Endstation Mahlstrom

Von Alexander Glaser



1. Januar 3501, Im Mahlstrom der Sterne



Ihm wurde plötzlich sehr heiß, in der ansonst eher kühl gehaltenen, riesigen Maschinenhalle auf dem G - Hauptdeck, tief im Innern der gewaltigen Kugel aus Ynkelonium - Terkonit.

Sein Körper versteifte sich reflexartig in Sekundenbruchteilen, als er das flirrende Abstrahlfeld des Impulsblasters sah, der auf ihn gerichtet war.

Oberst Wes Craven, Kommandant des Ultraschlachtschiffes ODYSSEUS, Veteran der Solaren Flotte, ging trotz des Schreckens instinktiv leicht wippend in die Knie, und winkelte mit gespannten Muskeln die Arme an, um sich absprungbereit zu machen, auch wenn er natürlich wusste, dass er es niemals rechtzeitig hinter eine der schützenden Isolatorwände schaffen konnte, die normalerweise zum Schutze der Wartungstechniker gebraucht wurden.

Aber gegen den antrainierten Reflex blieb er machtlos.

Er musterte den Mann vor sich von den Stiefeln bis zum Scheitel. Der Gegner hatte ihn eiskalt erwischt, das musste er ihm neidlos zugestehen, denn er hatte zwar damit gerechnet hier und jetzt gestellt zu werden, aber nicht so! Der andere erriet wohl seine Gedanken und es entwich ihm ungewollt ein Schmunzeln, dann verharrten die Gesichtszüge des anderen wieder zu einer starren Maske. Keine Falte zuckte mehr.

Auch Wes Craven hatte die Überraschung des ersten Moments überwunden; er versteifte sich und reckte stolz seine Brust nach vorne. Die lindgrüne Uniform straffte sich - auch über das kleine Bäuchlein - er war einfach nicht mehr der Jüngste.

Das leise Surren der Aggregate kam Craven deutlich lauter vor als sonst. Hatte er... Angst?

Die beiden Kontrahenten, die sich nur wenige Meter gegenüberstanden, waren die einzigen Menschen, in den Weiten der Sextadimhalle des fernflugtauglichen Schlachtschiffes, die Craven im Moment sah. Alle Geräte arbeiteten vollpositronisch und wurden von der Maschinenleitzentrale, einige Etagen tiefer, überwacht.

Trotzdem glaubte er weiter hinten einen Schemen entdeckt zu haben, im Schatten der viele Meterhohen Wandverkleidung eines riesigen Energiewandlers.

Wes Craven blickte auf der Suche nach den Überwachungskameras vorsichtig nach oben, ließ jedoch gleich wieder davon ab, da sein Gegner sicherlich die wichtigsten Anlagen des Sicherheitsdienstes in diesem Schiffssektor deaktiviert hatte.

Der Mann besaß zweifellos nicht nur die Kompetenz mit den komplizierten Geräten der Sicherheitsabteilung fertig zu werden, sondern war obendrein auch intelligent genug, alles für ihn wichtige hinreichend zu berücksichtigen.

Der Oberst verfluchte den Tag, als er ihn, den anderen, traf. Und er verfluchte sich selbst, dass er nicht vorsichtiger, oder sollte er besser sagen, umsichtiger?, im Umgang mit seinem verwegenen Plan gewesen war. Er wusste doch genau, dass er niemandem trauen konnte. Vor allem die Vorkommnisse der letzten Zeit hätten ihn stutzig machen müssen. Er war blind gewesen - wollte es nicht wahrhaben.

Nun war es zu spät.

Der andere kam einen Schritt näher auf ihn zu, langsam, sich seiner Überlegenheit deutlich bewusst, zielte er genau auf die Brust des Obersten. Craven blieb unbeeindruckt stehen. Der andere lachte.

Es war ein kaltes und gefühlloses Lachen, als wäre er eine Maschine und kein Mensch mehr. Der andere war ebenso unmenschlich geworden, wie die Steuerungspositronik des Pralitzschen Wandeltasters, wenige Meter neben ihm.

Die Waffe hob sich ein Stück weiter. Er sah, wie sich der Zeigefinger der rechten Hand krümmte...

Wes Craven schloss die Augen und atmete tief durch...


2.


5 Jahre zuvor... Terrania, Imperium – Alpha


„Er hat jetzt Zeit für sie, Oberst. Sie können reingehen“, sagte die junge Frau freundlich und grinste.

Er lächelte der attraktiven Sekretären charmant zu, während sich vor ihm die Sicherheitsschleuse öffnete, durch die er schwungvoll trat, um in einen geschmackvoll eingerichteten, großzügig angelegten Raum zu gelangen.

Hinter dem mächtigen Schreibtisch erhob sich ein Mann mittleren Alters, dessen Ausstrahlung den Obersten auch dieses mal wieder in seinen Bann zog; sogar jetzt noch, nach all den Jahrzehnten, die er schon für ihn arbeitete.

Er ging auf ihn zu und salutierte korrekt.

Perry Rhodan lächelte gequält, winkte ab, wobei er Wes Craven einen komfortablen Schwebesessel in der gemütlichen Sitzkombination anbot, vor dem großen Panoramafenster, das einen überwältigenden Anblick auf den Flottenhafen von Terrania gestattete.

Der Oberst sah wie gerade ein Superschlachtschiff der Imperiumsklasse von einem Startgerüst nach oben getragen wurde. Es stieg leicht wie eine Feder in den klaren Mittagshimmel empor, als wolle es sich dem Glutball Medaillons entgegenwerfen; dann, in den oberen Schichten der Atmosphäre, das riesige Schiff war schon auf die Größe eines Stecknadelkopfes geschrumpft, blitzte es kurz auf: Die Impulstriebwerke hatten gezündet und schoben von nun an das Patrouillenschiff durch die Wirren des Mahlstroms.

Aber viele der geparkten Raumer vor Cravens Augen lagen fest mit ihren Teleskopstützen auf dem Panzerplastboden des Raumhafens verankert, so, als ob sie schliefen – für immer!

Craven versuchte zunächst die stetig wachsende Feuchte in seinen Augen zu unterdrücken, doch er gab diesen Versuch rasch wieder auf und ließ der Melancholie, die ihn immer häufiger befiel, freien Lauf.

Rhodan bot ihm ein Erfrischungsgetränk an, das er dankend annahm.

Der Großadministrator eines verlorenen Sternenreiches konnte sehr wohl nachfühlen, was in Craven vor sich ging. Er selbst ertappte sich immer wieder dabei, wie er sehnsüchtig an vergangene, bessere Tage in der langen Geschichte seines Lebens dachte. Vor allem wenn er wieder den Befehl geben musste, ganze Flottenkontingente einzumotten, oder gar dem Ausschlachten preis zu geben, damit andere Schiffe weiter im Betrieb gehalten werden konnten.

Rhodan ließ sich in einen freien Sessel fallen und schaute den Oberst eindringlich in die Augen. Craven wusste, dass Rhodan in ihm wie in einem offenen Buch lesen konnte. Oft genug war er in den letzten Jahren hier gewesen. Immer waren sie in dieser Sitzkombination gesessen, immer hatten sie hinaus auf die Holoprojektion des Raumhafens geschaut. Selbst hier im Herzen von Imperium – Alpha, Hunderte von Metern unter der Erde, wirkte das spärliche Leben auf dem Raumhafen zum Greifen nahe.

„So ist das, wenn man keine Kolonien mehr hat und zudem auf die gewaltige Infrastruktur einer mit Leben überfluteten Milchstraße verzichten muss“, sinnierte Rhodan, wie jedes Mal wenn Craven hier war, in all den verlorenen Jahren im Mahlstrom der Sterne. „Wir können uns eine große Flotte, wie wir sie vor unserem Sturz durch den Soltransmitter hatten, schlichtweg nicht mehr leisten. Homer G. Adams rechnet mir das beinahe täglich vor.“

Craven nickte. Auch er kannte die knallharten Zahlen und Fakten – 20 Millionen hungrige Mäuler die erst einmal gefüttert werden mussten. Aber das war nicht der Grund, weswegen er bei Rhodan vorsprach.

„Sir, geben Sie mir den Startbefehl nach Hause“, kam er diesmal ohne Umschweife zur Sache. „Ich weiß, dass die ODYSSEUS es schaffen kann.“

„Nach Hause? Sie sind zuhause, Oberst, vergessen Sie das nicht. Terra ist die Heimat aller Menschen!“ Rhodan wusste natürlich was Craven von ihm wollte. Immer und immer wieder hatte er ihn mit seinen abstrusen Plänen gelöchert, denen er, verantwortlich für 20 Milliarden Menschen, niemals zustimmen konnte.

Aber der Oberst ließ auch dieses Mal nicht locker: „Terra mag ja der Ort meiner Geburt sein. Zweifellos ist Terra auch meine Heimat, aber das da...“, er deutete mit einer fahrigen Bewegung, die Mundwinkel abfällig nach unten gezogen, auf die Projektion Medaillons, „... das ist nicht die Sonne meiner Heimat. Diese Sonne ist kein freundlicher, wärmender Stern der Menschen, wie Sol einer gewesen ist. Das da ist ein Monster! Und dieses Monster wird uns alle ins Verderben stürzen, hören sie auf meine Worte, Sir!“ Seine Stimme überschlug sich.

Rhodan versuchte ihn zu beruhigen und goss etwas irischen Whiskey aus altgediegenen Privatbeständen in beide Gläser ein.

Craven rutschte näher an den Chef heran.

„Medaillon wird uns alle ins Unglück stürzen. Die Menschen werden sich verändern. Ich sehe es jetzt schon; jeden Tag erlebe ich mehr Menschen die sich zu Monstren verwandeln, zu seelenlosen, gefühlskalten Krüppeln.“ Seine Stimme klang verschwörerisch. Er bemerkte die Skepsis im Gesicht des Großadministrators. Er durfte nur nicht den Fehler machen, sich als endgültig übergeschnappt darzustellen, denn dann war er sein Kommando los und würde damit endgültig die Möglichkeit verlieren, doch noch zu Lebzeiten das heimatliche Gestirn wiederzusehen.

„Entschuldigen Sie bitte Sir, da sind wohl die Gäule mit mir durchgegangen“, beruhigte er sich daher wieder. „Aber Sie müssen doch zugeben, dass irgendetwas in der Luft liegt.“

Rhodan nickte. Tatsächlich verriet ihm sein Instinkt, dass irgendeine Katastrophe langsam am Horizont aufzog, auch wenn sie jetzt noch verborgen im Nebel lag. Aber dafür die Sonne Medaillon verantwortlich zu machen, die der Erde hier im lebensfeindlichen Mahlstrom dauerhaft Schutz und Wärme bot, erschien ihm doch zu abstrakt. Das ließ er den Oberst deutlich spüren.

„Ich kann sie durchaus verstehen. Auch mir wäre es lieber, die Erde würde sich wieder an ihrem angestammten Platz im Solsystem befinden. Aber die Realitäten sehen nun mal anders aus. Und natürlich verändern sich auch die Menschen, das ist nun mal der Lauf der Dinge. Nach allem was wir in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht haben, ist dies kein Wunder. Aber was ihren Antrag für den Fernflug in die Milchstraße angeht...“ Er holte eine beschriftete Folie der Solaren Flotte von seinem Schreibtisch und legte sie auf dem kleinen Beistilltischchen zwischen sich und den Oberst ab.

Craven blickte ihn erwartungsvoll an. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Rhodan seinen vor wenigen Stunden gestellten Antrag bereits in Händen hielt. Diesmal hatte er vielleicht tatsächlich Erfolg.

Aber Rhodan schüttelt nur leicht den Kopf, wobei er sich mit den Schneidezähnen auf die Unterlippe biss. Seine Augen drangen tief in Cravens Bewusstsein – wie Sperre wollte sie ihn durchbohren: ein Stich... es schmerzte.

„Sie kennen doch unsere Situation hier. Verdammt Wes!“ Nur kurz zögerte er. „ Na schön, dann eben noch mal. Vielleicht verstehen Sie es jetzt endlich: 1. Die Sextadim – Triebwerke der Zweiten Generation sind noch nicht einsatzbereit. Professor Waringer arbeitet mit Hochdruck daran. Das gleiche gilt für kompakte Spartac – Energieteleskope, welche wir auf Flüge über derart gewaltige Distanzen unbedingt zur Orientierung benötigen. Solange beide Systeme noch nicht einsatzbereit sind, werden wir keinen Flug über eine halbe Milliarde Lichtjahre riskieren. Der Verlust der MARCO POLO vor fünfzehn Jahren war schmerzlich genug. 2. Das Projekt SOL wird so schnell es unter den gegebenen Umständen möglich ist vorangetrieben. Mit ihr werden wir es wagen, da sie speziell für diese Aufgabe konstruiert worden ist. Und 3. benötige ich Sie und Ihr Schiff hier zum Schutze von 20 Milliarden Menschen. Wir wissen nicht was uns in den umliegenden Galaxien noch erwartet. Da kann ich auf kein einziges fernflugtaugliche Schiff verzichten, verstehen Sie dass Oberst?“

Craven war überrascht, denn Rhodan hatte sich in Rage geredet. So erlebte man ihn nur höchst selten. Deshalb nickte der Oberst emsig, gab aber seinem Chef nur halbherzig recht. Der Drang in ihm nach Hause zu fliegen ließ sich nicht ausschalten wie eine Leuchtdiode der indirekten Korridorbeleuchtung an Bord der ODYSSEUS. Dennoch riss er sich zusammen.

„Sir, verzeihen Sie mir meine Ungeduld. Aber ich bin kein Unsterblicher wie Sie, und ich hätte Sol gerne noch einmal gesehen, bevor ich sterbe. Es liegt mir sehr viel daran.“

Rhodan nickte besänftigt. „Das werden Sie, Oberst. Aber an Bord der SOL. Und bis dahin fliegen Sie wie bisher die Inspektionsflüge einmal um den Block.“

Damit meinte Rhodan die turnusmäßigen Probeflüge um die Galaxie der Ploohns herum. Auf diese Weise sollten die Dimesextatriebwerke betriebsbereit gehalten werden und nebenbei konnten noch weitere Daten und Erkenntnisse über die Auswirkungen des Mahlstroms im Leerraum gewonnen werden.

Craven aber wusste nun endgültig, dass er hier keinen Blumentopf gewinnen konnte. Er verabschiedete sich ebenso höflich wie knapp von Rhodan und ging auf dem selben Wege wie er gekommen war zurück zur ODYSSEUS. In seinem Hirn arbeitete er bereits an Plan B, wie er ihn nannte. Er hatte nämlich keineswegs vor, sich mit den ihm aufgetischten, von anderen als unabänderbar angesehenen Realitäten, zufrieden zu geben. Wenn der Chef ihm den Abflugbefehl nicht erteilen wollte, dann würde er eben dafür sorgen, dass er ohne einen solchen Befehl nach Hause kam. Er glaubte das Recht auf seiner Seite und die Pflicht dafür, die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren.


3.

In den folgenden Jahren schaffte Craven es, der Flottenführung nicht weiter unangenehm aufzufallen. Er erledigte ohne Widersprüche alle Aufträge, die von ihm erwartet wurden und er stellte seinerseits keinen einzigen Antrag mehr, die heimatliche Milchstraße anfliegen zu dürfen.

Dafür aber nutzte er seine Kontakte in den Vorzimmern der Flottenakademien - dabei setzte er auch immer wieder seinen Charme ein, der bei Frauen mittleren Alters umwerfende Resultate erzielte - um bei den Zuteilungsbüros der Solaren Flotte die richtigen Leute auf die ODYSSEUS abgestellt zu bekommen.

Vor allem Rickard Bermann, sein ihm treu ergebener Chefingenieur - beide waren zusammen nach M 87 und Andromeda geflogen, als es das Solare Imperium noch gegeben hatte - half tatkräftig mit, dass der Kommandant seinen verwegenen Plan in die Tat umsetzen konnte. Bermann war sein Vertrauter, vor dem er keinerlei Geheimnisse hatte.

Nach beinahe 5 Jahren Vorbereitungszeit waren sie soweit: Es stand wieder ein Inspektionsflug an und über 3500 Männer und Frauen an Bord waren mit den Plänen ihres Kommandanten einverstanden, deckten ihn nicht nur, sondern wollten mit ihm auf die große Reise gehen. Die anderen 1500, die diesen Schritt nicht vollziehen wollten, sollten mit Beibooten am Rand des Mahlstroms abgesetzt werden. Sie würden ohne Probleme nach Terra zurückfinden.

Eine Meuterei im großen Stil, vielleicht die größte jemals in der Geschichte der Solaren Raumflotte, sollte beginnen...


4.

Januar 3501, 3 Tage vor dem Start


„Kommandant, Kommandant. Eine Eilmeldung auf dem Prioritätskanal. Schnell, Sir, kommen Sie.“

Craven hastete zur Funkstation hinüber. Er sah auf dem Funkschirm, der das Alpha – Hologramm der Solaren Abwehr zeigte. Ein kodierter Spruch von höchster Wichtigkeit war eingetroffen und nur für die Augen und Ohren des Kommandanten bestimmt. Der Funker stand auf und ging, wobei er einen fragenden Blick an Craven richtete.

Craven ignorierte den Funker, verbarg geschickt seine Nervosität und baute einen Sicht und Schallisolator um sich und das Pult des Funkers auf. Niemand in der Funkstation konnte jetzt sehen oder hören, was der Kommandant abrief. Dann aktivierte er mit einer Retina – Identifikation den Dekodierer.

Das Gesicht eines jungen, durchtrainierten Mannes erschien vor ihm. Allerdings hätte es eher zu einer leblosen Puppe gepasst, als zum Antlitz eines Menschen. Als er es sah, wirkte es auf den Oberst abstoßend und kalt – ohne Leben, so wie es bei Puppen in einem Wachsfigurenkabinett üblich war. Diese Puppe aber bewegte sich. Ein unsichtbarer Würgegriff schnürte ihm den Hals zu, so dass er keuchend nach Luft rang.

Dieser Mann war in den Augen Cravens eines jener Monster, die als Produkt Medaillons ihre Hände nach der Herrschaft über die Menschen ausstreckten. Und dieser Mann war, durfte man den Rangabzeichen auf der Uniformjacke glauben, ein Solab Oberst mit weitreichenden Befugnissen, also extrem gefährlich für Cravens gewagten Plan. Er dachte daran, wie viele seiner Leute inzwischen in den Meutererplan eingeweiht waren. War etwas bis zur Solab durchgedrungen? Würde nun alles scheitern?

„Oberst. Ich mache es kurz: Ich komme per Transmitter zu ihnen an Bord. Ein Experiment von außerordentlicher Wichtigkeit für die Solab wird während ihres nächsten Inspektionsfluges durchgeführt. Die Order der Flottenführung werde ich ihnen persönlich überreichen. Erwarten sie mich in 15 Minuten. Johnatwagen Ende.“

Das Gerät schaltete ab. Craven war blas geworden. Er deaktivierte die matte Energieglocke um sich und ging wortlos zum Transmitterraum; die verblüfften Gesichter seiner Leute ignorierte er.


5. Der Neue


Als das schwarze Wabbern des Transmitterfeldes am stärksten wurde, erschien darin ein durchtrainierter, junger Terraner von stattlicher Größe. Er trat die Stufen mit weit nach vorne gestrecktem Kinn hinab und schaute zunächst auf den Chefingenieur Rickard Bermann, der soeben durch das aufgleitende Schott spazierte und salopp seinen alten Freund Craven grüßte, bevor er sich neben ihn stellte und ebenfalls den Neuankömmling begutachtete.

Craven blieb wie angewurzelt stehen. Seine Nackenhaare hatten sich gesträubt. Er verspürte Gänsehaut am ganzen Körper. Ein Eishauch durchfuhr ihn, als er dem SolAb - Agenten in die Augen blickte. Er sah kurz zu seinem Freund, der immer noch teilnahmslos neben ihm stand. Der Fremde kam näher und näher – unaufhaltsam legte er die wenigen Meter bis zu ihm zurück; und mit jedem Zentimeter fühlte Craven sich schlechter. Er hatte das Gefühl, als würden die Beine ihm den Gehorsam verweigern. Dann war der SolAb – Offizier heran. Er grüßte militärisch korrekt, aber mit einer Stimme, die im Raum gefrieren wollte.

„Mein Name ist Oberst Atamir Johnatwagen. Ich bin vom SolAb – Oberkommando autorisiert worden, sie auf ihrem Flug entlang der Dakkarspur zu begleiten. Neben meiner Funktion als Sicherheitsoffizier habe ich umfangreiche Kenntnisse in Sextadim – Physik und arbeite an einem internen Projekt über die Auswirkungen von Sextadimflügen auf den menschlichen Organismus. Hier meine Order.“ Ohne eine Regung hielt der Neuankömmling dem Kommandanten der ODYSSEUS eine bedruckte Datenfolie unter die Nase.

Craven hatte sich wieder unter Kontrolle. Sein Unbehagen rang er nieder; er nickte, nahm die Folie kraftvoll entgegen, hob etwas den Kopf und las mit leicht zusammengekniffenen Augen, was auf der Orderfolie stand. Sie trug sogar Galbraith Deightons Signum.

„Sie sollen während unseres Routinefluges zahlreiche Messungen mit neuentwickelten Spezialgeräten anstellen“, resümierte er, während er weiterlas, wobei er immer wieder zu Bermann sah, der immer noch bei ihm stand, sich jetzt aber etwas nach vorne beugte, um ebenfalls in die Folie sehen zu können. „Diese sollen direkt bei den Pralitzschen Wandeltastern durchgeführt werden. Dafür benötigen sie ein Versuchskaninchen aus dem Offizierskorps.“ Er hielt kurz inne. Sein Blick wanderte abwechselnd zwischen Bermann, der in einer Geste der Unwissenheit die Schultern hob, und Johnatwagen hin und her.

„Sie haben ausdrücklich Rickard Bermann angefordert. Warum?“

Der Neue versuchte es mit einem Lächeln – das ihm gründlich misslang - dieser Mensch lächelte bestimmt nicht häufig.

„Oberstleutnat Bermann ist der Chefingenieur. Während des Sextadimfluges befindet er sich am Kontrollpult des Fernflugtriebwerkes; und das ist bekanntlich bei den Wandeltastern. Logischerweise ist er ideal für meine Versuche, zudem sonst jemand anders eigens für meine Untersuchungen abgestellt werden müsste und somit an seinem eigentlichen Posten fehlen würde.“ Er wandte sich an den Chefingenieur.

„Sie haben nichts zu befürchten, Oberleutnant. Ich setze ein paar winzige Messsensoren auf ihre Haut an. Sie werden sie nicht spüren und auch sonst durch nichts behindert. Eine Gefährdung durch Strahlung oder ähnliches ist gänzlich auszuschließen.“

Nun wurde es Craven aber doch zu bunt. Mit einem Wisch fegte er seine Innere Spannung beiseite. Sie entlud sich in einem lautstarken Fluch. Er war hier immer noch der Kommandant und die Einsatzplanung seiner ihm anvertrauten Männer und Frauen oblag einzig ihm – sonst niemandem.

„Jetzt hören Sie mal zu. Sie platzen hier einfach rein, kurz vor dem Start und verfügen ohne mit mir Rücksprache zu halten über meine Leute. So geht’s nicht, mein Lieber.“

Er hatte seine anfängliche Scheu gänzlich abgeschüttelt. Craven fühlte sich in seiner Ehre gekränkt; das überwog die instinktive Abneigung gegenüber Johnatwagen, den er im übrigen ohnehin für einen der Gefühlszombies hielt, und den anfänglichen Zweifeln an der Richtigkeit der SolAb – Order, bei weitem.

„Ich werde sofort beim Oberkommando Erkundigungen über Sie einziehen.“ Er bereute den Satz aber bereits, als er ihn aussprach. Nichts durfte diesen Flug gefährden. Sein ganzer Fluchtplan hing von diesem Flug ab. War da die Gefahr nicht wesentlich größer, jetzt noch vom Flottenkommando zurückgepfiffen zu werden als das Risiko, dass von diesem Gefühlszombie ausging? Was konnte ein Mann schon ausrichten?

„Las mal gut sein Wes, ich mach es. Er wird mich nicht stören und wenn doch, dann rufe ich dich.“

Craven glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, während der alte Freund ihm jovial auf die Schulter klopfte. „Wir wollen doch alle, dass die ODYSSEUS fliegt. Willkommen an Bord, Sir.“ Bermann ging auf Johnatwagen zu und reichte ihm die Hand.

Wes Craven brachte nur ein abwesendes Nicken zustande. Irgendwie war er zwar froh über die prompte und eindeutige Entscheidung seines Freundes, denn auf diese Weise konnte er sich wieder der Endphase seines verwegenen Planes widmen, trotzdem aber fühlte er sich überrumpelt. Das Verhalten passte so gar nicht zu seinem alten Freund.

Dennoch wischte Craven alle Bedenken bei Seite. Außerdem hatte er mit dem Chefingenieur in den nächsten Tagen einen zuverlässigen Aufpasser an der Seite des Fremden. Er glaubte auch, darin den Grund zu erkennen, warum sein Freund sich spontan bereit erklärt hatte, das Versuchskaninchen für Johnatwagen zu spielen.

„Na gut, mein Lieber. Dann machen wir es so. Willkommen an Bord. Der Chefingenieur wird sich um sie kümmern und Ihnen ein geräumiges Quartier zuweisen.“ Er deutete einen militärischen Gruß an, zwinkerte Bermann kurz zu, machte kehrt und verließ die Transmitterzentrale in schnellem Schritt.

*

Die beiden folgenden Tage war Craven ebenso wie der Rest der Besatzung mit den Startvorbereitungen beschäftigt, wobei er sich immer wieder in seine Kabine zurückzog, um seinem Plan den letzten Schliff zu geben.

Dann der Start. Problemlos hob die ODYSSEUS vom Flottenhafen Terrania ab, passierte die Umlaufbahn des Nachbarplaneten Goshmos - Castle, der von den Mucierern bewohnt wurde, schoss an Medaillon vorbei, und verschwand blitzschnell im Linearraum, als ob sie das verhasste Gestirn nicht schnell genug hinter sich lassen konnte.

Nach wenigen Stunden hatte sie den Mahlstrom hinter sich gelassen und rematerialisierte an den vorprogrammierten Zielkoordinaten im Leerraum zwischen den Galaxien, von wo aus sie ihren Übungssprung entlang der Sextadim – Halbspur, auch Dakkarspur genannt, vollziehen sollte.

Alle Männer und Frauen des Ultraschlachtschiffes befanden sich auf ihren Gefechtspositionen, wie es vorgeschrieben war, wenn Fernflugmanöver durchgeführt wurden.

Dieses Mal sollte auch ein neuentwickeltes Schwarzschildreaktorsystem zum Einsatz kommen, welches später einmal der im Bau befindlichen SOL zugute kommen sollte: Das Nugas – Reaktorsystem, das bereits vor Jahrzehnten, als Terra noch sein Urgestirn umlief, an Bord der legendären MARCO POLO getestet wurde und der Probelauf in einem katastrophalen Fehlschlag endete.

Wes Craven hatte sich, untermauert von einsichtigen Argumenten, erfolgreich dafür eingesetzt, die neuen Nugas – Reaktoren der 2. Generation während eines Fernfluges an Bord seines Schiffes erproben zu dürfen. Er bekam den Zuschlag und war bereits einige Tests im Nahstreckenbereich ohne Schwierigkeiten damit geflogen; nun sollte es ihm helfen, seinen Plan in die Tat umzusetzen – den Rückflug in die heimatliche Galaxis: der Milchstraße.

Der Alarm gellte durchs ganze Schiff. Craven konnte nur mühsam ein Grinsen verbergen, schließlich wusste er, warum der Alarm ausgelöst worden war, doch er spielte tapfer den schockierten Kommandanten, dessen Sorge einzig der Besatzung galt.

„Reaktoralarm... Reaktoralarm...“, schnarrte die monotone Stimme der Bordpositronik durch die Gänge des Ultraschlachtschiffes. Hektisches Treiben überall – auch in der riesigen Kommandozentrale; Stimmengewirr, Stationsmeldungen, Anweisungen hin und her.

„Sir“, meldete sich ein Offizier aus der Hauptmaschinenkontrolle.

„Der Nugas – Reaktor ging plötzlich in den Rotbereich. Das Fesselfeld der Brennstoffkugel droht zusammenzubrechen. Alle versuche das Feld zu stabilisieren scheitern. Wir sind bereits auf 110 Prozent.“

„Sofort Notauswurf der Treibstoffkugel einleiten und Fluchtmanöver mit konventionellen Impulstriebwerke durchführen“, befahl Craven, obwohl er wusste, dass dies unmöglich war: Er selbst hatte dafür gesorgt.

Entsprechende Fehlermeldungen erntete er als Antwort.

Alles lief genau so, wie er es jahrelang geplant hatte: Als der Reaktor bereits bei 180 Prozent angelangt war, mussten sämtliche Versuche abgebrochen werden, das Problem noch in den Griff zu bekommen. Bei 200 Prozent würde die Treibstoffkugel sich explosionsartig in ein kleines Schwarzes Loch verwandeln und alles im Umkreis von vielen hunderttausend Kilometer in sich einsaugen. Es gab kein Entrinnen mehr für die ODYSSEUS mit ihren 5000 Männern und Frauen.

Also ordnete Craven das einzige an, was ihm noch übrig blieb: Die sofortige Evakuierung.

Es gab detaillierte Evakuierungspläne an Bord aller Schiffe der Solaren Flotte. Allerdings hatte Wes Craven diese auf seiner ODYSSEUS etwas modifiziert. Und so geschah es, dass lediglich die Nichtmeuterer einen Platz an Bord der 20 Korvetten bekamen, die für eine Evakuierung des Riesen vorgesehen waren.

Bereits nach 7 Minuten befanden sich nur noch diejenigen an Bord des Ultraschlachtschiffes, die Cravens Meuterei mitmachen wollten, so dachte zumindest Oberst Wes Craven, als er die letzte Korvette im Linearraum verschwinden sah, und eine Sonde startete die mit einer Gravitationsbombe bestückt den tragischen Unfall authentisch untermalen sollte.

Nach einer weiteren Stunde wurde der Countdown für den Dimesextaflug wieder aufgenommen. Es gab nur eine kleine Kursänderung, mit dem Ziel: Milchstaße.

Da summte an Cravens Pult der Interkom, den er sofort aktivierte:

„Wes, komm doch bitte mal zu den Wandeltastern!“

Er vollführte verstohlen noch rasch einige Schaltungen an den Fernsteuerreglern des Pilotenpultes an dem er stand, dann verließ er zügig die Hauptzentrale, wobei er sich in den nach unten gepolten Antigravschacht fallen ließ.


6. Die Konfrontaion


Bermann hielt die Waffe immer noch auf seinen langjährigen Freund gerichtet.

Craven spürte wie sein Herz heftig zu schlagen begann, wie sich sein Magen in einen Klumpen verwandelte, der ihn schwer wie ein Howalgoniumkristall zu Boden ziehen wollte.

„Du, Rickard? Ausgerechnet du? Warum nur? Wie lange kennen wir uns jetzt schon?“ Cravens Stimme klang matt und kraftlos; nur mühsam überwand er den Schock, der ihn übermannt hatte, als er anstelle von Johnatwagen, mit dem er sehr wohl noch in der Wandeltasterhalle gerechnet hatte, seinen alten Freund und Weggefährten vor sich sah und dieser ihn mit der Waffe bedrohte.

Jetzt erst trat der SolAb – Agent ohne Herz und Gefühl hinter einem versteckten Schaltpult hervor. Er hatte ein kleines Schaltkästchen, einen Signalgeber, in der Hand. Langsam trat er neben Bermann, der sich wieder von seinem ehemaligen Freund entfernt hatte um ihn mit dem Blaster besser in Schach halten zu können.

„Er ist jetzt einer von uns“, sagte Johnatwagen mit eisiger Kälte in der Stimme. „Ihr alter Freund hat den Sprung in eine neue, höherwertige Art des Menschseins bereits vollzogen. Medaillon sei Dank.“

Mit einem Schlag, der ihn wie aus heiterem Himmel traf, erkannte er bitter die Wahrheit, denn in den Augen seines alten Weggefährten war jede Wärme, jede Herzlichkeit, ja jede Spur von Menschlichkeit verschwunden. Jetzt erst fiel es ihm auf.

Aber vermutlich vollzog sich dieser Prozess der Entmenschlichung schon seit einiger Zeit, nur er selbst hatte es im Zuge der jahrelangen Arbeit an seinem verwegenen Plan nicht gesehen – nicht sehen wollen.

„Es tut mir leid Wes“, es klang wie eine Floskel aus dem Mund Bermanns: Kalt – Ohne Seele.

„Wir können nicht zulassen, dass dein Plan gelingt und du vielleicht mit einer ganzen Flotte von Fernraumschiffen aus der Milchstraße in den Mahlstrom zurückkehrst. Die Evolution der neuen Menschheit unter dem Stern Medaillon darf nicht gefährdet werden. Keinesfalls!“

„Bermann hat völlig recht, Oberst. In der neuen Weltordnung haben Fossile wie Sie eines sind keinen Platz mehr. Ihr altes und krankes Gehirn macht Sie taub für die Gedanken der reinen Vernunft. Ihr Chefingenieur ist da ganz anders: Er konnte seinen Geist von den widerwärtigen Emotionen befeien, ihn öffnen für die Lehre der reinen Vernunft. Und er ist nur einer von vielen; einer von uns.“

Johnatwagen nahm Bermann an der Schulter und führte ihn an das Kontrollpult der Pralitzschen Wandeltaster zurück. Dabei hatte er seinen Impulsblaster gezogen, den er mit flimmerndem Abstrahlfeld am Ende des Projektionslaufes auf den immer noch wie angewurzelt dastehenden Kommandanten hielt.

Wes Craven versuchte das Stechen in seiner Brust zu ignorieren.

„Was haben Sie vor, Johnatwagen?“ Mühsam ignorierte er den alten Freund, der ihm plötzlich so unsagbar fremd geworden war, und konzentrierte sich ausschließlich auf den SolAb – Mann, so wie er es von Anfang an hätte tun sollen, um nicht die Kontrolle über die Ereignisse zu verlieren, wie es jetzt im Moment geschah. Sein, bis ins kleinste Detail ausgearbeiteter Plan durfte nicht scheitern. Er hatte schließlich an alles gedacht; auch daran, dass ein Agent der Abwehr versuchen würde, die Tat im letzten Moment zu vereiteln. Dass allerdings sein bester Freund ihm dabei in den Rücken fallen könnte, damit hatte er natürlich nicht gerechnet.

Egal. Es musste auch so gehen.

„Wir werden nun das Herzstück des Sextadim – Triebwerkes, die Wandeltaster, endgültig unbrauchbar machen. Hierfür haben wir eine Reihe von Desintegratorbomben gelegt, deren Zünder ich mit dieser Fernsteuerung aktivieren kann.“ Johnatwagen hielt mit ausgestrecktem Arm Craven ein kleines Armbandkomgerät hin. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Schadenfreude, oder gar Triumpf: Es war noch genauso Gefühlskalt, wie bei der Ankunft im Transmitter an Bord der ODYSSEUS vor drei Tagen.

Wes Cravens Blick streifte verstohlen den digitalen Chronografen über dem Hauptsteuerpult, an dem die beiden Gefühlstoten letzte Einstellungen vornahmen, ohne ihn jedoch auch nur einen Augenblick unbeobachtet zu lassen.

Die Ziffern sprangen auf 14.00 Uhr um.

„Jetzt!“, sagte der Kommandant leise, so dass die anderen nur ein Gemurmel hören konnten, aber dennoch aufschraken und mit einem Mal Leichenblass wurden. Mit weit aufgerissenen Augen und verzerrten Mündern starrten sie voller Zweifel abwechselnd den alten Oberst und die blinkenden Anzeigefelder der Konsole an.

Bermann sprang auf, die Waffe hatte er in den abgegriffenen Ledergürtel seiner Kombination gesteckt, stürmte auf Craven los und würgte den ehemaligen Freund mit beiden Händen.

Craven duckte sich unter der Attacke weg, sodass Bermann nicht richtig zupacken konnte, daher mit den Händen abglitt, das Gleichgewicht verlor und zu Boden taumelte.

Johnatwagen hantierte wie wild an den Armaturen herum. Ein dumpfes Dröhnen schwoll an.

„Sie wahnsinniger Gefühlsnarr. Der Countdown für den Fernflug sollte erst in 2 Stunden zu Ende gehen. Sie haben die Triebwerke viel zu früh aktiviert.“

Nackte Angst spiegelte sich in ihm wider. Panik ... Grenzenlose Todesfurcht.

Wes Craven nutzte die Verwirrung beider und griff erfolgreich nach dem Blaster Bermanns. Aber das interessierte Johnatwagen und den Chefingenieur überhaupt nicht; so, als würde von Craven keine Bedrohung ausgehen: sie ignorierten ihn völlig – waren nur damit beschäftigt die am Hauptschaltpult gekoppelten Zünder der Desintegratorbomben zu entschärfen.

Doch dafür war es bereits zu spät. Bermann schrie auf, der Pralitzsche Wandeltaster vor ihm begann von innen heraus zu glühen, während er gleichzeitig von der drahtlosen Stromzufuhr immer mehr Energie für den Flug entlang der Sextadim – Halbspur erhielt. Die ODYSSEUS befand sich bereits mitten im Sprung, der sie in jenes Kontinuum bringen sollte, in dem die gewaltigen Entfernungen zwischen den Galaxien keine Bedeutung mehr hatten, die Tiefe des Leerraumes ihren Schrecken verlor.

Zig Milliarden Mal schneller als das Licht hätte das fernflugtraugliche Ultraschlachtschiff bereits nach wenigen Sekunden sein müssen. Aber genau in diesem Moment, als Cravens Schiff das Sextadimschirmfeld aufbauen wollte, um den Mahlstrom endgültig hinter sich zurückzulassen, genau in diesem Moment, in dem die Wandeltaster alle nötigen Daten für die Feinabstimmung der Schirmfrequenz liefern sollten, genau jetzt, detonierten die Bomben von Johnatwagen und Bermann.

Der Oberst begriff was vor sich ging. Er spürte die Erschütterung in seinen Knien, als er sich bereits zur Seite warf, um einen der Notschächte zu erreichen, die sich im Augenblick der Katastrophe wie von Geisterhand geöffnet hatten.

Aus den Augenwinkeln sah er wie sich Bermann ihm hilfesuchend zuwandte. Er wollte wohl ebenfalls losrennen, um noch rechtzeitig den Fluchtschacht zu erreichen, der mit einer starken Abwärtspolung geradewegs in den Bodenhangar der ODYSSEUS führte, wo rettende Beiboote startbereit auf die Flüchtenden warten mussten.

Aber eine plötzlich entstandene Feuerwalze verschlang den immer noch hektisch an den Konsolen schaltenden Johnatwagen ebenso schnell, wie den alten Freund des Kommandanten an Bord.

Craven brüllte wie ein angeschossener Bär in den weiten Wäldern Kanadas als er durch den Schacht nach unten fiel, während über ihm die plötzliche hereinbrechende Hitze seinen Kopf größtenteils versengte.

Er glaubte Armageddon sei angebrochen; und verlor das Bewusstsein.


6. Endstation Mahlstrom


Als er in einem Bett der Krankenstation wieder erwachte, wohl behütet von einer Schar wuselnder Medoroboter, wusste er, dass sein Schiff der Zerstörung entgangen war. Er spürte das genau. Er fühlte den Puls der monoton arbeitenden Maschinen langsam aber gleichmäßig schlagen.

Craven fühlte das Schiff – sein Schiff.

Der typische Geruch der ODYSSEUS hing ihm in der Nase, vermischt mit dem Gestank von verbranntem Fleisch, das wohl auch zu ihm gehörte.

Als die Tränen immer mehr wurden und zusammen mit der ganzen Wut und Verzweiflung in ihm einen undurchdringbaren Schleier bildeten, schloss der alte Oberst seine Augen wieder.

Sicher, er hatte sehr wohl überlebt, aber gleichzeitig hatte er die Möglichkeit nach Hause zu gelangen endgültig verloren.


ENDE



Mail:

26