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Wir haben lange nachgedacht, als man uns dieses Werk offerierte, dessen erste Seiten hier zu lesen sind, welchem Genre wir es zurechnen sollten. Letztendlich haben wir uns für "KRIMI" entschieden, wohlwissend, dass sehr viele Leser in diesem Fall auch anderer Meinung sein können.

Bewegung im RAUM



""Ich hätte wirklich nicht behaupten können, Observationen seien meine Lieblingsbeschäftigung, aber man konnte ja auch `mal die berühmte Ausnahme machen, oder die zu observierende Person konnte die berühmte Ausnahme sein; letzteres war in diesem Falle zutreffend, außerdem musste man ja schließlich von irgend etwas leben und wenn es sich um Observationen handelte.
Ich hatte den Auftrag erhalten, eine junge Frau zu beschatten, die in den wenigen Stunden, in denen ich sie beschattete mehr ungewöhnliches tat, als andere zu observierende Personen in einem ganzen Monat oder Jahr. Sicher ist es wesentlich angenehmer, junge Frauen zu beschatten, als sonst irgendwelche Personen, doch hatte man leider fast immer das Pech, dass eben die zu beschattenden jungen Frauen genau zu denen zählten, auf die 'Hannes Waders' Ausspruch zutraf; eine Frau, die so aussieht, wie ein Mann sie erwählt, dem jeglicher Sinn für schöne Dinge fehlt.
Nun, in dieser Beziehung hatte ich Glück, diese Frau sah so gut aus, dass es mir nicht im Geringsten schwer fallen sollte, ihr überallhin zu folgen.
Was ich sicher wusste war ihr Vorname, Jody.
Sie hatte ein Hotelzimmer in der Stadt und ich hatte sie bis zu diesem Ort verfolgt gehabt. Da ich mich als Profi etabliert habe, kann ich nun mit Fug und Recht behaupten, dass sie jedem anderen beim Verlassen des Hotels entwischt wäre, nicht aber mir.
Als sie das Hotel betrat, war sie mit Jeans und T-Shirt bekleidet, beim Verlassen hätte man sie nie als sie selbst erkannt, vorausgesetzt, man betrachtete das Mädchen in Jeans und T-Shirt als sie selbst.
Als sie das Hotel betrat hätte man sie für eine Touristin oder Studentin halten können, was danach allerdings das Hotel verließ, war eine Frau, die sich ebenso gut als Prostituierte verdingen konnte, wie als Punklady. Ja, sie hatte in ihrem Outfit eine gelungene Mischung aus Beidem realisiert, obwohl ich bis zu diesem Zeitpunkt der Meinung gewesen war, eine solche Mischung sei nicht möglich.
Erkennen konnte ich sie auch nur als sie selbst, weil ich meinen voyeuristischen Neigungen folgend, einen Blick in ihr Fenster erhascht hatte, als sie sich umkleidete. Gut, hätte ich nicht diesen Blick gewagt, wäre damit die Observation beendet gewesen. Meine Berufsehre als Schnüffler verlangte es aber, nicht irgendwelchen Umziehtricks aufzusitzen.
Sie verließ das Hotel, einen Koffer in der Hand, in einem ziemlich kurzen braunen Mantel, der mich an die Knautschlackmantel der frühen Siebziger erinnerte. Unter dem Mantel konnte man gerade noch rote Strapsbänder mehr erahnen als erkennen, die ebenfalls rote Strümpfe hielten.
Klar hatte ich Fotos geschossen!
Der Knautschlackmantel klaffte vorne auseinander und man konnte einen sehr kurzen schwarzen Faltenrock erkennen, der ansonsten nur noch durch einen schwarzen BH ergänzt wurde.
In dieser Gegend der Stadt fiel sie so kaum auf, denn das so genannt Halbseidene Viertel war nicht weit entfernt.
Ich folgte ihr, mir eingestehend, dass sie mir schon unter nicht beruflichen Gesichtspunkten gefallen konnte. Ihre langen wallenden Haare hatte sie nun unter einem unmöglichen Hut verborgen, der kaum noch eine Strähne unter seiner Krämpe hervorlugen ließ.
Zielstrebig bog sie um einige Ecken und besuchte einen nahe gelegen Flohmarkt. Wollte sie sich etwas kaufen, um ihr Outfit zu ergänzen?
Nein, denn sie beachtete die Stände kaum und ging zielstrebig dem anderen Ende des Flohmarktes entgegen, eine Treppe hinunter, die zur Uferpromenade des Flusses führte und geradewegs in eine nostalgisch gelbe Telefonzelle.
Auf der Treppe blieb ich stehen.
Da ich über ein ausgezeichnetes Zahlengedächtnis verfüge, brauchte ich mir keine Notizen zu machen.
Sie warf kein Geld in die dafür vorgesehenen Schlitze, sondern sah sich aufmerksam nach irgendeinem imaginären Beobachter um, den sie naturgemäß nicht entdecken konnte, denn ich hatte so meine Erfahrungen nicht entdeckt zu werden, vielleicht hatte ich auch viel zu viele Erfahrungen auf diesem Gebiet, denn oftmals konnte ich mich in ein Restaurant setzen, ohne, dass der Kellner mich bemerkte, somit wurde ich auch nicht bedient. Ich hatte noch nicht den Bogen raus, wie man deutlicher auffallen konnte, also nutzte ich dieses Talent oder Manko beruflich.
Die Nummer, die sie eingab wollte gar nicht enden und begann auch nicht mit den bekannten Call-by-Call-Nummern.
Wohin wollte jemand anrufen, wenn er eine so lange Nummer eingab?
Vielleicht in den Andromedanebel oder die Magellanschen Inseln?
Die Neonbeleuchtung der Zelle flackerte kurz auf und die Frau verschwand vor meinen Augen.
Sie war einfach nicht mehr da.
Von einer Sekunde zur anderen war sie verschwunden, als hätte sie sich nie in dieser Zelle befunden und mit ihr der Koffer, dessen Inhalt mich die ganze Zeit schon interessierte hatte.
Der Profiobservator in mir erwachte zu jähem Leben.
Mit wenigen raumgreifenden Schritten stand ich in der Telefonzelle und sah mir dabei zu, wie ich meinen Fingern befahl, die gleiche lange dreiundzwanzigstellige Zahl, mit den vier Nullen am Anfang, einzutippen.
Was sollte das?
War ich nun vollends verrückt geworden und wenn ja warum, weil diese Frau vor meinen Augen verschwunden war oder weil ich nun in der Zelle stand und versuchte ihr zu folgen, indem auch ich verschwand?
Verschwand?
Wohin?
Die Neonbeleuchtung flackerte und ich war schon darauf vorbereitet zu verschwinden, doch nichts dergleichen geschah. Ich stand immer noch in der Telefonzelle und starrte nun nach draußen.
Da war ja auch wieder die Frau, die zielstrebig die Treppe hinauf eilte.
Klar folgte ich ihr.
Seit wann gab es auf diesem Fluss in dieser Stadt, in der ich schon so lange wohnte, Raddampfer?
Auf den Treppenstufen holte ich auf.
Der Flohmarkt war aber schnell abgebaut worden.
Moment!
Was war das für eine Stadt?
Ohne zu überlegen folgte ich weiterhin der Frau, machte Fotos von dem Raddampfer, dem Platz, den wir überquerten und der Frau, die nun mein einziger Bezug zur Realität zu sein schien.
Im Laufen fummelte sie an ihrer Kleidung. Den Hut riss sie vom Kopf, rollte ihn ein und steckte etwas hinein, das ich von hinten als ihren Rock identifiziert hätte, wenn dieser Umstand nicht unmöglich gewesen wäre.
Mitten auf dem Platz, auf einer Markierung blieb sie stehen.
Andere Leute standen in ihrer Umgebung, weder sie noch mich beachtend. Auf einer Bank saß eine Frau mit einer eigenartigen Kopfbedeckung auf der ein Wort zu lesen war.
Fricatrice!
Sie war in einen weiten Mantel gehüllt und schien nicht wie die anderen Leute auf etwas Bestimmtes zu warten. Wenn ich mich auf meine Intuition verlassen konnte, wartete man hier auf ein öffentliches Verkehrsmittel.
Die Umstehenden waren derart teilnahmslos, dass sie wahrscheinlich noch nicht einmal von ihrer Umgebung Notiz genommen hätten, wenn ich mich als Fakir betätigt hätte und eine zehn Meter lange Stichflamme aus meinem Munde zuwege gebracht hätte.
Jody, die ich observierte stand einige Schritte von mir entfernt und wandte sich in meine Richtung, als ein Geräusch immer deutlicher wurde.
Was ich nun wahrnahm, raubte mir den Atem, ja ich zweifelte an meinem Verstand.
Man, sie trug den Rock nicht mehr, sondern nur noch den schwarzen BH und rote Strapse mit roten Strümpfen aber ohne Slip.
Ihre Schamhaare waren schwarz, ganz im Gegensatz zu ihren mittelblonden Haaren.
Mit kurzen Blicken versicherte ich mich der Tatsache, dass die Frauen dieser Epoche zumindest eine Brust zu Markte trugen oder, wie diese hinreißende Schönheit, die ich verfolgte, ihren Hintern oder die Vorderansicht präsentierten.
Dieser Umstand hätte wohl so ziemlich jedem Mann aus meiner Epoche, so auch mir gefallen.
Das, was ich als Bus erwartet und bezeichnet hatte, entpuppte sich als an den Enden abgerundete Röhre, die etwa einen halben Meter über dem Boden schwebte. Ich bückte mich, an meinen Schnürbändern herumfummelnd und überzeugte mich so davon, dass der Bus tatsächlich schwebte; man hatte in dieser Epoche die Gravitation überwunden.
Die Frau, deren Vorname Jody war und die sich äußerst extravagant zu kleiden verstand, stieg durch eine sich öffnende Rundung in das technische Gerät ein und ich folgte ihr, wie auch alle anderen, die hier mit uns gewartet hatten.
In dem Beförderungsmittel, die Bezeichnung Bus passte nun wirklich nicht, schien niemand bezahlen zu müssen. Alle Passagiere setzten sich auf Sessel oder Couchen, die unregelmäßig verteilt herumstanden und genug Platz für alle boten. Das Innere des Verkehrsmittel erinnerte mehr an einen Ausflugsdampfer, denn ich kam mir vor, wie in einem Wohnzimmer, mit wechselnder Aussicht.
Ich setzte mich so hin, dass ich die zu verfolgende Dame, Jody, ohne Schwierigkeiten im Auge behalten konnte, wie den Koffer, der nun neben ihr stand, ohne dabei aufzufallen. Sie hatte ein Bein über das andere geschlagen, so dass ich nicht auf ihre Blöße starren musste, wie es wahrscheinlich der Fall gewesen wäre, wenn sie ihre Beine locker nebeneinander gestellt hätte, weiter wagte ich gar nicht zu denken.
Neben ihr auf der Couch saß ein Mann, der völlig nackt war und gedankenversunken eine besonders offenherzige Frau anstarrte, die ihm gegenüber saß. Auf einer anderen Couch saßen zwei Frauen, eng umschlungen und sich küssend, ohne von ihrer Umgebung Notiz zu nehmen.
Das konnte ja heiter werden, wenn die Leute dieser Epoche schon die öffentlichen Verkehrsmittel so sehr als ihr Zuhause betrachtete, wie die Leute meiner Epoche ihre eigenen vier Wände, was mochte sich dann erst in den Privaträumen dieser Leute abspielen?!
Die Tabulosigkeit dieser Epoche war allerdings erfreulich für mich; dem professionellen Beobachter in mir gefielen die Blicke auf die unverhüllte Weiblichkeit.
Die Dame die ich verfolgte, hatte genau gewusst wo sie mittels dieser Telefonzelle hinkommen würde, denn sie hatte sich vorher schon bekleidungsmäßig darauf eingestellt, indem sie auf ihren Slip verzichtete und einen Rock anzog, der hinten offen zu sein schien, denn sie hatte ihn mit wenigen Handgriffen nach vorne entfernen können.
Das Vehikel in dem wir uns befanden hielt an. Die Türen öffneten sich und einige Leute stiegen aus, bevor neue Leute eintraten.
Wegen der unübersehbar interessanten soziologischen Strukturen hatte ich es bisher versäumt, nach draußen zu sehen.
Alle Vehikel schwebten knapp über dem Boden und überall konnte ich Leute erkennen, die sich absolut ungezwungen in der Öffentlichkeit verhielten und nicht den geringsten Grund zu sehen schienen, ihren sexuellen Neigungen innerhalb der eigenen vier Wände nachzugehen.
Die Gebäude unterschieden sich nicht sehr von denen, die ich die letzten Jahre in meiner Epoche gesehen hatte, obwohl man doch viel mehr Stahl verwandt zu haben schien, der sichtbar die Häuser von außen stützte.
Das Vehikel hielt wieder an.
Jody zog das eine Bein vom anderen, stand auf und näherte sich einem der Ausgänge, wobei sie mir entgegenkam, den Koffer lässig schwingend.
Meine Augen sogen sich an ihrem haarigen Dreieck fest, das ich für das schönste Dreieck hielt, das ich jemals - auf dem Kopf stehend - gesehen hatte.
Als sie mir beim rausgehen den Rücken zukehrte stand ich auf und folgte ihr unauffällig. Wäre ich nicht so ein gehemmter Typ gewesen...
So folgte ich dem vorne offenen Knautschlackmantel, den ich leider nur von hinten zu sehen bekam.
Die Leute im Vehikel, wie auch alle, die ich, seit ich die Epoche betreten hatte, gesehen hatte, redeten alle die selbe Sprache wie ich, zumindest konnte ich keinen gravierenden Unterschied heraushören. Übrigens hatten sie innerhalb des Busses öfter das Wort Vehikel gebraucht. Warum sollte ich nicht die übliche Ausdrucksweise übernehmen.
Ich stellte mir vor, dass es nicht einfach sein würde, festzustellen, ob meine Zahlungsmittel hier Gültigkeit hatten, wollte es aber erst gar nicht auf einen Versuch ankommen lassen.
Jody betrat eine Art Restaurant.
Ich folgte ihr, wobei mir auffiel, dass es nicht nach Nahrungsmitteln roch. Sie setzte sich an einen Tisch. Es war nicht sehr hell in dem Inneren des Raumes und ich setzte mich an den Nachbartisch. Wir saßen Rücken an Rücken, was sie nicht wusste.
Ich lehnte mich zurück, um ihr mit meinem Kopf möglichst nahe zu kommen, denn es war ja möglich, dass ich ihrer Bestellung beim Kellner irgendwelche wichtigen Informationen zu entnehmen vermochte.
Aus meiner Jackentasche holte ich eine Mütze, die mir in solchen Situationen schon gute Dienste geleistet hatte. Im Zusammenhang mit meiner Brille konnte ich so über versteckte Spiegel, mit einiger Übung, alles beobachten, was sich hinter mir abspielte und hatte dabei einen gewöhnungsbedürftigen Weitwinkeleffekt.
Eine Frau kam an den Tisch der zu observierenden Dame.
"Ich will Colette sprechen! Ich habe Waren für sie!"
Die Stimme klang besonders angenehm.
Die Frau, die an den Tisch gekommen war, nickte nur und ging wieder zurück. Warum wurde hier nicht zumindest etwas zu trinken bestellt?
Ich sah mich um.
Niemand trank etwas.
Überall konnte man nur wieder Leute sehen, die sich sexuelle Befriedigung verschafften oder verschaffen ließen.
Auf den Tischen standen Wasserpfeifen und Fernsehbildschirme, auf denen ein individuelles Programm zu laufen schien, zumindest nahm ich es an, denn einige Gäste des Hauses drückten regelmäßig auf den Tasten herum, um das jeweilige Programm zu wechseln. Nur wollte es mir aus meiner Sitzposition nicht gelingen, das Programm auf einem der zahlreichen Bildschirme zu identifizieren.
"Und du? Was willst du bestellen?"
Irritiert sah ich die Frau an, die vor mir stand, beide Brüste in den Raum ragen lassend.
"Ich warte noch auf einige Bekannte, vielleicht ist es besser, später gemeinsam zu bestellen!"
Ich war mehr als froh, als sie sich damit zufrieden gab und zu einem der nächsten Tische ging. Was hätte ich bestellen sollen oder können? Was konnte man in diesem Etablissement überhaupt bestellen?
Keine Sekunde zu früh widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder der Unterhaltung hinter mir.
"Hast du die Flaschen?"
"Colette, glaubst du ich komme ohne, auch wenn ich nur mit dir reden will?"
Colette winkte eine der Damen, die sich zwischen den Tischen bewegte zu sich heran.
"Bring eine Wasserpfeife für Jody und mich!"
Die Frau drehte sich um.
"Sandra!"
Colette rief sie zurück.
"Bring die Hanfpacks mit!"
"Du meinst die Haschischplatten, die wir eingeschweißt haben?"
Ich wunderte mich, denn sie hatten mit unverminderter Lautstärke geredet, nur bei dem Wort Flaschen war mir ein gedämpfter Tonfall aufgefallen.
"Klar!"
Irgendwie verschwörerisch wandte sie sich Jody zu.
"Was hast du diesmal in dem Koffer?"
"Metaxa, Ouzo, Gin und Whisky! Wenn du irgendwelche speziellen Wünsche hast, brauchst du es nur zu sagen, ich kann dir wirklich alles besorgen!"
"Ich weiß, ich kann aber nur eine begrenzte Menge umsetzen, wenn ich das Risiko so gering wie möglich halten will."
Die Kellnerin kam zurück und stellte eine große Wasserpfeife mitten auf den Tisch, neben die sie wortlos fünf Platten gepressten Haschischs legte.
"Nimm Jodys Koffer und bring den Inhalt in Sicherheit, wie immer!"
Diese Sandra nahm den Koffer an sich, in dem sich nach Jodys Angaben Metaxa, Ouzo, Gin und Whisky befanden, um damit in einem Hinterzimmer zu verschwinden. Da es nun wieder nur belangloses Geplänkel gab, sah ich mich im Raume um.
An einigen Tischen rauchten die Gäste in aller Öffentlichkeit aus Wasserpfeifen, wobei mir erst im Zusammenhang mit den Wasserpfeifen der typische Geruch auffiel, der beim Rauchen von Cannabisprodukten unvermeidlich war.
Nach einigen Minuten kam Sandra mit dem leeren Koffer zurück.
"Danke!"
Jody öffnete den Koffer und legte die eingeschweißten Haschischplatten hinein.
"All right, let`s go!"
"Vielen Dank Jody, wann kommst du wieder?"
"Nicht vor nächster Woche, mach 's gut Colette!"
Jody stand auf und verließ zielstrebig den Raum.
Geschickterweise war ich schon draußen und erwartete sie da, um meine Observation fortzusetzen.
An der Vehikelhaltestelle standen einige Leute, zu denen ich mich gesellte.
Auch Jody stand in der Nähe, ohne mich bemerkt zu haben, aber das war ja auch nicht anders zu erwarten, ich war eben der unauffällige Typ an sich.
Plötzlich näherten sich von allen Seiten kleine Vehikel mit lautem Getöse und kesselten die Leute an der Haltestelle einschließlich Jody und mir ein.
Panik stieg in mir auf, Panik, die ich sofort unterdrückte. Was, wenn sie wegen Jodys Haschischplatten hier waren?
Uniformierte Bewaffnete sprangen raus und nahmen wie die Bullen meiner Epoche einen Mann fest.
Triumphierend zog einer der Beamten einen Flachmann aus der Jackentasche des Mannes.
"Was haben wir denn da mein Freund? Das bringt dir sicher zehn Jahre ein!"
So unauffällig wie möglich versuchte ich die Reaktionen der Umstehenden, insbesondere Jodys zu beobachten, denn wie viele Jahre hätte es Jody eingebracht, wenn man sie vor einer Stunde mit ihren vier großen Flaschen erwischt hätte?
Jody versuchte so zu stehen, dass sie von den Vorkommnissen nicht sehr viel mitbekam, ja sie schien sich ablenken zu wollen indem sie die Wartenden, genauer betrachtete, die sie zuvor keines Blickes gewürdigt hatte. Ich hatte mich schon geraume Zeit gefragt, ob sie von den sie umgebenden Menschen keine Notiz nahm.
Unsere Blicke begegneten sich. Sie sah langsam und bedächtig an meinem Körper hinunter und starrte dabei auf meine Hose, in der sich mein kleiner Freund, den ich in meiner Kindheit, und auch später, Willi genannt hatte befand. Irgendwie hatte ich den Eindruck, sie würde länger als üblich auf die Stelle meiner Hose blicken, hinter der sich Willi befand.
Nach Sekunden trafen sich wieder unsere Augen und sie nickte mir anerkennend zu, als wolle sie sagen: Nicht schlecht, einen Mann zu treffen, dessen Schwanz noch mit Blut zu füllen ist.
Ein Vehikel stoppte vor uns und ich folgte ihr.
Bewusst, um die Observation nicht zu gefährden, setzte ich mich besonders weit von ihr entfernt hin denn ich konnte nun alles mögliche gebrauchen, nur nicht, dass ich ihr auffiel, denn immerhin war sie für mich die einzige Garantie zur Rückkehr in meine gewohnte Umgebung.
Ich durfte sie nicht verlieren, sonst konnte es mir passieren, dass ich in dieser Epoche gefangen war. Da ich mir absolut sicher war, Jody würde über kurz oder lang in die mir bekannte Umgebung zurückkehren, blieb mir keine andere Möglichkeit, als ihr auf den Fersen zu bleiben.
Als sie ausstieg, folgte ich ihr auf dem Fuße bis zu einer Telefonzelle.
Es handelte sich genau um die Telefonzelle am Fluss, die mich in diese Epoche geschafft zu haben schien.
Wenn sie jetzt eine Zahl eingab, durfte ich sie nicht verpassen, zuviel hing davon ab, dass ich dahin zurückkehren konnte, wo ich hergekommen war.
Sich umsehend betrat Jody die Zelle.
Ich musste jede Art von Nervosität verdrängen, in diesem Augenblick durfte mir kein Fehler unterlaufen.
Tief einatmend brachte ich mich in die richtige Position auf der Treppe.
Wie beim ersten Mal begann sie zu tippen, ohne den Hörer abgenommen zu haben. Das Licht flackerte kurz auf und vor mir befand ich eine leere Telefonzelle.
Eiligen Schrittes folgte ich ihr, die selbe Zahl wie sie benutzend, denn egal, wohin sie reiste, musste ich ihr folgen.
Das Licht flackerte...
Während des flackernden Lichtes kam mir zu Bewusstsein, dass sie sich ihr Rockfragment nicht vorgehängt hatte, was darauf schließen ließ...
Die nicht vollendete Schlussfolgerung war richtig. Außerhalb der Telefonzelle war ein Strand zu erkennen, an dem fast nur unbekleidete Menschen in der Sonne lagen.
Jody ging zu einem Tisch, der in der Nähe stand und zu einem Strandcafé zu gehören schien.
Jetzt galt es für mich, so unauffällig wie möglich die Zelle zu verlassen.
Ich schlenderte in Richtung Wasser, erleichtert, auch Leute zu sehen, die vollständig bekleidet waren.
Die Leute warfen zwei Schatten.
So unauffällig wie möglich warf ich einen kurzen Blick in den Himmel.
Zwei Sonnen!
Mit zitternden Fingern bewegte ich mich in Richtung Telefonzelle, wobei ich mich unauffällig davon überzeugen konnte, an welchem Tisch Jody saß und was sie gerade tat. Eine Frau saß neben ihr und redete unablässig auf sie ein.
Die Telefonzelle, die Jody und mich hierher befördert hatte, sah ganz anders aus, als ich sie erwartet hatte. Ein Mann in einer Mönchskutte ging gerade hinein und tippte eine Nummer, die ich mir merkte. Er verschwand. Direkt nach ihm betrat eine völlig unbekleidete Frau die Zelle und tippte eine Nummer, die ich mir merkte; auch die Frau verschwand vor meinen Augen.
Überhaupt schienen alle an diesem Strand befindlichen Leute es für völlig normal zu halten, dass immer wieder Leute in die Zelle gingen und verschwanden.
Eine Frau in der Kleidung, wie ich sie aus den siebziger Jahren kannte wollte die Zellentür öffnen, fand sie aber verriegelt vor. Im Inneren der Zelle erschien ein Mann. Jetzt ließ sich die Tür öffnen, um den Mann hinauszulassen und die Frau konnte hineingehen, um eine Nummer zu drücken, die ich mir merkte.
Wenn ich also mal Bock auf die Hippiezeit hatte, wusste ich welche Nummer ich zu wählen hatte.
Die Zelle ließ sich wieder nicht öffnen. Als eine Gestalt in der Zelle erschien, wichen alle Umstehenden zurück, denn die Luft in der Zelle schien sich verfinstert zu haben. Eine Gestalt in einer Art Raumanzug kam aus der Zelle. Die entweichende Luft stank deutlich nach Scheiße.
Grubengas, also Methan.
Die Gestalt nahm die Arme hoch und öffnete den Helm.
Der Kopf einer Frau kam zum Vorschein. Sichtlich genussvoll atmete sie die würzige Strandluft ein, als habe sie lange Zeit nicht mehr so gute Luft zum Atmen gehabt.
So unauffällig wie es mir meine Profession erlaubte, setzte ich mich in Jodys Nähe um sie weder aus den Augen zu lassen, noch die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Zelle zu verpassen.
Die größte Mühe hatte ich dadurch, dass ich, schon aus Gründen der Selbsterhaltung, gezwungen war, jede Art von Panik schon im Keim zu ersticken. Wenn ich den Anschluss an Jody verpassen sollte, hatte ich immerhin mittlerweile vier Nummern, die mich zu den unterschiedlichsten Orten bringen würden; doch der Ort, dessen Nummer mein größtes Interesse geweckt hatte, war der, den ich heute morgen verlassen hatte, in dem ich jahrelang gewohnt hatte und den ich bisher für den einzig Erreichbaren gehalten hatte.
Wenn ich Jody verlieren sollte, blieb mir nur wenig, ich konnte die Orte, deren Nummern ich kannte besuchen, oder Nummern ausprobieren, die das Risiko in sich bargen, ohne Raumanzug auf einen Planeten mit Giftgasatmosphäre zu gelangen.
Irgendwann stand Jody auf und ich folgte ihr auf dem Fuße.
Vor der Telefonzelle hatte sich eine Schlange gebildet, in der ich direkt hinter Jody stand.
Jody holte das Fragment ihres abgelegten Rockes aus der Tasche, um es sich umzubinden. Ich wagte zu hoffen, dass die nächste Nummer, die sie drücken würde, mich wieder nach Hause führte.
Ich stand hinter ihr, als sie die Nummer eintippte, die ich mir unbedingt merken wollte.
Als sie verschwunden war, betrat ich die Zelle und gab ohne zu zögern die selbe Nummer ein.
Die beiden Sonnen verschwammen und ich sah gerade noch Jody, die die bekannte Treppe hinauf eilte.
Der Flohmarkt wurde gerade abgebaut, alles fand ich genau so vor, wie ich es kannte. Jody trug in ihrem Koffer Haschischplatten mit sich herum, die gereicht hätte, sie einige Zeit hinter Gitter zu bringen.
Unauffällig folgte ich ihr bis zu ihrem Hotel, in dem sie sich umzog.""


Reinhard sah mich regungslos an, zumindest ließ er sich nichts anmerken.
Bedächtig stand er auf, um sich und mir einen neuen Drink zu mixen.
"Und du willst jetzt anfangen Schundromane zu schreiben!?"
Der Spott in seiner Stimme kränkte mich.
"Du glaubst, ich würde dir so eine Geschichte auftischen, ohne sie als Romanvorlage zu deklarieren?"
"Ich glaube, du hast zu viel getrunken, geraucht oder sonst was, möglicherweise bist du auch ganz einfach durchgedreht!"
Mir fehlten die Worte.
Hatte ich nicht gedacht, zunächst einen Freund einzuweihen wäre besser, als die ganze Wahrheit meinen Auftraggebern aufzutischen?
Hatte ich nicht auch heimlich an meiner Wahrnehmung gezweifelt? Hatte ich nicht auch genau das in Erwägung gezogen, was Reinhard jetzt vermutete? War ich nicht erst, als ich sicher war, mir die Erlebnisse nicht eingebildet zu haben, zu ihm gegangen, um meine Entdeckung einfach mit jemandem zu teilen, dem ich vertraute?
Ich fühlte mich, als hätte Reinhard mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Dieser Umstand wog mehr, als die Erlebnisse im Zusammenhang mit der Observation Jodys.
Von hinten kam er nun zurück, wohl um mir einen Drink zu bringen.
Ich griff nach hinten um das Glas in Empfang zu nehmen zeitgleich mit einer huschenden Bewegung.
Ein Schmerz schoss durch mein Handgelenk.
Hätte ich nicht nach hinten gegriffen, weil ich dachte, Reinhard wäre mit dem Glas zurückgekommen, hätte mich dieser Mensch mit der hinterlistigen Garotte direkt am Hals erwischt...
Als er zuzog befand sich meine Hand dazwischen. Der Draht hatte mein Handgelenk verletzt, immer noch besser als den Hals.
Wie lange dauerte es, bis Reinhard den Zwischenfall bemerkte, um mir zu helfen?
Mit der freien Hand griff ich hinter mich und bekam einen Unterarm zu fassen, den ich mit aller Gewalt nach vorne riss.
Der Draht lockerte sich.
Ich hatte den Arm des Angreifers jetzt weit genug nach vorne gezogen, um auch mit der anderen Hand zuzugreifen.
Über meine Schulter zog ich den Mann nach vorne, seinen Arm nicht loslassend und während seines Sturzes so drehend, dass er vernehmlich knackte.
Als ich vor mir auf dem Boden Reinhard liegen sah, ließ ich ihn elektrisiert los und erstarrte.
Meinen Schreck verdaute er gut und rollte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus der Reichweite meiner Beine.
Als er aufstand funkelte ein Messer in seiner rechten Hand, den linken Arm konnte er aufgrund meiner Gewaltanwendung nicht mehr benutzen.
Mit der Geschwindigkeit einer Katze schoss er, Messer voran, auf mich zu.
Trotz meines geschickten Ausweichmanövers ritzte seine Klinge meinen Arm. Meine Faust traf nicht so genau, wie ich es gewollt hatte, sondern zertrümmerte ihm den Kehlkopf.
Minuten lag er so da, Augen weit aufgerissen und versuchend nach Luft zu schnappen.
Selbst eine Intubation hätte ihn nicht mehr zu retten vermocht, höchstens eine Trachäotomie.
Ich verzichtete auf jede Art von erster Hilfe, ohne zu wissen, ob es an meinem zweifellos erlittenen Schock lag, oder an der kaum zu beschreibenden Enttäuschung, erleben zu müssen, dass ein Mensch, dem man vertraut, versucht einen zu töten und zeigte ihm die Bilder, die ich bei der Verfolgung Jodys gemacht hatte und die mich letztendlich zu der Überzeugung gebracht hatten, nicht übergeschnappt zu sein. Er zeigte keine Regung, als hätte ich ihm Bilder gezeigt, die den Eiffelturm zeigen. Also beschäftigte ich mich, als er noch um sein Leben kämpfte, gedanklich mit der Beseitigung der Leiche.
Die rettende Idee kam mir, als er noch lebte.
Ich warf mir den leblosen Körper über meine Schulter und brachte ihn in seinem eigenen Wagen kurz vor Tagesanbruch zu der Telefonzelle, die mich zum ersten Mal aus dieser Welt entrückt hatte.
Mit einiger Mühe gelang es mir, Reinhard in die Zelle zu befördern. Bei geöffneter Tür gab ich die Nummer ein, die der Mann mit der Mönchskutte benutzt hatte, als er den Doppelsonnenstrand verließ.
Wie ich erwartet hatte, geschah nichts. Erst als ich die Tür mit Gewalt zudrückte, flackerte die Beleuchtung kurz auf und Reinhard verschwand aus der mir bekannten Welt. Ich hatte ihn in der Telefonzelle so positioniert, dass er in der Zielzelle mit seinem Gewicht die Tür aufdrücken würde und damit aus der Zelle fallen fiel, als hätte er mit letzter Kraft versucht, Hilfe zu rufen, nachdem er überfallen worden war.
Gegen sieben Uhr traf ich beim Autokino ein, um seinen Wagen zu verkaufen. Da ich ihn so weit wie möglich unter Preis angeboten hatte, ohne aufsehen zu erregen, hatte ich gegen acht Uhr einige Scheine in der Tasche und den Wagen samt Brief veräußert.





Ich hatte möglicherweise die bahnbrechendste Entdeckung meines Lebens gemacht, möglicherweise auch die bahnbrechendste Entdeckung dieses Jahrhunderts oder Jahrtausends und als ich sie einem Freund erzählte, versuchte er mich umzubringen.
Die Tatsache, ihn in Notwehr erschlagen zu haben konnte ich aufgrund der bahnbrechenden Entdeckung gut kaschieren, indem ich die Leiche verschwinden ließ.
Irgendwie konnte ich die Angelegenheit aber nicht so auf sich beruhen lassen. Kurzfristig war ich in Versuchung, meinen Auftraggeber einzuschalten, ihn umfassend zu informieren und in diesem Zusammenhang vielleicht etwas neue in dieser Angelegenheit zu erfahren. Im nächsten Moment dachte ich darüber nach, Jody ins Vertrauen zu ziehen, denn sie war mir während der Observation sehr ans Herz gewachsen.
Beide Gedankengänge waren viel zu absurd, um realisiert werden zu können, also musste ich auf eigene Faust weiterrecherchieren.
Der Gedanke, meine Entdeckung an die Öffentlichkeit zu bringen, kam mir zu keiner Sekunde.
Auf dem Parkplatz in der Nähe des Flusses hatte ich meinen alten VW-Bus abgestellt, einen Kastenwagen, der noch nicht einmal über ein Fenster in der Hecklappe verfügte. Durch seine schwarze Lackierung fielen die Löcher in seinen Seitenwänden und der Hecklappe gar nicht auf, da sie sich in den Hohlräumen der Os der Aufschriften befanden. Durch eines der Löcher konnte ich mit einer Videokamera die Telefonzelle lückenlos beobachten, ohne dabei bemerkt werden zu können.
Seit einer guten halben Stunde hatte ich meine Apparatur in Betrieb.
Wenn man von einer Frau absah, die gute fünf Minuten telefoniert hatte, gab es nichts zu berichten.
Und dann...
Von einem Sekundenbruchteil zum anderen stand ein Mann in der Zelle, sah sich um und begann auf der Tastatur des Telefons rumzudrücken. Er schien sich verwählt gehabt zu haben, denn wenn er am richtigen Ort angekommen wäre, hätte er die Zelle ja auch verlassen können. Gekleidet war er in eine Pelerine und wenn ich mich nicht sehr täuschte, baumelte ein Degen an seiner Seite.
Wie er gekommen war, löste er sich in Luft auf und verschwand.
Durch die lückenlose Videoaufzeichnung war es mir möglich, sowohl das Outfit der Leute, als auch die angewählten Nummern - bevor sie verschwanden - auf Magnetband zu bannen.
Ich brauchte einige Zeit, um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, mir einen Überblick über die Vorgänge im Zusammenhang mit dieser Zelle über einen längeren Zeitraum zu verschaffen, ohne anwesend zu sein. Zwei Videokameras waren dazu erforderlich, die mit einem Bewegungsmelder gekoppelt waren. Wenn sich nun eine Person in der Zelle aufhielt, wurde über die erste Videokamera eine Totale der Zelle aufgenommen, um das Outfit des Telefonierenden oder Reisenden zu konservieren, während die andere Kamera nur den Bildausschnitt aufnahm, in dem man später die gewählten Nummern ablesen konnte. Da beide Kameras über einen einzigen Bewegungsmelder geschaltet wurden, brauchte ich mir später nur die Aufzeichnungen parallel anzusehen, um zu wissen, wer mittels welcher Nummer die Zelle verlassen hatte.





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