte zu den Besonderheiten ihres Glaubens, jede Art von Leben in anderen Galaxien zu verneinen. Gott habe unsere Galaxis auserwählt, im ganzen Universum als einzige Leben hervorzubringen.

Daß Perry Rhodans Expedition nach Andromeda und die daraus resultierende Auseinandersetzung mit den Meistern der Insel, das Gegenteil bewies, wurde auf Lichtwald nicht nur geleugnet, sondern im Bedarfsfall auch uminterpretiert. Desgleichen verfuhr man mit den Auseinandersetzungen mit den Bewohnern der Magellanschen Wolken.

Klar, man konnte die Tefroder getrost als Nachfahren der Lemurer aus dieser Galaxis bezeichnen, mit einiger Schiebung sicher auch die Zweitkonditionierten aus den Magellanschen Wolken als nahe Verwandte der Haluter, was aber war mit den Gurrads und den Maahks?

Vorsorglich hatte ich alle meine Ausrüstungsgegenstände an Bord der TARUMA I in meinem Raumcontainer zurückgelassen, um mir keinen Verstoß gegen die Embargovorschriften einzuhandeln.

Der Energetische Vorhang verfügte über einen Durchgang, an dem einige Einheimische alle Personen und deren Fahrzeuge kontrollierten, die das Raumhafengelände des Planeten verlassen wollten, um sich auf ihrer Welt frei bewegen zu können.

Mit hochmodernen Detektoren untersuchte man zunächst einmal mein Fahrzeug, bei dem es sich um das terranische Auto handelte, dessen Farbe nun schwarz war. Wegen der Außentemperaturen hatte ich das Dach zurückgeklappt und die sargartige Kiste auf der Hinterseite mit Hanfseilen festgezurrt.

Einer der Zöllner deutete auf die Kiste.

„Was ist da drin, Fremder?"

„Die Leiche meiner Großmutter, mein Herr!"

Der Mann hob die Augenbrauen.

Einer seiner Kollegen untersuchte die Kiste eingehend mit einem Detektor.

„Vorwiegend organisches Material!"

Der erste sah mich eindringlich an.

„Was willst du hier auf Lichtwald?"

„Meiner Großmutter habe ich auf ihrem Sterbebett versprochen, sie in der heiligen Erde Lichtwalds zu beerdigen."

Ich machte eine kurze aber wirkungsvolle Kunstpause, wobei ich mich verschwörerisch zu ihm hinüberbeugte.

„Sie ist für ihre monobiotische Überzeugung gestorben!"

Voller Ehrfurcht nickte der Mann.

Er verneigte sich leicht vor mir.

„Möge das Licht des Wesens dich nie verlassen Bruder!"

Nun, nannte er mich Bruder, sollte er nicht enttäuscht werden!

„Das Wesen des Lichtes begleite dich auf allen Wegen Bruder!"

Das Leben konnte so einfach sein, wenn man die Regel dieses Hyperkomspruches des Terraners Paulus an die Besatzung des Raumers Korinth beherzigte.

Sei dem Anti ein Anti, dem Akonen ein Akone und dem Springer ein Springer.

Gut, ich war dem Lichtwalder ein Lichtwalder.

Da ich über nichts verfügte, was den planetaren Embargovorschriften widersprach und offensichtlich ein Bruder war, konnte ich schnell passieren.

Ich konnte noch beobachten, daß ein nach mir kommender Ertruser zurückgewiesen wurde.

Man wies Umweltangepasste grundsätzlich zurück um nicht den gleichen Effekt zu haben, den übergeordnete Waffen hervorzurufen verstanden.

Der Ort, der direkt am Raumhafen lag, verfügte über die verschiedenartigsten Gebäude, die sich in Form und Größe voneinander unterschieden.

Unmißverständlich handelte es sich sicher bei dem Gebäude mit dem höchsten Turm um den Tempel des Ortes, den ich sofort aufsuchte.

Eine alte Dame stand am Eingang.

„Möge das Licht des Wesens dich nie verlassen Schwester!"

Ich brauchte die Floskel nur umzuwandeln.

„Das Wesen des Lichtes begleite dich auf allen Wegen Bruder!"

„Kannst du mir erzählen, wo ich hier ein Schwert kaufen kann, Schwester? Ich muß mich auf einen weiten Weg machen und bedarf des Schutzes des Wesens des Lichtes!"

Mit ähnlichen Floskeln erklärte mir die alte Dame den Weg zu einem Expeditionsausstatter, den ich selbstverständlich mit der selben bewährten Floskel begrüßte.

„Möge das Licht des Wesens dich nie verlassen Bruder!"

„Das Wesen des Lichtes begleite dich auf allen Wegen Bruder!"

Ich kaufte bei ihm ein Sortiment von Waffen, bei deren Auswahl ich mich von meinem neuen Bruder beraten ließ was deren Qualität anging. Als in seinen Augen uneinsichtig erwies ich mich, als ich mich in der Gewichtsklasse der Schwerter maßlos überschätzte, um mich seiner Worte zu bedienen.

Mit Langschwert und Kurzschwert bewaffnet machte ich mich auf den Rückweg, denn immerhin hatte ich Tarulina versprochen, mit ihr Essen zu gehen.

*


Im Jahr 2405, Andromeda.

Der Arkonide besuchte tatsächlich die Frau, die eigentlich den Status einer Gefangenen inne hatte.

Sie saß inmitten des Raumes mit dem Arkoniden an einem Tisch.

Atlan hatte die ganze Zeit nur Augen für die schöne Tefroderin.

„Ich nehme Ihre Vorsicht keineswegs übel, ich komme von Multidon, und Multidon ist im Machtgetriebe der Meister der Insel eines der wichtigsten Räder. War sollte ich wohl sagen. Wer sich auf Multidon aufhielt, muß mit den Meistern der Insel in Verbindung stehen und die Meister sind Ihre erbittertsten Feinde. Die Sache ist so klar, wie das Einmaleins. Nein, Sie haben völlig recht, mich zumindest als verdächtig, wenn nicht gar als eingeschworene Gegnerin zu betrachten."

„Wenn Sie die Absicht haben, über die Meister der Insel zu berichten, werde ich Ihnen aufmerksam zuhören."

Mirona Thetin musterte den alten Arkoniden eine Zeit lang und wurde ernst.

„Ich habe tatsächlich die Absicht, Ihnen über Multidon und meine Beziehung zu den Meistern der Insel zu berichten. Was allerdings ein parapsychisches Verhör angeht, muss ich Sie enttäuschen. Ein Psychoverhör ist bei mit nutzlos. Ich habe vor geraumer Zeit eine Gehirnoperation an mir vornehmen lassen. Ich glaube nicht, daß Sie die Mittel besitzen, den Block zu durchdringen. Der Block steht außerhalb meiner Kontrolle. Ich kann ihn nicht entfernen."

„Wir werden uns über eine Lösung des Problems den Kopf zerbrechen müssen. In der Zwischenzeit berichten Sie bitte!"

Bei Mirona Thetin handelte es sich um eine hohe Würdenträgerin. Sie war Hoher Tamrat des Sulvy-Systems, absolute Herrscherin über ein Reich von sieben Planeten. Ihr Reich lag rund zweiundzwanzigtausend Lichtjahre vom Südrand der Andromedagalaxis entfernt, achtzehntausend Lichtjahre vom Rand der verbotenen Zone, die den Kern Andromedas umspannte und der eigentliche Herrschaftsbereich der Meister der Insel war. Mironas Untertanen, auf fünf der sieben Planeten lebend, waren ohne Ausnahme echte Tefroder, keine Duplos, die mittels eines Multiduplikators der Meister der Insel aus Atomschablonen von echten Personen hergestellt worden waren.

Schon vor Jahren hatte Mirona begonnen, die Meister der Insel wegen ihrer Willkürherrschaft zu bekämpfen. In aller Heimlichkeit entstand der Kern einer galaxisumfassenden Widerstandsbewegung, die die Meister der Insel von ihrem Thron fegen und den Tefrodern die Selbständigkeit zurückgeben sollte.

Allerdings war sie von den MDI enttarnt worden und nun eine Gefangene auf Multidon gewesen, die durch den Angriff der Terraner in die Lage versetzt wurde, sich selbst zu befreien. Ihr kleines Raumboot hatte bei der Flucht einen Steifschuss abbekommen, wobei sie das Bewusstsein verloren hatte, um erst an Bord der Imperator wieder zu sich zu kommen.

*


Im Jahr 2656.

Die Gebäude standen immer vereinzelter und machten den Bäumen Platz, die in ungewöhnlich großen Abständen in den purpurroten Himmel ragten.

Die blaue Sonne war schon so lange hinter dem Horizont verschwunden, daß die Farben des roten Spektrumsanteils dominierten.

Die Straße war mäandrierend angelegt, immer die vorhandenen Bäume umrundend. Auf diese Weise gab es keinen Abschnitt der Strecke der übersichtlich gewesen wäre und man mußte seine Geschwindigkeit den Gegebenheiten anpassen.

Die Kolonistennachfahren hatten alles getan, um die Besonderheiten des Planeten zu erhalten. Bäume wurden nie gefällt, sondern fielen irgendwann aus Altersgründen um. Wenn man auf Lichtwald Holz verwendete, dann nur solches, welches die Natur ohne menschliches Nachhelfen zur Verfügung gestellt hatte.

Die allgemein gültigen Vorschriften für die Fortbewegung von bodengebundenen Selbstbewegern waren leicht verständlich und beinhalteten nicht zu viele beachtenswerte Besonderheiten.

Auf der Straße kamen mir regelmäßig Fahrzeuge entgegen, die ebenso langsam fuhren wie meines. Die sargartige Kiste hatte ich gut festgezurrt und hoffte, meinen vorgesehenen Weg so lange wie möglich mit geöffnetem Dach zurücklegen zu können. immerhin fuhr ich nach Süden, in kältere Regionen des Planeten.

Die Anzeige vor meinen Augen, die die zurückgelegten Kilometer zählte, zeigte die Zahl 00298 an, also hatte ich 234 Kilometer auf Lichtwald zurückgelegt.

Zugegeben eine kurze Distanz, wenn man bedachte, was für Entfernungen man mittels Raumschiffen zurücklegte, aber dadurch nicht weniger mühsam, hatte ich mich doch mit einer Geschwindigkeit zu bewegen, wie sie auf den zivilisierteren Planeten dieser Galaxis schon seit einigen Jahrtausenden nicht mehr üblich war.

Als die rote Sonne zu meiner Rechten weiter dem Horizont entgegensank, kam die Gleisstation in Sicht, die mein Ziel für diesen Abend gewesen war. Man konnte zwar, Dank der fahrzeugeigenen Beleuchtung, auch bei Nacht fahren, ich verzichtete allerdings auf dieses zweifelhafte Vergnügen. Wie hatten die Terraner noch vor sechshundertsechsundsechzig Jahren mit derartigen Beleuchtungen ihren Planeten befahren können? Immerhin mußte man bedenken, daß Terra eine Welt am Rande unserer Galaxis war und daher nur von der einen Sonne Sol beschienen wurde. Arkon und Akon, die wesentlich näher am galaktischen Zentrum standen, verfügten nachts über eine viel höhere Helligkeit, die jede Wolkendecke durchdrang. Ich war vor einigen Jahren einmal auf Terra gewesen und hatte manche Nacht in einer Wüste den Sternenhimmel betrachtet, der schon eine gewisse Ähnlichkeit mit dem intergalaktischen Leerraum aufwies. Dieses Gefühl war einfach unbeschreiblich. Man lag auf einem Planeten und sah in den Himmel, atmete die Luft eines Planeten und spürte deutlich den Wind auf der Haut. Was man sah, waren kleine Lichtpunkte in einer schwarzen Leere und das schwach schimmernde Band unserer Galaxis. Unter solchen Umständen verstand man es fast, daß die Terraner nicht aus eigenem Antrieb einen Überlichtantrieb entwickelt hatten, denn in ihrer Umgebung gab es einfach kaum Sonnen, deren Planeten man ansteuern konnte.

Als die rote Sonne Lichtwalds sich weiter dem Horizont genähert hatte, konnte ich ein Schauspiel erleben, wie es besonders eindrucksvoll auf Planeten zu beobachten war, die über eine Sauerstoffatmosphäre und eine rote Sonne verfügten. Die Sonne blähte sich förmlich auf und vermittelte den visuellen Eindruck, auf ein Fünf bis Sechsfaches ihrer normalen Größe angewachsen zu sein.

Die langwelligen roten Lichtstrahlen ließen die wenigen Wolken in einem feurigen zinnoberrot erstrahlen.

Flackernd und lodernd sank die Sonne immer tiefer, als sie nur noch als Halbkugel sichtbar war, konnte man sogar einige Protuberanzen mit dem bloßen Auge erkennen.

Jeder Planet war ein besonderes Erlebnis und jede Welt hatte ihre Eigenheiten, ihre unverwechselbaren Naturschauspiele.

Ich hatte das Auto angehalten, um der untergehenden Sonne nachzusehen.

Schon als die Sonne noch nicht einmal den Horizont berührt hatte, begannen die Sterne des Himmels zu erstrahlen. Nach und nach schälten sich immer neue Lichtpunkte und auch größere Scheiben aus dem purpurroten Himmel und erschienen immer heller, je weiter die Sonne hinter dem Horizont versank.

Licht und Wald!

Lichtwald!

Ich konnte verstehen, warum man dieser Welt diesen Namen gegeben hatte.

Die Gleisstation war ein kuppelartiges Gebäude, das man genau zwischen den vorhandenen Bäumen errichtet hatte, die es überragten. Aus dem Sockel der Kuppel ragten nach Außen geneigte Säulen in den Himmel, die das Gleis und die dazu gehörenden Rampen trugen. Von hohen Säulen getragen kam der Gleisstrang aus dem Süden und teilte sich etwa einen Kilometer vor der Gleisstation, um diese auf den erwähnten Säulen zu umrunden und wieder in den aus Süden ankommenden Gleisstrang überzugehen.

Ich konnte eine spiralförmige Rampe erkennen, die aus der Kuppel zu dem ringförmigen Gleisstrang, hoch über den Bäumen führte.

Vor der Kuppel parkte ich meinen Wagen.

Im Inneren der Gleisstation fand ich einen großen Saal vor, in dem vor einer Art Schranke einige Selbstbeweger zu warten schienen.

Hinter einem Schalter standen einige Eingeborene, auf die ich zusteuerte.

Ich hob die Hand zum Gruß.

„Möge das Licht des Wesens euch nie verlassen Schwestern und Brüder!"

„Das Wesen des Lichtes begleite dich auf allen Wegen Bruder!"

Diese Floskel erschien mir wie eine Zauberformel alle Planetarier zu zugewandten Zeitgenossen zu verwandeln.

„Was können wir für dich tun, Bruder?"

„Ich gedenke nach Süden zu reisen, bis zur Endstation dieser Bahn!"

„Gut, Bruder! Der Zug wird gegen Mittag des morgigen Tages hier eintreffen, wenn du willst, kannst du in einem der Räume des Hotels übernachten!"

Ich willigte ein und entrichtete den Preis für die Übernachtung und die Passage einfach nach Süden.

„Du bist gerade rechtzeitig erschienen, um dem Alleinen Gott mit uns gemeinsam zu huldigen!"

„Ich danke euch und werde mit Freude an der Huldigung teilnehmen!"

Mit einer kurzen Verneigung verabschiedete ich mich erst einmal, um meinen Wagen in der wartenden Reihe hinter der Schranke aufzustellen und mit meinen wenigen mitgebrachten Habseligkeiten mein Hotelzimmer zu beziehen.

Danach hatte ich Zeit, an der Huldigung teilzunehmen.

*


Im Jahr 2405, Andromeda.

Der alte Arkonide suchte die Tefroderin erneut in ihrer Kabine auf.

Atlan erklärte ihr, dass laut Positronik in ihren Aussagen keine Widersprüche zu entdecken wären.

Mirona nahm es ihm ab, offenbar ein wenig verwirrt.

Weiterhin erklärte er ihr ein Detektor der die Streustrahlung von Zellaktivatoren anzumessen im Stande sei, habe erfreulicherweise diese Streustrahlung nicht festgestellt und daß sie daher nicht eine Meisterin der Insel sein könne.

Mirona Thetin wirkte plötzlich sehr Ernst.

Sie gab ihm zu verstehen, eine Feindin der Meister der Insel zu sein, jedoch zunächst, als Tefroderin, die Terraner als ihre Gegner betrachtet zu haben. Trotzdem sei sie Willens, den Terranern zu Informationen zu verhelfen, von deren Empfang der weitere Fortbestand der solaren Menschheit abhängen würde, diese Informationen gedenke sie wegen ihrer Brisanz allerdings nur in Gegenwart des Großadministrators zu offenbaren.

*


Im Jahr 2656.

Nebel tauchte die Gleisstation in diffuses Licht.

Schattenhaft waren die umliegenden Bäume und die Säulen des Schienenweges zu erkennen. Die vorausfahrenden Fahrzeuge wurden von diffusem Dunst verschluckt.

Nahende Geräusche zeugten von der Annäherung des Zuges.

Man hatte zwar nicht genau seine Ankunftszeit voraussagen können, aber versprach, er werde zu dieser Jahreszeit nicht länger als zwei Tage für die Strecke zur Südspitze des Kontinentes brauchen.

Als der Zug dann kam, hielt er erst gar nicht in der Gleisstation an, sondern fuhr ganz langsam in den Ladering ein.

Die, vor der Schranke wartenden, Fahrzeuge waren inzwischen hintereinander die Rampe hinaufgefahren und hatten in einer Warteposition zu halten.

Vor meinem Wagen stand ein Lasttransporter, der mir die Sicht nach vorne versperrte.

Mein Fahrzeug stand in einer langen Reihe von Fahrzeugen auf der spiralförmig ansteigenden Rampe in Höhe der Baumgipfel. Da ich das Dach wegen der sargartigen Kiste nicht geschlossen hatte, pfiff mir ein ziemlich eisiges Luft-Wasserdampfgemisch um die Nase.

In der ersten Hälfte des Gleiskreises wurden zuvor bereitgestellte Container quer auf die breiten Waggons geschoben, wodurch Container, die mit dem Zug hier angekommen waren, auf der anderen Seite des Zuges auf die dortige Rampe zu schieben.

Container für Container wurde der Zug beladen. Die Fahrzeuge vor mir kamen in Bewegung. Einer nach dem anderen fuhren sie quer zur Fahrtrichtung des Zuges auf die langsam vorbeigleitenden Waggons.

Der vor mir befindliche Lasttransporter fuhr auf einen freien Waggon und ich fuhr meinen Wagen direkt daneben.

Hoch über den Gipfeln der Bäume, die sich aus dem Nebel des Morgens schälten, sah ich die Rampe, die ich hinaufgefahren war, tief unter mir, in dem violetten Schwaden verschwinden, der von beiden Sonnen unzureichend beschienen wurde.

Als ich den Motor ausschaltete, war bereits das hinter mir befindliche Fahrzeug auf der anderen Seite neben mich gefahren.

Auf diese Weise war der Zug innerhalb weniger Minuten be- und entladen.

Als ich aus meinem Wagen gestiegen war und nun zum Ende des Zuges sah, konnte ich erkennen, daß der letzte Waggon soeben das Rund des Bahnhofes verließ.

Alle Waggons waren überdacht und da die Dächer in den Sonnen schimmerten war mir gleich klar, daß sich dieses Fortbewegungsmittel mittels uralter Solartechnologie bewegte.

Als der letzte Waggon beladen war, begann der Zug stetig zu beschleunigen. Aufgrund fehlender Hochtechnologie, gab es keine Andruckabsorber, was natürlich bei den geringen Beschleunigungswerten auch nicht erforderlich war.

Die Insassen der anderen Fahrzeuge waren ausgestiegen und bewegten sich zu den ersten Waggons, die Hotels und Restaurants beinhalteten.

Da ich sicher war, mein Fahrzeug später noch vorzufinden, da es unwahrscheinlich war, daß jemand den Versuch wagte, über hundert Meter tief zu fallen, ging ich ebenfalls in Richtung Süden, in Fahrtrichtung des Zuges.

Der Gleisstrang befand sich über den Gipfeln der Bäume, also in einer Höhe von bis zu einhundertfünfzig Metern. Alle fünfhundert Meter stand eine Säule, die die ungeheure Last des Schienenweges und des jeweils darauf fahrenden Zuges zu halten hatte.

Guter alter Arkonstahl!

Ich erkannte das Material an dem bekannten Schimmer.

Immerhin schien diese Konstruktion schon einige Jahrhunderte gehalten zu haben.

Ich konnte mich erinnern, daß speziell die Konstrukteure größerer Verkehrswege, die aus Arkonstahl hergestellt wurden, bis zu tausend Jahre Garantie gaben. Nicht nur diese lange Garantiezeit ließ mich diesem Bauwerk vertrauen, sondern auch die Tatsache, daß meines Wissens noch nie eine Konstruktion aus Arkonstahl ihren Dienst aus Alterungsgründen versagt hatte.

Die gemächliche Beschleunigung des Zuges hielt noch weiter an. Erschütterungsfrei bewegten wir uns durch die Landschaft der zwei Schatten.

Im vorderen Teil des Zuges gab es Waggons, die man als Restaurants, Aufenthalts-und Ruheräume nutzen konnte. Im Gegensatz zu den hinteren Lastwaggons waren sie geschlossen und beheizt.

Die Kälte des Morgens machte sich unangenehm bemerkbar und ließ mich dankbar die Wärme der vorderen Waggons aufsuchen.

In einem Restaurant saßen schon einige Gäste, die scheinbar die Nacht in den unterschiedlichsten Kabinen verbracht hatten, um zu frühstücken.

Da ich vorhatte, etwas zu essen, setzte ich mich an einen Tisch, an dem schon ein Blue saß, der einen großen Becher Flüssignahrung vor sich stehen hatte, aus dem er mittels eines Trinkhalmes trank.

Der Blue war mir für die Nahrungsaufnahme ein angenehmerer Tischpartner, als eventuelle Terranerabkömmlinge, die teilweise immer noch die Gewohnheit hatten, Körperteile getöteter Tiere essen zu wollen.

„Trenopscht!"

Ich nickte dem Blue zu.

„Und mein Name ist Viktor Kaiman!"

Er stellte den großen Becher auf dem Tisch ab.

„Reist du auch bis zur Südspitze des Kontinentes, Trenopscht?"

„Nein, Viktor! Ich werde den Zug in der nächsten Station verlassen!"

Bewußt hatte ich bei dem Blue auf die Anredefloskel des Planeten verzichtet, denn ich konnte mir kaum vorstellen, daß ein Blue durch irgendwelche rituellen Handlungen zu beeinträchtigen sein könnte.

„Am Südende des Kontinentes gibt es nichts, außer einem kleinen Dorf, das man da hingestellt hat, obwohl sich wohl niemand mehr erinnern kann warum und einer alten Lemurerfestung!"

„Ich bin Galaktohistoriker und Galaktosoziologe! Diese alte Festung interessiert mich!"

Trenopscht schaukelte ein wenig mit seinem Tellerkopf.

Eine junge Topsiderin erschien an unserem Tisch, bei der ich ein Frühstück bestellte.

„Die alte Festung!"

Trenopscht schien angeregt nachzudenken.

„Vielleicht wirst du enttäuscht sein, Viktor! Die Leute, die man für Lemurer hält, sollen sehr intolerant sein und keine Besucher in die Nähe des Gebäudes lassen!"

„Die sich Lemurer nennen?"

„Klar, eigentlich können es nur Tefroder sein! Außerdem landen da regelmäßig tefrodische Kugelraumer! Vor vielen Jahren, konnte man die Festung noch betreten. Ich habe einige Leute gekannt, die sich die Mühe gemacht haben..."

„Und?"

„Scheint nichts besonderes zu sein! Ein Megalithbau eben, wie es tausende auf ebenso vielen Planeten gibt!"

Mein Frühstück wurde serviert.

Ich gab der Topsiderin ein angemessenes Trinkgeld.

„Warum hast du dich nicht zu Deinesgleichen gesetzt?"

„Weil ich es nicht ertragen kann, was Meinesgleichen so alles ißt!"

„Ich verstehe Viktor!"

Wenn Blues lachen konnten, dann lachte Trenopscht jetzt.

Trenopscht war ein Händler, der viel mit Überschweren zusammenarbeitete, weil diese den Planeten nicht betreten durften. Also war Trenopscht ein Handelspartner der umweltangepassten Springer geworden.

Er verließ den Zug an der nächsten Station, an der ich aufgrund des aufgelösten Frühnebels eine bessere Aussicht auf den Be- und Entladevorgang hatte.

Auch diese Station befand sich in einer ähnlichen Lage, hoch über den Bäumen des Planeten und wurde genau so langsam durchfahren, um das Be- und Entladen zu gewährleisten.

Mein Reisebegleiter Trenopscht hatte den Waggon verlassen und würde sich mit seinem Lastfahrzeug nun vom Zug auf die Entladerampe gegeben.

Mein Blick fiel auf die Rampe, von der aus Container und Fahrzeuge auf den Zug geladen wurden. Eine junge Frau erweckte meine Aufmerksamkeit. Ich hatte sie vor kurzer Zeit noch auf einem anderen Planeten gesehen.

Lepso!

Gevoreny!

Unerreichbar stand sie auf der Rampe, zwischen zwei Containern und rührte sich nicht von der Stelle, als die Container auf die Lastwaggons geschoben wurden.

Was hatte sie auf Lichtwald zu suchen?

*


Im Jahr 2405, Andromeda.

Da Mirona Thetin offenbar nicht geneigt war, Atlan die Informationen anzuvertrauen, die sie besaß und von denen sie behauptete, sie seien für die Erde lebenswichtig, worüber Atlan verstimmt war, ließ Atlan die IMPERATOR sofort aufbrechen, um Perry Rhodan auf der CREST aufzusuchen.

Atlan begab sich gemeinsam mit Mirona Thetin per Transmitter an Bord der CREST III, um dort zu Perry Rhodan zu eilen, wo sie bereits erwartet wurden.

Perry Rhodan kam nach der Begrüßung ohne Umschweife zur Sache. Er ließ es zwar nicht an der angemessenen Höflichkeit fehlen, blieb aber der schönen Tefroderin gegenüber distanzierter als der Arkonide.

„Lordadmiral Atlan läßt mich wissen, daß sie im Besitz wertvoller Informationen sind und daß sie zu verstehen gaben, ihre Informationen würden die Erde betreffen. Darf ich fragen, worum es sich dabei handelt?"

Mirona war todernst.

„Ich hoffe, ich komme nicht zu spät. Ich konnte es jedoch nicht riskieren, daß meine Informationen über Hyperfunk an sie angestrahlt würden - was sicherlich geschehen wäre, wenn ich mich dem Lordadmiral mitgeteilt hätte. Unser gemeinsamer Feind, die Meister der Insel, besitzen unvorstellbare technische Mittel. Es hätte ihnen unter Umständen gelingen können, den Spruch abzufangen und zu entziffern. Sie hätten gewußt, von wem die Information kam - und glauben sie mir, selbst unter der stärksten Bewachung wäre ich meines Lebens nicht mehr sicher gewesen."

Sie schien die Ungeduld in Perry Rhodans Blick zu bemerken und beeilte sich.

„Es dreht sich um einen teuflischen Anschlag gegen die Bevölkerung der Erde. Der Plan sieht vor, eine enorme Anzahl psychologischer Reizsender auf der Erde einzuschmuggeln. die Geräte sind klein - etwa von diesem Ausmaß."

Sie bildete mit beiden Händen eine Höhlung, in die ein Tennisball eben noch hineingepaßt hätte.

„Die Sender sollen über die Landmassen der Erde verteilt werden. Ihre Ausstrahlung wirkt unmittelbar auf die Gehirnsubstanz tierischer Lebewesen und erzeugt einen Geisteszustand, der mit dem eines Amokläufers verglichen werden kann. Die Reaktionszeit des befallenen Gehirns hängt von dem Intelligenzgrad ab. Die Wirkung tritt um so schneller ein, je geringer die Intelligenz ist. Aus Proht Meyhets Schilderung entnehme ich, daß ein Insekt innerhalb weniger Stunden auf die Strahlung reagieren wird, während beim Menschen die volle Wirkung erst nach zehn Tagen bis zwei Wochen eintritt. Die Wirkung auf das Gehirn ist unwiderruflich, sobald die Einwirkung länger als etwa dreißig Tage bestanden hat. Die Lebensdauer der Sender beträgt etwa ein irdisches Jahr. Sie sind kräftig genug und existieren in ausreichend großer Zahl, so daß über kurz oder lang jedes Lebewesen der Erde mit ausreichendem Gehirnvolumen von der Wirkung befallen sein wird. Innerhalb kürzester Zeit wird es auf der Erde nur noch Tollwütige geben!"

„Hat Faktor III darüber gesprochen, wann und auf welche Weise die Sender auf die Erde geschmuggelt werden sollen?"

Mirona nickte.

„Auf einem mir nicht bekannten Stützpunktplaneten stand ein Spezialraumschiff. Dieses Schiff ist ein Prototyp. Proht Meyhet sprach davon, daß der Start dieses Spezialraumers unmittelbar bevorstände. Dieses Gespräch fand kurz vor ihrem Angriff auf Multidon statt."

Die Anwesenden erbleichten. Es war wieder Perry Rhodan, der zuerst seine Fassung wiederfand.

„Sie sagten, dieses Raumschiff sei bereits gestartet. Dann haben wir kaum noch Möglichkeiten, es aufzuhalten?"

Die schöne Tefroderin lächelte kaum merklich.

„Doch", sagte sie. "Faktor III war sich meiner so sicher, daß er es versäumte, mir die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen. Es gelang mir in einem unbeobachteten Augenblick, Zugriff zu seiner Positronik zu bekommen. Dabei fielen mir die Daten in die Hände, darunter auch der Kurs des Spezialschiffes."



*


Im Jahr 2656.

Am Ende der Gleisstrecke zur Südspitze des Kontinentes fand ich wieder eine der üblichen Gleisstationen, wenn auch etwas kleiner als die vorherigen.

Nur wenige Container wurden hier entladen und außer mir verließen nur noch zwei Springer und ein Arkonide den Zug.

Die Abstände zwischen den Bäumen waren deutlich größer geworden und ihre Höhe betrug nur noch etwa die Hälfte ihrer Mitbäume weiter nördlich.

Das Klima war erheblich rauher und ich fuhr auf der Straße Richtung Süden, um das Dorf am Ende des Kontinentes zu erreichen, von dem Trenopscht behauptet hatte, niemand wisse mehr, warum man ausgerechnet an dieser Stelle ein Dorf errichtet hatte.

Bevor ich das Dorf erreichte, verbarg ich die sargartige Kiste im spärlichen Dickicht jenseits der Straße und schloß das Dach des Fahrzeugs, um die über Kühlwasser gespeiste Heizung zu benutzen.

Im einzigen Hotel der kleinen Ansammlung von Häusern bezog ich ein Zimmer

Die zweitägige Zugfahrt hatte keine weiteren Erkenntnisse erbracht, außer meiner gesteigerten Vorsicht, wegen der Anwesenheit Gevorenys auf Lichtwald.

Da ich mich langsam dem Ziel meines Auftrages zu nähern schien, ordnete ich noch einige Instrumente, die man auf diesem Planeten eigentlich nicht benutzen durfte, die ich aber nur im äußersten Notfall einzusetzen gedachte.

Ausgestattet mit allem, was ich für nötig hielt, fragte ich dann die Hotelbesitzerin nach dem Weg zur alten Festung.

Sie lachte.

„Vielleicht bist du lebensmüde, Akone! Vielleicht aber auch nur verrückt! Es gib einen schmalen Weg, der das Dorf in Richtung Süden verläßt! Du kannst ihn gar nicht verfehlen, weil er fast nie benutzt wird und daher auch nicht befestigt ist. Nach etwa zehn Kilometern kommt ein Tal und am Ende des Tales liegt die Festung!"

Sie blickte mich ernst an.

„Wenn deine Frage nach der Festung nicht rein rhetorischer Natur war, muß ich darauf bestehen, daß du die Miete für das Zimmer im Voraus bezahlst, weil man nie weiß, ob Touristen, die die Festung besuchen wollen, auch zurückkehren!"

Der Weg, der nach Süden führte, war nicht gerade sehr befahrbar, wenn man auf ein antiquiertes Fahrzeug angewiesen war, an dem nur die hinteren Räder angetrieben wurden.

Trotzdem schaffte ich die Kilometer bis zum erwähnten Tal innerhalb von zwei Stunden.

Am Anfang des Tales stellte ich den Wagen ab und machte mich nun zu Fuß auf den Weg, um mir die Festung einmal aus der Nähe anzusehen.

Der Boden zwischen den Bäumen war weich und feucht, aber nur relativ spärlich bewachsen. Ich bewegte mich am rechten Rand des Tales entlang, wo der Boden trockener war, weil er schon morgens von von beiden Sonnen beschienen wurde.

Zu dieser Jahreszeit verschwanden die Sonnen nicht sehr lange hinter dem Horizont - die Festung lag jenseits des südlichen Polarkreises und schien noch vor wenigen Tagen ununterbrochen von zumindest einer der Sonnen beschienen worden zu sein.

Ohne die Botanik besonders zu beachten, machte ich den leichten Knick des Tales nach rechts mit und kam an einen Felsvorsprung, der sich vor mir auftürmte.

Aus dem Felsgestein waren mit einem Desintegrator Stufen heraus-geformt worden, und an den Seiten hatte jemand mit einem Inpulsstrahler Zeichen in das Gestein gebrannt.

In altarkonidisch und tefrodisch stand da zu lesen:

KEHRE UM, SO LANGE DU NOCH KANNST!

Nun, ob ich diese Warnung Ernst zu nehmen hatte, würde sich bald herausstellen!

Ich kletterte über die Stufen am Fels hinauf und gelangte zu einer kleinen Plattform, die ebenfalls mittels Desintegrator hergestellt worden war. Hinter der Plattform schien man ein schießschartenartiges Loch in das aufragende Gestein geschmolzen zu haben. Hinter dem Loch konnte ich sie erstmals sehen.

Die Festung!

Das Licht beider Sonnen tauchte sie in einen hellen Schein.

Ihre glatten Außenflächen ließen die Arbeit, die man mit dem Granitgestein gehabt hatte, nur erahnen. Von meinem Standpunkt aus bestand keine Chance zu erkennen, ob sich gerade ein Raumschiff im Inneren der Festung aufhielt. Mein Kombiinstrument zur Energieortung stellte fest, daß in der Festung gewaltige Meiler bereitgehalten wurden, um riesige Energiemengen zu bewältigen.

Riesige Energiemengen!

Energiemengen wozu?

Du tappst in eine Falle, Viktor Kaiman!

Erschrocken zuckte ich zusammen, zog mein Schwert und sah mich um.

Die Worte waren direkt in meinem Gehirn entstanden.

Irgend jemand hatte mir eine telepathische Botschaft zukommen lassen, aber wer?

Wer wußte von meinem Hiersein?

Wer hielt es für nötig mich zu warnen?

Wer sollte mir eine Falle stellen?

Da die Plattform, auf der ich stand, nur über die von mir benutzten Stufen zu erreichen war, setzte ich mich hin und horchte in mich hinein. Wenn ich eine so deutliche Botschaft empfangen hatte, konnte das nur bedeuten, daß jemand in unmittelbarer Nähe war.

Nichts!

Selbst nach Minuten angestrengter Konzentration konnte ich niemanden in meiner Nähe feststellen.

Die Leute im Dorf spürte ich deutlich und einzelne Personen, die sich in der entfernteren Umgebung im Wald aufhielten, wobei es sich möglicherweise um Einsiedler oder Personen handelte, die etwas, was auch immer, im Wald zu erledigen hatten.

Trotzdem, die nächsten Personen waren mehr als fünf Kilometer entfernt. Ebenso weit, wie die Megalithfestung.

Ich konzentrierte mich auf die nahe Festung.

Nichts!

Das konnte ja wohl nicht sein.

So tot, was Gedanken anging, konnte die Festung nur sein, wenn man einen sogenannten Paraschirm um sie herum erstellt hatte, wie man ihn von den Meistern der Insel her kannte.

Die Teleporter des terranischen Mutantenkorps Gucky, Tako Kakuta und Ras Tschubai hätten keine Möglichkeit gehabt, mittels ihrer Fähigkeiten in die Festung zu gelangen, ja wären möglicherweise sogar in einem geeigneten Käfig gefangen worden, einer sogenannten Parafalle der Meister der Insel.

Rosige Aussichten.

Meiler, die gewaltige Energiemengen bereithielten und ein Paraschirm, der keine Gedankenimpulse durchließ.

Ich ging zurück, zu meinem Wagen.

Wer immer mir diese Gedankenbotschaft zukommen gelassen hatte, mußte entweder ein terranischer Mutant, oder ein ausgebildeter Anti sein. Da es nicht sehr viele terranische Mutanten gab, erwies sich meine Vermutung, es könne sich um einen Anti handeln für relativ wahrscheinlich. Nur eines war ganz sicher. Derjenige, der mir die Botschaft gesendet hatte, mußte genau wissen, wo ich mich auf diesem Planeten aufhielt, wer ich war und wo mein Ziel in geographischer Hinsicht lag.

Wenn ich schon zur Festung wollte, dann gehörte es nicht zu meiner Art, einen indirekten Weg zu beschreiten!

Ich fuhr also geradewegs mit dem Wagen vor, ohne einen Umweg.

Das Gebäude ragte gewaltig über mir auf, als ich den leicht anschüssigen Weg zum Portal hinauffuhr.

Nichts und Niemand stellte sich mir in den Weg.

Ich konnte bis direkt vor die Zugbrücke fahren, die einem terranischen Historienfilm entliehen zu sein schien.

Da gab es doch dieses Signalhorn!

Ich betätigte das Signalhorn des Autos, um auf mich aufmerksam zu machen und stieg aus.

Nach etwa zehn Minuten öffnete sich ein kleiner Schlitz im dicken Holz der Zugbrücke, hinter dem ich nichts erkennen konnte.

„Wer begehrt Einlaß und warum?"

Die Stimme klang angenehm und gehörte eindeutig einer Frau.

„Mein Name ist Viktor Kaiman! Ich bin Galaktohistoriker und begehre Einlaß, weil ich mich für die Architektur dieses Hauses interessiere!"

Die Frau lachte, wobei ich nicht beurteilen konnte, ob sie über den Begriff des Galaktohistorikers oder über meinen ironischen Unterton bezüglich des begehre Einlaß so erheitert war.

„Dann solltest du nun sicherheitshalber einige Schritte zurücktreten, Viktor! Das Tor könnte sich als zu schwer für dich erweisen."

Tatsächlich begann das schwere Tor sich langsam knarrend zugbrückenartig zu senken, obwohl vor der Mauer kein Graben oder Dergleichen zu überwinden war.

Die knarrenden Geräusche stammten offensichtlich aus verborgenen Lautsprechern.

„Herein, wenn's kein Bruder ist!"

Ich fuhr meinen Wagen in einen kleinen Vorhof und sah mich nach der Frau um, die mich in die Festung gelassen hatte. Da ich keine Person erkennen konnte, sondern nur hoch aufragende glatte steinerne Wände, entstieg ich meinem Gefährt und begann, die nähere Umgebung zu untersuchen.

An einer Wand entdeckte ich einen Trivideoschirm, aus dessen Richtung die Frauenstimme wieder zu mir sprach. Die Bilderfassung zeigte nichts anderes, als die Ansicht der Festung aus der Richtung, aus der ich gekommen war. <

*


2406, Andromeda.

Am 07.01.2406 um 15.46 h terranischer Standardzeit wurde das von Mirona Thetin angekündigte Spezialraumschiff geortet und von terranischen Einheiten manövrierunfähig geschossen.

Das Enterkommmando fand nur tote Duplos an Bord, die aufgrund eines von den Meister der Insel installierten Reizsenders im Augenblick des Angriffs getötet worden waren.

Mirona Thetins Informationen hatten die Erde gerettet!

*


Im Jahr 2656.

Amüsiert schien sie mich über die einseitige Bilderfassung gemustert zu haben, denn ihre Stimme klang erheitert.

„Du bist uns als Gast willkommen, Viktor Kaiman! Farnish wird dir einen Raum zuweisen! Wir haben hier eine Menge Platz! Franish wird dich dann auch zum gemeinschaftlichen Speisen abholen. Ich habe noch zu tun, wir sehen uns dann beim Speisen!"

Der Trivideoschirm erlosch.

Mit einer angedeutete Verbeugung drehte ich mich zu meinem Wagen um und öffnete den Deckel, der in der Betriebsanleitung Koffer-raumklappe genannt worden war.

Bevor ich mich davon erholt hatte, unangefochten in die Festung gelangt zu sein, hörte ich sich nähernde Schritte hinter mir.

„Ihr könnt euer Fahrzeug hier stehen lassen! Wenn ihr Gepäck habt, mögt ihr es mir geben, ich werde es für euch tragen!"

Betont indigniert drehte ich mich um, um diesen angekündigten Franish begutachten zu können, der sich als Roboter erwies, bei dessen Äußeren man noch nicht einmal den Versuch unternommen hatte, ihm ein menschenähnliches Aussehen zu verleihen. Das Robotermodell kannte ich nur aus alten Memobändern, denn seit der Niederlage der Meister der Insel waren solche Roboter nicht mehr produziert worden. Es handelte sich um ein Universalmodell, das man mit allen erdenklichen Aufgaben betrauen konnte und das von seinen Proportionen so bemessen war, daß es kein Problem darstellte, diese Roboter mit einem geeigneten Biomolplastüberzug als menschliche Diener zu gebrauchen. Nach meiner Meinung sprach es für die Beherrscher der Festung, bei Franish auf ein menschliches Äußeres verzichtet zu haben. Wenn man Roboter einsetzte, sollten sie auch als solche zu erkennen sein, es sei denn man verfolgte mit der Verschleierung ihrer wahren Identität einen bestimmten Zweck.

Der Zweck rechtfertigt die Mittel.

Dieser terranische Spruch begeisterte mich sehr, er stammte von einem Raumfahrer namens Lenin, der sich anschickte, als Administrator ein größeres Imperium zu übernehmen, als er auf dem Weg in sein Reich in einem Zugraumer inkognito durch fremde Sternenreiche reiste.

Ich folgte der Maschine, der ich eine tragbare Positronik überreicht hatte, die galaktohistorische Daten enthielt.

Das Innere der Megalithfestung war nicht minder beeindruckend als das Äußere. Kein Gang und kein Raum war niedriger als sechs Meter und schmaler als fünf Meter.

Wir kamen durch Säle, die keine Einrichtungsgegenstände enthielten und haushohe Gewölbe hatten, die aus Granitstücken gefertigt worden waren. Überall an Decken und Wänden befanden sich in regelmäßigen Abständen Beleuchtungskörper in den Farben der Sonnen.

„Wie hoch sind die niedrigsten Decken, Franish?"

Der Roboter und die Frau hatten Interkosmo gesprochen. Meine Frage an die Maschine hatte den Sinn, festzustellen, ob er auf das galaktische Einheitsmaß eingerichtet war, oder ob er erst die tefrodischen Werte in allgemein verständliche umzurechnen hatte.

Da ich nicht in der Lage war, eine diesbezügliche Zeitverzögerung zu messen, hatte diese Aufgabe meine Positronik übernommen, die der Roboter vor sich hertrug. Die Daten würde mir zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung stehen.

Scheinbar ohne zu zögern sagte er eine Zahl mit einer arkonidischen Maßeinheit, die etwa 6220 mm entsprach.

„So groß waren die alten Lemurer ja wohl nicht, daß sie so hohe Räumlichkeiten brauchten!"

Der Roboter dachte nicht daran, auf meine Worte zu reagieren, denn ich hatte ihn nicht direkt angesprochen, oder eine Frage an ihn gerichtet. Selbstverständlich verzichtete ich auf eine diesbezügliche weitere Ansprache, da ich sicher war, daß alle meine Wege in dieser Festung sowohl optisch, als auch akustisch überwacht und aufgezeichnet wurden. Jede andere Vorgehensweise der Beherrscher der Festung hielt ich für absurd.

Die Beleuchtung flackerte, als würde jemand in diesem Augenblick irgendwo in dieser Festung riesige Energiemengen abzapfen. Zu welchem Zwecke mochte jemand Energien brauchen, deren Bedarf die Beleuchtung flackern ließ. Ich wußte aus historischen Romanen, daß es zu solchen Phänomenen gekommen war, als man die allgemeine Energieversorgung noch nicht richtig im Griff gehabt hatte, aber in diesem Jahrtausend...

Der Gang, durch den der Roboter mich führte machte einen Knick und was ich hinter dem Knick erblickte, verlangte mir alles ab, was ich an Beherrschung meines Körpers aufzubringen hatte.

Wir kamen an einer Treppe vorbei, deren Stufen eine Höhe von etwa neunzig Zentimetern aufwiesen. Welche Riesen hatten dieses Gebäude erbaut?

„Wie hoch sind die Stufen, Franish?"

Ich mußte zumindest so viel Interesse zeigen, wie es jeder andere Galaktohistoriker getan hätte. Daher hatte ich mich auch auf dem ganzen Weg ständig in alle Richtungen umgesehen. Wahrscheinlich hätte ich auch die Wände betasten müssen, verzichtete aber auf diese Darstellung, weil ich zwischen dem Rollenverhalten des Galaktohistorikers und des Gastes abzuwägen hatte.

Die Zahl die Franish nannte betrug umgerechnet 9128 mm.

„Weiß man näheres über die Erbauer der Festung, Franish?"

„Es ist bekannt, daß dieser Bau von nur einer Person errichtet worden ist, Herr!"

Da er auf die Anrede Herr bislang verzichtet hatte, mußte ich annehmen, daß er über Funk neue Instruktionen erhalten hatte.

Auf welche auszuwertenden Daten bezogen sich die neuen Informationen?

Vor einer Wand blieb Franish stehen. Beeindruckend langsam glitt eine Steinplatte zur Seite und gab den Blick auf eine dahinter befindliche Räumlichkeit frei, die ich aufgrund meiner bisher gemachten Beobachtungen in dieser Festung nur als Lift identifizieren konnte. Wer machte sich die Arbeit, einen Lift aus einem riesigen Stück Stein herauszuarbeiten? Tatsächlich hatte man einen Felsen ausgehöhlt und ließ ihn nun in einem Schacht auf-und niederfahren.

Beeindruckt folgte ich dem Roboter in den Raum des Liftes, der ohne Weiteres eine Space-Jet aufgenommen hätte.

Meine Verwunderung war noch größer, als das Steintor sich geräuschintensiv geschlossen hatte und der Lift sich geräuschlos in Bewegung setzte.

Den Höhenunterschied konnte meine Positronik zweifelsfrei bestimmen, trotzdem fragte ich den Roboter; ein Galaktohistoriker hatte neugierig zu sein.

„Wie viele Stockwerke hat dieser beeindruckende Bau und in welches fahren wir nun, Franish?"

„Das Gebäude hat neun bis zwölf überirdische Stockwerke, wir fahren nun in das fünfte, Herr!"

Erschütterungsfrei wurde die Aufwärtsbewegung des Liftes gestoppt und knarrend und quietschend schob sich die steinerne Platte zur Seite.

Vergeblich hatte ich an den Wänden des Liftraumes nach irgendwelchen Steuereinrichtungen gesucht, denn wenn ich einmal gezwungen sein sollte, diesen Lift zu benutzen, wollte ich wissen, wie man ihn in Bewegung versetzen konnte. Vermutlich hatte der Roboter die Steuerung über Funkimpulse bewerkstelligt, oder der Lift wurde von irgendeiner Zentrale aus gesteuert und diese Zentrale hatte den Roboter über die angestrebte Etage unterrichtet. Immerhin hatte die Frau darauf verzichtet, dem Roboter mitzuteilen, wo er mich unterzubringen habe.

„Du bist uns als Gast willkommen, Viktor Kaiman! Farnish wird dir einen Raum zuweisen! Wir haben hier eine Menge Platz! Franish wird dich dann auch zum gemeinschaftlichen Speisen abholen. Ich habe noch zu tun, wir sehen uns dann beim Speisen!"

Waren die Frau und der Roboter schon auf meine Ankunft vorbereitet gewesen?

Klar, bei allem, was ich seit der Übernahme des Auftrages durch Atlan erlebt hatte, mußte ich davon ausgehen, keinen unbeobachteten Schritt mehr gegangen zu sein. Die einzigen Ausnahmen waren meine Aufenthalte auf meiner Korvette, für diese Zeiten konnte ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jede Art von Observation ausschließen.

Der Roboter ging durch den riesigen Gang, der sich vor uns aufgetan hatte und blieb vor einer torbogenartigen Öffnung in der gegenüberliegenden Wand stehen.

„Eure Räumlichkeiten, Herr! Wenn ihr gestattet, werde ich die Positronik hineintaten! Ansonsten betrete ich eure Räumlichkeiten nur nach eurer ausdrücklichen Aufforderung!"

„Gut, er möge die Positronik hineintragen und sich dann entfernen!"

„Wenn ihr mich brauchen solltet, Herr, braucht ihr nur meinen Namen zu nennen!"

Der Name der genannt werden kann, ist nicht der Name des Namenlosen.

„Danke, Franish! Ich werde ihn weiter empfehlen!"

*


Im Jahr 2406, Andromeda.

Der Imperator näherte sich ein tefrodisches Raumschiff und stellte eine Hyperfunkverbindung her.

„Ich bin Mirona Thetin! Ich bin gekommen, um mit Lordadmiral Atlan zu sprechen."

An Bord der IMPERATOR wußte jeder, wer diese Frau war, daß sie den Planeten Terra gerettet hatte und wie sie die Gefühle des Arkoniden in Wallung versetzt hatte. Atlan stand vor dem Bildschirm der Funkanlage.

„Schalten sie ein, ich werde mit ihr sprechen!"

„Ich dachte, einige Geheiminformationen über Tamanium würden sie interessieren!"

„Was sind das für Informationen?"

Sie wölbte die Augenbrauen.

„Sind sie wirklich so naiv, daß sie glauben, ich würde sie über meine Kenntnisse unterrichten, wenn uns die halbe terranische Flotte hören kann?"

„Hm! Ich setze mich Protesten der Maahks aus, wenn ich eine tefrodische Regierungschefin an Bord meines Schiffes nehme."

Nun hob sie spöttisch die Augenbrauen.

„Fürchten sie den Protest der Maahks?"

„Nicht mehr, als den Ärger einer schönen Frau! Bleiben sie mit ihrem Schiff außerhalb des Sperrgürtels. Wir holen sie mit der IMPERATOR ab. Das ist sicherer für sie!"

*


2656, Lichtwald.

Das was Franish als meine Räumlichkeiten bezeichnet hatte, erwies sich als wahrer Thronsaal, in dem ein Theater terranischer Prägung Platz gefunden hätte, in dem man Schwimmwettkämpfe veranstalten konnte und in dem man eine Fabrikationshalle für Kleinstraumschiffe untergebracht haben könnte. Der Torbogen, den ich durchschritten hatte, um in den Raum zu gelangen, wurde unvermittelt undurchsichtig, nachdem Franish den Raum verlassen hatte.

Ich trat zurück auf den Flur, ohne einen Wiederstand zu spüren und konnte nun von Außen nicht mehr in den Saal sehen, den man als meine Räumlichkeiten bezeichnet hatte.

Zurück in dem Saal sah ich mich erst einmal gründlich um. Die Decke wurde durch ein kuppelartiges Gewölbe hoch über mir gebildet. An der dem Torbogen gegenüberliegenden Wand konnte ich fünf bullaugenartige runde Öffnungen in der meterdicken Granitaußenwand erkennen, die nur dürftig das helle Tageslicht der beiden Sonnen in das Innere des Saales ließen. Das Licht begann wieder zu flackern, riesige Energiemengen wurden wieder für irgend welche Vorgänge benötigt. Wie in allen anderen Hohlräumen der alten Festung, die ich bisher betreten hatte, befanden sich in diesem Saal Beleuchtungskörper roter und blauer Farbe, um die Strahlungswerte der beiden Sonnen zu imitieren, an den hohen Decken und den Wänden. Ich fragte mich, ob man die blauen und roten Leuchtkörper getrennt schaltete, je nachdem, welche der beiden Sonnen gerade schien, oder ob man sie ungeachtet der Sonnenbestrahlung draußen brennen ließ.

Ich begann die Wände des Saales abzuschreiten, denn dieser gewaltige Raum war derart verwinkelt und an allen erdenklichen und unbedenklichen Stellen mit Nischen versehen, daß man nicht erkennen konnte, was sich hinter Mauervorsprüngen verbarg. Das einzige ungewöhnliche, was ich fand, war auch gleichzeitig dergestalt, daß ich mich erst durch Betasten mittels meiner Hände, nicht zuletzt, weil diese Ecke des Raumes nicht ausreichend ausgeleuchtet war, von dessen tatsächlichem Vorhandensein überzeugen mußte.

Eine Treppe!

Eine Treppe, die nach oben führte.

Na ja, wenn man das was ich da sah als Treppe bezeichnen wollte, konnte man die gigantomanische Megalithfestung auch mit so etwas wie Guckys Bungalow am Goshunsee bei Terrania-City verwechseln.

Eine Zyklopentreppe!

*


Mirona Thetin trug einen eng anliegenden Schutzanzug, dessen Material in verschiedenen Farben schillerte. Sie hatte ihr langes Haar hochgesteckt, damit sie einen Helm aufsetzen konnte. Mit einem Sprung verließ sie die Schleuse, ihre Bewegungen wirkten geschmeidig und kraftvoll. Als sie Atlan auf sich zukommen sah, warf sie den Kopf leicht zurück. Ihr Mund öffnete sich, aber sie lächelte nicht. Ihre Augen waren wachsam.

Atlan fühlte, wie ihn die persönliche Ausstrahlung dieser Frau sofort wieder in ihren Bann zog. Er sträubte sich nicht dagegen.

Einen Schritt vor ihr blieb er stehen.

„Willkommen an Bord der IMPERATOR, Mylady!"

Gegen seinen Willen hatte seine Stimme unfreundlich geklungen unbewußt hatte er eine Verteidigungsstellung eingenommen.

Mirona Thetin kam auf ihn zu und berührte ihn leicht am Arm.

„Hallo, Admiral!"

*


Im Jahr 2656, Lichtwald.

Um die Stufen zu erklimmen, brauchte man, sofern man bequem gehen wollte, die Beine eines Haluters oder Ertrusers. Die Ecke, in der ich die Zyklopentreppe gefunden hatte, war kaum beleuchtet, daher konnte ich die Stufen auch nicht so ohne Weiteres hinaufgehen. Ich kehrte zurück, in die heller erleuchteten Gefilde der Halle und programmierte meine Positronik, die Franish hierhergetragen hatte, um während meiner Abwesenheit die verbale Kommunikation mit Franish zu übernehmen, falls er kommen sollte, um mich zum gemeinsamen Mahl abzuholen, wie es die Stimme der Frau angekündigt hatte.

Die Positronik würde mit meiner Stimme reden und Franish eine Weile hinhalten können, wobei sie den Roboter aufzufordern hatte, meine Räumlichkeiten nicht zu betreten.

Gut, ich beabsichtigte, die Treppe in Angriff zu nehmen, um zu sehen, wohin sie führte, wobei natürlicherweise meine Emotionen in einen Konflikt gerieten, denn die Herrin der Festung konnte die Treppe kennen, als ich hier einquartiert worden war. Mußte sie aber zwangsläufig jede Räumlichkeit und eventuelle Verbindungen in diesem Gemäuer kennen?

Entweder sie kannte die Treppe nicht, dann war es möglicherweise unerheblich, was ich an ihrem Ende vorfand, oder sie kannte die Treppe, dann mußte ich mich fragen, ob sie sie als nächtlichen Zugang in meine Räumlichkeiten zu nutzen gedachte, oder ob sie beabsichtigte, mich unauffällig irgendwohin zu locken.

Unauffällig für wen?

Hatte sie etwas zu verbergen, was sie nicht vor mir verbergen wollte? Immerhin war ich mir sicher, daß jeder meiner Schritte, seit dem ich Atlan verlassen hatte, überwacht worden war. Mußte mit dieser Überwachung zwangsläufig die Herrin dieser Festung zu tun gehabt haben, mußte ich zwangsläufig die von mir gehörte Stimme mit Mirona Thetin in Verbindung bringen und mußte sie unbedingt die Herrin der Festung sein?

All diese Gedanken brachten mich in meinen Überlegungen keinen Quantensprung weiter, daher gab es für mich aus den unterschiedlichsten Gründen nur einen einzigen Weg, den zu gehen ich aus den ebenfalls unterschiedlichsten Motivationen rechtfertigen konnte.

Ich entschied mich für die Motivation Neugier und ging zur Treppe, mit einer Infrarotsichtbrille und meinem Kurzschwert bewaffnet, das ich seit verlassen des Raumhafengeländes nicht mehr abgelegt hatte.

Normalerweise kann niemand behaupten, ein normal gebauter Akone sei in der Lage, fast hüfthohe Stufen mit einer entsprechenden Eleganz zu überwinden, doch ich versuchte es, indem ich einfach mit einigen Metern Anlauf, unter Zuhilfenahme meines starken Glaubens an die genetischen Vorteile durch meinen oxtornischen Großvater, begann die Treppe hinaufzulaufen. So, wie mir niemand beweisen konnte, daß mein Großvater ein Oxtorner war, so konnte mir auch niemand das Gegenteil beweisen.

Ein Galaktohistoriker muß in solchen Situationen neugierig sein, doch ein erfahrener Kriminologe und USO-Spezialist ging nicht so blauäugig vor wie ich, was eine zusätzliche Motivation für meine unorthodoxe Vorgehensweise war. Eine so offensichtlich unprofessionelle Gangart führte zwangsläufig dazu, von eventuellen oder bekannten Gegnern unterschätzt zu werden. Wer mir eine solche Treppe anbot, rechnete zwar damit, daß ich sie auch benutzte, aber niemals innerhalb der ersten halben Stunde meines Hierseins!

Ich mußte etwa einen Niveauunterschied von gut zwanzig Metern hinter mich gebracht haben, als die Treppe einen leichten Knick nach links machte. Vorsichtig blieb ich stehen und sah zurück.

Keine von mir verursachten Spuren waren auf den Stufen zu erkennen, die möglicherweise seit Jahrtausenden nicht mehr begangen worden waren, oder erst seit wenigen Stunden.

Weiter oben machte die Treppe einen Knick nach rechts, hinter dem ich einen Lichtschimmer in der Infrarotoptik wahrnahm.

Ein unüberhörbares Brummen gelangte an meine Ohren.

Was wenn...

Absurd!

Doch, was wäre, wenn nun einer der Erbauer die Treppe herunterkäme?

*


„Woher besitzen Sie diese Informationen?"

„Ich bin Archäologin und Ethnologin, erinnern sie sich? Sie wissen, daß ich gute Kenntnisse von der lemurischen Frühgeschichte habe. Ich habe in den Archiven meiner Vorfahren Hinweise gefunden, die mich vermuten lassen daß auf Tamanium eine Positronik mit großen Wissensspeichern existiert."

Atlan wich ihren Blicken aus.

„Nun gut, in der Kantine können wir uns ungestört unterhalten."

Plötzlich kam ihr Gesicht dem seinen ganz nahe. Er spürte ihren Atem.

„Glauben Sie nicht daß ich nur wegen meiner Forschungsarbeiten gekommen bin, Arkonide.

Atlan stand wie erstarrt. Er brachte ein verunglücktes Lächeln zustande. Mit einem Ruck wandte sie sich von ihm ab.

*


2656, Lichtwald.

Vorsichtig bewegte ich mich Stufe für Stufe die Treppe hinauf, einen immer helleren Lichtschimmer wahrnehmend und immer lauter werdende Maschinengeräusche, die von eruptiven Entladungen begleitet wurden. Die Geräusche erinnerten mich zeitweise an einen überlasteten Transmitter, konnten aber auch von Maschinenanlagen stammen, die nicht im Geringsten Ähnlichkeit mit einem Transmitter hatten. Meine Vorsicht erwies sich zwar zunächst einerseits als unbegründet, andererseits konnte mich die Tatsache, meine Vorsicht als unbegründet erkannt zu haben, nicht dazu veranlassen, unvorsichtig zu werden. Zu oft hatte mein Leben davon abgehangen, vorsichtig zu bleiben, vorsichtig um jeden Preis.

Der Lichtschein flackerte, als würde die zugeführte Energie für andere Zwecke gebraucht.

Mit meinen Augen versuchte ich etwas zu erkennen, während ich langsam aber sicher Stufe für Stufe die Treppe hinaufkletterte, penibel darauf achtend, nicht irgendwelche primitiven Signalgeber möglicherweise vorhandener Alarmanlagen auszulösen, die ich natürlich nicht fand. Nur noch wenige Meter trennten mich vom Ende der Treppe. Ich konnte bereits die kuppelartige von flackernder Beleuchtung erhellte Gewölbedecke der Halle erkennen, in die die Treppe führte und in der sich die nun ohrenbetäubend arbeitenden Maschinen befinden mußten. Die steinerne Kathedrale wurde vom unregelmäßig aufflammenden Lichterschein gespenstisch erhellt. Ohne meine Vorsicht zu vernachlässigen, bewegte ich mich weiter, Stufe für Stufe. In Gedanken vergewisserte ich mich des Vorhandenseins meines Schirmfeldgenerators und des Aktivators, der von den Meistern der Insel stammte und mittels eines gezielten Gedankens das Schutzfeld entstehen lassen konnte. Das Schwert, das ich seit den Tagen auf Lichtwald nicht abgeschnallt hatte, zog schwer an meinem Gürtel. Assoziationen schossen mir durch den Kopf, die allesamt mit archaischen Kampfszenen zu tun hatten und die meine Erwartenshaltung nicht nennenswert beeinflussen konnten. Ich hatte mich nun einmal an den Ort begeben, den man vor Jahrtausenden auf Terra als die Höhle des Löwen bezeichnet hätte und mußte nun zusehen, wie ich aus diesem Umstand das Beste für den alten Arkoniden und mich herausholen konnte.

Millimeterweise näherte ich mich nun dem Ende der Treppe, jederzeit bereit, auf alle erdenklichen Situationen zu reagieren...

Zumindest konnte ich in mir das Gefühl hervorrufen, so ziemlich allen erdenklichen Situationen gewachsen zu sein.

Ein Anti ist im Stande, seinen Adrenalinhaushalt bewußt unter Kontrolle zu halten, ist also besser als jeder andere Humanoide dazu geeignet, Streßsituationen zu bewältigen, was mich dazu bewog, eine geringe Menge des Hormons freizusetzen, um im Bedarfsfall schneller reagieren zu können.

Ein Teil meiner Gedanken kreiste um die Frau, die ich zu suchen hatte und die erste Begegnung mit ihr, die unweigerlich erfolgen mußte, nach allen visuellen Aufzeichnungen, die ich in den letzten Wochen von ihr gesehen hatte.

Fünf Stufen lagen noch vor mir, fünf Stufen, die mich von dem Boden der Halle der Entladungen trennten.

Blitzende Leuchterscheinungen, die sekundenlang die Deckenbeleuchtung der Halle verlöschen ließen.

Ohrenbetäubender Lärm, der alles übertönte.

Krachende Energieentladungen, wie sie von Transformkanonen auf den Raumschiffen der Terraner hervorgerufen werden konnten.

Alle Sinne auf Input geeicht, erreichte ich die Stufe der Treppe, die es mir gestattete, direkt in die Halle zu sehen, meine Blicke über den steinernen Boden gleiten zu lassen, vorbei an Energiemeilern, deren meterdicke Energieleiter alle zum Mittelpunkt der Halle führten, der von einer beeindruckenden Maschine beherrscht wurde, wie ich sie noch nie in Natura gesehen hatte, aber von zahllosen Abbildungen her kannte.

Ein Multiduplikator!

Vor dem Gerät stand eine hochgewachsene Frau mit langen dunklen Haaren, die mir den Rücken zugedreht hatte. Elektrisiert fuhr ich zusammen.

Diese Frau war niemand anderes als Mirona Thetin!

*


2406, Andromeda.

Gedankenverloren sah Atlan die schöne Tefroderin an.

„Ich glaube, ich habe immer auf eine Frau wie Sie gewartet, Mirona, aber im Grunde genommen nie geglaubt, daß sie auftauchen würde."

Es war ihm, als fiele ein Schatten auf ihr Gesicht.

„Sie irren sich, Admiral! Ich bin nicht diese Frau."

„Wovor haben Sie Angst, Mirona? Sie haben doch vor irgend etwas Angst?"

Sie nickte, aber sie antwortete nicht. Er trat auf sie zu und strich leicht über ihr Haar.

„Manchmal sind es die schönen Dinge, die man fürchtet, Mirona. Man glaubt, daß es gefährlich sein könnte, zu viel Glück zu haben. Je höher man oben steht, desto grausamer erscheint der Sturz in die Tiefe."

Sie umklammerte seine Hände.

„Vielleicht habe ich wirklich Angst vor dem Glück, Admiral."

Atlan wandte den Kopf und beobachtete, wie Mirona Thetin auf dem hinteren Sitz des Moskito-Jägers Platz nahm.

„Wir starten jetzt."

*


2656, Lichtwald.

Ich weiß nicht, wie lange ich erstarrt dagestanden hatte, bevor ich mich besann.

Klar hatte ich den Augenblick dieser Begegnung schon so lange erwarten müssen, wie ich diesen Auftrag von dem alten Arkoniden übernommen hatte, aber trotzdem bin ich nicht im Stande, meine Gefühle zu beschreiben, die mich übermannten, als ich die Frau von hinten sah, die Atlan vor zweieinhalb Jahrhunderten getötet hatte, so zumindest war es in der galaktischen Geschichtsschreibung nachzulesen.

Diese Frau, deren Alter man auf mindestens zwanzigtausend Jahre schätzen mußte, denn die Meister der Insel waren schon alt gewesen, als der uralte Arkonide Atlan noch nicht gezeugt worden war.

Wenn ich nicht eine so absolute Kontrolle über die Reaktionen meines Körpers gehabt hätte, wäre mir der Schweiß ausgebrochen, wobei mir diese Vermutung noch relativ harmlos erschienen war.

Die Frau hantierte an der steuernden Apparatur des Multiduplikators herum, der für diese ohrenbetäubende Geräuschkulisse verantwortlich war.

Im transmitterartigen Torbogen materialisierten schnell hintereinander dreiundsiebzig Roboter, die alle genau so aussahen, wie Franish. Alle standen in durchsichtigen Transportbehältern und warteten nur auf ihre Aktivierung. Ohne einen besonderen Aufwand konnte so ein Multiduplikator Millionen von Roboterkopien herstellen. Von jedem Gegenstand, von dem man eine sogenannte Atomschablone besaß, konnte man unendlich viele Kopien produzieren, so lange genug Grundmaterial vorhanden war. Unter Grundmaterial konnte man jede Art von Materie ansehen, denn bei der zuvor erfolgenden Entmaterialisierung, gab es nicht das geringste Problem, aus Atomen unterschiedlichster Art völlig andere Materialien herzustellen.

Wer einen Multiduplikator sein Eigen nannte, war im Stande so viele Produkte auszustoßen, wie es ihm beliebte, so lange er über genügend Ausgangsmaterial und die erforderlichen Atomschablonen verfügte.

Ich hatte genug gesehen und machte mich an den Rückzug.

Die Treppe arbeitete ich mich in ähnlich langsamer und vorsichtiger Weise wieder hinunter, jederzeit bereit, mein Schwert aus der Scheide zu reißen und davon Gebrauch zu machen.

Als ich, so geräuschlos, wie es mir möglich war, so weit hinuntergestiegen war, daß ich den Lichtschimmer aus meiner Unterkunft erkennen konnte, hörte ich eine Stimme.

„Ich wünsche zur Zeit nicht gestört zu werden, Franish!"

Bei dieser Stimme handelte es sich um keine andere, als meine eigene, die meine tragbare Positronik nun in meinem Auftrag improvisierte.

Nach einer Pause, in der Franish etwas sprach, das ich nicht verstand, weil der Schall seiner Worte um mehrere Ecken reflektiert wurde, klang meine Stimme eine deutliche Nuance ungeduldiger auf, also mußte Franish fordernder gewesen sein.

„Du wirst deiner Dame mitteilen, daß ich mich nicht nur geehrt fühle, zu einem gemeinsamen Mahl geladen zu sein, sondern mit großer Freude erscheinen werde. Du kannst mich ja dann hier abholen!"

Der deutliche Imperativ schien immer noch die beste Redeform zu sein, wenn man etwas durchsetzen wollte.

Dieser tefrodische Roboter, von dem ich annahm, daß er auch ein Produkt des, von mir gesichteten, Multiduplikators war, oder die Grundform, nach der die Atomschablone angefertigt worden war, entfernte sich, ohne weitere Einwände.

Ich huschte zu meiner Positronik und ließ mir auf einem Bildschirm den gesprochenen Text anzeigen.

Viel hatte ich nicht verpaßt, Franish hatte mich um eine Unterredung gebeten und zu einem gemeinsamen Mahl mit der Dame der Festung eingeladen, zu dem alle Gäste des Hauses geladen seien.

Gut, ich brauchte noch einige Zeit der Besinnung, der mentalen Vorbereitung auf den Augenblick, in dem ich dieser Frau von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde, bevor ich in den Rachen des Löwen, in dessen Höhle ich mich nun befand, ging.

Klar hatte ich mir mit Begriffen wie, im Rachen des Löwen der Höhle, eine Art von Galgenhumor bewahrt, der es mir im Nachhinein gestattet, über einige Passagen meiner Erlebnisse lachen zu können.

*


Andromeda, 2406.

Bildschirme und Oszillographen zeigten eine Vielzahl von Raumschiffen in unmittelbarer Nähe des Moskito-Jägers. Die Intensität der Ausstrahlungen wurden jedoch fast vollständig von den Impulsen der IMPERATOR überlagert. Atlan korrigierte den Kurs des kleinen Schiffes.

„So, jetzt brauchen wir nur noch darauf zu warten, daß das USO-Schlachtschiff losfliegt."

Er spürte Mironas Blick in seinem Nacken.

Atlan ließ einen Ausschnitt des Bildschirms aufleuchten. Die Wiedergabe zeigte den freien Raum zwischen zwei Maahk-Verbänden.

„Hier werden wir durchstoßen. Alurin wird sein Schiff an dieser Stelle, durch den Sperrgürtel steuern. Die Maahks werden an eine Landung glauben, aber Alurin wird ihren Protesten zuvorkommen und dorthin wieder zurückkehren, wo die Maahks ihn sofort erreichen können. Das wird unsere Freunde beruhigen."

„Sie denken wohl an alles?"

„Ich gebe mir Mühe. Außerdem war die Landung auf Tamanium Ihr Vorschlag, Mirona!"

Sie antwortete nicht, weil sie sah, wie er sich nach vorn beugte und die Steuerung umklammerte. Der große helle Fleck auf dem Bildschirm, der die lMPERATOR darstellte, wanderte mit großer Geschwindigkeit nach links.

„Ich beschleunige jetzt, es wird am besten sein, wenn wir uns um die anderen Schiffe nicht mehr kümmern. Jetzt interessiert uns nur noch Tamanium!"

Er nahm einige Schaltungen vor. Ein Teil des Bildschirms wurde jetzt vom Zentralplaneten der MdI ausgefüllt.

Sobald wir gelandet sind, schalten wir unsere Schutzschirme ein, vergessen Sie nicht, daß viele der erwachten Ungeheuer aus dem Museum der Meister der Insel noch am Leben sind!"

Mirona Thetin hatte dem Arkoniden die Stelle beschrieben, an der er landen mußte. Sie lag nur wenige Kilometer von dem unterirdischen Museum entfernt. Hier befand sich auch ein großer Teil der wichtigen Anlagen. Es erschien Atlan logisch. daß die Geheimpositronik in diesem Gebiet errichtet worden war.

*


Lichtwald, 2656.

Franish führte mich in einen Saal, der mit seiner Größe alle anderen Räumlichkeiten der Festung, mit Ausnahme der Halle, in der der Multiduplikator betrieben wurde, bei weitem in den Schatten stellte.

Die Halle war so unzureichend beleuchtet, daß ich kaum mehr als einen langgezogenen Tisch in der Mitte erkennen konnte, um den herum voluminöse Sitzmöbel gruppiert worden waren. Auf dem Tisch standen Eßgefäße, die eindeutig nicht akonischer, arkonidischer oder terranischer Machart waren.

„Gibt es einen besonderen Grund, warum ich der Erste bin, Franish?"

Es gelang mir ausgezeichnet, eine kaum zu überbietende Arroganz in meine Worte zu legen, obwohl ich natürlich sicher war, daß der Roboter die Nuancen der menschlichen Sprache nicht zu unterscheiden vermochte, aber irgendwo in der Nähe vermutete ich seine Herrin.

„Die anderen Gäste werden in Kürze eintreffen, Maghan!"

Der Roboter hatte tatsächlich die alte Sprache der Tefroder gebraucht, wie ich sie auch mit Tarumo gesprochen hatte. Schnell erkannte ich, daß es erforderlich gewesen wäre, schon nach seinen ersten Worten ein unverständliches Gesicht aufzusetzen, was ich allerdings versäumt hatte. Im Gegenteil, ich hatte mir gar nichts anmerken lassen und als die Worte verklungen waren, war für jeden unbeteiligten Beobachter offensichtlich, daß ich diese Sprache verstand, wie akonisch, arkonidisch und Interkosmo.

Ein schallender Gong ertönte.

Einer alten akonischen Sitte folgend, nahm ich hinter einem der ausladenden Sitzmöbel Aufstellung, verharrte einige Sekunden, um das ausladende Möbelstück dann zu umrunden und als erster Platz zu nehmen.

Ich hatte mich zwar schnell an die unzureichende Beleuchtung gewöhnt, vermied es aber, mich im Saal umzusehen. Als ich dann hinter mir Schritte hörte, beschloß ich, bei meiner vorgespielten Selbstsicherheit zu bleiben und rührte mich nicht.

Die Schritte näherten sich langsam und klangen sehr leichtfüßig.

Aufgrund der Schrittfrequenz, der auf Lichtwald herrschenden Gravitation und der Geräusche, die zuvor meine eigenen Schritte verursacht hatten, konnte ich mir eine klare Vorstellung von Größe und Körperbau der Person machen, die sich mir von hinten näherte.

Sie entsprach genau dem, was ich auf der TARUMA I in Kabine 586 als unerkannt reisende Person nicht zu identifizieren vermocht hatte.

Nur kurz brauchte ich in meinen Erinnerungen zu kramen, um die ankommende Person so eindeutig identifizieren zu können, als würde sie vor mir stehen. In Bruchteilen von Sekunden rasten Erinnerungen vor meinem geistigen Auge vorbei.

Diese Person kannte ich.

Sie betrat das Gebäude, in dem Rohnbergs Roboter mit der Hausarbeit beschäftigt gewesen war.

Die Zeitangaben auf dem Schirm stimmten.

Sie hielt sich genau in dem Zeitraum im Gebäude auf, in dem der Roboter manipuliert worden war und einen ausreichenden Zeitraum, um die Manipulation an Rohnbergs Roboter vornehmen zu können.

Gevorenystein Nummer eins in meinem Puzzle.

In einer düsteren schmalen Gasse baute sich ein Ertruser vor mir auf und stemmte seine Arme in die Seiten. Zugegeben eine imposante Erscheinung, die so ziemlich jeden zur Herausgabe seiner ganzen Ersparnisse gebracht hätte. Wenn ich an dem Ertruser vorbei wollte, mußte er entweder freiwillig zur Seite treten, oder ich mußte etwas nachhelfen.

Eine Frau schrie in der Dunkelheit hinter ihm auf.

„Zurück Magran! Er ist ein Anti!"

Eilig machte der Ertruser mir den Weg frei. Ohne ihn zu beachten ging ich an ihm vorbei. In einer Nische der engen Gasse stand ein Antimädchen, sich in den engen Hauseingang drückend, der hinter ihr zu erahnen war. Sie war noch sehr jung und wirkte in ihrem langen wallenden Gewand zerbrechlich und deplaciert.

Vor ihr blieb ich stehen.

Ihre großen dunklen Augen blickten mir angstvoll entgegen. Mit allem hatte sie wohl gerechnet, aber nicht mit einem potentiellen Überfallopfer, das ein Anti war, wie sie. Zu sicher hatte sie sich gefühlt, mit dem bulligen Ertruser als Kumpanen.

„Verzeiht, es handelte sich um einen Irrtum!"

Ich mußte schmunzeln.

„Irrtum ist gut mein Kind! Wie heißt du?"

„Gevoreny! Was gedenkt ihr nun zu tun?"

„Nichts, Gevoreny!"

Demonstrativ machte ich die Geste der Verneinung, wie sie Arkoniden praktizierten, eine Geste, die sie kannte.

„Es ist nicht richtig, was du hier machst! Du solltest deine Fähigkeiten lieber zum Wohle der Allgemeinheit nutzen! Wenn du willst, nehme ich dich mit in den Tempel!"

Sie schüttelte wortlos den Kopf, wie sie es sicher von dem Ertruser gelernt hatte, diese terranische Geste wurde normalerweise nicht von Antis benutzt und machte mit der linken Hand die Ehrenbezeugung, wie sie einem Antipriester gebührte.

Als Anti hatte sie meinen Geist gespürt, der die Aura des Báalol ausstrahlte.

Gevorenystein Nummer zwei.

Erst als ich sie vor wenigen Tagen in einer Gleisstation erkannt hatte, war mir letztendlich klar geworden, daß sie auch die unbekannte Person an Bord der TARUMA I gewesen sein mußte.

„Was führt dich hierher, Gevoreny?"

Auch in dieser Situation hatte ich meinen Adrenalinspiegel unter Kontrolle, obwohl es mir äußerst schwer fiel. Als keine Antwort erfolgte, was bedeutete, daß mir die Person, die nun hinter mir stehen geblieben war, nicht widersprach, versuchte ich noch einen draufzusetzen.

„Sag' mir, was waren Magrans letzte Gedanken?!"

Aufgrund ihres jugendlichen Alters, schien sie sich noch nicht so unter Kontrolle zu haben, wie ein erfahrener Anti; ich hörte ihr schweres Atmen.

Irgendwie war es mir schon seit einigen Stunden klar, daß hier und jetzt alles eingeleitet werden würde, was man vor siebenhundert Jahren auf der Erde als Show-Down bezeichnet hatte.

„Du weißt, daß ich in Notwehr gehandelt habe?!"

„Ja!"

Ihre Einsilbigkeit mochte die unterschiedlichsten Ursachen haben, aber eines erschien mir sicher, sie fühlte sich in dieser archaisch anmutenden Umgebung noch wesentlich unwohler, als ich.

Mit relativ sparsamen Bewegungen näherte sie sich dem Sitzmöbel zu meiner Rechten und setzte sich. Wenn sie wirklich so verschüchtert gewesen wäre, wie es offensichtlich den Anschein hatte, hätte sie dann nicht nur auf der vorderen Kante des Möbels gesessen? In diesem Mädchen steckte weitaus mehr, als ich bisher zu erwarten gedacht hatte; ich würde sehr vorsichtig sein müssen.

Wieder erklang der Gong.

Gevoreny hatte sich zu meiner rechten Seite direkt neben mich gesetzt, als suche sie meinen Schutz, doch hatte ich nicht die Absicht, auf irgend etwas hereinzufallen, was ich nicht vorher genauestens durchkalkuliert hatte.

Wieder näherten sich Schritte von hinten. Deutlich spürte ich Gevorenys zunehmende Nervosität und, zumindest den Bruchteil einer Sekunde, die Anwesenheit eines weiteren Antis.

Die Schritte gehörten einem Mann, der mittlerweile so nah war, daß ich ihn eindeutig als Nichtanti identifizieren konnte.

„Tritt näher Augustos Rohnberg! Unsere Wege kreuzen sich, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag! Komm her und setz dich, wenn du kein Duplo bist!"

Aus den Augenwinkeln erkannte ich Gevorenys weit aufgerissene Augen. Vielleicht sollte ich mich mit weiteren Offenbarungen doch etwas zurückhalten. Wenn ich alle meine Joker sofort verspielte blieb mir nur noch das AS im Ärmel.

„Es ist doch immer wieder erstaunlich, was ihr Antis so alles zustande bringt, Viktor!"

Ich unterließ es, ihn auf den Umstand hinzuweisen, daß es der gesunde Menschenverstand war, der mir die fehlenden Antifähigkeiten ersetzte. Die Informationen über meine teilweise Antiidentität mußte er von einem Anti haben, denn ansonsten hielt ich es für unwahrscheinlich, hatte doch seit ich in der Nähe der Festung war, nicht mit meiner latenten psionischen Fähigkeit herumgetastet. Außer Gevoreny hielt sich noch ein weiterer Anti in der Festung auf und dieser Anti war über meine Identität zumindest teilweise informiert.

Hatte ich nicht, als ich mit Lungar Driegund in der Hafenkneipe redete, schon den Eindruck der Anwesenheit eines Antis gehabt? Da ich diesen Gedanken schon gehabt hatte, als ich mit dem Springer redete, war es für mich nicht im geringsten verwunderlich, auch hier in der Festung kurz die Anwesenheit eines Antis gespürt zu haben.

Augustos Rohnberg setzte sich so, daß Gevoreny genau zwischen uns saß.

Cool, wie ich nun 'mal war, nickte ich ihm freundlich zu, wobei ich ihn naturgemäß ansah. Was sich da meinen Augen bot, war etwas, was ich wirklich nicht erwartet hatte. Dieser Mann schien tatsächlich bei einem Mordanschlag verletzt worden zu sein, aber gute Aramediziner hatten ihn wohl sehr schnell wieder hergestellt. Von seinen jetzt noch sichtbaren Narben würde man wohl in wenigen Wochen nichts mehr sehen können. Bei ihm handelte es sich so eindeutig um einen reinrassigen Terraner, wie man ihn seit Jahrhunderten nur noch selten antraf.

„Ehret Jammuns Nachfolger scheint nicht besonders gut gezielt zu haben!"

Er sah mich an und ich war sicher, daß zumindest eines seiner Augen, aufgrund der erlittenen Verletzungen, durch ein optisches Präzisionsinstrument ersetzt worden war.

„Wenn man genug dafür bezahlt, kann man auch so etwas bewerkstelligen auf Lepso! Du solltest das sehr genau wissen, Anti!"

So wie er mit mir gesprochen hatte, konnte ich absolut sicher sein, daß er im Bedarfsfall einen Kombistrahler zum Vorschein bringen würde.

„Ich weiß nicht, ob der Arkonide sich freuen wird, wenn ich ihm mitteile, daß mein Vorgänger überlebt hat."

„Er wird es sehr bald von dir erfahren, Akone!"

Sein Haß mir gegenüber war nicht zu überhören. Nur warum haßte er mich, obwohl wir uns nie begegnet waren?

Der dritte Gong übertraf die anderen an Lautstärke.

Ohne das ich mich auch nur ein einziges Mal bewegt hatte, saßen nun zwei Personen mit mir am Tisch, die ich aufgrund ihres Schrittmusters und meiner vorherigen Begegnungen beziehungsweise Recherchen eindeutig identifiziert hatte.

Ich stand auf.

„Endlich erscheint unsere Gastgeberin! Sei gegrüßt, Mirona Thetin!"

*


Andromeda 2406.

Atlan landete den Moskito-Jäger am Rand eines ausgedehnten Waldes. Es war später Nachmittag.

„Wir können aussteigen, Verehrteste!"

Er erhielt keine Antwort.

„Warum so nachdenklich, Mirona? Niemand hat unsere Landung bemerkt. Wir können uns ungestört auf die Suche machen."

Sie streifte ihn mit ihren Armen, als sie den Moskito-Jäger verließ.

Ihre unmittelbare Nähe verwirrte ihn. Er mußte sich gewaltsam dazu zwingen, sie nicht an sich zu reißen.

„Diese Stille macht mich nervös, Atlan. Außerdem ist es ein komisches Gefühl, allein mit Ihnen auf diesem Planeten zu sein, Admiral!"

Auf Tamanium war es tatsächlich ungewöhnlich still. Atlan konnte das Flirren der Blätter im leichten Wind hören. Irgendwo knackte es im Unterholz. Ein Schwarm goldgelber Insekten schwirrte vor-rüber. Der Boden war von einem moosartigen Pflanzenteppich bedeckt.

„Das ist eine Welt, nach der man sich sehnen könnte, wenn man jahrelang auf einem industrialisierten Planeten gelebt hat, zwischen Fabriken, Häuserschluchten und dem Verkehrsgewühl der Großstädte, ich hätte nicht geglaubt, daß die Meister der Insel soviel Schönheitsempfinden besitzen, um eine solche Welt auszuwählen."

„Man lernt seine Gegner nie richtig kennen, meine Blume."

Sie machte ein paar übermütige Sprünge und winkte ihm zu. Ihr Haar flog, als sie den Kopf zurückwarf. Atlan spürte, wie seine Leidenschaft für diese Frau seine Gedanken umnebelte.

Mirona Thetin war ein paar Schritte von ihm entfernt stehen geblieben und atmete schwer.

„Nun los, Admiral, bringen Sie Ihre Beine in Schwung!"

*


Lichtwald, 2656.

Sie schritt mit einer derartigen Majestät näher, daß mich ihr bloßer Anblick erschauern ließ. War diese Frau nicht schon zur Zeit der Geburt des uralten Arkoniden rund zehn Jahrtausende alt gewesen?

Sie setzte ein gewinnendes Lächeln auf.

„Ich grüße alle meine Gäste!"

Nun sah sie mich direkt an.

„Besonders dich, Viktor Kaiman, der du zum ersten Mal mit uns speist!"

Sie umrundete den Tisch und setzte sich in das verbleibende Sitzmöbel.

„Du hast etwas von einem Terraner an dir, Viktor!"

Sie spielte darauf an, daß ich, entgegen aller akonischen Gebräuche, bei ihrem Erscheinen aufgestanden war.

Freundlich nickte ich ihr zu.

„Wenn man so viel herum kommt, wie ich, entwickelt man sich zu einem galaktischen Kosmopoliten! Außerdem weiß ja wohl niemand, ob er nicht auch über Terranerblut verfügt, denn letztendlich gehen doch alle Humanoiden dieser Galaxis auf die alten Lemurer zurück!"

Unvermittelt blickte sie von mir zu Gevoreny, ohne auch nur mit dem Zucken einer Wimper auf meine Provokation eingegangen zu sein, denn immerhin konnte sie von sich behaupten, eine reinrassige Lemurerin zu sein.

„Ich hoffe, du fühlst dich heute besser!"

Das junge Antimädchen nickte, ohne ein Wort zu erwidern.

Es war so offensichtlich, wer hier das Sagen hatte und die Macht besaß, daß ich nur mit einem Bruchteil meiner Sinne die restlichen Anwesenden beobachtete. Es dauerte nicht lange, bis mir einige Besonderheiten auffielen.

Bei der ganzen Unterhaltung redete Mirona Thetin nicht ein einziges Mal mit Augustos Rohnberg dem Terraner, ja sie schien ihn noch nicht einmal angesehen zu haben, als befände er sich gar nicht im Raum. Und noch eines erkannte ich, Rohnberg hatte einen unverzeihlichen Fehler gemacht, als Mirona Thetin den Raum betreten hatte, er war nicht aufgestanden, wie ich.

Ein kurzer gedanklicher Vorstoß meinerseits bewies mir, daß Augustos Rohnberg, der mit absoluter Sicherheit einer der rein-rassigsten Terraner war, denen ich jemals begegnete, ebenso mentalstabilisiert war, wie Mirona Thetin selber.

Gevoreny aß nicht viel. Diesen Umstand führte ich auf die Tatsache zurück, daß Franish dem Terraner ein sogenanntes saftiges Steak serviert hatte, das er mit Genuß vertilgte.

Die schöne Tefroderin, deren lemurische Identität erst im Jahre 2406 von Atlan in Erfahrung gebracht worden war, ließ sich dadurch nicht irritieren; zu viel mußte sie im Laufe ihres langen Lebens gesehen haben, was sie mehr abschrecken mußte, als ein essender Terraner.

Ich aß nur Nahrungsmittel, bei denen ich absolut sicher war, daß sie pflanzlichen oder synthetischen Ursprungs waren.

„Der Arkonide würde sich wundern, wenn er wüßte, daß ich hier am Tisch sitze, mit zwei Menschen, die er für tot hält und die sich offensichtlich bester Gesundheit erfreuen!"

Bei diesen Worten sah ich die tefrodische Schönheit durchdringend an.

Lächelnd blickte sie auf.

„Genau dieses ist der einzige Grund deines Hierseins, Akone! Du wirst den alten Arkoniden hierher bestellen! Der Auftrag lautete Mirona Thetin zu Atlan zu bringen. Ich modifiziere ihn hiermit. Schaff mir den Arkoniden her! Ich präzisiere; so schnell wie möglich, so unauffällig wie möglich und so allein wie möglich!"

Das war es also.

Klick machte es in meinem Gehirn, so wie es schnapp machte, wenn eine Falle zuschnappte.

Die Falle war nicht für mich bestimmt gewesen, sondern für den steinalten Arkoniden.

Warum wollte sie Atlan in dieser Festung haben?

Warum hatte sie keinen anderen Weg genommen, ihn wieder zu sehen?

Ein einziger Hyperkomspruch hätte gereicht, ihn überall hin zu locken. Oder hatte man die Angelegenheit absichtlich so arrangiert, weil man dem Arkoniden den Eindruck vermitteln wollte, die Initiative sei von ihm ausgegangen?

Fragen, lauter Fragen, deren Beantwortung wohl noch auf sich warten lassen würde.

Die schöne Tefroderin wandte sich wieder dem Behälter zu, aus dem sie ihre Nahrungsmittel zu sich nahm.

„Du hast doch sicher einen Hyperkomimpulsgeber erhalten, wie der Arkonide mir einen gegeben hat!"

Rohnberg blickte mich an.

„Mit diesem Impulsgeber werden wir den Alten herbestellen."

Bei diesen Worten schnellte seine linke Hand mit einer solchen Geschwindigkeit über den Tisch, daß ich keine Gelegenheit hatte, meine Rechte zurückzuziehen. Eine Stahlklaue hatte mein Handgelenk ergriffen. Man hatte ihm wohl einen Robotarm installieren müssen, nach dem fingierten Attentat. Welch einen Haß mußte jemand empfinden, der solche Opfer auf sich nahm?

Mit schnellen geschickten Griffen entfernte er den Hyperkomimpulsgeber von meinem Handgelenk.

„Den wirst du wohl nicht mehr brauchen!"

Ich hätte in dieser Situation mit einem einzigen Gedankenimpuls meinen Individualschirm aktivieren können, so hoffte ich zumindest, was dazu geführt hätte, daß das Schirmfeld Rohnbergs künstlichen Arm abgetrennt hätte. Der einzige Grund der mich von diesem Handeln abhielt war Gevoreny, die ich mit dem Schutzschirm gefährdet hätte.

„Sag' mir, Anti, welchen Code gebe ich ein, um den Arkoniden hierher zu bestellen?"

Seine haßerfüllten Augen starrten mich an.

„Ist es immer noch Code Alpha?

Einen resignierten Eindruck vermittelnd schüttelte ich den Kopf, wie es ein Terraner tat.

„Tamanium!"

Einen Sekundenbruchteil hatte ich einen Reflex in seinem linken Auge bemerkt, wie man ihn von einer Zoomoptik kannte. Meine Vermutung war also richtig gewesen. Er hatte zumindest eines seiner Augen verloren und hatte nun die Möglichkeit genutzt, mich mit seiner Optik aus nächster Nähe anzusehen.

„Der einzig richtige Code ist Tamanium, denn das war der Ort der letzten Begegnung zwischen dem Lordadmiral und der verehrten Lady!"

Bei diesen Worten nickte ich respektzollend der schönen Tefroderin zu.

*


Andromeda, 2406.

Er ging langsam auf sie zu. Sie blieb stehen und beobachtete ihn mit zur Seite gelegtem Kopf. Als er sie umarmte, wehrte sie sich nicht, aber sie schaute ihn mit einem Blick an, der ihn veranlaßte, sie wieder freizugeben.

Mittels einer Art Plan, den die Tefroderin entrollte, gelang es ihnen, in das Innere des Planeten vorzudringen.

„Woran denken Sie, Admiral?"

Ihre Stimme durchbrach seine Gedanken.

„An Sie!"

Sie faltete den Plan zusammen und schob ihn in die Gürteltasche zurück.

„Ich habe mich soeben entschlossen, die Suche nach der Geheimpositronik aufzuschieben, Admiral."

Er starrte sie an. Die großen Scheinwerfer über der Plattform verliehen ihrem braunen Gesicht einen eigenartigen Reiz. Er sah, daß ihre Lippen bebten und machte einen Schritt auf sie zu.

„Warten Sie, Admiral! Hier gibt es bestimmt einen behaglichen Wohnraum. In dieser technisch perfekten Umgebung könnte ich Sie nicht lieben."

Er folgte ihr von der Plattform in einen beleuchteten Gang.

Ich bin ihr völlig verfallen, dachte er.

Sie blieb stehen und stieß eine Tür auf.

Sie betraten ein quadratisches Zimmer, dessen eine Wand aus einer simulierten Aussicht auf ein langgestrecktes Tal bestand. An einer anderen Wand stand ein gläserner Schrank mit eigenartig geformten Holzfiguren.

Mirona nahm eine der Figuren in die Hand.

„Epoche des Kalgar-Evon. Wer immer das hier gesammelt hat, war ein Mensch mit Verständnis für Kunst."

Atlan stand inmitten des Raumes und sah zu, wie sie die Figuren bewunderte.

„Wir können sogar Musik machen."

Mirona deutete auf eine diesbezügliche Apparatur an der Wand.

„Ich glaube jedoch kaum, daß diese Art Musik Ihrem Geschmack entspricht, Admiral!"

Eine schwermütige Melodie, gespielt von unbekannten Instrumenten, klang durch den Raum.

„Ich bin nicht wegen dieser Geheimpositronik gekommen, Atlan!"

Während sie sprach, kam sie auf ihn zu.

„Ich auch nicht!"

Die Musik trat in den Hintergrund.

Dann war nur noch sie da: Mirona Thetin, die Tefroderin.

*


Lichtwald 2656

Nach dem gemeinsamen Essen hatte ich mich, wieder von Franish geführt, in mein Zimmer zurückgezogen. Weder Mirona Thetin, noch Augustos Rohnberg hatten es für nötig befunden, mir zu sagen, meine Bewegungsfreiheit innerhalb der Festung sei eingeschränkt.

Aufgrund dieser Information, beziehungsweise aufgrund des Fehlens einer solchen, machte ich mich nach einer halben Stunde auf den Weg, die Räumlichkeiten der Festung zu erforschen.

Sie schienen sich in ihrem Handeln so sicher zu fühlen, daß sie nicht einmal mit dem Gedanken gespielt hatten, ich könne die Flucht ergreifen, oder ihre Pläne, wie immer sie auch waren, zu durchkreuzen versuchen.

So sicher, wie diese beiden sich benahmen, hatten sich damals auch die Meister der Insel benommen, hatten ihre Gegner nicht ernst genommen, ja hatten es gar nicht nötig gehabt, irgendwelche Gegner ernst zu nehmen.

Ich ging durch einen der gigantischen Gänge und war mir dabei immer der Tatsache bewußt, daß man mich mit Sicherheit auf Schritt und Tritt beobachtete. Da ich nicht wußte, wie man den Lift in Bewegung versetzen konnte, versuchte ich zunächst einmal die Räumlichkeiten in der Etage zu untersuchen, in der sich mein Raum befand.

Die größeren Räumlichkeiten schienen alle als Lager für die duplizierten Gegenstände genutzt zu werden. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, die Duplowaren in Augenschein zu nehmen, denn ein früher Verdacht hatte sich aufgrund des Auffindens des Multiduplikators eindeutig bestätigt.

In einem der Räume hockte Gevoreny auf einer Couch und wirkte wie eine Frau, deren Weltbild innerhalb kürzester Zeit demontiert wor-den war.

„Gevoreny! Gestatte, daß ich dich besuche!"

Erstaunt starrte sie mich an und stand auf.

„Wieso kannst du dich hier frei bewegen? Ich kann es nicht!"

„Hast du es überhaupt versucht?"

Wortlos schüttelte sie den Kopf.

„Willst du damit sagen, du würdest nicht zu der Lady und ihrem Zombi gehören?"

„Ich will damit sagen, daß ich die einzige Person in dieser Festung zu sein scheine, die nicht freiwillig hier ist!"

„Immerhin hast du versucht, mich mit Magrans Hilfe zu überfallen!"

„Hast du dir noch keine Gedanken gemacht, die Sache könne ganz anderes gewesen sein? Wie kommst du auf die Idee, ich wäre eine Verbündete Magrans gewesen?"

Ich mußte schmunzeln, entweder zog sie hier eine Riesenshow ab oder ich hatte mich tatsächlich bezüglich ihrer Person geirrt.

„Vielleicht willst du mir jetzt auch noch weismachen, daß Magran gar nicht versucht hat, mich umzubringen? Was immer sein Handeln auch für einen Sinn gehabt haben soll! Vielleicht willst du mir erzählen, du wärest nicht in Rohnbergs Appartement gewesen, um den Haushaltsroboter zu manipulieren! Vielleicht willst du mir ja auch nur erzählen, du wärest nicht in der Nähe gewesen, als Magran versucht hat, mich umzubringen!?"

„Wenn ich den Roboter nicht manipuliert hätte, was glaubst du dann, wie du ihn gefunden hättest? Rohnberg hätte ja wohl alle erdenklichen Daten austauschen lassen können! Wenn ich Magran nicht zurückgehalten hätte, wärest du erst gar nicht in den Tempel gekommen! Magran arbeitete nicht nur für mich, offensichtlich hatte man ihm für den zweiten Überfall eine nette Summe geboten, oder er hatte den persönlichen Ehrgeiz, etwas gegen dich zu unternehmen. Vielleicht wollte er dir ja auch nur einen Denkzettel verpassen! Verdammt, du hättest nie hierher kommen dürfen, jedenfalls nicht einfach so!"

„Was meinst du mit einfach so?"

„So unvorbereitet! Merkst du denn gar nicht daß das hier eine Falle ist?"

„Ich wußte spätestens nach Magrans Tod, daß das eine Falle ist!"

„Und dann bist du hier? Deine Arroganz ist ja wohl größer, als man es bei einem Antiakonen mit Terranerblut und arkonidischen Einschlägen erwarten kann!"

Wenn sie wirklich nicht gegen mich war, was sie mir offensichtlich weismachen wollte, was hatte sie dann überhaupt mit dieser ganzen Sache zu schaffen?

„Und was hast du nun tatsächlich mit dieser Angelegenheit zu tun?"

„Mein Ziel ist es, den Arkoniden vor Schaden zu bewahren!"

„Wie heroisch! Meinst du, ich hätte ein Interesse, ihn ans Messer zu liefern? Wenn diese Frau allerdings tatsächlich Mirona Thetin ist, kann es genau so gut möglich sein, daß man ihm gar nicht nach dem Leben trachtet!"

„Weißt du überhaupt, was hier gespielt wird? Die betreiben hier einen Multiduplikator! Was machst du, wenn sie dich durch einen Duplo ersetzen?"

„Sie werden mich nicht durch einen Duplo ersetzen können Gevoreny, weil sie nicht dazu in der Lage sind, Atomschablonen anzufertigen! Oder kannst du mir erklären, aus welchem Grund sie sonst nur Gegenstände herstellen, die schon seit Jahrhunderten veraltet sind? Wenn sie in der Lage wären, von mir eine Atomschablone anzufertigen, könnten sie es auch mit jedem anderen Gegenstand machen. Würden sie dann so veraltete Geräte duplizieren, wie diesen Roboter, der Franish heißt?"

„Ich wünschte, du hättest recht!"

„Ich habe recht, Gevoreny! Glaubst du, dieser Rohnberg hätte sich zusammenschießen lassen, wenn er auch statt seiner einen Duplo hätte schicken können? Nein, ein Mann wie er hat nichts anderes gewittert, als Geschäfte mit einem Multiduplikator! Möglicherweise hat er gehofft, er könne sich mittels der Technologie der Meister der Insel einen Zellaktivator verschaffen. Ein solcher Mensch hätte einen Duplo ins sprichwörtliche und tatsächliche Feuer geschickt und wäre niemals selber ein solches Risiko eingegangen!"

Jemand hatte den Raum betreten.

„Wie wahr, wie wahr!"

Rohnberg trat nun näher.

Gevoreny schien eine panische Angst vor ihm zu haben. Sie würde schon ihre Gründe haben.

„Du konntest keinen Duplo schicken, weil ihr entweder nicht in der Lage seit, den Multiduplikator richtig zu bedienen oder weil dieses Gerät schadhaft ist!"

„Du glaubst doch wohl selber nicht, daß Mirona Thetin persönlich nicht in der Lage ist, einen Multiduplikator zu bedienen!"

Er sah Gevoreny an und lächelte. Dieses Lächeln hätte mancher Frau das Blut in Arterien und Venen gefrieren lassen.

„Wenn du den Roboter nicht manipuliert hättest, wären mit Sicherheit keine Daten über einen Multiduplikator im Speicher gewesen! Wir hätten Kaiman dann anders hierher locken müssen!"

Nun wandte er sich an mich.

„Dieser Magran war in seiner Ehre gekränkt, daß er sich von Gevoreny davon abhalten ließ, dich zu überfallen! Wir haben ihn zumindest nicht auf dich angesetzt."

Er reichte mir meinen Impulsgeber.

„Das Gerät arbeitet nur, wenn du es bedienst, von mir nimmt es keine Optionen an!"

Seine Worte waren so beiläufig in den Raum geworfen worden, als wolle er mich bitten, eine belanglose Hyperkomverbindung herzustellen.

Ich grinste nun überheblich und freute mich über meine schauspielerische Begabung, denn ich mußte nun unbedingt erreichen, daß er Grund zu der Annahme hatte, mich zum Senden gezwungen zu haben.

„Und du glaubst jetzt wirklich, du könntest mich dazu zwingen, zu senden, Terraner!"

„Ich glaube es nicht, ich weiß es! - Franish!"

Der Roboter schob eine Antigravplattform in den Raum, auf der ein Käfig stand, wie ich ihn aus den Archiven der Geschichte kannte.

Bei diesem Käfig handelte es sich um eine Parafalle der Meister der Insel.

Beim Anblick der Person, die sich in dieser Falle befand, drohte mein Adrenalinspiegel meiner Kontrolle zu entgleiten.

„Netrona! Was haben sie mit dir gemacht?"

„Noch nichts, Viktor! Aber dieser Frau aus Lemuria traue ich wirklich alles zu."

Sie war der zweite Anti gewesen, den ich gespürt hatte.

„Nun, Viktor, wirst du nun senden, oder soll ich der Lady vielleicht einige schöne Stunden bereiten?"

„Was immer der von dir verlangt, Viktor, tu es nicht!"

Resigniert sackte ich in mir zusammen. Auch wenn ich die Absicht gehabt hatte, mich zum Senden des Impulses zwingen zu lassen, unter diesen Umständen wollte ich es nicht machen müssen.

„Wenn ich den Impuls sende, bestehe ich drauf, daß Franish die Parafalle desaktiviert!"

Er nickte.

„Franish! Wenn der Akone den Impuls gesendet hat, läßt du die Frau aus der Parafalle!"

Tief atmete ich ein, dann nahm ich den Impulsgeber und sendete den Impuls.

`Tamanium!'

*


Tamanium, Andromeda 2406

Das Glücksgefühl, das Atlan beim Erwachen empfand, wich der Bestürzung, als er feststellte, daß er sich nicht mehr bewegen konnte.

Sein Körper war wie paralysiert.

„Wieder wach, Admiral?"

Ihre Stimme klang so vertraut, als würde er sie schon seit Jahrtausenden kennen.

Er konnte allerdings noch nicht einmal reden.

Da beugte sich ein Gesicht über ihn.

`Mirona!'

Obgleich er rufen wollte, blieb es beim Aufschrei seiner Gedanken.

„Ich liebe dich, Admiral!"

Er sah wie sie den Plan zerriß.

„Mein armer Freund! Wie schade, daß nun alles vorbei ist."

Sie ist verrückt geworden, dachte er entsetzt.

Er konnte spüren, wie sie im Raum auf-und ab ging.

Als sie wieder vor ihm stand, hatte sie ihren Schutzanzug geschlossen.

„Ich bin dir unendlich dankbar, Admiral!"

Täuschte er sich, oder schwang Trauer in ihrer Stimme mit?

„Ohne deine Hilfe wäre alles verloren gewesen."

Er begriff ihre Worte nicht. Seine Blicke waren eine stumme Frage.

„Du mußt mich wirklich lieben, daß du noch immer nicht verstehst!"

Ihr Gesicht kam dem seinen sehr nahe, und er roch ihr herbes Parfum.

„Ich bin Faktor Eins, der Chef der Meister der Insel!"

*


Lichtwald, Lemurerfestung 2656

Netrona Garith kam auf mich zu und fiel mir in die Arme.

„Wie konntest du das machen? Wenn der Arkonide nun tatsächlich kommt!"

Netrona Gariths Worte klangen verzweifelt.

Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, daß Gevoreny wortlos den Kopf schüttelte.

Ich schob Netrona einige Zentimeter zurück, um ihr in die Augen blicken zu können.

„Der alte Arkonide hat schon andere Situationen durchgestanden! Du glaubst doch wohl nicht, daß er sich von einem Terranerzombi und einer uralten Tefroderin überlisten lassen wird, oder?"

Sie zog sich aus meinen Armen zurück, ging einige Schritte auf den Ausgang zu und drehte sich wieder um, Gevoreny und mich hilfesuchend anblickend.

„Dabei kommt es auf die Qualität der Falle an, Viktor!"

Die Worte stammten von Gevoreny.

Augustos Rohnberg trat wieder in mein Gesichtsfeld.

„Hey Akone! Was denkst du, wann wird er kommen?"

„Ich bin sicher, Terraner, daß er spätestens zur Mittagszeit des morgigen Tages hier sein wird, er wird am Portal klopfen und Einlaß begehren, und er wird ohne Begleitung kommen!"

Augustos Rohnberg drehte sich tatsächlich um und verließ den Raum.

Ich blieb mit den beiden Antimädchen zurück. Wenn ich nun nicht nur meine eigene Haut zu retten hatte, sondern auch noch die der Damen, würden sich die Ereignisse des nächsten Tages sicherlich nicht vereinfachen, im Gegenteil.

„Vielleicht sollten wir einmal in den Keller der Festung fahren, Viktor. Ich wurde da in einem Raum gefangen gehalten, der mir eindeutig bewiesen hat, daß es sich hier nicht um eine Lemurerfestung handelt!"

Gevoreny, Netrona und ich gingen zum Aufzug, bei dessen Betreiben ich immer noch an Funkimpulssteuerung dachte.

„In den Keller!" sagte Netrona nur und schon ging es los.

„Auf einen so einfachen Gedanken wäre ich so schnell nicht gekommen, Netrona! Aber das Naheliegendste ist oft so fern! Gevoreny hat beispielsweise ihre Unterkunft nicht verlassen, weil sie es erst gar nicht versucht hat. Ich hätte also gar keine Gelegenheit gehabt, den Aufzug in Bewegung zu setzen, weil mir ein solcher Gedanke sehr fern war."

Auch wenn es mich kurzfristig gestört hatte, daß sich Gevoreny unserer Runde anschloß, war es wahrscheinlich kein Fehler, wenn wir von nun an, bis zu einem Verlassen der Festung, zusammen blieben.

Im Keller, dessen Decken auch mindestens sechs Meter hoch waren, führte Netrona uns in einen Raum, in dem sich ein riesiger Fußabdruck im Gestein abzeichnete.

Ich stellte meinen Fuß daneben.

„Das ist der Fußabdruck eines Haluters!"

„Ja, Viktor, das ist gar keine Lemurerfestung, sondern allenfalls ein Gebäude, das von den Lemurern übernommen wurde.

*


Tamanium 2406

Weil er sofort begriff, welch ungeheure Katastrophe er eingeleitet hatte, drohte der Schock Atlan zu überwältigen.

In seinen Augen mußte sich spiegeln, was in ihm vorging; denn Mirona Thetin wich unwillkürlich vor seinem Blick zurück. Er fühlte sich so elend wie niemals zu vor in seinem Leben.

„Ich habe befürchtet, daß dich diese Information schockieren würde! Deshalb habe ich dich paralysiert, während du schliefest. Ich werde dir jetzt eine Injektion geben, die dich in die Lage versetzt, mit mir zu sprechen, ohne daß sie die Lähmung des übrigen Körpers aufhebt."

Er spürte einen schwachen Einstich in der Nackengegend.

„Es dauert ein paar Minuten: Du kannst dich retten; Atlan, wenn du dich mit mir verbündest."

Atlan konnte diese Frau nicht hassen.

„Ich hoffe, daß du dich für mich entscheidest, Atlan!"

Kein Wunder, dachte er, daß er sich von dieser Frau angezogen gefühlt hatte. Sie trug genau wie er einen Zellaktivator. Wenn sie keines gewaltsamen Todes starb, blieb sie unsterblich. Deshalb hatte er sich von Anfang an gut mit ihr verstanden. Auch sie war eine Einsame der Zeit.

Er spürte, wie seine Lippen zuckten. Seine Kehle schnürte sich zusammen.

„Mirona!"

Sie richtete sich auf und strich ihm mit beiden Händen über das Gesicht.

„Admiral, hoffentlich bist du deinen Gefühlen treuer als dem Solaren Imperium."

„Was hast du vor?"

„Während du schliefst, habe ich mich ein bißchen umgesehen, der Zeittransmitter ist zwar beschädigt, aber ich kann ihn reparieren. Er reicht nur fünfhundert Jahre in die Vergangenheit, aber das genügt für meine Zwecke."

Ein entsetzlicher Verdacht stieg in ihm auf.

„Willst du in die Vergangenheit fliehen?"

„Ja, aber es ist eine Flucht nach vorn."

„Mirona! Willst du ein Zeitparadoxon auslösen?"

„Ich gehe zurück in die Vergangenheit. Genauer gesagt, in das Jahr neunzehnhunderteinundsiebzig. Ich werde auf dem Mond des dritten Planeten des Solsystems landen und dort einen arkonidischen Forschungskreuzer vernichten."

Zum ersten mal in seinem Leben empfand Atlan panische Angst.

Wenn Crests und Thoras Schiff vernichtet wurde, konnte Perry Rhodan die unersetzlichen Unterlagen nicht finden, auf denen das Solare Imperium aufgebaut war.

Die Meisterin der Insel würde zwei Galaxien in ein Chaos stürzen, um ihre Macht zu erhalten.

„Tu es nicht, Mirona! Ich sorge dafür, daß du dich auf irgendeinen Planeten zurückziehen kannst, wenn du dich ergibst. Niemand wird je erfahren, wohin der letzte MDI entkommen ist!"

Sie lächelte verächtlich.

„Was bietest du mir? Einen Planeten für zwei Galaxien! In Jahrtausenden würden wir noch Seite an Seite leben, längst Legende, aber immer noch an der Macht."

Sie umklammerte seinen Arm.

„Oder befürchtest du, daß du meiner überdrüssig werden könntest?"

„Ich könnte deiner nie überdrüssig werden, auch in Jahrtausenden nicht."

Ihre Augen weiteten sich.

„Hundert Jahre werden sein wie ein Tag, Admiral. Und jeder Tag wird schön sein."

„Nein!"

In ihrem Gesicht zeichnete sich Unverständnis und Bestürzung ab.

„Ein Mann kann für eine Frau alles tun, aber er darf nie seinen Prinzipien untreu werden."

„Prinzipien? Was hast du von deinen Prinzipien? Kannst du mit ihnen leben? Ernähren sie dich? Geben sie dir Macht? Lieben und umarmen sie dich?"

Er schwieg. Sie wollte ihn für sich gewinnen, aber er war nicht sicher, ob sie ihn liebte. Wahrscheinlich wollte sie ihre Macht über ihn beweisen, wollte sich auch jetzt bestätigt sehen.

Ich habe versagt, dachte Atlan resignierend. Ich habe das Solare Imperium und meinen besten Freund, Perry Rhodan, dem Untergang preisgegeben. Aber den letzten Verrat begehe ich nicht.

„Warum sagst du nichts, Atlan? Überlegst du?"

„Geh! Laß mich allein!"

Er konnte sehen, daß sie vor Erregung zitterte.

Plötzlich richtete sie sich auf.

„Nun gut, dann sollst du wissen, was ich getan habe. Du sollst erfahren, wie es dazu kam, daß ich Faktor Eins wurde. Tut es dir nicht weh, wenn du erfährst, daß ich gemordet habe, um dieses Ziel zu erreichen?"

„Ich messe dich nicht mit den üblichen Maßstäben! Du bist eine Wahnsinnige mit einer eigenartigen Logik."

„Vor zwanzigtausend Jahren rissen dreizehn reinrassige Lemurer die Macht an sich. Von Anfang an gelang es mir, meine wahre Identität zu verbergen. Schließlich erfuhren sechs MDI, wer ihr Anführer war."

Mirona Thetins Zähne blitzten.

„Ich habe sie alle sechs ermordet. Seit dieser Zeit beherrschten meine sechs verbliebenen Untergebenen und ich ganz Andromeda. Ein unbekannter Wissenschaftler der Alt-Lemurer hatte Zellaktivatoren angefertigt, die sich beim Anlegen auf die Körperfrequenz des Trägers einstellten."

Atlan fragte sich im Stillen, ob das rätselhafte Fiktivlebewesen von Wanderer bei der Verteilung der Zellaktivatoren an die Mdl eine Rolle gespielt hatte. Der Verdacht lag nahe, denn es war zweifelhaft, ob ein lemurischer Wissenschaftler diese komplizierten Geräte bauen konnte, deren Technik sogar den Siganesen verborgen blieb.

„Mit den Zellaktivatoren gab man mir gleichzeitig eine Waffe in die Hände, um die anderen MDI zu beherrschen, ich besitze ein Gerät, mit dessen Hilfe ich die Tätigkeit eines Aktivators verändern kann. Der betreffende Aktivatorträger wird in Minuten zum alten Mann und zerfällt schließlich zu Staub. Keiner der verbliebenen Meister der Insel wollte sich einem solchen Risiko aussetzen."

*


Lichtwald 2656

Franish führte uns auf eine Art Balkon, von wo aus wir das ganze Tal überblicken konnten.

Aus Sicherheitsgründen hatten Netrona Garith Gevoreny und ich, die Nacht gemeinsam in meinen Räumlichkeiten verbracht. Die beiden Mädchen hatten kaum geschlafen, wogegen ich jede sich bietende Gelegenheit genutzt hatte, meinem Nervensystem eine Erholungspause zu gönnen.

Die blaue Sonne war bereits aufgegangen, wogegen die rote noch auf sich warten ließ. Ein deutlich violetter Schimmer am Firmament tauchte die Landschaft in ein unwirkliches Licht, in dem die Bäume wie dunkle Fremdkörper wirkten, auf einer Welt in deren Namen das Wort Wald vorkam.

Augustos Rohnberg erwartete uns bereits in einer gutgelaunten Stimmung, sich unablässig die Hände reibend.

„Es geht gleich los, Freunde!"

„Was geht los, Terraner?"

„Ihr werdet sehen, jedenfalls haben wir hier einen Logenplatz."

Unter uns öffnete sich das Hauptportal der Festung.

Ich ließ meiner stärker werdenden Nervosität mehr Raum, als normalerweise nötig gewesen wäre und begann zu schwitzen, obwohl es nicht sonderlich warm war.

Mein Schwert baumelte immer noch nutzlos an meiner Seite. Was sollte ich mit einem solchen Instrument auch ausrichten, wenn man bedachte, daß Rohnberg über einen terranischen Kombistrahler von der Sorte Antikiller verfügte.

Gevoreny war noch bleicher geworden und stand links neben mir.

Rechts von mir stand Netrona und damit zwischen Rohnberg und mir.

„Der Arkonide muß jeden Moment zu sehen sein, er hat soeben einen Impulsgeber passiert, der seinen Zellaktivator angemessen hat!"

Rohnbergs Nervosität war sicher größer als meine.

Ein starker bis stürmischer Wind blies uns ins Gesicht. Die Wolken, durch deren große Lücken die blaue Sonne schien, wurden teilweise von unten in ein rotes Licht getaucht. Nur noch wenige Minuten und die rote Sonne würde sich über den Horizont erheben.

„Da ist er!"

Netrona deutete an eine Stelle zwischen den Bäumen, die noch fast zwei Kilometer von der Festung entfernt war.

Tatsächlich erkannte ich die winzige Gestalt mit den langen weißen Haaren und einem wehenden Cape.

Erhobenen Hauptes kam er gemessenen Schrittes näher, ein Mann, der nicht nur wußte, was er wollte, sondern der ganz genau wußte auf wie viele Jahre Erfahrung er zurückzugreifen hatte.

„Da kommt Mirona!"

Stellte Rohnberg befriedigt fest.

Die Tefroderin tauchte unter uns auf und ging dem Arkoniden entgegen. Der Arkonide war immer besser zu erkennen. Deutlich sah ich seinen Zellaktivator, der an einer Kette um den Hals gehängt worden war. Der Mode des Planeten entsprechend trug auch er ein Schwert an seiner Seite.

Ich wußte, daß der Arkonide im Umgang mit Schwertern sicher erfahrener war, als jeder andere lebende Mensch.

Mirona hatte einen Energiestrahler tefrodischer Fertigung umgeschnallt.

Etwa einhundert Meter von der Festung entfernt, blieben beide stehen.

Keine zehn Meter waren sie voneinander getrennt.

Stumm und bewegungslos standen sie sich gegenüber, die schöne Tefroderin und der alte Arkonide; Jahrzehntausende alt, relativ unsterblich und doch so leicht zu verletzen.

Der Wind übertönte die Worte, die möglicherweise zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Zweihundertfünfzig Jahre hatten sich diese beiden Menschen nicht mehr gegenübergestanden, ein Zeitraum, der für fast jeden Menschen unerreichbar, unvorstellbar und unüberbrückbar war, aber für diese Beiden...

In Jahrtausenden würden sie noch leben, würden sich nicht im Geringsten verändert haben, würden biologisch um keine Stunde gealtert sein, würden nur reicher sein, an Erfahrungen sein, an all dem, was ein Mensch in vielen Leben erleben konnte...

Es sei denn...

Es sei denn, daß man ihrem Leben ein gewaltsames Ende bescherte.

Meine Aufmerksamkeit wurde durch eine Bewegung wieder in die Ebene gelenkt.

Atlan breitete seine Arme aus.

Rohnberg trat einen Schritt vor.

Da die Geschehnisse auf der Ebene seine ganze Aufmerksamkeit erforderten, gelang es mir schnell und folgerichtig zu handeln.

Mit einem Ruck hatte ich Netrona nach hinten gestoßen und Rohnberg den Kombistrahler von Gürtel gerissen.

Erstarrt sah er mich an und blickte dabei in die Mündung seiner eigenen Waffe.

„Atlan! Atlan, das ist eine Falle!"

Der Sturm verschluckte meine Rufe, der Arkonide reagierte nicht.

Mit einem schnellen Wurf hatte ich Netrona den Kombistrahler rübergeworfen - warum nicht Gevoreny.

„Halt den Terraner in Schach, ich muß den Arkoniden..."

Die Worte blieben mir im Halse stecken.

„Du wirst gar nichts, Viktor!"

Netrona richtete die Waffe auf mich.

„Du wirst genau so, wie wir auf den Tod des Arkoniden warten und danach bist du dran, Akone!"

Rohnberg hatte mit diesen Worten seine Waffe wieder an sich genommen, die Netrona ihm bereitwillig gab.

Klar, sie hatte gewußt, wie man den Aufzug betreibt, weil sie in ihm mit Rohnberg oder Mirona gefahren war.

Hinter mir spürte ich Gevorenys Körper, sie schien wegen der neuerlichen Entwicklung meine Nähe zu suchen, indem sie ihren Körper an mich drückte und sich mit ihren Armen an mir festhielt.

Jetzt gingen der Arkonide und die Tefroderin fast zögernd aufeinander zu. Auch die Frau hatte ihre Arme ausgebreitet.

Nur noch wenige Schritte trennten sie voneinander.

Gebannt starrten wir auf die Szene im Tal.

Und dann kam die Berührung.

Sie umarmten sich, wie zwei Liebende, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen hatten.

Unwillkürlich hatte ich den Atem angehalten.

In einem gleißenden Lichtschein explodierten Mirona Thetin, die Lemurerin und Atlan der Arkonide vor unseren Augen. Der Schall der Detonation war einen Sekundenbruchteil später zu hören.

Meine Starre löste sich erst, als der Terraner laut lachte und die Waffe hob.

„Diese Mirona hatte nur einen einzigen Sinn, nur ein einziges Ziel, den Arkoniden. Doch war sie sich wegen dieser Tatsache im Unklaren. Es war ihr Gürtel, den ich mit einer kleinen aber feinen Bombe versah. Beim Anmessen eines Zellaktivators in unmittelbarer Nähe mußte er einfach detonieren. Nur so konnte ich sicher sein, daß dieser Arkonide sein Ende finden würde. Der hat mich doch tatsächlich beauftragt, diese Frau zu finden, die wohl nur noch in seiner Phantasy lebt. Wie viele Leute hatte er schon vor mir beauftragt? Ich mußte immer denken, daß auch nach mir jemand die Suche aufnehmen würde, der Arkonide aber würde noch in Jahrtausenden leben. Ich begann ihn zu hassen, wegen seiner Unsterblichkeit und wegen seines Zellaktivators!"

Sein Finger näherte sich dem Druckpunkt seiner Waffe.

Mit einem Impuls meiner Gedanken baute sich mein Energieschirm auf, den ich augenblicklich verstärkte.

Als er abdrückte, konnte ich ihn nur noch schemenhaft erkennen, riß mein Kurzschwert aus der Scheide und warf es.

Nur sehr wenige Projektile waren in meinem Schirmfeld eingeschlagen und nutzlos auf den Boden gefallen. Dieser Energieschirm hatte zwei Antis geschützt, denn als ich Rohnberg nur noch schemenhaft zu erkennen vermochte, wußte ich, daß auch Gevoreny aufgrund unseres intensiven Körperkontaktes den Schirm verstärkte.

Mein Schwert ragte aus Rohnbergs Brust, als er taumelnd einige Schritte zurückging. Ungläubig starrte er mich an, seine Lippen zitternd bewegend, als wolle er noch etwas sagen.

Ein lautes Donnergrollen war zu hören. Gevoreny war die einzige, die nach oben sah.

Rohnberg lag auf dem Rücken, das Schwert ragte aus seiner Brust.

Netrona Garith blickte von dem Sterbenden hoch zu mir.

„Was soll's? Unser Ziel war der Arkonide und der lebt jetzt nicht mehr!"

Gevoreny starrte Netrona an.

„Und diese Frau..."

„War keine Frau, sondern ein perfekter Roboter!"

„Warum, Netrona? Was kann man davon haben, einen Mann zu töten, der sich um diese Galaxis so verdient gemacht hat!?"

Gevoreny deutete in den Himmel.

Aus dem Violett senkte sich eine schwarze Kugel, die zunehmend größer wurde und nach wenigen Sekunden als ein Raumschiff des akonischen Energiekommandos zu erkennen war.

„Zu spät!"

„Nicht zu spät, Gevoreny!"

„Was!"

„Mein Atlan war auch nur ein Roboter! Ich wollte den Arkoniden erst informieren, wenn ich sicher war, daß ihm nichts geschehen würde."

„Wie?"

„Nun, es gibt niemanden, außer mir, der von diesem Roboter wußte. Johann Schmidt hat ihn zwar gebaut, aber durch die Aussprache des Wortes Tamanium, mittels eines posthypnotischen Befehls, jede Erinnerung an seine Konstruktion vergessen. Ich habe den Roboter in einer Holzkiste bis in die Nähe des Dorfes gebracht, wo er auf den Impuls Tamanium zu warten hatte. Die Ausstrahlung eines Zellaktivators kann man auch simulieren!"

Der Kugelraumer war gelandet.

Akonische Elitesoldaten schwärmten aus, zwischen denen ich auch einige Angehörige der USO erkennen konnte.

Als letzter kam der alte Arkonide in Person.

Gevoreny atmete auf und ich hinderte Netrona daran, den Kombistrahler an sich zu nehmen.

*


Tamanium 2406

Der Wille zur Macht ist die stärkste Kraft in diesem Universum, dachte Mirona Thetin, als sie auf den Torbogen des Zeittransmitters zuschritt.

Sie wußte, daß sie von diesem Willen ausgefüllt wurde. Wie hatte sie nur jemals daran denken können, diese Macht mit einem anderen Wesen zu teilen oder gar vollkommen aufzugeben.

In ihren Händen hielt sie den Fernschalter, um den Zeittransmitter aktivieren zu können.

Ihren eigenen Individualschutzschirm hatte sie vor wenigen Augenblicken abgeschaltet. Dies war notwendig, denn nur mit des-aktiviertem Schutzschirm konnte sie sich dem Entmaterialisierungsfeld des Transmitters anvertrauen.

Mirona Thetin blieb stehen. Sie blickte zu dem Arkoniden hinüber, der mit hängenden Schultern dastand und sie beobachtete. Er schien dieser Welt auf unbegreifliche Weise entrückt zu sein.

Die Lemurerin ging weiter.

„Mirona!"

Sie hörte ihn rufen. Als sie sich umwandte, um zu ihm zurückzublicken, sah sie, daß Atlan den Arm hob.

Atlan nahm ihr Bild in sich auf. Gegen den dunklen Hintergrund der Transmitteröffnung wirkte sie wie eine ausgestanzte Silhouette. Er fühlte einen Druck auf seinem Körper, als legten sich unsichtbare Hände auf ihn. Rote Schleier tanzten vor seinen Augen. Er merkte, daß er sich bewegte, als habe ein Unsichtbarer die Kontrolle über seine Muskeln übernommen.

Er holte weit mit dem rechten Arm aus. Er fühlte, wie er sich anspannte, wie alle Kraft, die noch in ihm war, in den rechten Arm strömte.

Die Lemurerin schien die unverhoffte Gefahr instinktiv zu spüren, schien die Kraft zu ahnen, die sich in Atlan gesammelt hatte. Ihr Mund öffnete sich, aber sie blieb stumm. Beinahe zögernd hob sie die Hand zu einer abwehrenden Geste.

Sie war wie gelähmt und unfähig, etwas zu unternehmen. Sie dachte nicht an das nächstliegende, nicht daran, ihren Schutzschirm oder den Transmitter wieder zu aktivieren.

Der Arkonide warf.

Der Speer erzeugte einen hohen, summenden Ton, als er davonflog. Sein Schaft zitterte. Atlan taumelte nach vorn, mitgerissen von der Wucht seiner Armbewegung.

Krantars Waffe bohrte sich in die Brust der Lemurerin. Atlan sah wie ihre Hände hochzuckten und den Speerschaft umklammerten. Dann brach sie zusammen.

Mit einem Schlag wurde Atlan hellwach. Ungläubig starrte er zu der Stelle hinüber, wo Mirona Thetin lag. Er hatte nie daran geglaubt, daß er sie wirklich treffen könnte.

Er spürte kaum, wie er seine Beine bewegte. Es war, als erlebte er einen Alptraum, indem er ziellos durch eine endlose Finsternis schwebte.

Er sank vor ihr nieder und sah, daß sie noch lebte. Blut drang aus ihrem Mund. Ihr Gesicht war blaß, es bildete einen eigenartigen Kontrast zu den dunklen Haaren.

Sie versuchte ihm zuzulächeln, aber der Schmerz machte eine Grimasse daraus.

„Ich hätte dich töten können, Atlan!"

Er konnte ihr schwaches Murmeln nur schwer verstehen.

Sie drückte den roten Knopf, und der Abwehrschirm legte sich um den Transmitter. Der Platz, von dem Atlan den Speer geworfen hatte, lag unmittelbar unter der Energieglocke. Der Arkonide wußte, daß ihn ein unmittelbarer Aufprall der Energie sofort getötet hätte. Mirona Thetin hatte die Gelegenheit, ihren Gegner zu vernichten, ungenutzt verstreichen lassen.

„Ich habe oft gelesen, daß der Tod Frieden bringt, Arkonide. Für mich bedeutet er nur das Ende von allem, was mir wichtig erschien."

Atlan konnte nicht sprechen. Er berührte den Speer und sah, daß es unmöglich war, ihn herauszuziehen. Es hätte die Lemurerin nicht mehr gerettet.

Sie griff nach seiner Hand und umklammerte sie.

„Ich bringe dich hier heraus, Mirona!"

*


Lichtwald 2656

„Eines verstehe ich nicht, Atlan! Welches Interesse hat das akonische Energiekommando, dich vor einem Anschlag zu bewahren?"

„Vielleicht solltest du diese Frage lieber Gevoreny stellen, sie ist die Tochter eines der Leiter des Energiekommandos!"

Ich mußte anerkennend nicken.

„Also hatte Lorrg Nugdrim recht, als sie mich auf Aralon darüber informierte, daß wir von zwei Raumern verfolgt worden seien. Bei einem dieser Raumer handelte es sich um dieses Schiff des Energiekommandos!"

„Ja Viktor, wir mußten zu Gunsten Atlans eingreifen, weil es nicht in unserem Interesse liegen kann, auf die Erfahrungen eines Menschen zu verzichten, der älter ist als zehn Jahrtausende, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind! Also folgten wir deiner Korvette, weil wir wußten, daß der Arkonide einer der gefährdetsten Menschen der Galaxis war und ist!"

Atlan schob mich zur Seite.

„Übrigens besteht nicht der geringste Grund für dich anzunehmen, der Auftrag wäre damit erledigt. Nein, im Gegenteil, es geht jetzt erst richtig los!"

Ich muß ihn wohl angesehen haben, als sei er der letzte Molekülverformer.

„Auch wenn alle Indizien, die wir vor Zweihundertundfünfzig Jahren gesammelt haben, eindeutig zu beweisen scheinen, daß mein Speerwurf diese Frau getötet hat und daß es sich bei der Frau, die Perry Rhodan für mich in die Ewigkeit des Weltenraumes gestoßen hat, wirklich und wahrhaftig um Mirona Thetin handelte, besteht für mich immer noch ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer..."

Gevoreny trat zu uns.

„Wie wirst du Lichtwald verlassen, Viktor?"

„Wie ich gekommen bin, mit der TARUMA I und in Begleitung der schönen Springerin..."



Ende

Atlan

Viktor Kaiman

Mirona Thetin

Augustos Rohnberg Terraner der für Atlan arbeitete

Lukas Blue Besatzung

Norgef Darim Topsiderin Besatzung

Gara Rofur Unitherin Besatzung

Gevoreny undurchsichtiges Anti Girl

Magran Ertruser Catcher

Netrona Garith Anti Girl

Lorrg Nugdrim Blue-Mutter mit fünf Zwergen

Johann Schmidt genialer Robotiker Besatzung

Taruma alte Sringerin, Matriachin der Sippe

Tarumo alter verwirrter Springer, der nur noch Tefroda spricht, oder?

Tarutanka Springer

Tarulina schöne Springerin

Lungar Driegund gesprächiger Springer

Franish Roboter in Festung

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