Auf zur heiligen Insel

Da ich das morgendliche Frühstück nicht im Hotel Karboni einnehmen wollte, ging ich durch schmale, verwinkelte Gassen zum Hafenbecken und setzte mich - mit Meerblick - unter einen Sonnenschirm.
Zwischen mir und dem Meer gab es nur noch einen schmale Streifen gepflasterter Uferpromenade und davor einen circa zehn Meter breiten Sandstrand, auf dem ältere Fischerboote lagen und auf einen neuen Anstrich ihrer Rümpfe warteten.
Die Kellnerin sprach mich auf Englisch mit einem scharfen griechischen Akzent an, wechselte dann aber, als sie die Bestellung entgegengenommen hatte auf Deutsch um, das sie nahezu akzentfrei beherrschte.
Zwischen den Tischen, zu denen auch mein Frühstückstisch gehörte und den Fischerbooten, die auf eine Restauration warteten, gingen bereits Touristinnen und Touristen auf und ab, besuchten einen Souvenirstand nach dem anderen, obwohl sie sich die selben Sachen schon tags zuvor angesehen hatten.
Lärmend und tosend kam ein Tritiklo angefahren, bauerngrün lackiert mit der typischen Karosserie, der relativ hohen Ladefläche und dem Scheppern eines VW Boxermotors, dessen Auspuff schon bessere Zeiten gesehen hatte.
Das dreirädrige Fahrzeug, das möglicherweise vom Tempo oder Goliath Dreirad abgekupfert worden war, hielt direkt vor meinem Tisch und vermieste mir den Ausblick auf die vor sich hindümpelnden Fischerboote im Hafenbecken.
Ein Eingeborener mit Schnurrbart kam heraus und begann allen möglichen Krämpel von der Ladefläche abzuladen. Ich erkannte einen Schwingschleifer und alle möglichen Gegenstände, die dazu geeignet waren, einem Holzuntergrund ein neues Aussehen zu verschaffen.
Die ganze Zeit hatte er den Motor des Dreirades laufen und verpestete damit die Luft dieses Planeten, die von Tag zu Tag mehr Giftstoffe aufzunehmen hatte, weil die Ignoranz der Menschen über alle Maßen hinaus wuchs.
Die Kellnerin kam und brachte mir mein Frühstück.
Da ich hier als Deutscher erkannt worden war, hatte ich offenbar mit einem entsprechenden Akzent Englisch gesprochen, ober das hatte die Kellnerin nicht erkannt und erst die ausgesuchten Nahrungsmittel offenbarten ihr meine Herkunft.
"Ich hoffe, der Kaffee ist nach ihrem Geschmack!"
"Sicherlich, er wird allemal besser sein, als wenn ich ihn selbst gemacht hätte!"
Sie schien sich über diese Lüge zu freuen und stellte einen Korb mit Brot auf den Tisch und einen Teller mit allen möglichen Dingen als Brotaufstrich, von denen sie annahm, daß sie einem Deutschen schmecken könnten.
Ich bedankte mich höflich und war hochgradig erfreut, als der Eingeborene mit seinem Dreirad davonfuhr und mir nicht nur freie Sicht auf das Hafenbecken gewährte, sondern auch durch seine Abwesenheit für eine bessere Luft sorgte.
Ich genoss die Aussicht und das reichhaltige Frühstück, bis der Eingeborene, der zuvor mit dem Dreirad unterwegs gewesen war, nun zu Fuß, mit einer Kabeltrommel, deren Kabel er langsam abrollte, zurückkam.
Während ich meinen Kaffee trank, sah ich ihm interessiert zu, als er einen Schwingschleifer in Betrieb nahm und begann, den Rumpf des alternden Fischerbootes damit abzuschleifen.
Unglücklicherweise stand der Wind so, daß er kleine abgeschliffene Partikel zu mir und damit in meinen Kaffee blies.
Zunächst versuchte ich noch, die Tasse abzudecken, gab es dann aber auf und ergab mich in mein Schicksal; den Kaffee jedenfalls trank ich nicht aus.
Ich bezahlte das unvollständig in Anspruch genommene Frühstück und ging zu der Kaimauer, von der aus die kleinen Boote zur Nachbarinsel Delos fuhren.
Eines wurde gerade mit Touristen beladen.
Beladen war der bestmögliche Begriff, um zu beschreiben, was sich da vor meinen Augen abspielte.
Das Boot, es war etwa zwölf Meter lang und ich vermochte nicht zu sagen zu was für einem Zweck man es noch vor Jahren benutzt haben mochte, senkte sich Tourist für Tourist tiefer in das Hafenbecken.
Ein kleiner Kerl lockerte regelmäßig die Taue, weil das Boot immer stärkeren Tiefgang bekam.
Zwei kräftig gebaute Kerle standen mit jeweils einem Bein auf der Kaimauer und dem anderen auf dem Boot, um Tourist für Tourist sicher in das Boot zu verfrachten, mit anderen Worten, mit einem Ruck rüberzuheben und dafür Sorge zu tragen, daß sich niemand den Kopf stieß, denn die Durchgangshöhe schien nicht für Touristentransporte gedacht zu sein.
Ich unterdrückte ein Schmunzeln und ging zu einem Klapptisch, an dem man Tickets kaufen konnte.
Ich legte einen Schein, der tausend Drachmen auswies auf den Tisch und bekam dafür ein rotes Ticket bereitgelegt, dass mit fünf Stempeln versehen wurde - Griechen haben eine besondere Vorliebe für Stempel.
Tatsächlich lagen auch nur fünf Stempel bereit, wären es sechs gewesen, hätte ich darauf zu achten gehabt, daß auch der letzte Verwendung gefunden hätte.
Mit dem Ticket bewaffnet machte ich mich auf den Weg und stellte mich am Ende der immer kleiner werdenden Touristenschlange an.
Unermüdlich rannte immer noch der kleine Kerl hin und her, um die Taue, die das Schiff hielten jeweils um wenige Zentimeter zu lockern.
Die beiden kräftigen Kerle packten sich einen Mittouristen nach dem anderen, um ihn an Bord zu hieven.
Bald kam die Reihe an mich.
Sie packten mich routiniert an den Armen und stießen mich nach vorne, ohne es zu vermeiden, dabei meinen Kopf nach unten zu drücken, um einen schmerzhaften Kontakt mit dem Dach der Kajüte zu verhindern.
Im Boot angekommen setzte ich mich nicht auf den ersten freien Platz, sondern suchte bewusst die Mitte der Nussschale auf.
Die Touristenpassagiere saßen in insgesamt vier Reihen, je zwei an den Bordwänden - mit dem Rücken zur Wand - und zwei in der Mitte, auf der sogenannten Mittschiffslinie - mit dem Rücken zueinander.
Ich setzte mich auf einen freien Platz in einer der mittleren Reihen, mit ungefähr gleichem Abstand zu Bug und Heck.
Der Wind und somit der Seegang können in dieser Gegend der Ägäis zu jeder Jahreszeit ungewöhnlich stark sein, ja sind es in der Regel auch.
Nach mir wurden nur noch einige wenige Figuren eingeschifft und bald kam einer der beiden großen Griechen, der den Passagieren an Bord geholfen hatte, um uns unsere Tickets abzunehmen.
Er sammelte alle Fahrscheine ein und überreichte sie einem wartenden Kumpanen an Land, der damit an den Tisch ging, an dem ich mein Ticket gekauft hatte. Danach setzte er mit umständlichen Bewegungen den Schiffsdiesel in Gang.
An dem Tisch, auf dem nun die eingesammelten Tickets lagen, entbrannte eine heftige Diskussion zwischen den Anwesenden. Die Worte konnte ich nicht verstehen, sie wurden von dem qualmenden Diesel des Bootes übertönt. Aufgrund meiner Erfahrungen war ich allerdings sicher, dass man wohl eine fehlende Stempelung auf einem der Tickets entdeckt hatte, was man als Grieche, einer Katastrophe gleich dem nahenden Weltuntergang zuschreiben musste.
Der kleine Kerl, der regelmäßig die Taue gelockert hatte, machte dieselben nun gänzlich los und warf sie an Bord, um ohne zu zögern hinterher zu springen.
Der Große begann das Steuerruder hin-und herzudrehen, während er die Schiffsschraube mal vorwärts und mal rückwärts rotieren ließ, um das Boot zwischen den an der Kaimauer liegenden anderen Booten hindurch zu manövrieren, ohne anzuecken, was angesichts des schon erheblichen Wellenganges im Hafenbecken äußerstes Geschick erforderte.
Auf der Kaimauer entstand ein kleiner Tumult, mit anderen Worten begannen Eingeborene lautstark zu brüllen und zu gestikulieren.
Sie brüllten einige unverständliche Worte zu unserem Steuermann hinüber, der ebenso lautstark zurück brüllte und auf eines der festgezurrten Boote deutete.
Ich genoss es, in der Rolle des unbeteiligten Zuschauers dieser temperamentvollen Angelegenheit beizuwohnen, ohne mitbrüllen zu müssen.
Ein Pope erschien, der von zwei kräftigen Eingeborenen über zwei Boote geleitet wurde, die an der Kaimauer nebeneinander lagen - auf das zweite Boot hatte unser Steuermann gezeigt und steuerte es nun, seiner Berufsbezeichnung alle Ehre machend, an.
Der kleine Kerl stand bereit, den Popen, der der letzte Passagier zu sein schien, entgegenzunehmen, um zu verhindern, daß er zwischen die Boote ins Wasser fiel.
Den griechischen Seefahrern wäre es sicherlich peinlich gewesen, wenn ein griechischorthodoxer Pope in ihrem Verantwortungsbereich verunfallt wäre.
Was wollte ein Pope auf Delos?
Delos war ein Heiligtum der alten Griechen, die der Götzenverehrung gefrönt hatten.
Was wollte ein Pope auf Delos?
Der Pope saß nun in der Nähe des großen Seemannes, der mich lebhaft an Alexis Sorbas erinnerte.
Ich vermisste meinen Walkman mit der CD von Zorba The Greek.
Der Große steuerte das Boot sicher aus dem Hafenbecken.
Ich nahm mir nun Zeit, mir die Passagiere näher anzusehen, vielleicht konnte ich eine Frau entdecken, die sich als verkleidete Mirona entlarven ließ, vielleicht aber auch nicht.
Mit dem typisch breitbeinigen Gang des Seemannes, der auf solch schwankendem Untergrund unbedingt erforderlich war, ging ich in Richtung Bug des Bootes.
Der Pope hatte einen bevorzugten Platz in der Nähe des Steuermannes gefunden und unterhielt sich mit dem Kleinen, der zur Zeit nichts zu tun hatte.
Der Seegang außerhalb des Hafenbeckens hatte es wahrlich in sich. Schwankend kehrte ich zu meinem Platz zurück.
Der Große erwies sich als äußerst geschickter Steuermann.
Zwischen den Kykladen gibt es starke Strömungen und hohen Seegang, immerhin trauten sich nicht viele Yachtbesitzer in diese Gewässer, ohne einen erfahrenen Einheimischen an Bord zu haben.
Einige meiner Mitreisenden wurden leicht grün im Gesicht.
Unser erfahrener Seemann steuerte Delos nicht direkt an, sondern wählte einen Kurs, der uns eigentlich an Delos vorbeifuhren würde, aber dadurch, daß er einen anderen Kurs gewählt hatte, nutzte er die vorhandene Grundströmung aus.
Sie Sonne brannte vom Himmel und der starke Wind blies uns vernebelte Wasserpartikel in die Gesichter, die einen Salzgeschmack auf die Lippen brachten. Ich steckte meine Sonnenbrille weg und verließ mich darauf, daß das Wasser nicht zu sehr in meine Augen drang.
Das ständige Auf-und Ab des Bootes ließ die Verplankung vernehmlich ächzen.
Ich sah zum Bug und konnte einige Wellen entdecken, die die anderen erheblich überragten und direkt auf uns zukamen.
Einige Touristinnen schrien!
Der Große drosselte die Drehzahl des Diesels um dem Vortrieb zu reduzieren und wartete die Wellen, die uns ziemlich stark beuteten, im Leerlauf ab.
Nach überstandener Tortur ging es wieder mit `voller Kraft' weiter.
Das Boot kämpfte sich von Wellental zu Wellental und versuchte manchen `Wellenberg' zu erklimmen.
Wieder ging der Große auf Leerlauf.
Ich sah nach vorne!
Keine großen `Brecher' in Sicht!
Was sollte das?
Der Große kam nach hinten.
Hatte der Kleine das Steuer übernommen?
Nein, er unterhielt sich angeregt mit dem Popen.
Beichtete er?
Beichteten grichischorthodoxe Christien überhaupt, oder handelte es sich dabei um ein Privileg der Katholiken?
Der Große kam an mir vorbei und öffnete eine Klappe im Boden, unter der der Diesel zum Vorschein kam. Der Motor war nach oben hin offen, ich konnte die Kipphebel sehen, die in einem ständigen Auf-und Ab ihrer Aufgabe nachkamen.
Der Große nahm eine Kanne mit Öl und ölte jeden Kipphebel einzeln, wobei er mit außerordentlicher Sorgfalt vorging.
Nach verrichteter Arbeit verschloss der er die Klappe wieder und ging zurück zu seinem Platz.
Auf der Strecke bis Delos musste der er noch viermal ölen und dreimal wegen großer Wellen in den Leerlauf zurückgehen.
Die Sorbas Show ging weiter, als es dem Großen unter widrigen Umständen gelang, an einer Steinrampe anzulegen.
Der Kleine hielt unter Aufbietung aller seiner Kräfte das Boot an einem Tau, indem er sich mit einem Bein an einem Poller abstützte. Warum hatte er das Boot nicht festgetäut?
Der Große half nun einem Touristen nach dem anderen an Land.
Der Kleine hielt weiterhin das Boot fest.
Ich hatte das Glück, als einer der ersten von Bord gegangen zu sein.
Vor mir ragte eine Steilküste mit schroffen Felsen auf.
Ein ausgetretener Trampelpfad führte in Serpentinen die Felsen hinauf.
Ich machte mich sofort auf den Weg nach oben und schaffte es vor einigen `Mitbewerbern'.
Am oberen Ende des Pfades, der in einen etwas breiteren Weg überging, blieb ich stehen und sah hinunter zum Boot.
Es war ein grotesker Anblick.
Der Kleine hielt mit allen seinen Kräften das Boot, während der Große einen Touristen nach dem anderen von Bord hievte.
Wo war der Pope geblieben?
Ich konnte ihn nicht entdecken.
War er vor mir von Bord gegangen?
Dann musste er über eine hervorragende Kondition verfügen.
Ich wandte mich der Insel zu.
Der Wind blies mir um die Ohren.
Kleine aufgetürmte Steinmauern, dazwischen ein karger Boden, auf dem fast nichts wuchs...
Ich war auf Delos, der heiligen Insel der Griechen, auf der in der Antike nicht geboren und gestorben werden durfte und auf der heute noch kein Mensch lebte.




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